TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/10 B245/78

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Veröffentlicht am 10.03.1981
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §63 Abs3
Bgld GemeindeO §77 Abs2

Leitsatz

AVG 1950; §63 Abs3 dieses Gesetzes iVm §77 Abs2 Bgld. Gemeindeordnung 1965; Entzug des gesetzlichen Richters durch gesetzwidrige Zurückweisung einer Vorstellung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde St.-Z. vom 12. Oktober 1977 wurde der Beschwerdeführer gemäß §104 Abs3 der Bgld. Bauordnung, LGBl. 13/1970, (im folgenden BO), "aufgefordert, das baubehördlich nicht bewilligte Mobilheim auf dem Grundstück Nr. 2553/3 der KG St., bis 15. November 1977 abzutragen bzw. den ursprünglichen Zustand des Grundstückes herzustellen".

In der Begründung des Bescheides ist ausgeführt, daß ein Ansuchen des Beschwerdeführers um Aufstellung eines Mobilheimes auf dem Grundstück Nr. 2553/3 mit dem rechtskräftig gewordenen Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde St.-Z. vom 16. Juni 1977 gemäß §93 Abs3 BO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen worden war, weil die für das Bauvorhaben erforderliche Bauplatzerklärung nicht vorgelegen sei.

Nach §104 Abs3 BO habe die Baubehörde die Herstellung des ursprünglichen Zustandes zu verfügen, wenn ein Vorhaben, das einer Baubewilligung bedürfe, ohne Baubewilligung durchgeführt werde.

b) Der vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 12. Oktober 1977 erhobenen Berufung hat der Gemeinderat mit dem Bescheid vom 23. November 1977, Z 131-284/2-1977, hinterlegt am 1. Dezember 1977, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 iVm §108 BO keine Folge gegeben.

In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, der Einwendung des Beschwerdeführers, wonach die Aufstellung eines Mobilheimes keiner baubehördlichen Bewilligung bedürfe, könne von der Berufungsbehörde nicht beigepflichtet werden. Im Sinne des §88 Abs1 Z2 BO sei ein Mobilheim als Bauwerk anzusehen und als solches an eine Baubewilligung gebunden. (Hiezu wird auf VwGH 2. 9. 1970 Z 1515, 1516/70 hingewiesen.)

Gegen den Berufungsbescheid des Gemeinderates hat der Beschwerdeführer am 12. Dezember 1977 telegraphisch eine Vorstellung mit folgendem Wortlaut erhoben: "Ich erhebe gegen den Bescheid vom 23. 11. 1977, Zl: 131-284/2/1977 die Vorstellung, da es sich bei dem Wohnmobil nicht um ein Bauwerk handelt".

Der Beschwerdeführer hat eine ausführliche Begründung seiner Vorstellung, datiert mit 28. Dezember 1977, nachgereicht.

Die Vorstellung wurde mit dem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 7. März 1978 "gemäß §77 Abs2 der Burgenländischen Gemeindeordnung 1965", LGBl. 37/1965 idF der Novelle LGBl. 47/1970 (im folgenden GO), zurückgewiesen.

Der Bescheid wurde damit begründet, daß die vom Beschwerdeführer telegraphisch erhobene Vorstellung keinen begründeten Antrag enthalte und daß ein solcher während der hiefür zur Verfügung stehenden Frist (1. Dezember 1977 bis 15. Dezember 1977) auch nicht nachgebracht worden sei.

3. Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 7. März 1978 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gegen den Bescheid einer Bezirkshauptmannschaft, mit dem über eine gegen einen Bescheid eines Gemeindeorgans erhobene Vorstellung entschieden wird, ist eine Berufung nicht zulässig (§77, §79 Abs3 und 4 GO).

Der Instanzenzug ist erschöpft. Die Beschwerde ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder eine Sachentscheidung in gesetzwidriger Weise verweigert (vgl. VfSlg. 8583/1979).

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde eine Vorstellung des Beschwerdeführers zurückgewiesen und damit eine Sachentscheidung verweigert. Wäre die Verweigerung der Sachentscheidung durch die Bezirkshauptmannschaft, die gemäß §§77 und 79 GO zur Entscheidung über die Vorstellung zuständig war, im Widerspruch zum Gesetz erfolgt, so wäre der Beschwerdeführer iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

3. a) Nach §77 Abs2 GO ist die Vorstellung schriftlich oder telegraphisch bei der Gemeinde einzubringen; sie hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Antrag zu enthalten.

b) Zu dem Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages für eine Berufung nach §63 Abs3 AVG 1950 hat der VfGH in seiner Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der ständigen Judikatur des VwGH ausgedrückt, daß einer Eingabe, die zwar als "Berufung" bezeichnet ist, die jedoch keinen begründeten Berufungsantrag enthält, ein wesentlicher Bestandteil fehle; es mangle einer derartigen Eingabe der Charakter einer Berufung iS des AVG 1950. Die Rechtsprechung des VfGH und des VwGH hat jedoch stets betont, daß die erwähnte Gesetzesbestimmung nicht formalistisch ausgelegt werden darf. Es genügt, daß die Berufung erkennen läßt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. VfSlg. 8738/1980 und die dort angeführte Vorjudikatur mit dem Hinweis auf Mannlicher - Quell,

Das Verwaltungsverfahren, 8. Auflage, Anm. 10 zu §63 Abs3 AVG 1950 und die auf S 919 und 925 zitierte Judikatur).

Der VfGH ist in Übereinstimmung mit dem VwGH (zB VwSlg. 8727 A/1974 und die dort angegebene Vorjudikatur) der Auffassung, daß diese Ausführungen auch für die Auslegung der Vorschrift, nach der eine Vorstellung einen begründeten Antrag zu enthalten hat, gelten. Einer als "Vorstellung" bezeichneten Eingabe, die keinen begründeten Antrag enthält, fehlt ein wesentlicher Bestandteil; es mangelt ihr der Charakter einer Vorstellung. Die Vorschrift darf aber nicht formalistisch ausgelegt werden. Es genügt, daß die Vorstellung erkennen läßt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt.

c) Die vom Beschwerdeführer telegraphisch erhobene Vorstellung enthält zwar keinen formell gestellten Antrag; es läßt sich jedoch aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer Vorstellung gegen einen genau bezeichneten Bescheid erhoben und diese damit begründet hat, daß ein Mobilheim kein Bauwerk sei, mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, daß und warum der Beschwerdeführer eine Aufhebung des Bescheides erreichen wollte. Demnach enthält die vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung in materieller Hinsicht einen begründeten Antrag und entspricht daher der Bestimmung des §77 Abs2 GO; die auf den Mangel eines begründeten Antrages gestützte Zurückweisung der Vorstellung erfolgte daher zu Unrecht. Dadurch ist der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid war aus diesem Grunde aufzuheben.

Schlagworte

Gemeinderecht, Vorstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B245.1978

Dokumentnummer

JFT_10189690_78B00245_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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