TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/4 B48/79

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Veröffentlicht am 04.03.1981
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z7
B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
AVG §1
AVG §6
AVG §69 Abs1 lita, §69 Abs1 litb
BAO §50 Abs1
BAO §303
Behörden-ÜG §15 Abs1

Leitsatz

AVG 1950; Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §69 Abs1 lita und b; kein Eingriff in das Eigentum; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 17. Juni 1978 wurden über den Beschwerdeführer wegen Übertretungen nach ArtIX Abs1 Z1 und Z2 EGVG 1950 Geldstrafen in Höhe von insgesamt S 3.000,-, im Nichteinbringungsfalle Ersatzarreststrafen im Ausmaß von insgesamt 5 Tagen verhängt. Gleichzeitig wurde ihm die Zahlung eines Beitrages zu den Strafverfahrenskosten in Höhe von S 300,-

auferlegt. Das Straferkenntnis wurde mündlich verkündet und dem Beschwerdeführer Rechtsmittelbelehrung erteilt. Die mündliche Verkündung des Straferkenntnisses und die erfolgte Rechtsmittelbelehrung wurden vom Beschwerdeführer in einer Niederschrift bestätigt. In derselben Niederschrift verzichtete er ausdrücklich auf die Erhebung einer Berufung gegen das Straferkenntnis.

Nachträglich wurden in der Beurkundung des Straferkenntnisses durch den Referenten Änderungen vorgenommen; so wurde der Strafbetrag von S 3.000,- auf S 4.000,- erhöht und hinzugefügt, daß Vorhaft in der Dauer von 8 Stunden (= S 1.000,-) angerechnet worden sei; weiters wurden die Dauer der verhängten Ersatzarreststrafe und der auferlegte Verfahrenskostenbeitrag verändert.

Mit Schreiben vom 11. Juli 1978 erhob der Beschwerdeführer gegen das Straferkenntnis das Rechtsmittel der Berufung. Die Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Stmk. vom 15. September 1978 als unzulässig zurückgewiesen; diese Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 12. Oktober 1978 zugestellt.

b) Mit Schreiben vom 29. September 1978 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß §69 Abs1 lita und b AVG. In der Begründung des Antrages wird ausgeführt, daß dem Straferkenntnis eine unrichtige Sachverhaltsdarstellung in der Meldungslegung zugrunde liege. Seine Unterschrift auf dem Straferkenntnis sei ungültig, da nachträglich wesentliche inhaltliche Änderungen zu seinem Nachteil hinzugefügt worden seien.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 11. Oktober 1978 wurde dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht stattgegeben. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Stmk. vom 14. November 1978 als unbegründet abgewiesen.

2. a) Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unverletzlichkeit des Eigentums gerügt und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

b) Die die belangte Behörde vertretende Finanzprokuratur hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird ein erstinstanzlicher Bescheid bestätigt, durch welchen ein Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §69 Abs1 lita und b AVG mit der Begründung abgewiesen wurde, daß Wiederaufnahmsgründe nicht vorlägen. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird durch einen solchen Bescheid, dem nur verfahrensrechtliche Wirkung zukommt, in das Eigentum nicht eingegriffen (s. VfSlg. 7865/1976, 8740/1980).

Der Beschwerdeführer kann also schon deshalb durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sein.

2. a) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ua. dann verletzt, wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die ihr nach dem Gesetze nicht zukommt (vgl. VfSlg. 6849/1972).

b) Gemäß §69 Abs4 AVG steht die Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. Dies ist - da die gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 17. Juni 1978 erhobene Berufung von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Stmk. mit Bescheid vom 15. September 1978 als unzulässig zurückgewiesen wurde, diese Behörde also keine Sachentscheidung getroffen hat - im vorliegenden Fall die Bundespolizeidirektion Graz. Der Beschwerdeführer ist somit nicht dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden, daß über seinen Wiederaufnahmeantrag in erster Instanz die Bundespolizeidirektion Graz entschieden hat.

c) Das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Sicherheitswesens. Zur Entscheidung über Berufungen gegen in diesen Angelegenheiten erlassene Bescheide der Bundespolizeidirektion Graz ist nach der im Verfassungsrang stehenden (BGBl. 142/1946) Bestimmung des §15 Abs1 des Behörden-Überleitungsgesetzes, StGBl. 94/1945, im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. 74/1946 die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Stmk. berufen (vgl. VfSlg. 7264/1974). Da sich die Zuständigkeit zur Entscheidung über prozessuale Fragen nach den Regeln über die Zuständigkeit zur materiellen Entscheidung richtet (VfSlg. 8874/1980), ist die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Stmk. auch zur Entscheidung über eine Berufung gegen einen Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz zuständig, mit welchem ein Wiederaufnahmeantrag in Angelegenheiten des öffentlichen Sicherheitswesens abgewiesen wurde.

d) Zusammenfassend ergibt sich somit, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden ist.

3. Anhaltspunkte dafür, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in seinen Rechten verletzt worden wäre, hat das Beschwerdeverfahren nicht ergeben. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit Verwaltungsverfahren, Behördenzuständigkeit, Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B48.1979

Dokumentnummer

JFT_10189696_79B00048_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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