TE Vfgh Erkenntnis 1980/12/10 B294/80

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Veröffentlicht am 10.12.1980
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs1 lita
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Tir GdWO 1973 §58
Tir GdWO 1973 §59 Abs3
Tir GemeindeO 1966 §118 Abs1

Leitsatz

Tir. Gemeindewahlordnung 1973, Auflösung des Gemeinderates der Gemeinde Nassereith wegen Ausfalles der Hälfte der ursprünglich gewählten Gemeinderatsmitglieder einschließlich der Ersatzmänner gemäß §59 Abs3 (iVm §118 Abs1 der Tir. Gemeindeordnung 1966); kein Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete passive Wahlrecht des Beschwerdeführers als des gewählten Bürgermeisters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Am 23. März 1980 fand in Nassereith (Tirol) die Wahl zum Gemeinderat statt. Hiebei erzielten laut Kundmachung der Gemeindewahlbehörde nachstehende Wählergruppen folgende Stimmen und Mandate:

Wählergruppen                                       Stimmen  Mandate

1 Das Beste für Nassereith SPÖ                         297      3

2 Junge Initiative Nassereith                           77      1

3 Parteifreie Bürgerliste für gemeinsamen Fortschritt  121      1

4 Freie Bürgerliste                                     62      0

5 Nassereither Heimatliste                              47      0

6 Bauern und Grundbesitzer                              40      0

7 Für alle Nassereither unabhängige Liste              113      1

8 ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in

  Nassereith                                           408      6

Unter den gewählten Gemeinderäten befand sich auch der Beschwerdeführer

Für die Gemeinderatswahl hatten sowohl die Wählergruppen 1 und 2 "Das Beste für Nassereith SPÖ" und "Junge Initiative Nassereith" als auch die Wählergruppen 5, 6 und 8 "Nassereither Heimatliste", "Bauern und Grundbesitzer" und "ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in Nassereith" gemäß §31 der Tir. Gemeindewahlordnung 1973, LGBl. 63 (in Hinkunft: TGWO) eine Koppelung vereinbart.

Der Gemeinderat der Gemeinde Nassereith setzt sich aus 12 Mitgliedern (§17 TGWO) zusammen.

Dem Wahlvorschlag "ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in Nassereith" fielen 6 Gemeinderatssitze zu, sodaß von den insgesamt 24 Wahlwerbern dieser Wählergruppe 6 als Mitglieder des Gemeinderates und die übrigen 18 als Ersatzmänner für gewählt erklärt wurden (§57 TGWO).

Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, daß die Gemeindewahlbehörde das Wahlergebnis in folgender Form kundgemacht hat:

Die Behörde hat bei jenen Wählergruppen, denen mindestens ein Sitz im Gemeinderat zugefallen ist, zunächst die Namen der gewählten Gemeinderäte (unter Anführung der auf sie entfallenden Wahlpunkte) und sodann unter der Überschrift "Namen der Ersatzmänner" (bei den Wählergruppen 1 und 2) bzw. "Namen der Ersatzleute" (bei den Wählergruppen 3, 7 und 8) die Namen der übrigen Wahlwerber, gereiht nach der Anzahl der auf sie entfallenden Wahlpunkte, angeführt. Bei jenen Wählergruppen, denen kein Sitz im Gemeinderat zugefallen ist, hat die Behörde - unabhängig davon, ob diese eine Koppelung mit einer anderen Wählergruppe eingegangen waren oder nicht - nach der Feststellung "0 Gemeinderatssitze" unter der Überschrift "Namen der Wahlwerber" die Wahlwerber der jeweiligen Wählergruppe, gereiht nach Wahlpunkten, in der Kundmachung angeführt.

2. Mit Erklärungen vom 12., 13. und 16. Mai 1980 haben alle 6 Gemeinderäte sowie alle 18 Ersatzmänner der Wählergruppe "ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in Nassereith" schriftlich auf ihr Mandat verzichtet; diese Verzichtserklärungen sind gemäß §21 der Tir. Gemeindeordnung 1966, LGBl. 4, eine Woche nach ihrem Einlangen beim Gemeindeamt rechtswirksam geworden. Am 2. Juni 1980 - also nach Eintritt der Rechtswirksamkeit der Verzichtserklärungen - fand eine Sitzung des Gemeinderates statt, zu welcher Wahlwerber der mit der Wählergruppe "ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in Nassereith" gekoppelt gewesenen Wählergruppen erschienen und als Mitglieder des Gemeinderates angelobt wurden.

Die Tir. Landesregierung hat mit Bescheid vom 16. Juni 1980 gemäß §59 Abs3 TGWO in Verbindung mit §118 Abs1 der Gemeindeordnung die Auflösung des Gemeinderates der Gemeinde Nassereith "wegen Ausfalles der Hälfte der ursprünglich gewählten Gemeinderatsmitglieder einschließlich der Ersatzmänner und der damit verbundenen dauernden Beschlußunfähigkeit des Gemeinderates" verfügt.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung des ihm als gewähltem Bürgermeister der Gemeinde Nassereith zustehenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausübung und Beibehaltung seines Mandates geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Auflösung des Gemeinderates setzt auch dem Wirken des einzelnen Gemeinderatsmitgliedes ein Ende und greift damit in die Rechtssphäre der ehemaligen Gemeinderatsmitglieder ein. Der VfGH hat daher in derartigen Fällen in ständiger Rechtsprechung (siehe zB VfSlg. 7568/1975 und die dort zitierte Vorjudikatur) die Legitimation der ehemaligen Gemeinderatsmitglieder zur Bekämpfung eines zwar nicht primär an sie gerichteten, aber die Beendigung ihrer Funktion bewirkenden Bescheides bejaht.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Das aktive und passive Wahlrecht zu den Gemeindevertretungen ist ein durch die Verfassung gewährleistetes Recht. Das passive Wahlrecht erschöpft sich nicht in dem Recht, gewählt zu werden, sondern schließt auch das Recht in sich, gewählt zu bleiben und das Amt auszuüben (vgl. das bereits oben angeführte Erk. VfSlg. 7568/1975 und die dort angeführte Vorjudikatur). Dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht umschließt aber nicht das Recht, als Mitglied des Gemeinderates zum Bürgermeister gewählt zu werden; der Inhalt des passiven Wahlrechtes in den Gemeinderat erschöpft sich vielmehr in dem Recht, in den Gemeinderat gewählt zu werden sowie das durch die Wahl erlangte Gemeinderatsmandat beizubehalten und auszuüben (vgl. VfSlg. 3445/1958). Der Beschwerdeführer kann daher in dem von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausübung und Beibehaltung seiner Funktion als Bürgermeister nicht verletzt worden sein.

Es ist aber zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in bezug auf seine Funktion als Mitglied des Gemeinderates im passiven Wahlrecht verletzt worden ist.

3. Nach §58 TGWO ist das Ergebnis der Wahl unter Angabe der wichtigsten Vorgänge des Ermittlungsverfahrens in einer Niederschrift festzuhalten. Es sind die Anzahl der den einzelnen Wählergruppen zugefallenen Gemeinderatssitze, die Zahlen der für die einzelnen Wahlwerber ermittelten Wahlpunkte und die Namen der gewählten Gemeinderatsmitglieder und Ersatzmänner in der ermittelten Reihenfolge zu verzeichnen.

Laut Abs2 dieser Gesetzesbestimmung ist das Wahlergebnis unter Anführung der Namen der gewählten Gemeinderatsmitglieder und Ersatzmänner sofort ortsüblich kundzumachen.

Die Gemeindewahlbehörde hat somit in Entsprechung des zweiten Satzes des §58 Abs1 TGWO auch bei jenen Wählergruppen, denen kein Sitz im Gemeinderat zugefallen ist, die Zahlen der für die einzelnen Wahlwerber ermittelten Wahlpunkte verzeichnet (und auch kundgemacht). Die Gemeindewahlbehörde hat jedoch eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen diesen Wahlwerbern und den Wahlwerbern jener Wählergruppen getroffen, welchen mindestens ein Sitz im Gemeinderat zugefallen ist; dort hat die Gemeindewahlbehörde ausdrücklich das Wort "Ersatzmänner" bzw. "Ersatzleute" verwendet.

Der VfGH vertritt auf Grund dessen die Auffassung, daß die auf den kundgemachten Listen der mit dem Wahlvorschlag "ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in Nassereith" gekoppelt gewesenen Wählergruppen aufscheinenden Personen deshalb nicht als Ersatzmänner iS der TGWO angesehen werden können, weil sie in der - rechtskräftigen und nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden - Entscheidung der Gemeindewahlbehörde über das Ergebnis der Wahl zum Gemeinderat vom 23. März 1980 ausdrücklich nicht als Ersatzmänner bezeichnet und als solche auch nicht kundgemacht worden sind. Den Wahlwerbern der mit der Wählergruppe "ÖVP Zusammenarbeit und Fortschritt für alle in Nassereith" gekoppelt gewesenen Wählergruppen kam im vorliegenden Fall aus diesem Grund nicht die Eigenschaft von Ersatzmännern iS der TGWO zu, was bedeutet, daß sie auch nicht in den Gemeinderat berufen werden konnten.

Die Tir. Landesregierung ist somit im angefochtenen Bescheid im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß die Hälfte der Gemeinderatsmitglieder durch den Abgang der ursprünglich Gewählten ausgefallen ist und daß Ersatzmänner für die ausgeschiedenen Gemeinderatsmitglieder nicht mehr vorhanden sind.

Die Landesregierung ist allerdings von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen; sie hat ihre Entscheidung im wesentlichen damit begründet, §59 Abs2 TGWO (wonach dann, wenn die Zahl der Ersatzmänner aus einer Liste erschöpft ist, der nächste Ersatzmann aus der damit gekoppelt gewesenen Liste zu berufen ist) sei nur dann anwendbar, wenn der gekoppelt gewesenen Liste ein Sitz im Gemeinderat zugefallen ist. Da die im vorliegenden Fall in den Gemeinderat berufenen Wahlwerber schon auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung der Gemeindewahlbehörde nicht als Ersatzmänner angesehen werden können, erübrigt es sich, darauf einzugehen, ob die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung überhaupt zutrifft.

4. Der behauptete Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete passive Wahlrecht liegt somit nicht vor.

Im Verfahren vor dem VfGH ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Gemeinderecht Organe, Gemeinderat, Bürgermeister, Wahlen, Wahlrecht aktives, Wahlrecht passives

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B294.1980

Dokumentnummer

JFT_10198790_80B00294_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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