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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
StVO 1960; unmittelbare Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane außerhalb des örtlichen Wirkungsbereiches der Behörde; Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die von Organen der Bundespolizeidirektion Linz am 10. April 1979 gegen 4.30 Uhr in Haag an den Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung, sich einer Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt zu unterziehen, richtet, zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er von Organen der Bundespolizeidirektion Linz am 10. April 1979 gegen 4.30 Uhr mit seinem PKW mehrere hundert Meter außerhalb der Stadtgrenze von Linz in Haag angehalten und ihm sein Führerschein vorläufig abgenommen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen ausgeführt:
Am 10. April 1979 sei der Beschwerdeführer von Linz kommend stadtauswärts in Richtung Hörsching gefahren und in Haag von einer Funkstreife der Bundespolizeidirektion Linz angehalten und aufgefordert worden, sich einer Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt zu unterziehen. Dies habe er unter Hinweis darauf verweigert, daß er sich bereits außerhalb des Stadtgebietes Linz und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Bundespolizeidirektion Linz befände. Die Funkstreifenbeamten hätten sich auf eine ihnen erteilte Ermächtigung des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz zur Untersuchung der Atemluft berufen und ihm seinen Führerschein vorläufig abgenommen. Bemerkt werde von ihm, daß eine Gendarmeriestreife trotz Anwesenheit nicht eingeschritten sei. Durch diese Amtshandlungen erachtet sich der Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf persönliche Freiheit, auf Freizügigkeit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt und stellt entsprechend seinen Ausführungen bei der öffentlichen mündlichen Verhandlung den Antrag, die Rechtswidrigkeit der bekämpften Amtshandlungen festzustellen; für den Fall der Abweisung beantragt er die Abtretung seiner Beschwerde an den VwGH.
2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde, insoweit sie sich gegen die Aufforderung zur Vornahme der Alkotestprobe richtet, als unzulässig zurückzuweisen, im übrigen aber als unbegründet abzuweisen.
3. Der VfGH hat die Akten der Bundespolizeidirektion Linz AZ III/St-12.656/79 sowie der BH Linz-Land Be-46/158/6-1979 und
E. Nr. 1591/79 Ke beigeschafft und in sie Einblick genommen.
II. Da sich die beiderseitigen Parteivorbringen in den wesentlichen Punkten nicht widersprechen und auch in der Aktenlage Deckung finden, kann der VfGH von der Aufnahme von Beweisen Abstand nehmen. Folgender Sachverhalt steht fest:
Am 10. April 1979 fuhr der Beschwerdeführer mit seinem PKW gegen 4.30 Uhr mit einer Geschwindigkeit von erheblich mehr als 50 km/h (die nachfolgend eingeschrittenen Beamten sprechen von 70 km/h, der Beschwerdeführer gibt selbst 60 km/h zu) im Stadtgebiet von Linz in Richtung stadtauswärts. Wegen der Fahrweise des Beschwerdeführers nahm eine Funkstreife der Bundespolizeidirektion Linz, die das Verhalten des Beschwerdeführers beobachtet hatte, seine Verfolgung auf - laut Meldungslegung nahmen die Beamten an, daß es sich bei dem beobachteten PKW um ein gestohlenes Fahrzeug handeln könne oder daß der Lenker alkoholisiert sei -, die sich zunächst bis zur Stadtgrenze von Linz erstreckte, ohne daß sich für die Funkstreife eine Möglichkeit zur Anhaltung des Lenkers ergab. Da die Beamten Gefahr im Verzug annahmen, wurde von ihnen die Verfolgung über die Stadtgrenze von Linz hinaus fortgesetzt, der PKW einige hundert Meter außerhalb derselben im Ortsgebiet Haag eingeholt und angehalten. Bei der folgenden Amtshandlung begründete sich der Verdacht einer Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers, da dieser gerötete Augen hatte und nach Alkohol roch. Er wurde daher aufgefordert, sich einer Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt zu unterziehen, wobei sich die Beamten der Funkstreife aufeine Ermächtigung des Polizeidirektors der Bundespolizeidirektion Linz zur Vornahme des Alkotests beriefen. Da der Beschwerdeführer jedoch ablehnte, sich dieser Untersuchung zu unterziehen, wurde ihm sein Führerschein vorläufig abgenommen und hierüber eine Bescheinigung ausgestellt. Erst danach traf eine Gendarmeriestreife ein, welcher die Amtshandlung, da sie bereits abgeschlossen war, nicht mehr abgetreten, sondern nur mehr zur Kenntnis gebracht wurde.
Mit Bescheid der BH Linz-Land vom 3. Mai 1979 wurde schließlich dem Beschwerdeführer gemäß §74 Abs3 KFG 1967 die Entziehung der Lenkerberechtigung angedroht und ihm der vorläufig abgenommene Führerschein zurückgegeben.
III. Der VfGH hat zur Zulässigkeit erwogen:
1. Der Beschwerdeführer erblickt in dem Verhalten, das die einschreitenden Sicherheitsorgane gegen ihn ausübten, indem sie ihn, als er mit seinem PKW durch das Ortsgebiet von Haag fuhr, anhielten, zur Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt aufforderten und ihm seinen Führerschein vorläufig abnahmen, die Anwendung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG.
2. a) Was die Aufforderung der Funkstreifenbeamten an den Beschwerdeführer, sich einer Untersuchung seiner Atemluft auf Alkohol zu unterziehen, betrifft, ist die Beschwerde unzulässig. Die bloße Aufforderung, sich der in §5 Abs2 StVO 1960 vorgesehenen Untersuchung der Atemluft zu unterziehen, stellt sich nicht als Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, wie der VfGH im Erk. VfSlg. 7509/1975 eingehend begründet hat. Diese Rechtsansicht wurde mit Erk. VfSlg. 8231/1977 aufrechterhalten und zur Begründung zusätzlich ausgeführt, daß auch nach der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, der nunmehrige Tatbestand des zweiten Falles des Art144 B-VG durch eine solche Aufforderung nicht erfüllt werde; auch Rechtsschutzerwägungen könnten zu keinem anderen Ergebnis führen, da auch die Zulässigkeit der Anrufung des VfGH ein Strafverfahren gemäß §99 Abs1 litb StVO 1960 nicht zu verhindern vermöchte und das Risiko des Adressaten einer solchen Aufforderung, in die Rolle eines Beschuldigten zu geraten, nicht herabgesetzt würde. Der VfGH hält an dieser Rechtsprechung fest.
Die Beschwerde war daher insoweit zurückzuweisen.
b) Was die Anhaltung des Beschwerdeführers und die vorläufige Abnahme seines Führerscheines betrifft, ist die Beschwerde hingegen zulässig. Die Aufforderung an den Beschwerdeführer anzuhalten und die Abnahme des Führerscheines stellen sich offensichtlich als Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar.
IV. Soweit die Beschwerde zulässig ist, hat der VfGH in der Sache selbst erwogen:
1. Der Beschwerdeführer behauptet ua., im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil die bekämpften Amtshandlungen von einer örtlich unzuständigen Behörde, nämlich von Organen der Bundespolizeidirektion Linz außerhalb des Stadtgebietes von Linz gesetzt worden seien, obwohl eine Gendarmeriestreife sich in unmittelbarer Nähe befunden habe. Als sich diese erkundigt hätte, ob von den Beamten der Bundespolizeidirektion Linz ihre Hilfe benötigt werde, sei dies mit der Begründung abgelehnt worden, daß die Amtshandlung bereits erledigt sei. Hierauf habe sich die Gendarmeriestreife, obwohl ausschließlich sie zu den gesetzten Amtshandlungen zuständig gewesen wäre, wieder entfernt.
Die belangte Behörde vertritt demgegenüber die Ansicht, daß der Beschwerdeführer durch das Vorgehen ihrer Exekutivorgane in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sei. Der örtliche Wirkungsbereich der Bundespolizeidirektion Linz werde in §2 der Verordnung der Bundesregierung vom 7. Dezember 1976, BGBl. 690, nur soweit eingegrenzt, als von der belangten Behörde Bescheide zu erlassen seien. Auf den örtlichen Wirkungsbereich der einzelnen Exekutivorgane, die der Behörde beigegeben sind (Bundessicherheitswacheorgane iS des Art102 Abs5 B-VG), werde durch diese Bestimmung "jedoch kein Einfluß genommen", zumindest dann nicht, wenn iS des §24 StPO Gefahr im Verzuge sei. Hinsichtlich der Beurteilung des beschwerdegegenständlichen Vorfalles könne wohl nicht bestritten werden, daß die Anhaltung des Beschwerdeführers und die vorläufige Abnahme seines Führerscheines außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereiches der Bundespolizeidirektion Linz erfolgt sei. Hiebei wäre jedoch zu bedenken, daß sich unmittelbar bei der Amtshandlung die dringende Vermutung einer Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers ergeben habe. Dies sei Veranlassung dafür gewesen, ihn auf jeden Fall von einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr abzuhalten, wobei iS einer Interessenabwägung der Unterdrückung potentieller Gefahren für die anderen Straßenbenützer wohl eine weitaus höhere Bedeutung zukomme als einer allenfalls geringfügigen Überschreitung der örtlichen Zuständigkeit.
2. Der Beschwerdeführer wäre im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn von den einschreitenden Sicherheitsorganen eine Kompetenz zur Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Anspruch genommen wurde, obwohl sie unzuständig waren. Dies ist in der Beschwerdesache der Fall.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde wird der Wirkungsbereich der Bundespolizeibehörden durch die auf Grund des Art102 Abs6 B-VG erlassene Verordnung der Bundesregierung vom 7. Dezember 1976, BGBl. 690, in jeder Weise und nicht nur die Zuständigkeit der "Behörde selbst bei Anwendung der Verfahrensgesetze" eingegrenzt. Daß die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane von der Regelung ausgenommen sei, weil mit der Verordnung nur der Wirkungsbereich der Behörde, nicht aber beigegebener Exekutivorgane bestimmt werde, ist schon deshalb verfehlt, weil das Handeln von Exekutivorganen der Behörde dieser gegenüber keinen selbständigen Charakter hat, sondern ihr als Organhandeln zuzurechnen und damit von ihr zu vertreten ist (vgl. VfSlg. 6241/1970). Schon der Wortlaut der Verordnung der Bundesregierung vom 7. Dezember 1976 führt zu diesem Ergebnis.
Der belangten Behörde ist zuzubilligen, daß eine §26 VStG vergleichbare Bestimmung, welche die Kompetenz der Sicherheitsbehörden zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt regeln würde - von den Verwaltungsverfahrensgesetzen sind solche Maßnahmen gemäß ArtII Abs6 lite EGVG ausgenommen - fehlt. Mangels einer solchen Bestimmung ist aber davon auszugehen, daß das faktische Verhalten, also die unmittelbare Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane innerhalb der örtlichen Grenzen der Behörde gesetzt werden muß, um die Zuständigkeit der Behörde zu wahren. Nichts anderes gilt bei Gefahr im Verzuge; weder in der StPO noch im VStG findet sich eine Bestimmung, wonach bei Gefahr im Verzuge Organe unmittelbare behördliche Befehls- und Zwangsgewalt außerhalb des Wirkungsbereiches ihrer Behörde setzen dürften. Auch in §94b StVO und in §123 KFG findet sich nichts Derartiges.
Gleichgültig also, ob die Anhaltung des Beschwerdeführers von den Organen der Bundespolizeidirektion Linz im Hinblick auf eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit oder im Hinblick auf den Verdacht der Alkoholisierung des Lenkers oder den behaupteten Verdacht, daß es sich bei dem gelenkten Fahrzeug um einen gestohlenen PKW handeln könnte, stattfand, bestand keine gesetzliche Grundlage dafür, daß die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt von Organen der Bundespolizeidirektion Linz außerhalb des mit der Verordnung vom 7. Dezember 1976 festgelegten örtlichen Wirkungsbereiches stattfinden durfte. Gleiches gilt für die vorläufige Abnahme des Führerscheines. Durch Überschreitung des örtlichen Wirkungsbereiches der Bundespolizeidirektion Linz durch deren Organe wurde somit eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nach dem Gesetz nicht zustand.
Der Beschwerdeführer ist daher durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, soweit sie von ihm zulässigerweise bekämpft wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
3. Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das sonstige Beschwerdevorbringen einzugehen.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Straßenpolizei, Alkoholisierung, Atemluftprobe, Polizei, BundespolizeibehördenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B213.1979Dokumentnummer
JFT_10189774_79B00213_00