TE Vfgh Erkenntnis 1980/11/28 B30/79

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Veröffentlicht am 28.11.1980
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art133 Z1
B-VG Art144 Abs2
StGG Art8
PersFrSchG §4
Tir Landes-PolizeiG §1
Tir Landes-PolizeiG §4
VStG §35 lita
VStG §36 Abs1

Leitsatz

VStG 1950, Wegfall des Festnehmungsgrundes gemäß §35 lita ab Feststellung der Identität; Verletzung der persönlichen Freiheit

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 13. Dezember 1978 von 3.45 Uhr bis 5.55 Uhr von Organen der Bundespolizeidirektion Innsbruck angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

II. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 13. Dezember 1978 um 2.00 Uhr von Organen der Bundespolizeidirektion Innsbruck festgenommen und bis 3.45 Uhr angehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden. In diesem Umfange wird die Beschwerde abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird ebenfalls in diesem Umfange abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor:

Am 13. Dezember 1978 gegen 2.00 Uhr morgens sei er gemeinsam mit einigen Freunden in Innsbruck durch die Meinhardstraße gegangen. Sie hätten wahrgenommen, wie die Besatzung eines Funkstreifenwagens einen Radfahrer, der offensichtlich angehalten worden war, beanstandete. Als sie kurz stehen blieben, seien sie von den Polizisten aufgefordert worden weiterzugehen. Sie seien noch kurz stehen geblieben, hätten jedoch, nachdem die Funkstreife abgefahren war, die Museumstraße überquert und seien am Gehsteig der Sillgasse in nördlicher Richtung weitergegangen. Plötzlich habe die Funkstreife, die offensichtlich umgedreht hatte, neben ihnen gehalten. Er sei mit dem Wort: "Einsteigen" aufgefordert worden mitzukommen und zugleich unter Gewaltanwendung in den Streifenwagen gezerrt worden. Ein Festnahmegrund sei nicht genannt worden, habe aber auch nicht bestanden, da selbst dann, wenn ihre Unterhaltung während der Amtshandlung der Besatzung der Funkstreife gegen den Radfahrer einen für die Tageszeit nicht angemessenen Lärm verursacht haben sollte, keine Grundlage für ein neuerliches Einschreiten sich geboten habe, nachdem sie der Aufforderung weiterzugehen Folge geleistet hätten. Es gehe auch nicht an, daß Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach der Abmahnung einer Person den Tatort verlassen, ihr Einschreiten also beenden, und nach einiger Zeit zurückkehren, um ohne Begründung und ohne, daß ein Zusammenhang mit einer Straftat bestehe, eine Festnahme vorzunehmen. Es könne diesfalls nicht mehr davon gesprochen werden, daß der Betreffende auf frischer Tat betreten werde. Der Beschwerdeführer beantragt festzustellen, daß er durch die Festnahme und seine darauffolgende Inhaftierung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde, in eventu wird die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

2. Die belangte Behörde führt in der Gegenschrift aus, daß am 13. Dezember 1978 gegen 2.00 Uhr früh eine Funkstreifenbesatzung einen Radfahrer, der mit einem unbeleuchteten Fahrrad durch die Museumstraße gefahren sei, beanstandet habe, was den Beschwerdeführer und einige seiner Begleiter veranlaßt habe, die Amtshandlung lautstark zu kritisieren. Der Beschwerdeführer habe vorher die Museumstraße außerhalb des Schutzweges überquert; er und seine Begleiter hätten den Radfahrer aufgefordert, sich die Amtshandlung nicht gefallen zu lassen, und mit abfälligen Bemerkungen versucht, die Sicherheitswachebeamten zu ärgern. Er sei hierauf ermahnt worden, sein Verhalten einzustellen und die Nachtruhe nicht durch ungewöhnliche Lärmerregung zu stören. Nach Beendigung der Amtshandlung mit dem Radfahrer sei die Funkstreife wieder abgefahren. Diese Weiterfahrt habe die Gruppe animiert, in lautes Geschrei auszubrechen und johlend über die Fahrbahn zurückzugehen, wobei sich insbesondere der Beschwerdeführer hervorgetan und neuerlich die Fahrbahn außerhalb des Schutzweges überschritten habe. Dies habe die Besatzung des Funkstreifenwagens veranlaßt umzukehren, um das lärmende und ordnungsstörende Verhalten zu unterbinden. Als der Streifenwagen bei der Gruppe angekommen sei, habe der Beschwerdeführer die aussteigenden Beamten lautstark beschimpft. Nach mehrmaliger Abmahnung und Androhung der Festnahme sei die Festnahme förmlich ausgesprochen und der Beschwerdeführer aufgefordert worden, in den Funkstreifenwagen einzusteigen. Da er sich passiv verhalten habe und es zu einem aktiv geführten Angriff eines Begleiters (S.) gegen die Festnahme gekommen sei, habe physischer Zwang angewandt und über Funk Assistenz angefordert werden müssen. In der Folge seien der Beschwerdeführer und S. ins Wachzimmer "Innere Stadt" eskortiert und dort die Anzeigen aufgenommen worden. Der Beschwerdeführer habe im Wachzimmer wiederum Widerstand zu leisten und zu schreien begonnen, sodaß er zur körperlichen Visitation in die Handzelle abgegeben worden sei. Da er in der Folge behauptet habe, geschlagen worden zu sein, sei der Amtsarzt bestellt worden, der am Beschwerdeführer keine sichtbaren Verletzungen habe feststellen können. Diese Amtshandlungen seien unter besonders erschwerten Bedingungen, nämlich trotz massiver Störungen der Begleitpersonen des Beschwerdeführers, die zum Wachzimmer gekommen seien und in unsachlicher Weise interveniert hätten, durchgeführt worden.

Da der Beschwerdeführer von der Fortsetzung seines strafbaren Verhaltens auch im Wachzimmer nicht abgelassen habe, sei er nach Anzeigenerstattung in die Bundespolizeidirektion Innsbruck überstellt worden, wo er unverzüglich einvernommen worden sei. Der Beschwerdeführer habe auch dort zur Sachlichkeit ermahnt und zur Einstellung des lärmenden und ungestümen Benehmens aufgefordert werden müssen. Im Journaldienst seien seine Identität und sein Wohnsitz an Hand der Evidenzen im Meldeamt geprüft worden. Nach seiner niederschriftlichen Einvernahme sei der Beschwerdeführer um

5.40 Uhr entlassen worden.

Die belangte Behörde beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen M. S., J. S., W. A., R. Ch., H. K., A. N., Th. St., K. H., J. P., Dr. Th. A., F. B., F. B., H. W. sowie des Beschwerdeführers als Partei, im Wege der Rechtshilfe, und durch Einsichtnahme in die Akten ST-V-19.353/78 (betreffend den Beschwerdeführer), ST-2150/78 (betreffend M. S.), beide der Bundespolizeidirektion Innsbruck, und den Akt des Landesgerichtes Innsbruck 35 Hv 23/79 (betreffend M. S.).

2. Auf Grund dieser Beweise stellte der VfGH folgendes fest:

Der Beschwerdeführer besuchte in den Abendstunden des 12. Dezember 1978 mit mehreren Freunden vorerst das Gasthaus "Heimgartl", um eine bestandene Prüfung zu feiern. Bis etwas vor 2.00 Uhr des 13. Dezember 1978 hatte der Beschwerdeführer drei große Bier zu sich genommen. Nachdem sie vorerst noch das Lokal "Kaiserstuben" aufsuchen wollten, gingen sie von dort aus zu Fuß durch die Museumstraße in westlicher Richtung. An der Kreuzung Meinhardstraße sahen sie, wie ein Radfahrer von der Besatzung einer Funkstreife beanstandet wurde. Der Beschwerdeführer und zwei seiner Freunde überquerten hierauf die Straße, stellten sich unmittelbar neben den Funkstreifenwagen, wo sie laut sprechend kritische Bemerkungen machten. Als sie vom Fahrer des Funkstreifenwagens aufgefordert wurden, sich zu entfernen, äußerte sich der Beschwerdeführer sinngemäß, daß er nichts Verbotenes mache. Der Aufforderung, sich zu entfernen, kam er jedoch nicht nach. Nach der Beendigung der Amtshandlung fuhr die Funkstreife langsam weg, worauf der Beschwerdeführer, als er mit seinen Begleitern über die Straße zurückging, mit den Armen gestikulierte, laut lachte und störend lärmte. Die Besatzung des Funkstreifenwagens, die dies beobachten konnte, wendete hierauf bei der nächstmöglichen Gelegenheit, fuhr zur Gruppe zurück und stellte den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, sich auszuweisen, hatte jedoch keinen Ausweis bei sich und erklärte lärmend, daß in Österreich keine Ausweispflicht bestehe. Hierauf richtete einer der beiden Beamten, der inzwischen aus dem Streifenwagen ausgestiegen war, an ihn die Aufforderung "Mitkommen" und faßte ihn am Arm, um ihn in den Funkstreifenwagen zu drängen. Während der Beschwerdeführer passiven Widerstand leistete, indem er sich steif machte und gegen die Fahrzeugöffnung spreizte, sah sich einer seiner Freunde, nämlich S., veranlaßt, ihm dadurch Hilfe zu leisten, daß er aktiv zur Verhinderung der Festnahme gegen die Sicherheitswachebeamten eingriff. Von diesen wurde hierauf per Funk Verstärkung angefordert und der Beschwerdeführer in den Funkstreifenwagen hineingedrängt. Inzwischen war ein zweiter Funkstreifenwagen eingelangt, dessen Besatzung S. festnahm, der sodann freiwillig in den Streifenwagen einstieg. Der Beschwerdeführer wurde sodann ins Wachzimmer "Innere Stadt" gebracht, wo der Funkstreifenwagen in die Tiefgarage einfuhr. Von dort wurde der Beschwerdeführer in eine Handzelle gebracht, wo er visitiert wurde. Gleiches geschah mit S., der in der Folge getrennt vom Beschwerdeführer verwahrt wurde. Im Wachzimmer wurde sodann eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer geschrieben sowie eine Überprüfung seiner Identität eingeleitet, zu welchem Zwecke von ihm die Generalien verlangt wurden. Da der Beschwerdeführer behauptete, bei der Visitation geschlagen worden zu sein, wurde ein Polizeiarzt gerufen, der nach ca. einer Stunde einlangte und den Beschwerdeführer untersuchte, ohne sichtbare Merkmale einer Mißhandlung feststellen zu können. Da die Freunde des Beschwerdeführers ihm zum Wachzimmer gefolgt waren und dort intervenierten, wurde der normale Ablauf der Amtshandlung gestört und verzögert. Ungefähr gleichzeitig mit der polizeiärztlichen Untersuchung war auch die Identität des Beschwerdeführers überprüft und festgestellt. Vom Beschwerdeführer, der sich nach seiner Einlieferung in das Wachzimmer beruhigt hatte und dort in einer Zelle angehalten worden war, wurde weder gelärmt noch in anderer Form ein auffälliges Verhalten gesetzt. Die bisherigen Amtshandlungen hatten bis 3.45 Uhr gedauert. Anschließend wurde der Beschwerdeführer von den Sicherheitswachebeamten F. B. und F. B. mit dem Arrestantenwagen in das Gebäude der Bundespolizeidirektion Innsbruck gebracht, ohne daß sich auch hiebei der Beschwerdeführer auffällig verhielt. Im Amtsgebäude der Bundespolizeidirektion Innsbruck, wo er um ca. 4.00 Uhr vorgeführt wurde, wurde er von Kriminalbezirksinspektor H.W. in Anwesenheit des rechtskundigen Beamten Dr. Th. A. vernommen, welch letzterer sich auch in die Befragung einschaltete. Bei der Vernehmung beharrte der Beschwerdeführer darauf, daß er im Wachzimmer von einem Beamten tätlich angegriffen worden sei. Nach Anlegung eines Priorenzettels wurden die vom Beschwerdeführer angegebenen Personaldaten beim Meldeamt überprüft, wobei sie sich als richtig erwiesen. Nach Beendigung seiner Vernehmung wurde der Beschwerdeführer sodann um

5.55 Uhr freigelassen.

3. Hiefür war folgende Beweiswürdigung maßgeblich:

Anlaß für das Einschreiten der Beamten gegen den Beschwerdeführer war dessen Verhalten nach der Abfahrt der Funkstreife, nämlich sein Gehaben, als er über die Straße wieder zurückging und dabei die Arme in die Höhe riß, laut lachte und lärmte. Dies wird vom Beschwerdeführer wohl bestritten und behauptet, eine Lärmentwicklung durch ihn beim Zurückgehen über die Straße hätte von den Sicherheitswachebeamten durch das "Aufheulen des Boxermotors" des Streifenwagens gar nicht gehört werden können, seinen Angaben kann jedoch nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, daß das Verhalten des Beschwerdeführers nicht nur akustisch, sondern auch visuell wahrgenommen und aus seinem Gehaben erschlossen werden konnte, werden die von den Sicherheitswachebeamten geschilderten Beobachtungen auch durch weitere Beweisergebnisse bestätigt. Insbesondere vom Zeugen S. wurde bei seiner Vernehmung in der Bundespolizeidirektion Innsbruck am 13. Dezember 1978 inhaltlich zugegeben, daß die Beamten der Funkstreife wahrscheinlich deshalb zurückkamen, "weil wir zu laut waren". Auch die Aussage des Zeugen W., der zu der in Frage stehenden Personengruppe gehörte, bestätigt, daß eine der drei Personen, die über die Straße zurückkamen, den anderen beiden etwas erzählte und diese lachten. Dazu kommt, daß der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben zumindest leicht alkoholisiert war und sich schon in die Amtshandlung gegen den Radfahrer eingemischt hatte, bzw. ein Verhalten setzte, das die Beamten als störend empfanden, wenn sie auch vorerst gegen den Beschwerdeführer nicht einschritten und sich erst auf Grund der nachfolgenden Vorgänge, als der Beschwerdeführer die Straße wieder überquerte, dazu entschlossen. Auch in der Beschwerde wird zugegeben, wenn auch nur bezogen auf die Situation, wie sie bei der Beanstandung des Radfahrers gegeben war, daß möglicherweise tatsächlich durch die Unterhaltung ein für die Nachtzeit nicht angemessener Lärm verursacht worden sei. Sowohl der Zusammenhalt der Aussagen als auch die innere Wahrscheinlichkeit haben den Gerichtshof davon überzeugt, daß vom Beschwerdeführer, als er über die Museumstraße zurückging, in ungebührlicher Weise störender Lärm erregt wurde.

Unbestritten ist hinsichtlich der nachfolgenden Vorgänge die Tatsache, daß der Beschwerdeführer von den zurückgekehrten Organen der Sicherheitswache aufgefordert wurde, sich auszuweisen, und keinen Ausweis mit sich führte, ebenso wie der Umstand, daß er den Organen der Sicherheitswache unbekannt war.

Unterschiedliche Behauptungen bestehen jedoch hinsichtlich des Verhaltens des Beschwerdeführers im Wachzimmer und im Amtsgebäude der Bundespolizeidirektion Innsbruck. Die belangte Behörde behauptet in ihrer Gegenschrift, gestützt auf die Angaben der beiden Beamten, die im Funkstreifenwagen Dienst versehen hatten, nämlich St. und K., daß der Beschwerdeführer sich auch im Wachzimmer weiter lärmend verhalten hätte. Dies steht nicht nur im Widerspruch zu den Behauptungen des Beschwerdeführers; auch der im Wachzimmer Dienst versehende Inspektor N. kann eine Lärmentwicklung nur hinsichtlich der Freunde des Beschwerdeführers bestätigen, als diese für ihn und den ebenfalls festgenommenen S. intervenierten. Daß der Beschwerdeführer, der in einer Zelle verwahrt worden war, sich ruhig verhielt, erweist sich auch daraus, daß er von diesem Ort aus hören konnte, wie seine Personaldaten telefonisch überprüft wurden. Auch im Arrestantenwagen, mit dem er in das Amtsgebäude der Bundespolizeidirektion Innsbruck gebracht wurde, hat sich der Beschwerdeführer nicht auffällig verhalten, was sich aus der Aussage des Zeugen B. ergibt. Bei seiner Einvernahme im Amtsgebäude der Bundespolizeidirektion Innsbruck beharrte der Beschwerdeführer auf dem Vorwurf, daß er in der zum Wachzimmer gehörigen Zelle geschlagen worden sei, was als frech empfunden wurde; er gab aber offensichtlich keinen Anlaß, ihn weiter festzuhalten, da er andernfalls nicht nach seiner Einvernahme sofort freigelassen worden wäre.

Der Gerichtshof ist daher zur Überzeugung gelangt, daß sich der Beschwerdeführer schon bei seiner Anhaltung im Wachzimmer entgegen den Behauptungen in der Gegenschrift ruhig verhielt und auch in der Folge kein weiteres störendes Verhalten zu Tage legte.

III. Ausgehend von diesen Feststellungen hat der VfGH erwogen:

1. Die Festnahme und zwangsweise Anhaltung des Beschwerdeführers ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen ihn ergangener Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 B-VG. Die dagegen erhobene Beschwerde ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

2. Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Es ist daher - da ein anderer Festnehmungsgrund keinesfalls vorliegt - nur zu klären, ob ein Anwendungsfall des §35 VStG 1950 gegeben ist.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Festnehmung einer Person ist in allen von §35 VStG 1950 erfaßten Fällen, daß das einschreitende Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Person bei Begehung einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betritt. Das Vorliegen dieser Voraussetzung wird in der Beschwerde damit bestritten, daß von einem Betreten auf frischer Tat im vorliegenden Fall nicht die Rede sein könne, da die möglicherweise gegebene Lärmerregung durch den Beschwerdeführer während der Beanstandung des Radfahrers nur zum Anlaß einer Abmahnung des Beschwerdeführers genommen worden und die Funkstreife anschließend weggefahren sei. Betreten auf frischer Tat verlange eine Unmittelbarkeit des Einschreitens, die nach der Rückkehr der Funkstreife nicht mehr bestanden habe.

Damit geht aber die Beschwerde von einer unrichtigen Voraussetzung aus. Tatsächlich wurde die Besatzung der Funkstreife zur Rückfahrt und zum Einschreiten gegen den Beschwerdeführer nur durch sein Verhalten veranlaßt, welches er nach der Abfahrt des Streifenwagens, als er die Museumstraße überquerte, an den Tag legte. In diesem Verhalten konnten die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vertretbarer Weise die ungebührliche Erregung störenden Lärms gemäß §1 des Gesetzes vom 6. Juli 1976 zur Regelung bestimmter polizeilicher Angelegenheiten (Landes-Polizeigesetz), LGBl. für Tirol Nr. 60, erblicken, welche gemäß §4 leg. cit. einen Verwaltungsstraftatbestand bildet. Aus den vorausgehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Beschwerdeführer offensichtlich bei Setzung dieses Tatbestandes auf frischer Tat betreten wurde. Da der Beschwerdeführer den einschreitenden Organen unbekannt war, sich nicht ausweisen konnte und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar war, ist das Vorliegen der Voraussetzungen des §35 lita VStG 1950 gegeben gewesen. Die Festnehmung des Beschwerdeführers findet somit im Gesetz ihre Deckung, womit der Beschwerdeführer durch diese Maßnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde.

3. Gemäß §36 Abs1 VStG 1950 ist jeder Festgenommene unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben, oder aber, wenn der Grund der Festnehmung schon vorher entfällt, freizulassen. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, daß die Identität des Beschwerdeführers spätestens um 3.45 Uhr überprüft war, sodaß ein Festnehmungsgrund gemäß §35 lita VStG 1950 wohl bis dahin, ab diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr bestand. Das Verhalten des Beschwerdeführers während seiner Anhaltung war ebensowenig taugliche Grundlage für seine weitere zwangsweise Anhaltung. Wenn auch der Beschwerdeführer sich gegenüber dem Polizeiarzt oder bei seiner Befragung frech verhalten haben sollte, es konnte weder dies noch sein sonstiges Verhalten vertretbarerweise als Begehung einer neuerlichen Verwaltungsübertretung angesehen werden. Eine Übergabe an die Bundespolizeidirektion Innsbruck als der nächsten sachlich zuständigen Behörde kam jedoch nur in Frage, wenn der Grund der Festnehmung nicht schon vorher entfallen war. Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, daß der Beschwerdeführer um 3.45 Uhr freizulassen gewesen wäre, und daß er durch seine nachfolgende zwangsweise Verwahrung bis 5.55 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

4. Aus den in Punkt 2. dargelegten Gründen und weil auch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Normen nicht bestehen, war weiters auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch seine Festnehmung um 2.00 Uhr des 13. Dezember 1978 sowie durch seine nachfolgende Verwahrung bis 3.45 Uhr in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war insoweit abzuweisen.

Auch der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war in diesem Umfange gemäß Art144 Abs2 iVm Art133 Z1 B-VG abzuweisen. §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit gewährt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH Schutz vor jeder rechtswidrigen Verhaftung ohne richterlichen Befehl (VfSlg. 5860/1968, 6102/1969, 7361/1974). Der VfGH hat daher die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung schlechthin zu prüfen (VfSlg. 7427/1974, 7499/1975) und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzesanwendung zu beschränken (VfSlg. 8076/1977), wie dies die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vermeint. Damit bleibt aber für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte kein Raum. Daraus ergibt sich aber die alleinige Zuständigkeit des VfGH zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, VfGH / Abtretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B30.1979

Dokumentnummer

JFT_10198872_79B00030_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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