TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/16 G57/80, G1/81, G2/81

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Veröffentlicht am 16.03.1981
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs4
IESG §1 Abs3 Z2

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 209/1981 am 30. April 1981; s. Anlaßfälle VfSlg. 9165/1981

Leitsatz

Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz; Aufhebung der Worte "auf Abfertigung oder" in §1 Abs3 Z2 idF vor BGBl. 580/1980 als gleichheitswidrig

Spruch

Im §1 Abs3 Z2 des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes, BGBl. 324/1977, in der Fassung vor der Novelle BGBl. 580/1980, werden die Worte "auf Abfertigung oder" als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim VfGH sind zu B601/78 und B606/78 Beschwerden gegen Bescheide des Landesarbeitsamtes Wien anhängig, mit welchen Anträge auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld nach dem Insolvenz-EntgeltsicherungsG (IESG) für Ansprüche auf Abfertigung abgewiesen werden, weil die gesetzliche Abfertigung (§23 AngG) erst nach dreijähriger Dauer des Dienstverhältnisses gebührt, die Antragsteller aber erst seit 1974 Angestellte des 1976 in Konkurs gefallenen Unternehmens gewesen waren.

Die Beschwerden rügen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, allenfalls die Verletzung von Rechten durch Anwendung einer verfassungswidrigen Norm. Die Beschwerdeführer hätten beim Eintritt in das Unternehmen mit dem Arbeitgeber die Anrechnung von Vordienstzeiten vereinbart, sodaß ihnen Abfertigungsansprüche zustünden. §1 Abs3 Z2 IESG dürfe nicht so verstanden werden, daß er Ansprüche auf einzelvertraglicher Grundlage ausschließe, weil ein solcher Ausschluß angesichts der unbeschränkten Sicherung anderer vertraglicher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis unsachlich und daher wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig wäre.

Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der VfGH von Amts wegen die Prüfung der auf die Abfertigung bezugnehmenden Worte in §1 Abs3 Z2 IESG in der Stammfassung beschlossen (G57/80).

Beim VwGH sind gleichfalls zwei Beschwerden gegen Bescheide des Landesarbeitsamtes Wien anhängig, mit denen Insolvenz-Ausfallgeld für Abfertigungsansprüche versagt wird, weil sich diese Ansprüche nur aus einzelvertraglicher Vordienstzeitenanrechnung ergeben. Der VwGH beantragt (unter A22/80 und A23/80) die Aufhebung der auch vom VfGH in Prüfung gezogenen Worte in §1 Abs3 Z2 IESG (G1/81, G2/81).

II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.

Der Instanzenzug in den Anlaßbeschwerdefällen ist erschöpft (§10 IESG). Der VfGH hat die in Prüfung gezogene Bestimmung bei Beurteilung der Beschwerden anzuwenden. Es ist auch nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der antragstellende VwGH den in Prüfung stehenden Teil des §1 Abs3 Z2 IESG in den bei ihm anhängigen Rechtssachen anzuwenden hätte.

III. Die Bedenken des VfGH und die Anträge des VwGH sind auch begründet.

1. Durch Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld gesichert sind nach §1 Abs2 IESG grundsätzlich alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Zwar werden die gesicherten Ansprüche im einzelnen aufgezählt, doch schließt die Z3 ("sonstige Ansprüche gegen den Arbeitgeber") alle denkbaren Arten mit ein. §1 Abs3 IESG enthält die Ausnahmen:

"Ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld besteht nicht (ausgeschlossener Anspruch),

1. wenn die Ansprüche nach §1 Abs2 durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurden;

2. wenn es sich um einen Anspruch auf Abfertigung oder auf Ruhegenuß handelt, soweit er über den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zustehenden Anspruch hinausgeht."

2. Der VfGH ist in dem das Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschluß vorläufig davon ausgegangen, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld für den Abfertigungsanspruch (wie für einen Anspruch auf Ruhegenuß) aufgrund eines Einzeldienstvertrages ausschließt, weil nicht erkennbar ist, welchen Sinn die ausdrückliche Aufzählung der zur Grundlage eines Anspruchs dienenden Rechtsquellentypen sonst haben sollte, daß aber die übrigen - gesicherten - Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis weitgehend auf einzelvertraglicher Grundlage beruhen.

Seine Bedenken gegen diese Unterscheidung hat er wie folgt dargelegt:

"Eine Begründung ist den Gesetzesmaterialien - soweit ersichtlich - nicht zu entnehmen. In den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage (464 BlgNR 14. GP) heißt es zu Abs3 nur, es solle vermieden werden, daß vor der Insolvenz noch Entgeltansprüche, gleichsam zu Lasten des Insolvenz-Ausgleichsfonds, vereinbart werden (S 8). Dieser Zweck wird durch die Z1 erreicht. Besondere Gründe im Hinblick auf die Abfertigung werden nicht genannt. Nach Ansicht des VfGH könnte aber die Rechtfertigung einer abweichenden Behandlung der Abfertigung (und des Ruhegeldes) bei Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld schon darin liegen, daß es Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind, daß es sich außerdem um vergleichsweise hohe Summen handeln kann und daß die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers bei Auflösung des Unternehmens die Pflicht zur Gewährung solcher Ansprüche ganz oder teilweise aufheben kann (§23 Abs2 AngG) bzw. der Anspruch regelmäßig überhaupt entfällt, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt (§23 Abs7 AngG). Diese Eigenart kann dazu führen, daß solche Ansprüche leichter in überhöhtem Maße vereinbart werden, und bewirkt jedenfalls, daß sie gerade (erst) im Insolvenzfall von besonderem Gewicht sind. Gleichzeitig dient die Abfertigung nicht in jedem Fall dem laufenden Unterhalt des Arbeitnehmers und bedarf daher einer Sicherung gegen Insolvenz des Arbeitgebers weniger dringend. Aus diesen Gründen hat der VfGH gegen eine besondere Behandlung der Abfertigung an sich keine Bedenken.

Gleichwohl kann der Gerichtshof vorläufig keine Rechtfertigung dafür finden, daß die Sicherung von Abfertigungsansprüchen auf vertraglicher Grundlage schlechthin ausgeschlossen sein soll. Denn die gesetzliche Regelung auf dem Gebiet des Arbeitsvertragsrechtes ist auf einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgerichtet, derart, daß die Möglichkeit ihrer Ergänzung durch Vereinbarungen wesentlich ist. Bestand und Höhe des gesetzlichen Anspruches auf Abfertigung (der höchstens das Zwölffache des monatlichen Entgeltes betragen kann) hängen nämlich von der Dauer des Arbeitsverhältnisses bei ein und demselben Arbeitgeber ab (§23 Abs1 AngG). Sofern enthält diese Entgeltform Elemente einer Treueprämie. Wechselt also ein Arbeitnehmer den Arbeitsplatz, indem er das Arbeitsverhältnis kündigt (und damit den Abfertigungsanspruch gegen den bisherigen Arbeitgeber verwirkt), so erwirbt er Ansprüche gegen den neuen Arbeitgeber kraft Gesetzes erst wieder nach Maßgabe der Dauer des neuen Arbeitsverhältnisses, sodaß bei entsprechendem Interesse des neuen Arbeitgebers an seiner Arbeitskraft zum Ausgleich die Anrechnung der im alten Arbeitsverhältnis verbrachten Zeiten vereinbart werden wird. Eine solche Vereinbarung ist vielfach der angemessene Preis, den der neue Arbeitgeber zahlen muß, um den Arbeitnehmer für sein Unternehmen zu gewinnen.

Die Berücksichtigung solcher Interessenlagen kann das Arbeitsvertragsrecht der Vereinbarung der Parteien überlassen. Die in Prüfung gezogene Regelung verbietet dagegen die Beachtung solcher Vereinbarungen im Insolvenzfall ausnahmslos und macht damit die Abhängigkeit von der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Arbeitgeber zu einer wesentlichen Voraussetzung des Sicherungsanspruches. Solange eine 'Vordienstzeitenanrechnung' indessen nur dazu führt, daß der Arbeitnehmer für den Verlust des gesetzlichen Abfertigungsanspruches bei früheren Arbeitgebern entschädigt wird - und dieser Fall scheint nicht selten aufzutreten -, kann der VfGH nichts sehen, was die Nichtberücksichtigung der Abfertigung unter dem Gesichtspunkt der Sicherung vor Insolvenz des Arbeitgebers rechtfertigen könnte. Es scheint insbesondere, daß die Gefahr der Vereinbarung überhöhter Abfertigungsansprüche in solchen Fällen nicht besteht, weil das Gesamtausmaß der möglichen gesetzlichen Ansprüche mit dieser Vereinbarung nicht überschritten werden kann. Außerdem scheint kein sachlich bedeutsamer Unterschied zwischen einer im Betrieb generell geübten Abfertigungspraxis (die etwa mit dem Betriebsrat abgesprochen, aber nicht in einer förmlichen Betriebsvereinbarung vereinbart wurde) und einer Regelung durch Betriebsvereinbarung zu bestehen. Der VfGH hat daher das Bedenken, daß die ausschließliche Übernahme der gesetzlichen oder kollektiv-rechtlichen Regelung für Arbeitsverhältnisse als Grundlage gesicherter Ansprüche wegen des Wegfalles der nötigen, im Arbeitsverhältnis möglichen Korrekturen eine unter dem Gesichtspunkt der öffentlich-rechtlichen Entgeltsicherung unsachliche Differenzierung bewirkt und damit gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsatz verstößt."

Der VwGH hat sich den Bedenken des VfGH angeschlossen.

3. Die Bedenken des VfGH konnten im Verfahren nicht zerstreut werden.

a) Soweit die Bundesregierung in ihrer Äußerung dem Einleitungsbeschluß unterstellt, der Gerichtshof halte §1 Abs3 Z1 IESG zur Verhinderung der Vereinbarung von Ansprüchen zu Lasten des Insolvenzausgleichsfonds für ausreichend, mißversteht sie die Stoßrichtung des Hinweises auf Z1: Die allgemeine Erwägung der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage stützt zwar den Ausschluß anfechtbar erworbener Ansprüche (und würde vielleicht auch andere allgemeine Beschränkungen des Entgeltschutzes decken), rechtfertigt aber für sich allein die besondere Behandlung der Abfertigung noch nicht. Daß es Gründe für eine Sonderbehandlung gibt und welcher Art sie sind, hat der Gerichtshof ohnedies selbst näher dargelegt. Die Bundesregierung vermag seinen Überlegungen in diesem Punkt offenbar nichts hinzuzufügen. Obwohl der Gerichtshof lediglich Bedenken wegen des unterschiedslosen Ausschlusses jeglicher einzelvertraglich vereinbarten Abfertigung geäußert und nur die Berücksichtigung gewisser Fälle der Vordienstzeitenanrechnung vermißt hat, hält sie dem Einleitungsbeschluß folgendes entgegen:

"1. Bei einem auf Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruhenden Abfertigungsanspruch sind die hiefür maßgeblichen Motive nicht erkennbar und nicht beweisbar. Die Vereinbarung kann auf der Absicht des Arbeitgebers beruhen, dem Arbeitnehmer einen Anreiz zu bieten, sein bisheriges Arbeitsverhältnis zu lösen und zum neuen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zu treten, sie kann aber auch auf der Absicht beruhen, dem Arbeitnehmer auf Kosten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Letzteres wird dadurch besonders begünstigt, daß der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds auf künftiges Vermögen, das der Arbeitgeber nach dem Ende des Konkurses erworben hat, nicht greifen kann (§11 Abs3 IESG), der Arbeitgeber sohin keinerlei Verpflichtung eingeht.

2. Eine 'Vordienstzeitenanrechnung' würde dazu führen, daß Insolvenz-Ausfallgeld auch für eine frühere Beschäftigungszeit gezahlt wird, obwohl der vorherige Arbeitgeber eine Abfertigung gewährt hat. Dies hätte zur Folge, daß der Arbeitnehmer für den gleichen Zeitraum zweimal Abfertigung erhält.

3. Eine 'Vordienstzeitenanrechnung' würde weiters zur Folge haben, daß ein Arbeitnehmer, der z.B. bei zwei insolvent gewordenen Betrieben beschäftigt war, für den gleichen Abfertigungszeitraum zweimal Insolvenz-Ausfallgeld gezahlt erhält.

4. Den Bedenken des VfGH, daß die Gefahr der Vereinbarung überhöhter Abfertigungsansprüche in solchen Fällen nicht besteht, weil das Gesamtausmaß der möglichen gesetzlichen Ansprüche mit dieser Vereinbarung nicht überschritten werden kann, vermag die Bundesregierung nicht beizupflichten. Die Praxis hat gezeigt, daß Vereinbarungen getroffen wurden, nach denen z.B. die gesetzlichen Ansprüche verdoppelt wurden. Dieser Vorgangsweise stehen gesetzliche Bestimmungen nicht entgegen."

b) Der VfGH geht indessen davon aus, daß das Sicherungsbedürfnis des Arbeitnehmers für Abfertigungsansprüche, die sich aus der Vereinbarung über die Anrechnung von Dienstzeiten ergeben, die in anderen Dienstverhältnissen zugebracht wurden, jedenfalls dann seinem Sicherungsbedürfnis für gesetzliche Abfertigungsansprüche gleichkommt, wenn die vereinbarte Anrechnung den Verlust von gesetzlichen Abfertigungsanwartschaften infolge des Arbeitsplatzwechsels ausgleichen soll. Ist der Arbeitgeber zu einer solchen Anrechnung bereit (weil er die Arbeitskraft ungeachtet kürzerer Betriebszugehörigkeit entsprechend hoch einschätzt), so besteht aus der Sicht des Zweckes der öffentlich-rechtlichen Sicherung privatrechtlich vereinbarter Entgelte kein Anlaß, gerade diesem Anspruch des Arbeitnehmers den Schutz zu versagen. Wer im vorgerückten Alter den Arbeitsplatz nur unter der Voraussetzung wechselt, daß die bereits erdiente Zeit für Zwecke der Abfertigung beim neuen Arbeitgeber erhalten bleibt, steht interessenmäßig einem die gesetzliche Abfertigung beanspruchenden Arbeitnehmer dieses Alters völlig gleich. Daß er ohne Vereinbarung nur nach Maßgabe der beim letzten Arbeitgeber zugebrachten Dienstzeit abgefertigt würde, ist nämlich bedeutungslos, sobald eine solche Vereinbarung vorliegt. Nur in der Beziehung Arbeitgeber - Arbeitnehmer stellt die Abfertigung eine Treueprämie dar. Legt der Arbeitgeber selbst darauf keinen Wert, so darf auch bei der Regelung der öffentlichrechtlichen Entgeltsicherung daran nicht angeknüpft werden.

Dieser Prämisse des Einleitungsbeschlusses tritt im übrigen auch die Bundesregierung nicht entgegen.

Der unterschiedslose Ausschluß aller einzelvertraglich begründeten Abfertigungsansprüche könnte daher nur gerechtfertigt werden, wenn die Fälle einer Anrechnung, die bloß den Verlust von (gesetzlichen) Abfertigungsanwartschaften bei früheren Arbeitgebern ausgleichen und dem Arbeitnehmer jene Abfertigung sichern, die der Dauer seiner Berufstätigkeit entspricht, als bloße Härtefälle einer im übrigen sachlich gerechtfertigten Sonderbehandlung der Abfertigung außer Betracht bleiben könnten. Eben das ist aber nach Meinung des VfGH nicht möglich:

Ein Wechsel des Arbeitsplatzes, bei dem (wegen Kündigung des alten Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer) die bisher erworbene Anwartschaft auf Abfertigung verlorengeht und der neue Arbeitgeber die bisherige Dienstzeit anrechnet, um diesen Verlust wettzumachen, ist zumal in Zeiten einer günstigen Wirtschaftslage keineswegs selten. Andererseits sind die Folgen der Anknüpfung an die gesetzlichen Ansprüche äußerst einschneidend, weil es regelmäßig um ein Vielfaches des gebührenden Monatsbezuges, nach fünfundzwanzig Dienstjahren sogar um ein Jahreseinkommen geht, dessen Einbringlichkeit der Insolvenzfall in Frage stellt. Eine Regelung, die solche berechtigte Fälle der Vordienstzeitenanrechnung berücksichtigt, läßt sich schließlich auch unschwer handhaben. Die Feststellung von früheren Dienstzeiten ist ja meist schon aus anderen Gründen (wie zB zur Berechnung des Ausmaßes des Urlaubsanspruches, §17 AngG) nötig. Außerdem kann der Nachweis des Verlustes früherer Abfertigungsansprüche dem Arbeitnehmer aufgebürdet und an bestimmte Formen (für die Zukunft zB an die bei Beendigung des früheren Dienstverhältnisses zu erwirkende schriftliche Erklärung des früheren Arbeitgebers) gebunden werden.

Entgegen der Vorstellung der Bundesregierung geht es also bei der vom Gerichtshof vermißten Bedachtnahme auf frühere Dienstzeiten weder um die Ermittlung der Motive der Abfertigungsvereinbarung, noch wäre bei einer solchen Lösung eine mehrfache Abfertigung für ein und denselben Zeitraum zu befürchten, und auch das Maß der zu sichernden Abfertigung würde niemals das im Gesetz für eine bestimmte Dauer der Berufstätigkeit vorgesehene höchste Vielfache des vereinbarten Monatsbezuges überschreiten können, welcher seinerseits der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes nach der gegenwärtigen Regelung uneingeschränkt zugrunde zu legen ist.

Unter diesen Umständen sieht der VfGH seine Bedenken gegen die pauschale Behandlung der Abfertigung bestätigt. Gewiß kann der Gesetzgeber die von der Bundesregierung ins Treffen geführten Ziele verfolgen. Die Regelung darf aber nicht darüber hinausschießen. Die an sich zulässige Sonderbehandlung dieser Entgeltform muß daher - um dem Gleichheitssatz zu genügen - auf jene Abfertigungsvereinbarungen Rücksicht nehmen, die nur den Verlust der Abfertigung oder einer Anwartschaft aus früheren Arbeitsverhältnissen ausgleichen. Eine schematische Anknüpfung an die zugunsten des Arbeitnehmers dispositive Regelung des Arbeitsvertragsrechtes unter Ausschaltung der Möglichkeit der Anpassung an das besondere Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer behandelt Ungleiches zu Unrecht gleich und Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung ungleich.

Diese Verfassungswidrigkeit hat ihren Sitz in den in Prüfung stehenden Worten.

IV. Während des Gesetzesprüfungsverfahrens ist am 1. Jänner 1981 eine Novelle zum IESG, BGBl. 580/1980, in Kraft getreten, in deren Fassung §1 Abs3 Z2 des Gesetzes die in Prüfung stehende Ausnahme der Abfertigung nicht mehr enthält. An ihre Stelle tritt die allgemeine Ausnahme von Ansprüchen aufgrund von Einzelvereinbarungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder aus den letzten 90 Tagen vor Eröffnung des Verfahrens, soweit die Ansprüche über den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zustehenden Anspruch hinausgehen. Nach ArtII der Novelle ist die geänderte Fassung jedoch auf Insolvenzfälle, die sich vor deren Inkrafttreten ereignet haben, nicht anzuwenden. Für solche Fälle - und dies sind alle Anlaßfälle - bleibt daher die bisherige Fassung in Geltung, weshalb die in Prüfung gezogenen Worte auch noch geltendes Recht sind. Der VfGH ist daher zu ihrer Aufhebung verpflichtet und kann sich nicht mit der Feststellung (iS des Art140 Abs4 B-VG) begnügen, daß sie verfassungswidrig waren.

Da sich die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung aber schon aus den allgemeinen Bedenken des Gerichtshofes ergibt und eine neue Regelung bereits erlassen wurde, erübrigt sich eine nähere Erörterung der Frage, ob auch die zusätzlichen - von der Bundesregierung keiner Erwiderung gewürdigten - besonderen Bedenken gegen die Unterscheidung zwischen förmlichen Betriebsvereinbarungen auf dem Gebiet der Abfertigung und einer generellen betrieblichen Abfertigungspraxis ungeachtet des Umstandes durchschlagen würden, daß Betriebsvereinbarungen ohne Ermächtigung durch Kollektivvertrag nur in den durch Gesetz bestimmten Fällen (zB hinsichtlich Pensions- und Ruhegeldleistungen: §97 Abs1 Z18 ArbVG) zulässig sind (§29 ArbVG).

Der Ausspruch, daß frühere Vorschriften nicht wieder wirksam werden, stützt sich auf Art140 Abs6, der Ausspruch über die Kundmachung auf Art140 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Arbeitsrecht, Abfertigung (Arbeitsrecht), Insolvenz-Ausfallsgeld, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G57.1980

Dokumentnummer

JFT_10189684_80G00057_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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