TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/20 B568/80

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Veröffentlicht am 20.03.1981
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8230 Abwasser, Kanalisation

Norm

B-VG Art83 Abs2
Innsbrucker SchwemmkanalisationsG idF BGBl 1971/20 §3
Innsbrucker SchwemmkanalisationsG idF BGBl 1971/20 §5
Innsbrucker SchwemmkanalisationsG idF BGBl 1971/20 §7
Innsbrucker SchwemmkanalisationsG idF BGBl 1971/20 §17
Innsbrucker SchwemmkanalisationsG idF BGBl 1971/20 §18, §18 lita
Innsbrucker SchwemmkanalisationsG idF BGBl 1971/20 §19

Leitsatz

Schwemmkanalisationsgesetz betr. das Gebiet der Landeshauptstadt Innsbruck, LGuVBl. 18/1905 idF 13/1977; baubehördliche Bewilligung zur Ausführung einer Entwässerungsanlage; keine Parteistellung der beschwerdeführenden Anrainer; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid vom 3. Oktober 1978 erteilte der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck der Eigentümerin des Wohnhauses auf der Liegenschaft Innsbruck, O-straße 9, Frau E.J., gemäß §1 des Gesetzes vom 11. April 1905, betreffend die Einführung der Schwemmkanalisation im Gebiete der Landeshauptstadt Innsbruck, LGuVBl. 18 idF LGBl. 13/1977 (künftig: Schwemmkanalisationsgesetz), den Auftrag, binnen 3 Jahren ihr Anwesen an den Straßenkanal anzuschließen sowie binnen 2 Monaten gemäß §5 leg. cit. ein Ansuchen um Genehmigung einer Entwässerungsanlage einzubringen. In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, es bestünden zwei Möglichkeiten zu einem ordnungsgemäßen Kanalanschluß, nämlich

a) die Ableitung der Schmutzwässer mittels Hebeanlage in den städtischen Kanal in der O-straße, wobei die reinen Niederschlagswässer weiterhin in den Ramsbach abgeleitet werden könnten, oder

b) sämtliche Abwässer in den bereits bestehenden Hauskanal des Objektes O-straße 11 einzumünden.

1.2. Die dagegen von der Eigentümerin der Liegenschaft O-straße 9 erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 19. Dezember 1978 als unbegründet abgewiesen.

1.3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom VwGH mit Erk. vom 14. November 1979, Z 423/79, abgewiesen. Daß bei der Errichtung eines öffentlichen Straßenkanals ein öffentliches Interesse an dem Anschluß der betroffenen bebauten Grundstücke gegeben sei, liege auf der Hand. Eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit - nach objektiven Gesichtspunkten - sei gar nicht behauptet worden. Nach dem Beschwerdevorbringen seien die Gemeindebehörden auch nicht verpflichtet gewesen, zur Frage der Möglichkeit eines ordnungsgemäßen Kanalanschlusses das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, weil in Wahrheit nicht ernsthaft behauptet worden sei, daß ein technisch einwandfreier Kanalanschluß nicht möglich wäre. Ob aber der vorzunehmende Kanalanschluß dem Gesetz entsprechend ausgeführt werde, sei in dem baubehördlichen Bewilligungsverfahren, betreffend das von der Beschwerdeführerin einzureichende Projekt für die Entwässerung, ohnehin eingehend zu erörtern.

2.1. Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 24. Juni 1980, Z VI-3501/12-1980-RR, wurde Frau E.J. über deren Antrag gemäß §5 des Schwemmkanalisationsgesetzes die Bewilligung zur Ausführung einer Entwässerungsanlage nach Maßgabe der einen Bestandteil dieses Bescheides bildenden Pläne erteilt. Der Bescheid enthält ua. unter Punkt 12 der Auflagen die Vorschreibung, daß die Entwässerungsanlage nach Vorliegen der Durchleitungs- und Anschlußrechte, längstens jedoch bis 19. Dezember 1981, projekts- und bescheidgemäß an das öffentliche Kanalnetz anzuschließen ist.

2.2. Die Eigentümer der Liegenschaft O-straße 11, die nunmehrigen Beschwerdeführer, welche diesem Verfahren als Parteien nicht zugezogen waren, erhoben gegen diesen Bescheid Berufung, in der sie vorbrachten, daß die bewilligte Entwässerungsanlage zum Teil auf ihrem Grund liege und nur funktionsfähig sei, wenn ein Anschluß an den auf ihrem Anwesen, O-straße 11, bestehenden Privatkanal zugelassen würde. Es sei nicht geklärt, ob die Funktionsfähigkeit ihres Privatkanals beeinträchtigt oder im Hinblick auf einen beabsichtigten Zubau entscheidend verringert werde. Es sei auch nicht beachtet worden, daß nach den Bestimmungen der §§2 und 3 des Schwemmkanalisationsgesetzes Regen- bzw. Oberflächenwässer zwingend in den Kanal abzuleiten seien, der von ihnen bekämpfte Bescheid sei eine entscheidende rechtliche Voraussetzung für die allfällige Durchführung eines Enteignungsverfahrens iS des §18 leg. cit. Sie stellten daher den Antrag, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

2.3. Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 17. Oktober 1980, Z St. S 63/1980, wurde die Berufung als unzulässig zurückgewiesen.

3.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

3.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt. Auch die Beteiligte E.J. stellte den Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.

4. Der VfGH hat erwogen:

4.1. Die Beschwerdeführer vermeinen, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, da ihnen zu Unrecht die Parteistellung aberkannt worden sei.

4.1.1. Das Schwemmkanalisationsgesetz habe bis zu seiner Novellierung mit Gesetz vom 25. März 1971, LGBl. 20, einen vollkommenen Schutz der Rechte der Eigentümer fremder Grundstücke, die für eine Entwässerungsanlage beansprucht wurden, geboten. Aber auch in der derzeit gültigen Fassung würden Eigentümern fremder Grundstücke, die für eine Entwässerungsanlage beansprucht werden, Rechte eingeräumt. Gemäß §3 des Schwemmkanalisationsgesetzes werde vorgeschrieben, daß grundsätzlich alle Entwässerungsanlagen so herzustellen seien, daß jedes Gebäude für sich unabhängig entwässert werden könne. In objektiv-öffentlich-rechtlicher Hinsicht sei es belanglos, ob jedes Gebäude für sich entwässert werde, in subjektiv-öffentlich-rechtlicher Hinsicht diene diese Vorschrift zum Schutz der Rechte der Eigentümer fremder Grundstücke. Von der genannten Vorschrift könne nur abgegangen werden, wenn die in §17 Schwemmkanalisationsgesetz vorgesehenen Kriterien erfüllt werden. Demnach sei entscheidend, ob

a) eine unabhängige Entwässerung des Objektes O-straße 9 direkt in den Tiefkanal in der O-straße technisch unmöglich oder

b) eine unabhängige, direkte Entwässerung des Objektes O-straße 9 der Eigentümerin dieser Liegenschaft Kosten verursache, die den Vermögensnachteil der Beschwerdeführer im Falle der Einräumung von Zwangsrechten erheblich übersteige.

c) Jedenfalls sei aber die Einräumung von Zwangsrechten nur zulässig, wenn dies das allgemeine Beste erheische.

Nach Ansicht der Beschwerdeführer schütze auch die Bestimmung des §7 des Schwemmkanalisationsgesetzes die Rechte der Eigentümer jener Grundstücke, die von einer fremden Entwässerungsanlage betroffen werden.

4.1.2. Darüber hinaus sei dem angefochtenen Bescheid entgegenzuhalten, daß eine rechtskräftige Baubewilligung gemäß §5 Schwemmkanalisationsgesetz den Beschwerdeführern nicht mehr erlaube, in einem Verfahren über die Einräumung von Zwangsrechten einzuwenden, daß die Inanspruchnahme ihres Grundstückes nicht im öffentlichen Interesse liege und nicht notwendig sei, um einem Gebot des allgemeinen Besten zu entsprechen. In einem Enteignungsverfahren nach §18 Schwemmkanalisationsgesetz sei die Landesregierung nicht nur hinsichtlich der Lage des Kanals, sondern bezüglich aller technischen Maßnahmen, soweit diese im Baubescheid rechtskräftig festgelegt wurden, gebunden. Dies ergebe sich schon aus §18 Schwemmkanalisationsgesetz, wonach die baubehördliche Bewilligung nach §5 leg. cit. als Grundlage im Enteignungsverfahren diene. Die Beschwerdeführer verweisen zur Richtigkeit ihres Vorbringens auf die Erk. des VfGH B318/76 (= VfSlg. 8083/1977) und B172/76 (= VfSlg. 8326/1978).

4.2. Nach der Rechtsprechung des VfGH wird durch die Zurückweisung einer verfahrensrechtlich zulässigen Berufung das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Ein solcher Fall ist insbesondere dann gegeben, wenn die Unzulässigkeit der Berufung zu Unrecht mit dem Mangel der Parteistellung des Berufungswerbers begründet ist (VfSlg. 6216/1970 und die dort zitierte Vorjudikatur).

4.2.1. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer enthält das Schwemmkanalisationsgesetz keine Vorschrift, die ihnen als Anrainer im Bewilligungsverfahren zur Ausführung einer Bewässerungsanlage für das Anwesen O-straße 9 Parteistellung eingeräumt hätte. Insbesondere sind auch weder aus §3 noch aus §7 leg. cit., auf welche Bestimmungen sich die Beschwerdeführer berufen, subjektiv-öffentliche Rechte zu entnehmen, die von den Beschwerdeführern im Baubewilligungsverfahren in Anspruch genommen hätten werden können.

Auch vom Gegenstand der in Frage stehenden Bestimmungen her, nämlich der baubehördlichen Genehmigung von Entwässerungsprojekten, wird in Rechte der Beschwerdeführer nicht eingegriffen; erst die Durchführung eines solchen Projektes könnte dies bewirken; den Beschwerdeführern ist es aber für diesen Fall unbenommen, allfälligen Eingriffen (zB Immissionen) in ihre Rechtssphäre entgegenzutreten.

4.2.2. Unrichtig ist nämlich die Ansicht der Beschwerdeführer, aus §18 Schwemmkanalisationsgesetz ergebe sich, daß von ihnen in einem künftigen Verfahren, betreffend die Einräumung von Zwangsrechten, nicht mehr eingewendet werden könne, die Inanspruchnahme ihrer Liegenschaft sei unzulässig, da mit einem Bescheid nach §5 bereits rechtskräftig ausgesprochen werde, daß die Inanspruchnahme ihrer Liegenschaft im öffentlichen Interesse liege, also dem allgemeinen Besten diene. Anders als in §50 Abs3 Tir. Straßengesetz, LGBl. 1/1951, auf welche Bestimmung sich die Erk. VfSlg. 8083/1977 und 8326/1978 bezogen, ist nämlich nach dem Schwemmkanalisationsgesetz nicht bereits im Verfahren über die Baubewilligung, sondern erst im Verfahren über die Einräumung von Zwangsrechten (§§17 bis 19 dieses Gesetzes) über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang einer Enteignung durch die Landesregierung abzusprechen. Die Unterschiedlichkeit der Rechtslage ergibt sich allein schon daraus, daß nach §50 des Tir. Straßengesetzes die Liegenschaftseigentümer und alle dinglich Berechtigten, die durch den Bau der geplanten Straße in ihren rechtlichen Interessen berührt werden, im Baubewilligungsverfahren Einwendungen erheben können, ihnen also ausdrücklich Parteistellung eingeräumt ist. Eben weil ihnen diese Rechte im Verfahren gemäß §5 des Schwemmkanalisationsgesetzes nicht eingeräumt werden, kann in diesem Verfahren nicht mit bindender Wirkung für sie über das öffentliche Interesse abgesprochen werden. Die baubehördliche Genehmigung eines Projektes nach §5 ist somit gemäß §18 lita des Schwemmkanalisationsgesetzes lediglich Voraussetzung dafür, daß ein Enteignungsverfahren überhaupt beantragt werden kann. Eine darüber hinausgehende rechtliche Wirkung kommt einem solchen Bescheid für ein Verfahren, betreffend die Einräumung von Zwangsrechten gemäß §§17 ff. Schwemmkanalisationsgesetz, nicht zu.

4.2.3. Vor dem Hintergrund der so dargelegten Rechtslage ergibt sich weiters, daß der hier maßgeblichen Vorschreibung gemäß Punkt 12 der Auflagen des im Instanzenzug bestätigten Bescheides vom 24. Juni 1980 die Bedeutung einer Bedingung zukommt, dh. also, daß dem Bauwerber die angesuchte Bewilligung nur bedingt davon erteilt wurde, daß die unter Punkt 12 vorgeschriebene Auflage fristgerecht vom Bauwerber erfüllt wird.

4.2.4. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß den Beschwerdeführern von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid die Berufungslegitimation mangels Parteistellung zu Recht abgesprochen wurde. Die Beschwerdeführer sind somit dadurch, daß ihre Berufung als unzulässig zurückgewiesen worden ist, nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

5. Dem angefochtenen Bescheid ist damit ausschließlich verfahrensrechtliche Wirkung beizumessen. Ausgehend von der Unbedenklichkeit der angewendeten Normen - Bedenken wurden weder geltend gemacht noch sind solche im Verfahren vor dem VfGH entstanden - können die Beschwerdeführer durch einen solchen Formalbescheid auf Zurückweisung ihrer Berufung als unzulässig nur in einem formellen Recht, nicht aber in einem materiellen Recht, über das gar nicht entschieden wurde, verletzt worden sein (VfSlg. 6746/1972).

6.1. Da die Beschwerdeführer somit weder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurden, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Kanalisation, Parteistellung, Nachbarrechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B568.1980

Dokumentnummer

JFT_10189680_80B00568_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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