TE Vfgh Erkenntnis 1980/10/23 V25/80, V26/80

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Veröffentlicht am 23.10.1980
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7400 Fremdenverkehr

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
B-VG Art139 Abs5
Tir BeitragsgruppenV 1976 ArtII
Tir BeitragsgruppenV 1973 ArtII Abs1, ArtII Abs2
Tir FremdenverkehrsG 1969 §32 Abs2, §32 Abs12
Tir FremdenverkehrsG 1976 §32 Abs4, §32 Abs18, §32 Abs20

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. 54/1980 am 14. November 1980; s. Anlaßfälle VfSlg. 8937/1980, 8994/1980

Leitsatz

Tir. Fremdenverkehrsgesetz; ArtII Abs1 Satz 1 und Abs2 der Beitragsgruppenverordnung 1973 und ArtII der Beitragsgruppenverordnung 1976; Anordnung der Rückwirkung ohne gesetzliche Ermächtigung

Spruch

I. ArtII Abs1 Satz 1 und Abs2 der Verordnung der Tir. Landesregierung vom 30. Jänner 1973, LGBl. 31, über die Einreihung der einzelnen Berufsgruppen der Pflichtmitglieder der Fremdenverkehrsverbände in die Beitragsgruppen (Beitragsgruppenverordnung 1973), und

ArtII der Verordnung der Tir. Landesregierung vom 27. Juli 1976, LGBl. 52, über die Einreihung der einzelnen Berufsgruppen der Pflichtmitglieder der Fremdenverkehrsverbände in die Beitragsgruppen (Beitragsgruppenverordnung 1976),

werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 1981 in Kraft.

Die Tir. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. ArtII Abs1 Satz 2 der Beitragsgruppenverordnung 1973 wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim VfGH ist zu B219/78 ein Bescheid der Berufungskommission nach §35 des Tir. Fremdenverkehrsgesetzes (FrVG) vom 10. Feber 1978 angefochten, mit dem der beschwerdeführenden Gesellschaft für die Jahre 1969 bis 1977 Pflichtbeiträge zu verschiedenen Fremdenverkehrsverbänden vorgeschrieben wurden. Die Vorschreibung stützt sich unter anderem auf die nach §32 Abs1 FrVG erlassenen Verordnungen der Tir. Landesregierung über die Einreihung der einzelnen Berufsgruppen der Pflichtmitglieder der Fremdenverkehrsverbände in die Beitragsgruppen vom 30. Jänner 1973 (Beitragsgruppenverordnung 1973), im folgenden "BGrV 1973", und vom 27. Juli 1976 (Beitragsgruppenverordnung 1976), "BGrV 1976".

Die BGrV 1973 ist im 9. Stück des Landesgesetzblattes (herausgegeben und versendet am 21. März 1973) kundgemacht und umschreibt ihren zeitlichen Geltungs- und Anwendungsbereich so:

"Artikel II

(1) Diese Verordnung tritt mit 1. Jänner 1973 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung der Landesregierung vom 11. Dezember 1969, LGBl. Nr. 57, über die Einreihung der einzelnen Berufsgruppen der Pflichtmitglieder der Fremdenverkehrsverbände in die Beitragsgruppen außer Kraft.

(2) Diese Verordnung ist auch auf die am 1. Jänner 1973 anhängigen Verfahren sowie auf alle Verfahren anzuwenden, die nach ihrem Inkrafttreten zur Vorschreibung von Beiträgen für Vorschreibungszeiträume anhängig gemacht werden, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung liegen."

Die BGrV 1976 (20. Stück des Landesgesetzblattes, herausgegeben und versendet am 10. August 1976) ist nach ihrem ArtII am 1. Jänner 1976 in Kraft getreten.

Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles hat der VfGH die Prüfung der Gesetzmäßigkeit der ArtII der BGrVn 1973 und 1976 beschlossen (V25/80). Er hatte das Bedenken, daß die Verordnungen mit rückwirkender Kraft erlassen wurden, obwohl das Gesetz zu einer solchen Rückwirkung nicht ermächtige.

Beim VfGH ist ferner zu B235/78 ein Bescheid derselben Berufungskommission vom 20. Februar 1978 angefochten, der dem Beschwerdeführer für die Jahre 1973 bis 1975 Pflichtbeiträge zu einem Fremdenverkehrsverband vorschreibt. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH aus den gleichen Gründen die Prüfung des ArtII der BGrV 1973 beschlossen (V26/80).

Die Tir. Landesregierung bejaht in beiden Verfahren die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen und hält die Verordnungsprüfungsverfahren für zulässig. In der Sache selbst hat sie von einer Stellungnahme abgesehen.

II. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig.

Die Anlaßbeschwerden sind zulässig. Bei der Bemessung und Vorschreibung der Pflichtbeiträge nach dem FrVG sind - obwohl es sich nicht um Abgaben iS des FinanzverfassungsG handelt

(VfSlg. 5811/1968) - die für die Abgabenbehörden des Landes und der Gemeinden geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden (§35 Abs1 FrVG). Nach diesen wäre in den Angelegenheiten der Landesabgaben in erster Instanz das Amt der Tir. Landesregierung, in zweiter Instanz die Landesregierung sachlich zuständig, wenn die Abgabenvorschriften über die sachliche Zuständigkeit keine Bestimmungen enthielten (§48 TAbgO). §33 Abs1 FrVG 1976 überträgt unter anderem auch die Berechnung und Vorschreibung der Beiträge dem Amt der Landesregierung (Landesfremdenverkehrsamt). Gemäß §35 Abs2 FrVG ist gegen Bescheide des Amtes der Landesregierung Berufung zulässig, über die eine beim Amt der Landesregierung eingerichtete Berufungskommission entscheidet. Aus dem Zusammenhalt dieser Vorschriften ergibt sich, daß diese Kommission - wie in Angelegenheiten der Landesabgaben die Landesregierung - in letzter Instanz zuständig ist. Mithin ist der Instanzenzug erschöpft (vgl. VfGH 15. 3. 1979 B301/76).

Der VfGH hat die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen in den Beschwerdeverfahren auch anzuwenden. Zwecks Berechnung der in Rede stehenden Beiträge werden nach §32 FrVG die Pflichtmitglieder in Beitragsgruppen eingeteilt und die Fremdenverkehrsverbände in Ortsklassen gruppiert. Eine Beitragsvorschreibung ist daher nur aufgrund einer Verordnung über die Beitragsgruppen und die Ortsklassen möglich. Wenngleich zu B219/78 die Zugehörigkeit der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Fremdenverkehrsverbänden überhaupt strittig ist, steht doch die Zugehörigkeit zum Fremdenverkehrsverband Schönberg aufgrund eines Bescheides der Tir. Landesregierung vom 16. Feber 1976 rechtskräftig fest, sodaß der VfGH jedenfalls in die Lage kommt, die Höhe des vorgeschriebenen Beitrages - und zwar anhand der BGrVn 1973 und 1976 - zu prüfen. Auch zur Beurteilung der Beschwerde B235/78, die weder die Zugehörigkeit zum Fremdenverkehrsverband noch die Einreihung in die Beitragsgruppe bestreitet, muß die Vorschreibung für den betreffenden Zeitraum anhand der zu prüfenden BGrV - hier freilich allein anhand der BGrV 1973 - gemessen werden.

III. Die Bedenken des VfGH sind begründet. Die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen entbehren der gesetzlichen Deckung.

1. Der VfGH hat seit dem Erk. VfSlg. 167/1922 mehrfach ausgesprochen, daß rückwirkende Kraft nur Gesetzen zukommt, die diese aussprechen, eine Rückwirkung von Verordnungen hingegen nur zulässig ist, wenn das Gesetz sie der Verordnung ausdrücklich einräumt (VfSlg. 312/1924, 2966/1956, 7139/1973, 7787/1976; VfGH 27. 6. 1980 V53/79).

Die Fremdenverkehrsbeiträge sind jeweils für das laufende Kalenderjahr vorzuschreiben (§33 Abs2 FrVG), allerdings nach dem Umsatz des drittvorausgegangenen Kalenderjahres zu berechnen (§§32 Abs2 FrVG 1969, 32 Abs4 FrVG 1976). Der Beitrag ist erstmals für das Kalenderjahr, in dem eine die Pflichtmitgliedschaft begründende Tätigkeit aufgenommen wurde, nach Maßgabe des in diesem Jahr ermittelten Umsatzes zu entrichten (§§32 Abs13 FrVG 1969 und 32 Abs18 FrVG 1976). Erlischt die Pflichtmitgliedschaft während des Vorschreibungszeitraumes, so beträgt er für jeden Monat ihres Bestandes ein Zwölftel des Gesamtbetrages (§§32 Abs12 FrVG 1969 und 32 Abs20 FrVG 1976). Aus all diesen Vorschriften folgt, daß der Beitrag wenigstens in monatlichen Abschnitten errechnet werden kann und Änderungen in den maßgeblichen Größen, die während des Vorschreibungszeitraumes eintreten, sich nur auf jenen Beitragsteil auswirken, der auf diese Änderungen folgt. Daß die Vorschreibung erst später vorgenommen wird, ändert an der Maßgeblichkeit der für den jeweiligen Zeitraum geltenden Vorschriften nichts. Die BGrVn wurden offenbar ungeachtet ihrer späteren Erlassung gerade deshalb mit 1. Jänner 1973 bzw. 1976 in Kraft gesetzt (ArtII Abs1 BGrV 1973 und ArtII BGrV 1976), damit sich eine unterschiedliche Behandlung von Teilen eines Kalenderjahres erübrigt. Damit ist eine Rückwirkung verfügt worden.

In ihrem ArtII Abs2 entfaltet die BGrV 1973 darüber hinaus eine allgemeine, zeitlich unbegrenzte Rückwirkung auf noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren.

2. Weder das FrVG noch andere Vorschriften enthalten aber eine Ermächtigung für eine rückwirkende Erlassung von Beitragsgruppenverordnungen.

Das wiederholt wiederverlautbarte Stammgesetz LGBl. 8/1963 beschränkt sich auf eine Aussage über sein eigenes Inkrafttreten am 1. Jänner 1963. Die am 1. Jänner 1976 inkraft getretene Nov. LGBl. 45/1976 sah (mit gewissen Ausnahmen) ihre Anwendung auf alle im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Verfahren sowie auf alle Verfahren vor, die nach ihrem Inkrafttreten zur Vorschreibung von Beiträgen für Vorschreibungszeiträume anhängig gemacht werden, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes liegen (ArtII). Über eine rückwirkende Erlassung von Verordnungen enthält sie nichts. Eine solche Bestimmung findet sich zwar noch in ArtII Abs4 der Nov. LGBl. 39/1969, wonach "in die Beitragsgruppenverordnung" die Bestimmung aufzunehmen war, daß "die Verordnungen" auf alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits anhängigen Verfahren sowie auf alle Verfahren anzuwenden sind, die nach seinem Inkrafttreten zur Vorschreibung von Beiträgen für Vorschreibungszeiträume anhängig gemacht werden, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes liegen. Diese Bestimmung konnte aber offenkundig nur die auf ihr Inkrafttreten folgende - durch die verfügten Änderungen bedingte - Erlassung von Verordnungen betreffen. Sie deckte also nur die BGrV 1969, LGBl. 57. Für eine Rückwirkung späterer Verordnungen auf irgendwelche Zeitpunkte vor ihrem Inkrafttreten oder auf alle noch anhängigen oder anhängig werdenden Verfahren ist daraus ebensowenig etwas ableitbar wie aus der Nov. LGBl. 46/1964, die in ArtII bestimmt hatte, die Beitragsgruppenverordnung nach §32 Abs1 des Gesetzes in der Fassung dieser Nov. könne rückwirkend mit 1. Jänner 1964 inkraft gesetzt werden.

Soweit die in Prüfung gezogenen Bestimmungen daher eine Rückwirkung aussprechen, sind sie als verfassungswidrig aufzuheben. Dieser Vorwurf trifft indessen ArtII Abs1 Satz 2 der BGrV 1973 nicht. Obwohl dieser Satz mit dem Wort "Gleichzeitig ..." an den rückwirkend festgesetzten Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung anknüpft und für das Außerkrafttreten der BGrV 1969 denselben Zeitpunkt bestimmt, wird er durch den Wegfall des ersten Satzes in seiner Bedeutung nicht entscheidend verändert: er bezieht sich dann auf das regelmäßig mit Ablauf des Tages der Kundmachung eintretende Inkrafttreten der Verordnung (§11 Abs1, LGBl. 12/1964). Dieser Satz ist daher von der Aufhebung auszunehmen.

Die auf Art139 Abs5 B-VG gestützte Frist für das Außerkrafttreten soll dem Landesgesetzgeber die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur Vermeidung eines besonderen Verwaltungsaufwandes ermöglichen, wozu allerdings die gesetzte Frist ausreicht.

Auch der Ausspruch über die Kundmachung gründet sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Rückwirkung, VfGH / Verwerfungsumfang, Fremdenverkehr, Abgaben Fremdenverkehr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:V25.1980

Dokumentnummer

JFT_10198977_80V00025_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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