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36 WirtschaftstreuhänderNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Art141 Abs1 lita B-VG, Wahl in den Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist keine Wahl zu einem satzungsgebenden Organ einer gesetzlichen beruflichen VertretungSpruch
Die Wahlanfechtungen werden zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I.1. Am 19. April 1980 fand eine Wahl in den Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder statt, an der ua. die anfechtende Interessengemeinschaft für unabhängige Standespolitik der Wirtschaftstreuhänder (künftig: IUS) teilnahm. Gestützt auf Art141 Abs1 lita B-VG und §67 VerfGG ficht die IUS diese Vorstandswahl mit der zu WI-10/80 protokollierten Eingabe unmittelbar beim VfGH an. Die Anfechtung wird auf behauptete Rechtswidrigkeiten gestützt, die auf das Wahlergebnis von Einfluß gewesen seien.
2. Im Hinblick auf einen in der Wahlordnung für die Durchführung der Wahlen der Kammerorgane der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vorgesehenen Instanzenzug erhob die IUS, obwohl nach ihrer Ansicht dieser Instanzenzug weder im Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetz vom 10. Dezember 1947, BGBl. 20/1948 idgF (künftig: WT-KG) noch im B-VG eine Deckung finde, "vorsichtshalber" Einspruch gegen das Wahlergebnis an die Hauptwahlkommission. Mit Bescheid vom 27. Mai 1980 wies diese den Einspruch ab. Die dagegen von der IUS erhobene Beschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24. Juli 1980, Z 38.601/3-III/10/80, abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhebt die IUS Beschwerde gemäß Art144 B-VG, welche den Gegenstand des beim VfGH zu B396/80 anhängigen Verfahrens bildet.
3. Die IUS ficht die Wahl in den Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder überdies auch noch unter Einbeziehung des unter
2. genannten, das Wahlverfahren abschließenden Bescheides des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24. Juli 1980 gemäß Art141 B-VG an; diese Anfechtung ist beim VfGH zu WI-33/80 protokolliert. Auch hier werden - ua. - die in der zu WI-10/80 protokollierten Anfechtung (vgl. oben 1.) vorgebrachten Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens geltend gemacht und behauptet, daß sie auf das Wahlergebnis von Einfluß gewesen seien.
II.1. Nach Art141 Abs1 B-VG erkennt der VfGH ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern und zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen sowie über Anfechtungen von Wahlen in die Landesregierung und in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde.
Die Möglichkeit, Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen beim VfGH anzufechten, wurde durch das Bundesverfassungsgesetz vom 22. Jänner 1958, BGBl. 12, eröffnet. Die Materialien (315 BlgNR VIII. GP) verweisen hiezu auf die Forderung,
"daß auch die Wahlen zu den gesetzlichen Interessenvertretungen, die in der Gestaltung des Wahlverfahrens den Wahlen zu den territorialen Selbstverwaltungskörperschaften weitestgehend angeglichen sind, in gleicher Art wie die Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern nach Art141 des Bundes-Verfassungsgesetzes beim VfGH angefochten werden können. ... Gegenstand der Wahlanfechtung bei den beruflichen Vertretungen (gesetzlichen Interessenvertretungen) sollen lediglich die Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) dieser Einrichtungen bilden. Unter Vertretungskörper sind nicht die verwaltenden Organe zu verstehen."
Die Möglichkeit der Anfechtung von Wahlen vor dem VfGH sollte somit nur hinsichtlich jener Gremien gesetzlicher beruflicher Vertretungen eröffnet werden, die auf der breitesten demokratischen Legitimation beruhen, demnach parlamentsähnlich sind.
Wie der VfGH bereits ausgesprochen hat (VfSlg. 3895/1961), sind als Satzung einer gesetzlichen beruflichen Vertretung (Kammer) die generellen, autonomen Normen anzusehen, die für die Funktion und die Gebarung einer solchen Vertretung als Selbstverwaltungseinrichtung entscheidend sind. Die Qualifikation eines "satzungsgebenden Organes" iS des Art141 Abs1 lita B-VG kommt demnach allen wie immer genannten Gremien zu, die aus allen Angehörigen einer gesetzlichen beruflichen Vertretung bestehen oder deren Mitglieder von den Angehörigen einer gesetzlichen beruflichen Vertretung gewählt werden, sofern - in beiden Fällen - deren Aufgabe die Beschlußfassung über die wesentlichen, dh. grundlegenden Selbstverwaltungsagenden ist (VfSlg. 6751/1972).
Anderen vom Gesetzgeber bei der Errichtung einer gesetzlichen beruflichen Vertretung eingerichteten kollegialen (als Ausschuß, Vorstand oder ähnlich bezeichneten) oder monokratischen (als Präsident, Obmann oder ähnlich bezeichneten) Organen, denen die Besorgung sonstiger Aufgaben einer gesetzlichen beruflichen Vertretung übertragen ist, kommt die Eigenschaft eines satzungsgebenden Organes einer Körperschaft nicht zu; ihre Wahl ist vom VfGH nicht überprüfbar (VfGH 4. 10. 1979 WI-3/78).
2. a) Organe der Kammer der Wirtschaftstreuhänder sind gemäß §7 WT-KG der Präsident, das Präsidium, der Vorstand, die Rechnungsprüfer und der Kammertag.
b) Gemäß §14 WT-KG ist der Kammertag von den Mitgliedern der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zu wählen; die Wahl der Vorstandsmitglieder und der Rechnungsprüfer obliegt dem Kammertag (§15 WT-KG), der Präsident und die Vizepräsidenten und damit das Präsidium sind aus der Mitte des Vorstandes zu wählen (§§8 Abs1 und 9 Abs1 WT-KG).
c) Der Präsident ist der gesetzliche Vertreter der Kammer, er leitet und überwacht ihre gesamte Geschäftsführung und besorgt die laufenden Geschäfte (§8 Abs2 WT-KG).
Dem Präsidium steht bei besonderer Dringlichkeit und in den Fällen, in denen der Vorstand innerhalb von der von den Behörden gestellten Frist keinen Beschluß fassen kann, die Entscheidung gegen nachträgliche Kenntnisnahme durch den Vorstand zu. Im übrigen hat es für die Einhaltung des Wirkungskreises der Kammer, die Befolgung der Geschäftsordnung und den Vollzug der Beschlüsse der Kammerorgane zu sorgen (§9 WT-KG).
Die Rechnungsprüfer haben den Jahresabschluß der Kammer zu prüfen und über das Ergebnis dem Kammertag Bericht zu erstatten (§12 WT-KG).
Der Wirkungskreis des Vorstandes umfaßt gemäß §11 Abs1 WT-KG alle Aufgaben und Befugnisse, die weder dem Kammertag, dem Präsidium noch dem Präsidenten oder einem besonderen Ausschuß vorbehalten sind. Gemäß Abs4 dieser Bestimmung ist er berufen, für den Wirkungsbereich der Kammer Kollektivverträge abzuschließen. Gemäß §17 Abs2 WT-KG kann der Vorstand außerdem eine von den einzelnen Berufsgruppen zu beobachtende Honorarordnung, eine Regelung betreffend Beschränkungen der Werbung und des Wettbewerbes sowie Rahmenbedingungen für die Übernahme beruflicher Aufträge festsetzen. Er hat überdies bei besonderer Dringlichkeit und in den Fällen zu entscheiden, in denen der Kammertag innerhalb der von den Behörden gestellten Frist keinen Beschluß fassen kann (§11 Abs1 WT-KG).
Dem Kammertag sind schließlich gemäß §15 WT-KG ua. die Beschlußfassung über den Haushaltsplan, die Festsetzung der von den Kammermitgliedern und Berufsanwärtern zu zahlenden Umlagen bzw. sonstigen Jahresbeiträge sowie die Beschlußfassung über Verfügungen, die das Kammervermögen betreffen, soweit sie nicht im genehmigten Haushaltsplan vorgesehen sind, vorbehalten. Dem Kammertag obliegen weiters die Festsetzung der Wahlordnung, der Haushaltsordnung, der Umlagenordnung und der Geschäftsordnung sowie die Durchführung der Wahlen der Kammerorgane.
3. Werden anhand der Bestimmungen des WT-KG die Kreationsmethoden bei der Wahl des Vorstandes und des Kammertages verglichen und ein Konnex zur Kreation der gesetzgebenden Organe von Gebietskörperschaften hergestellt, so kommt als satzungsgebendes Organ der Kammer der Wirtschaftstreuhänder nur der Kammertag in Frage. Diesem kommt eindeutig die breiteste demokratische Legitimation zu.
Aber auch ein Vergleich zwischen den Funktionen des Vorstandes und des Kammertages führt zu dem gleichen Schluß. Die für die Funktion der Kammer der Wirtschaftstreuhänder als Selbstverwaltungseinrichtung grundlegenden Selbstverwaltungsagenden, nämlich insbesondere die Beschlußfassung über den Haushaltsplan, die Festsetzung der Umlagen und Jahresbeiträge sowie der Wahl-, Haushalts-, Umlagen- und Geschäftsordnung obliegen dem Kammertag. Wenn auch dem Vorstand als Organ Aufgaben übertragen sind, die für die Kammermitglieder erhebliche Bedeutung besitzen, wie zB die Festsetzung der Honorarordnung sowie der Rahmenbedingungen für die Übernahme beruflicher Aufträge, so handelt es sich hiebei nicht um Bereiche, die für die Funktion der Kammer als Selbstverwaltungseinrichtung vergleichsweise die bedeutensten sind. Beim Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder handelt es sich somit nicht um ein satzungsgebendes Organ einer gesetzlichen beruflichen Vertretung iS des Art141 Abs1 lita B-VG. Der VfGH ist daher nicht zuständig, über die von der Antragstellerin eingebrachte Anfechtung der Wahl in den Kammervorstand zu entscheiden.
4. Mangels Zuständigkeit des VfGH zur Entscheidung über die eingebrachten Wahlanfechtungen sind diese zurückzuweisen.
Schlagworte
Wirtschaftstreuhänder Kammern, berufliche VertretungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1980:WI10.1980Dokumentnummer
JFT_10198799_80WI0010_00