Index
L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Tir. Gemeindeordnung 1966; Vorstellungsbescheid gemäß §112 Abs5 - BindungswirkungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1.a) Der Beteiligte dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens, A.M. (im folgenden kurz als "Beteiligter" bezeichnet), ist Eigentümer der Grundstücke 464 und 216 KG L. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der an das Grundstück 464 angrenzenden Parzellen 154, 177/4 und 1717 KG L.
Die auf den Grundstücken 216 und 464 bestandenen Bauobjekte wurden bei einem Brand schwer beschädigt. Der Beteiligte hat am 30. September 1976 um baubehördliche Bewilligung zum Aufbau der abgebrannten Teile und zum Einbau eines Personenaufzuges angesucht.
b) Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Lienz als Baubehörde erster Instanz hat über dieses Bauansuchen mit Bescheid vom 8. Oktober 1976 entschieden; dieser Bescheid hat folgenden Spruch:
"Das im Befund näher bezeichnete Bauvorhaben wird bei bescheidgemäßer Ausführung, nach Maßgabe der vorgelegten und vidierten Pläne, unter Einhaltung der nachstehenden Bedingungen in baupolizeilicher Hinsicht insoweit als zulässig erklärt und genehmigt; nicht jedoch die Ausführung der im südlichen Teil der Bp. 464 über dem 2. Obergeschoß vorgesehene Terrasse und die Anbringung eines unfallsicheren Geländers an der Mauerkrone."
c) Der Stadtrat der Stadtgemeinde Lienz (im folgenden kurz: Stadtrat) hat mit Bescheid vom 22. Juni 1977 die dagegen vom Beteiligten erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen.
Dieser Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß "aus Gründen des Ortsbildschutzes die Ausführung einer Terrasse in diesem Bereich nicht möglich sei, weil auch aus gestalterischen Gründen auf der Aufmauerung der alten Stadtmauer kein Geländer vorgesehen werden könne".
d) Die Tir. Landesregierung hat mit Bescheid vom 28. Dezember 1977 der vom Beteiligten gegen diesen Berufungsbescheid erhobenen Vorstellung Folge gegeben, den angefochtenen Berufungsbescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtrat verwiesen.
Dieser Vorstellungsbescheid wurde wie folgt begründet:
"... Da es die Baubehörden unterließen, Ermittlungen solcher Art" (nämlich darüber, ob das Bauvorhaben gemäß §31 Abs4 litd der Tir.
Bauordnung, LGBl. 42/1974, das Orts-, Straßen- oder Landschaftsbild
erheblich nachteilig beeinflußt) "anzustellen, hat die
Vorstellungsbehörde von ihrem Recht, durch eigene Ermittlungen diesen
Sachverhalt klarzustellen, Gebrauch gemacht. Aus dem ... Gutachten
des technischen Amtssachverständigen der Tir. Landesregierung vom
3. Oktober 1977 ... folgt nach Ansicht der Aufsichtsbehörde, daß die
angesuchten baulichen Maßnahmen nicht dem §31 Abs4 litd leg. cit.
zuwiderlaufen, da sie das Orts-, Straßen- und Landschaftsbild nicht erheblich nachteilig beeinflussen.
Da nach diesem schlüssigen Gutachten, welches vom Vertreter der Stadtgemeinde Lienz nicht entkräftet werden konnte, der Tatbestand der zitierten Gesetzesstelle nicht erfüllt wird, wurde durch die Versagung der Baubewilligung der ... Vorstellungswerber in seinen Rechten verletzt ..."
Dieser Vorstellungsbescheid wurde den dem VfGH vorgelegten Verwaltungsakten zufolge der Beschwerdeführerin nicht zugestellt.
e) Der Stadtrat hat hierauf über die Berufung des Beteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 8. Oktober 1976 neuerlich entschieden und den Bescheid Az. 1532 Dr. Ob/N, ohne Datum, mit folgendem Spruch erlassen:
"In Bindung an die Rechtsansicht der Landesregierung wird der Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Lienz vom 8. Oktober 1976 behoben und dem Konsenswerber die Ausführung der im südlichen Teil der Gp. 464 über dem 2. Obergeschoß vorgesehenen Terrasse und die Anbringung eines unfallsicheren Geländers an der Mauerkrone baubehördlich gemäß den vorliegenden Plänen genehmigt.
..."
Mit Bescheid des Stadtrates vom 14. März 1978 wurde dieser Bescheid dahin "berichtigt", daß das fehlende Ausfertigungsdatum vom 7. März 1978 ergänzt wurde.
f) Diese Bescheide des Stadtrates wurden von der Beschwerdeführerin mit Vorstellung bekämpft. Die Tir. Landesregierung hat mit Bescheid vom 22. Juni 1978 die Vorstellung als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen diesen (zweiten) Vorstellungsbescheid vom 22. Juni 1978 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht wird. In der Beschwerde wird die am 14. März 1978 vorgenommene Berichtigung nicht bekämpft.
Die Beschwerdeführerin beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.
3. Die belangte Behörde und der Beteiligte haben Gegenschriften erstattet, in denen sie die Abweisung der Beschwerde begehren. Der Beteiligte beantragt den Zuspruch von Kosten.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die Beschwerdeführerin begründet ihre Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, auf das Wesentliche zusammengefaßt damit, daß der Stadtrat als Baubehörde II. Instanz über ein Bauvorhaben entschieden habe, das nie Gegenstand eines Verfahrens in I. Instanz gewesen sei; die nunmehr bewilligte Terrasse samt Geländer sei nämlich in den vom Beteiligten dem Bürgermeister vorgelegten Plänen nicht vorgesehen gewesen.
Außerdem verweist die Beschwerdeführerin darauf, daß über den Antrag auf baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Terrasse samt Geländer auf der Bp. 464 solange nicht entschieden werden dürfe, als nicht feststehe, ob der Beteiligte auf der ihm gehörenden angrenzenden Bp. 158/1 eine solche Terrasse samt Geländer errichten darf; es hätte der Ausgang des beim VfGH zu B250/78 anhängigen Beschwerdeverfahrens abgewartet werden müssen.
b) Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist ausschließlich der (zweite) Vorstellungsbescheid vom 22. Juni 1978. Die Tir. Landesregierung war zur Entscheidung über die von der Beschwerdeführerin eingebrachte Vorstellung gegen den Bescheid des Stadtrates zuständig: Gemäß §112 Abs1 der Tir. Gemeindeordnung, LGBl. 4/1966 (TGemO), hat die Landesregierung über eine Vorstellung zu entscheiden, die gegen einen Bescheid eines Gemeindeorganes in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung erhoben wird. Der hier von der Beschwerdeführerin mit Vorstellung bekämpfte Bescheid des Stadtrates ist in einer Baurechtssache ergangen, sohin in einer von §112 Abs1 TGemO erfaßten Angelegenheit.
Im zweiten Rechtsgang war der Stadtrat an die von der Gemeindeaufsichtsbehörde im (ersten) Vorstellungsbescheid vom 28. Dezember 1977 geäußerte Rechtsansicht gebunden (§112 Abs5 TGemO), daß der einzige vom Stadtrat im ersten Rechtsgang für die Verweigerung der baubehördlichen Genehmigung zur Errichtung einer Terrasse samt Geländer herangezogene Grund, diese beabsichtigten baulichen Maßnahmen würden das Orts-, Straßen- und Landschaftsbild nachteilig beeinflussen, nicht zutreffe. Auch die Vorstellungsbehörde selbst war im zweiten Rechtsgang an diese von ihr im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsmeinung gebunden (vgl. zB VwGH 7. 3. 1979 Z 1774/78). Die Vorstellungsbehörde hatte im zweiten Rechtsgang andere Umstände nicht mehr zu untersuchen; insbesondere hatte sie sich nicht damit auseinanderzusetzen, ob die Genehmigung der Terrasse samt Geländer überhaupt Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war.
Solange der (erste) Vorstellungsbescheid vom 28. Dezember 1977 dem Rechtsbestand angehört, entfaltet er die dargestellte Bindungswirkung; dies auch dann, wenn er der Beschwerdeführerin nicht zugestellt wurde.
Die Beschwerdeführerin ist sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
c) Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, durch den bekämpften Bescheid auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein, ist die Beschwerdeführerin einerseits auf die vorstehenden Ausführungen unter litb, andererseits darauf zu verweisen, daß nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 7347/1974 und 7550/1975 sowie die dort zitierte Vorjudikatur) ein Vorstellungsbescheid, mit dem eine Baubewilligung nicht beseitigt wurde, die nach Ansicht des beschwerdeführenden Anrainers nicht hätte erteilt werden dürfen, keinen Eingriff in das Eigentumsrecht des Anrainers bedeutet.
Die Beschwerdeführerin ist sohin auch nicht im Eigentumsrecht verletzt worden.
2. Auch die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hat offenkundig nicht stattgefunden.
Die Beschwerde war sohin abzuweisen.
Schlagworte
Gemeinderecht, Vorstellung, Bindung (der Verwaltungsbehörden an Bescheide)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B424.1978Dokumentnummer
JFT_10189772_78B00424_00