TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/9 WI-5/80

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Veröffentlicht am 09.03.1981
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs2
B-VG Art141 Abs1 lita
Tir GdWO 1973 §46
Tir GdWO 1973 §52
Tir GdWO 1973 §58 Abs3
Tir GdWO 1973 §58 Abs4
VfGG §68 Abs1

Leitsatz

Tir. Gemeindewahlordnung 1973; Begriff "weiches" Papier in §46 Abs2

Spruch

Der Anfechtung der Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Tösens (pol. Bezirk Landeck) vom 23. März 1980 wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Kundmachung der Landesregierung vom 27. November 1979, LGBl. 74/1979, wurden für alle Gemeinden Tirols mit Ausnahme der Landeshauptstadt Innsbruck die allgemeinen Wahlen der Gemeinderäte auf den 23. März 1980 ausgeschrieben.

Die Wahlen waren nach den Bestimmungen der Tir. Gemeindewahlordnung 1973 - TGWO 1973 (Anlage zur Kundmachung der Landesregierung vom 24. Juli 1973, LGBl. 63/1973, über die Wiederverlautbarung der Tir. Gemeindewahlordnung 1967) idF der Landesgesetze LGBl. 43/1974, 36/1977 und 4/1980 durchzuführen.

Für die Wahl in der Gemeinde Tösens (pol. Bezirk Landeck) haben drei Wählergruppen rechtzeitig Wahlvorschläge eingereicht, und zwar die "Allgemeine ÖVP-Liste", die "Unabhängige Tösner Dorfliste" und die "Sozialistische Bürgerliste Tösens".

Bei der Wahl sind insgesamt 331 Stimmen abgegeben worden, davon 1 ungültige; von den 330 gültigen Stimmen entfielen auf die genannten Wählergruppen (in der vorstehenden Reihenfolge) 128, 146 und 56 Stimmen. Die zu vergebenden 10 Gemeinderatssitze (§18 der Tir. Gemeindeordnung 1966, LGBl. 4/1966) wurden auf die genannten Wählergruppen im Verhältnis 4, 5 und 1 verteilt.

Das Wahlergebnis ist gemäß §58 TGWO 1973 durch Anschlag vom 24. März bis 10. April 1980 kundgemacht worden.

Für die Stimmenabgabe sind fast durchwegs von den Wählergruppen ausgegebene Stimmzettel verwendet worden; diese Stimmzettel sind für die "Allgemeine ÖVP-Liste" im Wege der Vervielfältigung auf Grundlage einer mit Schreibmaschine beschriebenen Matrize, für die beiden anderen Wählergruppen im Wege des Maschindruckes hergestellt worden. Lediglich 6 Stimmen sind unter Verwendung unbedruckter, handschriftlich beschriebener Stimmzettel (2 für die Allgemeine ÖVP-Liste, 4 für die Unabhängige Tösner Dorfliste) abgegeben worden; diese Stimmzettel bestehen aus dem gleichen Papier wie die von der Allgemeinen ÖVP-Liste ausgegebenen Stimmzettel.

2. Die "Unabhängige Tösner Dorfliste" ficht die Wahl unter Berufung auf Art141 B-VG an. Sie stellt den Antrag, der VfGH wolle in Stattgebung der Wahlanfechtung das Wahlverfahren "hinsichtlich desjenigen Teiles ab Beginn der Stimmenzählung als nichtig aufheben und aussprechen, daß die auf die Allgemeine ÖVP-Liste entfallenden Stimmen ungültig sind", in eventu, das gesamte Wahlverfahren als nichtig aufzuheben.

Nach Ansicht der anfechtenden Wählergruppe leide das Wahlverfahren an folgenden Rechtswidrigkeiten:

Im §46 TGWO sei im Abs2 normiert, daß die Stimmzettel aus weichem, weißlichem Papier bestehen und ein Ausmaß von ungefähr 15 cm in der Breite und 21 cm in der Länge aufweisen müßten. Bei Betrachtung der Stimmzettel der drei Wahlparteien falle auf, daß die Stimmzettel für die Allgemeine ÖVP-Liste aus einem anderen Papier gefertigt seien als die restlichen Stimmzettel. Das Papier der Stimmzettel der Allgemeinen ÖVP-Liste sei aus Zyprus-Hartpost mit Wasserzeichen hergestellt. Es könne nicht mehr als weich bezeichnet werden, sondern fühle sich hart an. Wenn man die drei verschiedenen Stimmzettel in die ungekennzeichneten Wahlumschläge stecke, lasse sich auch bei geschlossenem Wahlumschlag durch Fühlen derjenige Umschlag feststellen, der den Stimmzettel der Allgemeinen ÖVP-Liste enthalte. Dieser Umschlag sei nämlich dicker, und das darin befindliche Papier greife sich wesentlich härter an als der Umschlag mit den anderen Stimmzetteln.

Der von der Allgemeinen ÖVP-Liste verwendete Stimmzettel entspreche daher nicht den Bestimmungen des §46 Abs2 TGWO. Im Hinblick auf die Bestimmung des §52 Abs1 TGWO könne daher ein solcher Stimmzettel nicht als gültig bezeichnet werden. Wenn auch im Abs2 des §52 TGWO näher bezeichnet sei, wann ein Stimmzettel ungültig sei und in der dortigen lita zunächst nur auf das im §46 Abs2 festgesetzte Ausmaß hingewiesen wurde, so ergebe sich doch eindeutig aus dem Abs1 des §52 leg. cit., daß nur ein solcher Stimmzettel, der den Bestimmungen des §46 Abs2 und 3 leg. cit. entspreche, als gültig angesehen werden könne. Mit einem in diesem Fall wohl zulässigen Umkehrschluß könne daher ein den Bestimmungen des §46 Abs2 und 3 leg. cit. nicht entsprechender Stimmzettel nur als ungültig qualifiziert werden. Die in Abs2 des §52 leg. cit. vorgenommene Aufzählung könne man daher wohl nur als eine beispielhafte ansehen.

Die Bestimmungen des §46 TGWO über Ausmaß, Beschaffenheit und Inhalt eines Stimmzettels hätten zunächst sicherlich den Sinn, daß für alle Wahlparteien im wesentlichen gleiche Stimmzettel verwendet würden. Es solle also keine Wahlpartei etwa durch Verwendung eines besonders - sei es nun durch Farbe, Form oder Qualität des Papieres - auffälligen Stimmzettels einen besonderen Vorteil erlangen können. Des weiteren habe diese Bestimmung sicher aber auch den Sinn, daß das Wahlgeheimnis gewahrt bleibe. Die Wahlen zum Gemeinderat seien gemäß Art117 B-VG geheime Wahlen. Durch ein andersfärbiges Papier oder aber auch insbesondere durch ein hartes, den Bestimmungen des §46 Abs2 TGWO nicht entsprechendes Papier des Stimmzettels könne aber das Wahlgeheimnis durchbrochen werden, indem nämlich durch den geschlossenen Wahlumschlag hindurch festgestellt werden könne, für welche Wahlpartei der jeweilige Wähler die Stimme abgegeben habe. Dies sei bei der Gemeinderatswahl am 23. März 1980 tatsächlich der Fall gewesen. Der Listenführer der Allgemeinen ÖVP-Liste sei Wahlleiter gewesen, dessen Stellvertreter der auf der Allgemeinen ÖVP-Liste unter Z6 aufscheinende Wahlwerber. Beide hätten im Wissen, daß die Stimmzettel der Allgemeinen ÖVP-Liste aus hartem Papier hergestellt worden seien, durch den geschlossenen Wahlumschlag hindurch feststellen können, ob der jeweilige Wähler nun die Allgemeine ÖVP-Liste oder eine andere Wahlpartei gewählt habe. Dies ergebe sich deshalb, da die Wahlumschläge vom jeweiligen Wähler geschlossen dem Wahlleiter zu übergeben seien, der die Umschläge ungeöffnet in die Wahlurne lege (§45 Abs4 TGWO). Es erweise sich sohin, daß nicht nur die einfachgesetzliche Bestimmung des §46 Abs2 TGWO verletzt worden sei, sondern auch das im Art117 B-VG normierte Wahlgeheimnis.

In richtiger Anwendung der Bestimmungen der §§46 und 52 TGWO hätte demnach die Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Tösens die für die Allgemeine ÖVP-Liste abgegebenen Stimmzettel als ungültig werten müssen. In diesem Fall wäre die Mandatsverteilung wie folgt: 7 Mandate für die Unabhängige Tösner Dorfliste, 3 Mandate für die Sozialistische Bürgerliste Tösens und 0 Mandate für die Allgemeine ÖVP-Liste. Die vorgelegene Rechtswidrigkeit im Wahlverfahren habe sohin auf das Wahlergebnis Einfluß gehabt.

3. Die Wählergruppe "Allgemeine ÖVP-Liste" hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag stellt, der VfGH möge den in der Wahlanfechtung gestellten Antrag und Eventualantrag als unbegründet abweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß §68 Abs1 VerfGG 1953 muß eine Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein. Aus dieser Norm ergibt sich, daß eine Wahlanfechtung beim VfGH dann (und solange) unzulässig ist, wenn in dem Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen und nicht erschöpft ist.

Der in §58 Abs3 und 4 TGWO 1973 vorgesehene Instanzenzug ist auf Fragen der ziffernmäßigen Ermittlung des Wahlergebnisses beschränkt und erfaßt daher nicht Fragen der Gültigkeit von Stimmzetteln (vgl. VfSlg. 7391/1974).

Die am 18. April 1980 zur Post gegebene Wahlanfechtung ist daher jedenfalls rechtzeitig. Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind gegeben. Die Wahlanfechtung ist zulässig.

2. Die Stimmenabgabe bei den Wahlen der Gemeinderäte geschieht mittels Stimmzetteln, die vom Wähler in einen undurchsichtigen Umschlag eingelegt und so vom Wahlleiter in die Wahlurne gelegt werden (§44 Abs1, §45 Abs3 und 4, §46 Abs1 TGWO 1973). Die Stimmzettel müssen aus weichem weißlichem Papier sein und ein Ausmaß von ungefähr 15 Zentimeter in der Breite und 21 Zentimeter in der Länge aufweisen (§46 Abs2 TGWO 1973).

Aus §52 Abs1 TGWO 1973 (wonach nur Stimmzettel, die ua. den Bestimmungen des §46 Abs2 und 3 entsprechen, gültig und als Listenstimmen - Parteistimmen - zu zählen sind) ergibt sich, daß auch Stimmzettel, die nicht aus weichem weißlichem Papier sind, als ungültig zu gelten haben; dies ungeachtet des Umstandes, daß in den Aufzählungen des §52 Abs2 TGWO 1973 (und zwar in lita) als eines der die Ungültigkeit von Stimmzetteln bewirkenden Merkmale nur eine wesentliche Abweichung von dem im §46 Abs2 festgesetzten Ausmaß angeführt ist.

a) Für die Beurteilung der Frage, ob ein Stimmzettel nach Art und Farbe des verwendeten Papiers den Bestimmungen des §46 Abs2 TGWO 1973 entspricht, bietet ein Vergleich mit anderen bei derselben Wahl verwendeten Stimmzetteln keinen geeigneten Beurteilungsmaßstab. Ebenso wie unbedeutende Abweichungen von dem gesetzlich bestimmten Ausmaß der Stimmzettel nicht zur Ungültigkeit der Stimmzettel führen (vgl. VfSlg. 1077/1928, 2062/1950, 5737/1968), ist auch bezüglich der gesetzlich bestimmten Art und Farbe des Papiers notwendigerweise ein kleiner Spielraum gegeben, innerhalb dessen gewisse Verschiedenheiten toleriert werden müssen. Keinesfalls kann die Verwendung eines bestimmten Papiers für die amtlichen Stimmzettel oder für die von einer Wählergruppe ausgegebenen Stimmzettel einen Maßstab für die bei anderen Stimmzetteln zulässigen Verschiedenheiten bilden. Unlösbar wäre bei einer solchen Annahme die Frage, welcher der Stimmzettel als Maßstab für die anderen genommen werden müßte.

b) Der Begriff des für die Herstellung der Stimmzettel vorgeschriebenen "weichen" Papiers ist kein Begriff, der im Papierhandel für eine bestimmte Sorte von Schreib- und Druckpapier verwendet wird. Der Begriffsinhalt muß daher allein aus der Bedeutung des verwendeten Wortes in seinem Zusammenhang und aus der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers ausgelegt werden (§6 ABGB).

Aus den Gesetzesmaterialien ist dafür, was der Gesetzgeber unter "weichem" Papier verstanden hat, nichts zu gewinnen.

Es ist evident, daß die Vorschriften über die Art und Farbe des für Stimmzettel zu verwendenden Papiers der Sicherung des geheimen Wahlrechtes (Wahlgeheimnisses) zu dienen bestimmt sind. Der Gerichtshof pflichtet deshalb der anfechtenden Wählergruppe bei, daß die Verwendung von anderem als weichem weißlichem Papier - jedenfalls für die nur auf Verlangen des Wählers vom Wahlleiter auszuhändigenden amtlichen und für die von den Wählergruppen ausgegebenen Stimmzettel (für die handschriftlich hergestellten Stimmzettel ist in §47 Abs2 TGWO 1973 lediglich die Verwendung eines weißen Stückes Papier vorgeschrieben) - nicht nur zu einer Rechtswidrigkeit in bezug auf einfachgesetzliche Wahlvorschriften, sondern auch zu einer Verletzung des in Art117 Abs2 B-VG idF BGBl. 205/1962 normierten Grundsatzes des geheimen Wahlrechtes führen kann.

Von diesem Zweck her gesehen und im Hinblick auf die vom Gesetz genau vorgeschriebene Art der Handhabung der Stimmzettel kann ein für deren Herstellung bestimmtes Papier nur dann als "weich" angesehen werden, wenn es von geringer Stärke und leicht zu falten ist (worauf auch das Wort Stimm"zettel" hinweist) und wenn es im Zustand einer ordnungsgemäßen Faltung keine Knitterspuren aufweist, die nach Einlegen des Stimmzettels in den von den Wahlbehörden ausgegebenen Umschlag (Wahlkuvert) sichtbar und fühlbar sind.

Der in §46 Abs2 TGWO 1973 verwendete Begriff des "weichen" Papiers kommt auch in anderen Wahlgesetzen vor, so in der Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung StGBl. 115/1918 und in der folgenden Wahlordnung für die Nationalversammlung sowie in den Wahlordnungen für den Nationalrat in der Ersten Republik BGBl. 367/1923 und der Zweiten Republik beginnend mit StGBl. 198/1945 und BGBl. 129/1949 bis zur Nationalrats-Wahlordnungsnovelle 1958, BGBl. 7/1959. Dazu finden sich in der Literatur Äußerungen, die in der Richtung der vorstehenden Darlegungen liegen.

Den Erläuterungen von Kelsen zu §29 der Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung (Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich, 2. Teil, 1919, S 102) ist zu entnehmen, daß der Stimmzettel aus einem Papier sein muß, das zweimal zusammengefaltet in das amtliche Wahlkuvert eingelegt werden kann. Fritzer meint zu §76 der Nationalrats-Wahlordnung 1949 (Das Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates, 1949, Anm. 333, S 255), daß die Vorschriften über die Gültigkeit und die Ungültigkeit von Stimmzetteln streng zu interpretieren seien und Stimmzettel zB aus hartem Karton ebenso ungültig seien wie Stimmzettel aus weichem, aber ausgesprochen farbigem Papier.

c) Das bei der Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Tösens für den von der Wählergruppe "Allgemeine ÖVP-Liste" ausgegebenen Stimmzettel (und auch für den amtlichen Stimmzettel) verwendete Papier ist im Handel unter der Bezeichnung "Cyclo 470, Vervielfältigungspapier, Saugpost, mittelfein, weiß, 70 gr." erhältlich.

Dieses Papier entspricht den vorstehend entwickelten Merkmalen für die Beurteilung eines Papiers als "weich" iS des §46 Abs2 TGWO 1973.

3. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ist somit nicht gegeben. Der Wahlanfechtung war nicht stattzugeben.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, Stimmzettel, Auslegung, Wahlrecht geheimes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:WI5.1980

Dokumentnummer

JFT_10189691_80WI0005_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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