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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Satzung der Agrargemeinschaft Tulfes; Einspruchsrecht gegen Ausschußbeschlüsse während der tatsächlichen Dauer des Anschlages; Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
1. Der Bescheid wird aufgehoben.
2. Das Verfahren über die Anfechtung der Satzung der Agrargemeinschaft Tulfes wird eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Die Agrargemeinschaft Tulfes ist eine Körperschaft öffentlichen Rechtes iS des §33 des Tir. Flurverfassungslandesgesetzes (TFLG). Mit Bescheid des Amtes der Tir. Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz vom 17. August 1970 wurde für die Agrargemeinschaft Tulfes gemäß §35 TFLG eine Satzung erlassen. Nach §1 dieser Satzung sind die jeweiligen Eigentümer der Stammsitzliegenschaften sowie die Gemeinde Tulfes Mitglieder der Agrargemeinschaft. In §11 der Satzung ist ua. das Einspruchsrecht der Mitglieder an die Agrarbehörde gegen Beschlüsse des Ausschusses der Agrargemeinschaft geregelt.
2. Am 14. September 1977 faßte der Ausschuß der Agrargemeinschaft Tulfes folgenden Beschluß:
"Der Alpenverein hat um Bewilligung zur Verlegung zweier Leitungen (Strom und Wasser) von unterhalb des Glungezergipfels bis zur Glungezer-Hütte angesucht. Der Alpenverein erhält vom Bundesheer die Möglichkeit des Stromanschlusses. Der Ausschuß beschließt einstimmig, dem Ansuchen unter folgenden Bedingungen stattzugeben:
a) Der Alpenverein zahlt an die Agrargemeinschaft Tulfes einen einmaligen Betrag von S 1.000,-,
b) das Gelände ist in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen,
c) die Vertragskosten und alle sonstigen Kosten gehen zu Lasten des Alpenvereines."
Der Beschluß wurde ab 21. September 1977 durch Anschlag kundgemacht; der Anschlag dauerte jedenfalls bis zum 29. September 1977.
An diesem Tag brachte der Beschwerdeführer, der Miteigentümer einer Stammsitzliegenschaft ist, beim Amt der Tir. Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz einen schriftlichen Einspruch gegen den Beschluß ein.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landesagrarsenates vom 24. Mai 1978 wurde der den Einspruch als verspätet zurückweisende Bescheid der Agrarbehörde I. Instanz vom 28. November 1977 bestätigt. In der Begründung wird ausgeführt, daß nach §11 der Satzung der Agrargemeinschaft Tulfes die Einspruchsfrist gegen Beschlüsse des Ausschusses der Agrargemeinschaft eine Woche ab Beginn der Kundmachung durch Anschlag betrage. Da die Kundmachung am 21. September 1977 angeschlagen worden sei, sei die Einspruchsfrist am 29. September 1977 bereits abgelaufen gewesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet, die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird. Außerdem wird unter Bezugnahme auf Art139 B-VG ein Antrag auf Aufhebung der Satzung der Agrargemeinschaft Tulfes gestellt.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Zurückweisung bzw. Abweisung der Beschwerde und die Zurückweisung des Antrages auf Aufhebung der Satzung beantragt wird.
II. Mit Schriftsatz vom 16. August 1978 hat der Einschreiter den Antrag auf Aufhebung der Satzung der Agrargemeinschaft zurückgezogen.
Das Verfahren über die Anfechtung der Satzung der Agrargemeinschaft Tulfes war daher einzustellen.
III. Über die Beschwerde hat der VfGH erwogen:
1. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt und damit eine Sachentscheidung verweigert (VfSlg. 7457/1974).
b) Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ein Bescheid der Agrarbehörde
I. Instanz bestätigt, mit dem ein Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Beschluß des Ausschusses der Agrargemeinschaft Tulfes unter Hinweis auf §11 der Satzung als verspätet zurückgewiesen worden war.
§11 der Satzung lautet:
"(1) Ausschußbeschlüsse sind binnen einer Woche nach Beschlußfassung durch öffentlichen Anschlag während einer Woche kundzumachen.
(2) Gegen Ausschußbeschlüsse können die Mitglieder der Agrargemeinschaft während der Dauer des Anschlages an die Agrarbehörde schriftlich Einspruch erheben."
Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß die Worte "Dauer des Anschlages" in Abs2 die Einspruchsfrist in einer solchen Weise umschreiben, daß sie sich mit der nach Abs1 erforderlichen Kundmachungsfrist deckt. Die Einspruchsfrist sei somit von der tatsächlichen Dauer des Anschlages nicht abhängig.
c) Mit dieser Auffassung ist die belangte Behörde nicht im Recht.
§11 Abs1 der Satzung legt fest, daß Ausschußbeschlüsse binnen einer Woche nach Beschlußfassung durch öffentlichen Anschlag während einer Woche kundzumachen sind. Nach dem Wortlaut des Abs2 können die Mitglieder der Agrargemeinschaft gegen Ausschußbeschlüsse während der Dauer des Anschlages an die Agrarbehörde schriftlich Einspruch erheben. Daraus abzuleiten, daß die Einspruchsfrist mit der vorgeschriebenen Kundmachungsdauer endet, ist durch den Wortlaut des Abs2 nicht gedeckt. Diese Bestimmung bewirkt vielmehr nach ihrem klaren Wortlaut, daß die Dauer der Einspruchsfrist von der tatsächlichen Dauer des Anschlages abhängig ist. Der VfGH vermag auch keinen Grund dafür zu finden, daß ein Einspruch zu einem Zeitpunkt ausgeschlossen sein sollte, in dem der Beschluß noch angeschlagen, die vorgeschriebene Kundmachungsdauer jedoch schon abgelaufen ist.
Der VfGH hatte im gegenständlichen Verfahren weder die rechtspolitische Zweckmäßigkeit des §11 der Satzung zu beurteilen noch die Dauer der Einspruchsfrist im Falle einer (rechtswidrigen) Nichtkundmachung oder einer (rechtswidrigen) vorzeitigen Beendigung des Anschlages zu prüfen.
Im vorliegenden Fall wurde der Einspruch des Beschwerdeführers nach dem unbestrittenen Sachverhalt innerhalb der tatsächlichen Dauer des Anschlages und somit innerhalb der Einspruchsfrist bei der Agrarbehörde eingebracht. Indem die belangte Behörde die diesen Einspruch als verspätet zurückweisende Entscheidung der Agrarbehörde I. Instanz bestätigt hat, hat sie dem Beschwerdeführer eine Sachentscheidung in rechtswidriger Weise verweigert.
d) Die zurückweisende Entscheidung der Agrarbehörde I. Instanz konnte sich aber berechtigterweise auch auf keinen anderen Zurückweisungsgrund stützen. Insbesondere war auch die Tatsache, daß der Beschwerdeführer nicht Alleineigentümer der in Rede stehenden Stammsitzliegenschaft ist, nicht geeignet, einen Zurückweisungsgrund abzugeben. Denn der Beschwerdeführer ist als Miteigentümer einer Stammsitzliegenschaft Mitglied der Agrargemeinschaft Tulfes und war als solcher gemäß §11 Abs2 der Satzung berechtigt, Einspruch gegen den Beschluß des Ausschusses der Agrargemeinschaft zu erheben.
e) Da die Behörde dem Beschwerdeführer somit eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert hat, hat sie ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Schlagworte
Bodenreform, Flurverfassung, Agrargemeinschaft, AuslegungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B422.1978Dokumentnummer
JFT_10189682_78B00422_00