TE Vfgh Erkenntnis 1980/11/28 B91/79

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Veröffentlicht am 28.11.1980
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
PersFrSchG §4
StVO 1960 §5 Abs3
StVO 1960 §99 Abs1 litb
VfGG §82 Abs3
VStG §26
VStG §35, §35 litb, §35 litc

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, keine gesetzliche Deckung der Festnahme in §35 litb und c VStG 1950 sowie in §5 Abs3 StVO

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die am 5. Feber 1979 um 3.00 Uhr auf der Inntal-Autobahn von Organen des Landesgendarmeriekommandos für Tirol vorgenommene Festnahme und seine nachfolgende Anhaltung bis 8.30 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer, der seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, bringt in der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde vor:

Am 5. Feber 1979 sei er gegen 3.00 Uhr früh, als er mit seinem PKW auf der Inntal-Autobahn entgegen der Fahrtrichtung gefahren sei, von einem Funkpatrouillenwagen der Autobahngendarmerie gestoppt und zum Umdrehen veranlaßt worden. Da er infolge Krankheit und auf Grund eines Schocks nicht mehr fahrfähig gewesen sei, sei sein PKW von einem Gendarmeriebeamten in den Hof der Bundespolizeidirektion Innsbruck gebracht worden.

Der Beschwerdeführer selbst sei mit dem Gendarmeriefahrzeug zum Stützpunkt der Autobahngendarmerie Schönberg gebracht worden, wo er vernommen und wo ihm mitgeteilt worden sei, daß er eine Sicherheitsleistung erlegen müsse. Da er den geforderten Betrag von S 10.000,- nicht bei sich gehabt habe, habe er angeboten, Euro-Schecks auf diese Summe auszustellen. Die Gendarmeriebeamten hätten sich jedoch geweigert, diese anzunehmen, und ihm erklärt, daß er solange "hierbehalten werde - im Arrest - bis die Banken aufsperren und er selbst die Schecks einlösen könne", obwohl eine Sicherheitsleistung durch seinen beschlagnahmten PKW bereits bestanden habe.

Durch dieses Vorgehen sei er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden. Seine Festnahme hätte nur bei Vorliegen eines der Tatbestände des §35 VStG erfolgen dürfen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Er habe nicht nur sämtliche Ausweis- und Fahrzeugpapiere bei sich gehabt, es habe auch keine Grundlage für einen Verdacht bestanden, daß er sich der Strafverfolgung entziehe, zumal er in Fulpmes als Feriengast logiert habe. Auch die Forderung nach einer Sicherheitsleistung sei mit dem Gesetz nicht im Einklang gestanden, da sie trotz einer bereits vorhandenen Sicherheit, nämlich seinem von der Autobahngendarmerie beschlagnahmten PKW, erhoben worden sei. "Nur nebenbei" werde hiezu vermerkt, daß die Beschlagnahme ebenfalls durch das Gesetz nicht gedeckt gewesen sei.

Der Beschwerdeführer stellt den Antrag auszusprechen, daß er durch die Festnahme in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, allenfalls wird von ihm begehrt, die Beschwerde an den VwGH abzutreten.

2. a) Die zur Erstattung der Gegegenschrift aufgeforderte Tir. Landesregierung führte in ihrer Stellungnahme aus, daß die Organe des Landesgendarmeriekommandos für Tirol im Rahmen der Verkehrsüberwachung am 5. Feber 1979 gegen 3.00 Uhr auf der Inntal-Autobahn im Bereich des Verwaltungsbezirkes Innsbruck-Land gegen den Beschwerdeführer eingeschritten seien, weil er seinen PKW entgegen der Fahrtrichtung gelenkt habe. Bei der Anhaltung habe sich, als der Beschwerdeführer aus dem PKW ausstieg, der Verdacht der Alkoholisierung ergeben, da seine Atemluft deutlich nach Alkohol gerochen und er beim Gehen stark geschwankt habe. Der Beschwerdeführer habe sich jedoch geweigert, seine Atemluft auf Alkohol untersuchen zu lassen. Um ihn an der Weiterfahrt zu hindern, sei daraufhin sein PKW wegen Gefahr im Verzuge von der Autobahn weggebracht und bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck abgestellt und seien die Fahrzeugschlüssel beim Permanenzdienst dieser Behörde hinterlegt worden. Da der Beschwerdeführer nach seiner Anhaltung erklärt habe, daß er die Fahrt nach Deutschland fortsetzen wolle, habe sich der Verdacht ergeben, daß er sich der Strafverfolgung entziehen werde. Er sei daher zwecks Vorführung vor die Behörde festgenommen und nach Erlag einer Sicherheitsleistung in Höhe von

S 9.500,-, welche von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck angeordnet worden sei, um 8.30 Uhr freigelassen worden. Bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck sei ein Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer nach §§46 und 99 Abs1 litb StVO 1960 eingeleitet worden.

Von der Tir. Landesregierung werde die Auffassung vertreten, daß die Organe der Straßenaufsicht im Namen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck tätig geworden seien.

b) Von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, der vom VfGH hierauf die Erstattung einer Gegenschrift freigestellt worden war, wurde unter gleichzeitiger Vorlage der Verwaltungsakten der Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten übereinstimmend mit den Darstellungen der Tir. Landesregierung ausgeführt.

In rechtlicher Hinsicht wurde zur Rechtfertigung der Festnahme zusätzlich ausgeführt: Da der Beschwerdeführer nach seiner Anhaltung den Straßenaufsichtsorganen erklärt habe, daß er seine Fahrt nach Deutschland fortsetzen wolle, sei auch der Verdacht begründet gewesen, daß er die strafbare Handlung trotz Abmahnung zu wiederholen suchen werde. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund für die Festnahme finde sich in §5 Abs3 StVO, wonach Organe der Straßenaufsicht berechtigt seien, Personen, die sich offenbar in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befänden, an der Lenkung oder der Inbetriebnahme eines Fahrzeuges, somit also auch an der Wiederholung der strafbaren Handlung zu hindern. Zu diesem Zwecke seien erforderlichenfalls Zwangsmaßnahmen zu setzen. Die demonstrative Aufzählung der genannten Bestimmung lasse den Schluß zu, daß allenfalls auch Zwangsmaßnahmen gegen die Person - wie etwa eine Festnahme - angewendet werden dürften.

Die Rechtfertigung der vom Beschwerdeführer als "Beschlagnahme" bezeichneten Einstellung seines PKWs in den Hof der Bundespolizeidirektion Innsbruck ergebe sich ebenfalls aus §5 Abs3 StVO, wonach die Gendarmerieorgane zu dieser Maßnahme nicht nur berechtigt gewesen seien, sondern diese auch im eigenen Interesse des Beschwerdeführers und dem aller Verkehrsteilnehmer gelegen gewesen sei. Von einer Beschlagnahme könne daher überhaupt nicht gesprochen werden.

3. Da die Ausführungen des Beschwerdeführers und das Behördenvorbringen sowie der Inhalt der Verwaltungsakten hinsichtlich des für die Beurteilung des Beschwerdefalles wesentlichen Sachverhalts widerspruchsfrei sind, konnte der VfGH von einem Beweisverfahren Abstand nehmen und folgenden Sachverhalt seiner Beurteilung zu Grunde legen:

Am 5. Feber 1979 um 3.00 Uhr früh hat eine Funkpatrouille des Landesgendarmeriekommandos für Tirol den Beschwerdeführer, der gegen die Fahrtrichtung auf der Inntal-Autobahn fuhr, angehalten. Da die Atemluft des Beschwerdeführers deutlich nach Alkohol roch, und er, als er aus dem Auto ausstieg, beim Gehen stark schwankte, ergab sich der Verdacht seiner Alkoholisierung. Mangels Bestreitung durch den Beschwerdeführer war als erwiesen anzusehen, daß vom Beschwerdeführer ein Alko-Test abgelehnt wurde. Der Beschwerdeführer gab an, daß er auf der Fahrt von Fulpmes nach Deutschland gewesen sei, wohin er auch die Fahrt fortsetzen wolle, sich aber verfahren habe. Hierauf wurde er festgenommen, sein PKW von der Autobahn weggebracht, bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck abgestellt und die Fahrzeugschlüssel beim Permanenzdienst dieser Behörde hinterlegt. Erst nach Erlag einer Sicherheitsleistung in der Höhe von S 9.500,-, welche von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck angeordnet worden war, wurde der Beschwerdeführer um 8.30 Uhr wieder freigelassen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Zur Abgrenzung des Beschwerdeumfanges ist vorerst zu vermerken:

Der Beschwerdeantrag enthält nur das Begehren auf Feststellung, daß die Festnahme des Beschwerdeführers ihn in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt habe. Wohl wird in der Beschwerde behauptet, daß die "Beschlagnahme des PKWs des Beschwerdeführers ebenfalls durch das Gesetz nicht gedeckt" gewesen sei, jedoch wörtlich erklärt, daß dies "nur nebenbei" vermerkt werde, und damit verdeutlicht, daß die Einstellung des Kraftfahrzeuges des Beschwerdeführers bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck nicht in Beschwerde gezogen ist. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf Ausführungen der Behörde, die sich mit einer Rechtfertigung der "Beschlagnahme" des Kraftfahrzeuges des Beschwerdeführers befassen. Völlig klar ist, daß auch die Abnahme der Autoschlüssel nicht in Beschwerde gezogen ist.

Wohl aber ist die Beschwerde dahin zu deuten, daß nicht nur die Festnahme unmittelbar, sondern auch die nachfolgende Anhaltung des Beschwerdeführers bis 8.30 Uhr in Beschwerde gezogen ist, was sich schon aus den Beschwerdeausführungen zur Rechtswidrigkeit des Begehrens der Behörde auf Sicherheitsleistung ergibt.

2. Die Festnahme und Verwahrung des Beschwerdeführers hat im Dienste der Verwaltungsstrafrechtspflege stattgefunden. Zuständig ist demnach gemäß §26 VStG, da eine andere Behörde zur Ahndung einer Verwaltungsübertretung gemäß §99 Abs1 litb StVO nicht berufen ist, die Bezirksverwaltungsbehörde. Die Organe der Gendarmerie sind im Rahmen der Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde tätig geworden, die von ihnen gesetzten Amtshandlungen sind daher der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck als der örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zuzurechnen.

Der Beschwerdeführer hat wohl die belangte Behörde nicht richtig bezeichnet; wie der VfGH aber in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, ist in den Fällen, in denen sich ein Beschwerdeführer in der Benennung der belangten Behörde vergreift, die Beschwerde nicht zurückzuweisen, sondern das Verfahren mit der richtigen Behörde durchzuführen (VfSlg. 6352/1970).

3. Die geltend gemachte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit beurteilt der VfGH wie folgt:

a) Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Es ist daher zu klären, ob ein Anwendungsfall des §35 VStG 1950 gegeben ist.

Im vorliegenden Fall rechtfertigt die belangte Behörde das Vorgehen der Sicherheitswachebeamten unter Berufung auf litb und c des §35 VStG 1950. Da der Beschwerdeführer nach seiner Anhaltung den Straßenaufsichtsorganen gegenüber erklärt habe, daß er seine Fahrt nach Deutschland fortsetzen wolle, sei der Verdacht begründet gewesen, daß er sich durch die Fortsetzung der Fahrt der Strafverfolgung entziehen und die strafbare Handlung trotz Abmahnung zu wiederholen suchen werde. Einer solchen Annahme stand jedoch schon der Umstand entgegen, daß dem Beschwerdeführer die Autoschlüssel abgenommen worden waren, sein PKW von der Autobahn in den Hof der Bundespolizeidirektion Innsbruck gebracht wurde und dort beim Permanenzdienst seine Autoschlüssel deponiert wurden. Schon die Abnahme der Autoschlüssel erlaubte es nicht mehr, eine Wiederholungsgefahr anzunehmen. Auch eine - an sich denkbare - Fluchtgefahr war weggefallen, da der Beschwerdeführer jedenfalls nicht unter Zurücklassung seines Autos nach Deutschland gefahren wäre. Die von ihm geäußerte Absicht, die Fahrt nach Deutschland fortsetzen zu wollen, war somit ohne jegliche Bedeutung. Daß in dem objektiven Moment, das in dem Umstand liegt, daß der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz nicht in Österreich hat, kein hinreichender Grund für die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen nach §35 litb VStG liegt, hat der VfGH zu wiederholten Malen ausgesprochen (VfSlg. 3154/1957, 7060/1973).

Die Festnahme des Beschwerdeführers findet in §35 litb und c VStG 1950 somit keine Deckung.

b) Die belangte Behörde beruft sich aber auch auf §5 Abs3 StVO und vermeint, daß diese Bestimmung Organe der Straßenaufsicht berechtige, Personen, die sich offenbar in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden, an der Lenkung oder Inbetriebnahme eines Fahrzeuges zu hindern und sie zu diesem Zwecke auch festzunehmen.

Eine Festnahme ist nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, nur in den "vom Gesetz bestimmten Fällen" erlaubt. Die Festnahme ist keine in §5 Abs3 StVO vorgesehene Zwangsmaßnahme. Die Festnahme muß jedoch ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sein, damit von einem "vom Gesetz bestimmten Fall" gesprochen werden kann.

Die Festnahme des Beschwerdeführers findet somit auch in §5 Abs3 StVO keine Deckung.

c) Da sich auch sonst keine Rechtfertigung für die Festnahme und folgende Anhaltung findet, wurde der Beschwerdeführer durch diese Maßnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Straßenpolizei, Alkoholisierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B91.1979

Dokumentnummer

JFT_10198872_79B00091_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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