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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / PrüfungsmaßstabLeitsatz
Tir. Fremdenverkehrsgesetz 1976; denkunmögliche Anwendung des §1 Abs1 durch Feststellung der Pflichtmitgliedschaft der Österr. Elektrizitätswirtschafts-AG zum Fremdenverkehrsverband HaimingSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Mit Bescheid vom 14. November 1978 hat die Tir. Landesregierung gemäß §1 Abs1 und 6 des Tir. Fremdenverkehrsgesetzes, LGBl. 65/1976, in Zusammenhalt mit §32 Abs15 dieses Gesetzes festgestellt, daß die beschwerdeführende Gesellschaft hinsichtlich ihrer Betriebsstätte in Haiming dem ortszuständigen Fremdenverkehrsverband Haiming, Ötztal-Bahnhof, als Pflichtmitglied angehört.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Gemäß §1 Abs1 Fremdenverkehrsgesetz können zur Wahrung, Förderung und Vertretung der örtlichen Belange des Fremdenverkehrs durch Verordnung der Landesregierung für bestimmt abzugrenzende Gebiete die Unternehmer (§2 Abs1 UStG 1972), die auf Grund ihrer Tätigkeit wirtschaftlich unmittelbar oder mittelbar am Fremdenverkehr interessiert sind, zu einem Fremdenverkehrsverband zusammengeschlossen werden. Diese Unternehmer sind Pflichtmitglieder des Fremdenverkehrsverbandes.
Im Abs6 dieses Paragraphen ist vorgesehen, daß über die Zugehörigkeit zu einem Fremdenverkehrsverband im Zweifel die Landesregierung entscheidet.
Im §32 Abs15 Fremdenverkehrsgesetz ist vorgesehen, daß der Pflichtbeitrag an den Fremdenverkehrsverband zu entrichten ist, innerhalb dessen Grenzen die Betriebsstätte für die Ausübung der die Pflichtmitgliedschaft begründenden Tätigkeit gelegen ist.
Der Verkehrsverein Haiming wurde mit Kundmachung der Landesregierung vom 3. Jänner 1950, LGBl. 3, errichtet (jetzt Fremdenverkehrsverband, vgl. hiezu §58 Abs1 Fremdenverkehrsgesetz).
2. Die beschwerdeführende Gesellschaft vertritt die Auffassung, daß die Behörde das Fremdenverkehrsgesetz auf das der beschwerdeführenden Gesellschaft gehörende Umspannwerk Haiming in denkunmöglicher Weise angewendet habe; überdies wird vorgebracht, daß das Gesetz nicht verfassungskonform interpretiert worden sei.
Das Umspannwerk Haiming sei "wegen vollständiger Unselbständigkeit in den Entscheidungen" keine selbständige Betriebsstätte der beschwerdeführenden Gesellschaft. Aber selbst wenn es auf die Frage der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit einer Betriebsstätte nicht ankäme, sei die beschwerdeführende Gesellschaft keiner Berufsgruppe zuzuordnen, die nach den sonstigen wirtschaftlichen Erfahrungen aus ihren Umsätzen im Bundesland Tirol ein wirtschaftliches Interesse am Fremdenverkehr ableiten könne. Die Verbundgesellschaft sei als solche ein "singuläres Unternehmen", das mit Elektrizitätserzeugungswerken oder den Landessondergesellschaften nicht vergleichbar sei; sie erzeuge jedenfalls nicht Strom wie die Sondergesellschaften. Sie sorge vielmehr lediglich für den Ausgleich von Erzeugung und Bedarf zwischen den Landes- und Sondergesellschaften bzw. auch zwischen Österreich und dem Ausland. Der Ausgleich erfolge in beiden Richtungen: Abnahme eines Überangebotes an Strom bzw. Zuführung von Strom bei Unterangebot. Dies habe mit dem Fremdenverkehr im Land Tirol, aber auch mit dem Fremdenverkehr in Gesamtösterreich keinen auch nur mittelbaren Zusammenhang. Im Umspannwerk Haiming werde Strom nicht nur an den Tir. Landesstromversorgungsunternehmer TIWAG abgegeben, sondern auch in die Bundesrepublik Deutschland. Die in Haiming erfolgende Stromabgabe an die TIWAG hänge in ihrem Umfang und in ihrer Häufigkeit in keiner Weise vom Fremdenverkehr ganz allgemein in Österreich oder auch nur vom Fremdenverkehr in Tirol ab. Es könne daher kein wie immer geartetes auch nur mittelbares Interesse der beschwerdeführenden Gesellschaft am Fremdenverkehr in Tirol bestehen.
In der Beschwerde werden auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen §32 Abs8 litb Fremdenverkehrsgesetz geltend gemacht und darauf hingewiesen, die Einstufung in die Beitragsgruppe VI als "Elektrizitätswerk" (hiebei bezieht sich die beschwerdeführende Gesellschaft offenkundig auf die Beitragsgruppenverordnung, LGBl. 52/1976, in welcher allerdings nicht "Elektrizitätswerke", sondern "Elektrizitätsversorgungsunternehmen" angeführt sind) sei schon deshalb gesetzwidrig, weil die Verbundgesellschaft als Ganzes und ihre Umspannwerke nicht als Elektrizitätswerke zu qualifizieren seien.
3. Auf die in der Beschwerde geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §32 Abs8 litb Fremdenverkehrsgesetz hat der VfGH deshalb nicht einzugehen, weil diese Bestimmung (wonach Lieferungen an Abnehmer, die ihren Wohnsitz in einem anderen Bundesland als Tirol haben, ausgenommen an Letztverbraucher, vom beitragspflichtigen Umsatz auszunehmen sind) im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell ist. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde nur über die Pflichtmitgliedschaft der beschwerdeführenden Gesellschaft abgesprochen, eine Beitragsbemessung jedoch nicht vorgenommen.
Gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Bestimmungen wurden hingegen verfassungsrechtliche Bedenken nicht geäußert und sind auch beim VfGH nicht entstanden (vgl. auch VfSlg. 8937/1980).
4. Der angefochtene Bescheid greift dadurch, daß er die Voraussetzung für die nachfolgende Vorschreibung von Beitragsleistungen bildet, in das Eigentum der beschwerdeführenden Gesellschaft ein. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides wäre die beschwerdeführende Gesellschaft im Eigentumsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 8083/1977) dann verletzt, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte (was in der Beschwerde - wie bereits ausgeführt - behauptet wird).
Die Behörde begründet im angefochtenen Bescheid das Vorliegen des nach §1 Abs1 Fremdenverkehrsgesetz für die Pflichtmitgliedschaft (zumindest) erforderlichen mittelbaren Interesses der beschwerdeführenden Gesellschaft am Fremdenverkehr damit, mittelbare wirtschaftliche Vorteile aus dem Fremdenverkehr seien dann anzunehmen, wenn durch den Fremdenverkehr in einem örtlichen Bereich eine Hebung der wirtschaftlichen Lage eintritt, weil diese dann erfahrungsgemäß auf andere Geschäftszweige belebend wirke. Der Energiebedarf der Tir. Fremdenverkehrswirtschaft begründe jedenfalls auch Stromlieferungen der beschwerdeführenden Gesellschaft an die TIWAG, die ihrerseits den Verbraucher versorge. Die beschwerdeführende Gesellschaft trete durch Stromlieferungen an die TIWAG mit dem Tir. Fremdenverkehr in "mittelbare wirtschaftliche Beziehung".
Die Frage, ob es denkbar ist, daß die beschwerdeführende Gesellschaft am Fremdenverkehr im Land Tirol mittelbar interessiert ist, kann nicht losgelöst von der der beschwerdeführenden Gesellschaft zukommenden Aufgabenstellung betrachtet werden. Nach §5 Abs4 litb des Zweiten Verstaatlichungsgesetzes, BGBl. 81/1947, hat die Verbundgesellschaft den Ausgleich zwischen Erzeugung und Bedarf im Verbundnetz herbeizuführen, hiebei auf die günstigste wirtschaftliche Verwendung des zur Verfügung stehenden Stromes Bedacht zu nehmen und die Erzeugung mit unvermeidbaren Stromüberschüssen möglichst gleichmäßig zu belasten.
Die beschwerdeführende Gesellschaft erzeugt somit weder Strom, noch gibt sie Strom direkt an die Verbraucher ab; sie sorgt vielmehr für den Ausgleich der Differenz zwischen Produktion und Bedarf in der Form, daß sie in einem solchen Falle Überkapazitäten von Gesellschaften im In- und Ausland entgeltlich übernimmt und sodann an jene Gesellschaften wieder entgeltlich abgibt, bei denen ein aus ihrer Erzeugung nicht abdeckbarer Mehrbedarf an Strom entstanden ist.
Gewiß zieht der Fremdenverkehr im Land Tirol einen erhöhten Stromverbrauch nach sich, sodaß der Umsatz der Tir. Landesgesellschaft TIWAG, welche in Tirol Strom an Letztverbraucher abgibt, durch den Fremdenverkehr steigt. Wenn man aber davon ausgeht, daß der Umsatz der beschwerdeführenden Gesellschaft in dem oben beschriebenen Ausgleich der Differenz zwischen Erzeugung und Verbrauch besteht, dann hängt der Umsatz der beschwerdeführenden Gesellschaft vom Umsatz der einzelnen Landesgesellschaften nicht ab, weil ein - allenfalls durch den Fremdenverkehr verursachter - Mehrbedarf an Strom in einem Bundesland keineswegs zu einem erhöhten Umsatz der Verbundgesellschaft führen muß, solange genügend Strom zur Bedeckung des Verbrauches dort selbst erzeugt wird.
Die Aufgabenstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft kann es auch mit sich bringen, daß ein Zurückgehen des Fremdenverkehrs und ein dadurch auftretender geringerer Stromverbrauch in einem bestimmten Bundesland deshalb zu einem erhöhten Umsatz bei der beschwerdeführenden Gesellschaft führt, weil dadurch Überkapazitäten in diesem Bundesland auftreten, welche die Verbundgesellschaft auszugleichen hat. Diese Situation kann sich je nach Jahreszeit, Tageszeit und anderen wechselnden Gegebenheiten von Bundesland zu Bundesland jeweils völlig verschieden darstellen.
Das bedeutet aber, daß nicht denkmöglich davon ausgegangen werden kann, daß die beschwerdeführende Gesellschaft ein - unmittelbares oder auch nur mittelbares - Interesse an einem erhöhten Stromverbrauch im Land Tirol hat. Es kann im gegebenen Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die Verbundgesellschaft auf Grund der Art ihrer Aufgabenstellung und ihres Umsatzes überhaupt ein wirtschaftliches Interesse an einem erhöhten Stromverbrauch in Österreich hat; jedenfalls kann sie kein derartiges Interesse an einem erhöhten Stromverbrauch in einem bestimmten Bundesland haben. Das Tir. Fremdenverkehrsgesetz geht aber davon aus, daß zur Begründung der Pflichtmitgliedschaft bei einem Fremdenverkehrsverband ein Interesse am Fremdenverkehr im Land Tirol vorliegen muß.
Daß eine in den Geschäftsbereich der Verbundgesellschaft fallende Tätigkeit anderer Art die Pflichtmitgliedschaft iS des §1 Abs1 Fremdenverkehrsgesetz mit sich brächte, ist im Verfahren weder behauptet worden noch sonst hervorgekommen.
Die Behörde ist daher in denkunmöglicher Anwendung des §1 Abs1 Fremdenverkehrsgesetz zur Feststellung der Pflichtmitgliedschaft der beschwerdeführenden Gesellschaft gelangt.
Im Hinblick darauf ist auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde nicht einzugehen.
6. Der angefochtene Bescheid ist infolgedessen wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben.
Schlagworte
Fremdenverkehr, Abgaben Fremdenverkehr, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B662.1978Dokumentnummer
JFT_10189870_78B00662_00