TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/18 A14/76 *)

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Veröffentlicht am 18.03.1981
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9270 Jugendwohlfahrt, Kinderheime

Norm

B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
JWG §1
Oö JWG 1955 §3 Abs2
Oö JWG 1955 §35
Oö SozialhilfeG 1973 §34 Abs1 Z3 lita
ZPO §393

Leitsatz

Oö. Jugendwohlfahrtsgesetz iVm Oö. Sozialhilfegesetz; der Aufwand für die Einrichtung und den Betrieb von Mutterberatungsstellen im Rahmen des Magistrates einer Statutarstadt ist vom Land zu tragen

Spruch

Der Klagsanspruch besteht dem Grunde nach zu Recht.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die klagende Landeshauptstadt Linz begehrt mit der unter Berufung auf Art137 B-VG gegen das Land OÖ erhobenen Klage die Bezahlung eines Betrages von S 5,237.724,89 als Aufwandersatz für den Betrieb von 13 öffentlichen Mutterberatungsstellen in den Jahren 1974 und 1975. Sie begründet ihren Anspruch im wesentlichen damit, daß nach §35 des Oö. Jugendwohlfahrtgesetzes (Oö. JWG) die Kostentragung für eine Mutterberatung grundsätzlich den Trägern der öffentlichen Fürsorge - ds. gemäß §23 Abs1 des Oö. Sozialhilfegesetzes (Oö. SHG) das Land, die Sozialhilfeverbände und die Städte mit eigenem Statut - obliege, das Land aber nur dann zur Kostentragung herangezogen werden könne, wenn dies die Vorschriften über die öffentliche Fürsorge ausdrücklich vorsähen. Das Oö. SHG bestimme, daß allgemeine und spezielle Beratungsdienste Angelegenheit des Landes seien (§34 Abs1 Z3 lita); da nach diesem Gesetz den übrigen Sozialhilfeträgern keine Beratungsaufgaben zukämen, sei hiefür das Land OÖ allein zuständig, die Stadt Linz übe diese Aufgabe daher funktionell als Landesorgan aus.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin weiters vortragen lassen, daß gegen §3 Abs2 Oö. JWG verfassungsrechtliche Bedenken wegen eines Verstoßes gegen die grundsatzgesetzliche Vorschrift des §1 JugendwohlfahrtsG (JWG) bestünden sowie daß sich der Klagsanspruch im Hinblick auf die sprachliche Fassung des §35 Oö. JWG allenfalls auch unmittelbar aus dieser Bestimmung ableiten lasse.

2. Das Land OÖ hat eine Gegenschrift erstattet, in der das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach bestritten und dessen Abweisung begehrt wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Es ist nicht zweifelhaft, daß der gegen die beklagte Gebietskörperschaft geltend gemachte vermögensrechtliche Anspruch seine Rechtsgrundlage im öffentlichen Recht hat sowie daß keine gesetzliche Regelung besteht, derzufolge eine Streitigkeit über einen derartigen Anspruch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen wäre. Die Zuständigkeit des VfGH gemäß Art137 B-VG ist daher gegeben, und es ist die Klage, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

2. Das Klagebegehren ist dem Grunde nach berechtigt.

a) §2 Oö. JWG bestimmt in seinem Abs1, daß zur Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an Schwangeren, Wöchnerinnen, Säuglingen und Kleinkindern bis zur Erreichung des schulpflichtigen Alters eine besondere Fürsorge gewährt wird; diese Fürsorge umfaßt insbesondere Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und zur Gesunderhaltung des Kindes erforderlich sind und soll einer Gefährdung des Kindes wirksam vorbeugen. Abs2 dieses Paragraphen nennt als Maßnahme zur Erreichung dieses Zweckes in der lita ua. die Einrichtung und den Betrieb von Mutterberatungsstellen. Der mit "Mutterberatungsstellen" überschriebene §3 leg. cit. lautet in seinen (hier in Betracht zu ziehenden) Abs1 bis 3 wie folgt:

"(1) Öffentliche Mutterberatungsstellen dienen der Beratung von Schwangeren und von Müttern von Säuglingen und Kleinkindern; sie sind nach Bedarf als ortsfeste oder ambulante Einrichtungen zu betreiben. Standort und Anlage der Mutterberatungsstellen sind so zu wählen, daß sie mit Säuglingen und Kleinkindern ohne wesentliche Schwierigkeit besucht werden können.

(2) Die öffentlichen Mutterberatungsstellen sind im Rahmen der Bezirksverwaltungsbehörden einzurichten und zu betreiben.

(3) Die Inanspruchnahme öffentlicher Mutterberatungsstellen ist unentgeltlich."

§21 des (am 1. Jänner 1974 in Kraft getretenen) Oö. SHG zählt in Abs2 die sozialen Dienste auf, die von den Sozialhilfeträgern (ds. gemäß §23 Abs1 das Land, die Sozialhilfeverbände und die Städte mit eigenem Statut) erbracht werden können, darunter in litd "allgemeine und spezielle Beratungsdienste"; die Gewährung der eben genannten sozialen Dienste ist gemäß §34 Abs1 Z3 lita Aufgabe des Landes als Sozialhilfeträger.

Die Klägerin zieht aus dieser - hinsichtlich des §3 Abs2 Oö. JWG als verfassungswidrig kritisierten - Gesetzeslage den Schluß, daß sie die Mutterberatungsstellen "funktionell als Landesorgan" betreibe, und will damit anscheinend zum Ausdruck bringen, daß sie eine von Gesetzes wegen dem Land als Sozialhilfeträger zukommende Aufgabe erfülle.

b) §1 JWG verpflichtet die Landesgesetzgebung (insbesondere) zu bestimmen, daß die Landesregierung für die kostenlose Bereitstellung von Einrichtungen zur Beratung der Schwangeren und Mütter von Säuglingen und Kleinkindern (Mutterberatungsstellen) vorzusorgen hat. Nach Ansicht der klagenden Partei ist es mit dieser Anordnung nicht vereinbar, daß §3 Abs2 Oö. JWG die Einrichtung und den Betrieb der öffentlichen Mutterberatungsstellen im Rahmen der Bezirksverwaltungsbehörden vorsieht.

Der VfGH kann sich dieser Auffassung jedoch nicht anschließen und sieht daher keine Veranlassung zur amtswegigen Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens. Er verweist auf sein - auch von der Klägerin ins Treffen geführtes - Erk. VfSlg. 3744/1960, in dem bereits dargelegt wurde, daß die Verwendung des Zeitwortes "vorzusorgen" nicht etwa mit "gewähren" gleichgesetzt werden darf, §1 JWG vielmehr nur so verstanden werden kann, daß die Landesregierung durch die Landesgesetzgebung zu verpflichten ist, für eine Gewährung der Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge vorzusorgen. Diesem Gesetzesbefehl ist der Oö. Landesgesetzgeber in bezug auf die Mutterberatungsstellen durchaus nachgekommen, wenn er die Bezirksverwaltungsbehörden mit deren Einrichtung und Betrieb betraut, die Landesregierung aber im §36 Abs3 zur fachlichen Beaufsichtigung der Bezirksverwaltungsbehörden bei der Erfüllung (auch) dieser ihnen obliegenden Aufgabe beruft und sie überdies verpflichtet, die fachlich richtige Erfüllung (auch) dieser Aufgabe erforderlichenfalls durch Weisung sicherzustellen.

Im übrigen ist auf die mit 1. Jänner 1975 durch die BVG-Novelle 1974, BGBl. 444, geänderte Verfassungsrechtslage hinzuweisen, gemäß der die Zuständigkeit des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung bezüglich der Organisation der Verwaltung in den Ländern weggefallen ist; gegen den als Organisationsvorschrift zu wertenden §3 Abs2 Oö. JWG können somit seit diesem Zeitpunkt verfassungsrechtliche Bedenken in der hier relevierten Richtung überhaupt nicht mehr erhoben werden.

c) Die erwähnte Ansicht, daß eine Statutarstadt in Ansehung der Mutterberatungsstellen eine von Gesetzes wegen dem Land als Sozialhilfeträger zukommende Aufgabe erfülle, trifft nicht zu.

Es ist festzuhalten, daß die Klägerin die Vorschrift des §71 Abs5 Oö. SHG übergeht, wonach durch dieses Gesetz (ua.) das Oö. JWG nicht berührt wird. Wegen dieser Anordnung ist es vom Ansatz her verfehlt, eine Antwort auf die Frage, welchem Sozialhilfeträger die in Rede stehende Aufgabe zuzuordnen ist, primär in Bestimmungen des Oö. SHG zu suchen; insbesondere verbietet sich von vornherein auch die Annahme, daß diese im Oö. JWG näher geregelte Aufgabe im Oö. SHG ohne namentliche Nennung in der Wendung "allgemeine und spezielle Beratungsdienste" (in den §§21 Abs2 litd und 34 Abs1 Z3 lita) inbegriffen sei. Bei der Beantwortung der Frage nach der Kostenbelastung ist vielmehr von den Bestimmungen des Oö. JWG auszugehen, und es kommen Vorschriften des Oö. SHG im gegebenen Zusammenhang nur insoweit in Betracht, als jenes Gesetz (wie etwa in seinem sogleich zu erörternden §35) zumindest der Sache nach auf (allgemein) fürsorgerechtliche Vorschriften verweist.

d) Nach §35 Oö. JWG tragen (abgesehen vom hier nicht zutreffenden Fall, daß in diesem Gesetz anderes bestimmt ist) den daraus entstehenden Aufwand die Träger der öffentlichen Fürsorge, das Land jedoch nur dann, wenn es ihn auch nach den Vorschriften über die öffentliche Fürsorge zu tragen hätte. Wenn die klagende Partei unterstreicht, daß sich der. Gesetzgeber in dieser Vorschrift der Möglichkeitsform bediente, so liefert sie damit einen wesentlichen Hinweis für die Auslegung dieser Gesetzesstelle. Der Gebrauch des Konjunktivs bringt eine Fiktion des Gesetzgebers zum Ausdruck,nämlich die, daß die zu betrachtende Angelegenheit fiktiv als eine solche (allgemein) fürsorgerechtlicher Art zu werten und die Kostentragungsfrage auf dem Boden dieser fiktiven Zuordnung zu beantworten ist. Geht man von diesem Verständnis der bezogenen Vorschrift aus und betrachtet die der Materie "Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge" zuzurechnende Einrichtung und den Betrieb von Mutterberatungsstellen als eine Angelegenheit der öffentlichen Fürsorge, so wäre sie als Beratungsdienst iS des §34 Abs1 Z3 lita Oö. SHG Aufgabe des Landes als Sozialhilfeträger, die nach den allgemeinen Grundsätzen für die Kostentragung nach §39 leg. cit. (- eine spezielle Regelung greift hier nicht Platz -) vom Land als hilfeleistender Sozialhilfeträger zu bestreiten wäre.

Zusammenfassend folgt aus diesen Erwägungen, daß der Aufwand für die Einrichtung und den Betrieb von Mutterberatungsstellen im Rahmen des Magistrats einer Statutarstadt vom Land zu tragen ist, die Klägerin also Anspruch auf Ersatz der von ihr geleisteten Aufwendungen gegen die beklagte Partei hat.

2. Da der Stand des Verfahrens eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs nicht zuläßt, war mit Zwischenerkenntnis auszusprechen, daß der Klagsanspruch der Landeshauptstadt Linz dem Grunde nach zu Recht besteht (§393 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG).

Die Parteien werden zur Frage der Höhe des Anspruchs Schriftsätze mit den zur Beurteilung dieser Frage nötigen Unterlagen einzubringen haben.

*) Dieses Erkenntnis war vor seiner Ausfertigung aus einem Kanzleiversehen unter dem Datum 4. März 1981 registriert. Die dem Datum entsprechende obige Sammlungsnummer wurde vom Herausgeber reserviert. Als die Ausfertigung des Erkenntnisses vorlag, war aus drucktechnischen Gründen eine Berücksichtigung des richtigen Datums und Einordnung unter späterer Sammlungsnummer nicht mehr möglich.

Schlagworte

VfGH / Klagen, Auslegung, Jugendfürsorge, Sozialhilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:A14.1976

Dokumentnummer

JFT_10189682_76A00014_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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