TE Vfgh Erkenntnis 1981/3/20 WI-16/80, B296/80

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Veröffentlicht am 20.03.1981
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art144 Abs1
Stmk GdWO 1960 §19
Stmk GdWO 1960 §45 Abs1
Stmk GdWO 1960 §45 Abs2
VfGG §19 Abs3 Z1 lita
VfGG §67 Abs1
VfGG §67 Abs2
VfGG §68 Abs1

Leitsatz

Art141 B-VG; Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern - über die Rechtmäßigkeit eines einen Teilakt des Wahlverfahrens bildenden Bescheides ist nicht nach Art144 B-VG zu erkennen Stmk. Gemeindewahlordnung 1960; Begriff des Wohnsitzes

Spruch

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Verordnung der Stmk. Landesregierung vom 26. November 1979, LGBl. 79/1979, wurden die allgemeinen Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates für die Gemeinden des Landes Stmk. mit Ausnahme der Landeshauptstadt Graz mit dem Wahltag 23. März 1980 ausgeschrieben. Die Wahlen waren nach den Bestimmungen der Gemeindewahlordnung 1960 - GWO 1960 (Anlage zur Wiederverlautbarungskundmachung, LGBl. 6/1960; zuletzt geändert durch die Gemeindewahlordnungs-Novelle 1979, LGBl. 10/1980) durchzuführen.

Die einschreitende Wählergruppe brachte zur Gemeinderatswahl in der Stadtgemeinde Bruck/Mur einen Wahlvorschlag ein, der von 20 Personen unterschrieben war. Die Gemeindewahlbehörde beschloß am 7. März 1980 unter Berufung auf §45 Abs1 und 2 GWO 1960, daß der Wahlvorschlag als nicht eingebracht gelte. In der an den Zustellungsbevollmächtigten ergangenen Verständigung wurde dies damit begründet, daß der Wahlvorschlag nicht die erforderliche Zahl von 20 Unterschriften Wahlberechtigter aufweise; lediglich 18 Unterschriften stammten von Wahlberechtigten, während zwei Unterschriften von Nichtwahlberechtigten geleistet worden seien. In einem Fall handle es sich um die Unterschrift einer in Bruck/Mur laut Auskunft des Meldeamtes zum maßgeblichen Zeitpunkt (- das war nach §19 GWO 1960 der 17. Feber 1980 -) nicht wohnhaften Person, welche erst am 4. März 1980 sich in Bruck - von Trofaiach kommend - mit ordentlichem Wohnsitz angemeldet habe; sie sei im Wählerverzeichnis von Trofaiach eingetragen, nicht jedoch wegen ihres späteren Zuzugs im Wählerverzeichnis der Stadtgemeinde Bruck/Mur. Ein durchgeführtes Ermittlungsverfahren habe diese Tatsache bestätigt. Im zweiten Fall handle es sich um eine Person, welche in Bruck/Mur mit nichtständigem Wohnsitz gemeldet, im Wählerverzeichnis der Stadtgemeinde Bruck/Mur nicht eingetragen und mit ordentlichem Wohnsitz in Eisenerz gemeldet sei.

Wie aus einer Eingabe des Zustellungsbevollmächtigten an die Gemeindewahlbehörde vom 9. März 1980 hervorgeht, war ihm bekannt, welche in der Verständigung nicht mit ihren Namen genannten Personen gemeint sind, nämlich H.H. und S.G.

In der Sitzung vom 10. März 1980 faßte die Gemeindewahlbehörde ferner den Beschluß, die Zurückziehung von vier Unterschriften des Wahlvorschlages zur Kenntnis zu nehmen. Hievon wurde der Zustellungsbevollmächtigte unter Bezugnahme auf §42 Abs2 dritter Satz GWO 1960 schriftlich verständigt.

2. Nach Kundmachung des Wahlergebnisses am 24. März 1980 erhob die Wählergruppe gemäß §81 GWO 1960 wegen behaupteter Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens Einspruch an die Landeswahlbehörde. Sie nahm darin den Standpunkt ein, daß ihr Wahlvorschlag gültig eingebracht worden sei, und warf der Gemeindewahlbehörde vor, diese habe rechtswidrig die Wahlberechtigung von S.G. und H.H. verneint und die Zurückziehung von vier Unterstützungsunterschriften zur Kenntnis genommen. In bezug auf H.H. führte die Einspruchswerberin aus, daß er bereits im Jänner 1980 in Bruck/Mur eine Genossenschaftswohnung bezogen habe. Die Wählergruppe bot im Einspruch Beweise (Bescheinigungsmittel) an, die jedoch nicht das eben erwähnte Vorbringen hinsichtlich H.H. betrafen.

3. Nach Vorlage des Einspruchs veranlaßte die Landeswahlbehörde (ua.) im Amtshilfeweg durch die Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur die Vernehmung von H.H. und dessen Tochter I.E.

I.E. nahm Bezug auf ihre niederschriftlichen Angaben vor dem Stadtamt Bruck/Mur vom 7. März 1980, die sie vollinhaltlich aufrechterhalte. (Damals hatte sie "zum Gegenstand der Einvernahme, nämlich dem Zeitpunkt der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes ihres Vaters H.H. in Bruck a.d. Mur" angegeben, ihr sei aus eigenem Wissen bekannt, daß ihr Vater seit 23. Feber 1980 seinen ordentlichen Wohnsitz in Bruck/Mur, R.W.-Straße 3, begründet habe. Einen Irrtum über diesen Zeitpunkt schließe sie mit völliger Sicherheit aus.)

H.H. deponierte, daß er Anfang Feber eine Wohnung in Bruck/Mur, R.W.-Straße 3, bekommen habe. Nachdem diese Wohnung entsprechend eingerichtet war, habe er sie Ende Feber 1980 bezogen und sich am 4. März 1980 beim Stadtamt Bruck/Mur polizeilich angemeldet. Bis zu seiner Übersiedlung nach Bruck/Mur, also bis Ende Feber 1980, habe er in Trofaiach, G-straße 29, gewohnt, und - wie erwähnt - ab Ende Feber 1980 seinen ordentlichen Wohnsitz nach Bruck/Mur verlegt.

4. Mit Bescheid vom 20. Mai 1980 wies die Landeswahlbehörde den Einspruch ab und begründete ihre Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:

Voraussetzung für das aktive Wahlrecht in einer Gemeinde sei gemäß §19 GWO 1960 ua. ein ordentlicher Wohnsitz in der Gemeinde, und zwar zumindest am letzten Tag der Frist für die Einsicht der aufgelegten Wählerverzeichnisse, im vorliegenden Fall am 17. Feber 1980. Ein solcher Wohnsitz sei nach ständiger Rechtsprechung des VfGH vor allem an jenem Ort begründet, den die betreffende Person zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht habe. I.E. habe zu Protokoll gegeben, daß ihr Vater erst am 23. Feber 1980 seinen ordentlichen Wohnsitz in Bruck/Mur begründet habe. H.H. habe angegeben, daß er erst Ende Feber, sicher aber erst nach dem 17. Feber 1980 in Bruck/Mur einen ordentlichen Wohnsitz begründet habe. Es erscheine somit erwiesen, daß H.H. am 17. Feber 1980 in Bruck/Mur keinen ordentlichen Wohnsitz gehabt habe und daher nicht wahlberechtigt gewesen sei. Eine weitere Überprüfung, insbesondere der Wahlberechtigung von S.G., habe entfallen können, da gemäß §42 Abs2 GWO 1960 für die Stadt Bruck/Mur mindestens 20 unterstützende Unterschriften erforderlich seien. Die Gemeindewahlbehörde habe daher zu Recht den Wahlvorschlag als nicht eingebracht erklärt.

5. Die einschreitende Wählergruppe erhebt unter ausdrücklicher Berufung auf Art144 B-VG Beschwerde gegen den Bescheid der Landeswahlbehörde und ficht ferner unter ausdrücklicher Berufung auf Art141 B-VG die Gemeinderatswahl an; sie begehrt einerseits die Aufhebung des Bescheides der Landeswahlbehörde und anderseits die Nichtigerklärung des Wahlverfahrens zur Gemeinderatswahl.

II. Zur Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, mithin auch einer Gemeinderatswahl, vor dem VfGH steht ausschließlich der Weg nach Art141 B-VG offen. Dies trifft auch dann zu, wenn die heranzuziehende Wahlordnung die Entscheidung einer Wahlbehörde über einen wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens zu erhebenden Rechtsbehelfs vorsieht (vgl. §68 Abs1 VerfGG); eine solche Entscheidung bildet nämlich einen Teilakt des Wahlverfahrens. Der VfGH ist demnach nicht berufen, aufgrund einer gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde über die Rechtmäßigkeit eines wahlbehördlichen Bescheides dieser Art zu erkennen.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung hierüber wurde gemäß §19 Abs3 Z1 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren getroffen.

III. Über die vorliegende Wahlanfechtung hat der VfGH erwogen:

1. Gemäß §67 Abs2 VerfGG sind zur Anfechtung der Wahl jene Wählergruppen berechtigt, die bei der Wahlbehörde Wahlvorschläge rechtzeitig vorgelegt haben. Der VfGH hat seit dem Erk. VfSlg. 4992/1965 in ständiger Rechtsprechung (siehe zB VfSlg. 7387/1974) den Standpunkt eingenommen, daß diese Berechtigung jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Frage der Gültigkeit des eingereichten Wahlvorschlages für das Ergebnis der Wahlanfechtung entscheidend ist, nicht überdies davon abhängt, ob der Wahlvorschlag auch rechtswirksam eingebracht worden ist.

Die Legitimation zur Anfechtung ist sohin gegeben, und es liegen auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vor.

2. Die zulässige Wahlanfechtung ist jedoch nicht berechtigt.

a) Wie der VfGH in seinem Erk. VfSlg. 6303/1970 ausgesprochen hat, ist der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" in der Bestimmung des §19 GWO 1960 (in ihrer insoweit mit der geltenden Fassung gemäß der Novelle LGBl. 1/1975 gleichlautenden Stammfassung) in dem Sinn auszulegen, wie er in §2 Abs2 des Wählerevidenzgesetzes 1970 (nunmehr wiederverlautbart als Wählerevidenzgesetz 1973, BGBl. 601) bestimmt ist. Danach ist der ordentliche Wohnsitz einer Person an dem Orte begründet, an dem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen; hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Orte zu bleiben.

Die Anfechtungswerberin beruft sich auf die in der Rechtsprechung des VfGH (- im Einspruch nennt sie diesbezüglich das Erk. VfSlg. 7766/1976 -) enthaltene Aussage, daß ein ordentlicher Wohnsitz an jenem Ort begründet ist, welchen die betreffende Person zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht hat, und hebt das Wort "Absicht" hervor. Hievon ausgehend führt sie aus, daß die betreffende Wohnbaugenossenschaft im Jänner 1980 mit H.H. den Nutzungsvertrag über die Wohnung in Bruck/Mur abgeschlossen habe und ihm die Wohnung am 1. Feber 1980 (durch Ausfolgung der Wohnungsschlüssel) übergeben worden sei. H. habe jedenfalls im Jänner 1980 seine Absicht, in Bruck/Mur seinen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, durch den Abschluß des Nutzungsvertrages bekundet und durch die Übernahme der Wohnung am 1. Feber 1980 tatsächlich vollzogen, sodaß die Kriterien des ordentlichen Wohnsitzes (am maßgeblichen Tag, dem 17. Feber 1980) erfüllt gewesen seien.

Hier befindet sich die anfechtende Wählergruppe jedoch in einem Irrtum über den Sinn der von ihr bezogenen Rechtsprechung des VfGH. Die von ihr wiedergegebene Aussage darf nicht isoliert gewertet, sondern muß im Zusammenhang mit der angeführten Definition des Wohnsitzbegriffs verstanden werden; die Aussage umschreibt ein intentionales Moment, nämlich den sogenannten animus domiciliandi, das die Faktizität des Aufenthaltnehmens keineswegs ersetzt, sondern zu diesem hinzutreten muß. Durch den Erwerb der Verfügungsbefugnis über eine Wohnung, mag sie auch als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in der Zukunft vorgesehen sein, allein kann ein ordentlicher Wohnsitz nicht begründet werden; dieser setzt vielmehr voraus, daß die betreffende Person die Wohnung tatsächlich zum Wohnen bezogen hat.

Das erörterte Vorbringen der Anfechtungswerberin zeigt sohin keine dem Bescheid der Landeswahlbehörde anzulastende Rechtswidrigkeit auf.

b) Die anfechtende Wählergruppe behauptet aber auch, daß der Bescheid der Landeswahlbehörde mit Verfahrensfehlern belastet sei. Diese Vorwürfe sind jedoch, wie die folgenden Ausführungen nachweisen, ebenfalls nicht berechtigt.

Die Anfechtungswerberin versteht die Begründung des Bescheides dahin, daß H.H. nur zur Frage seines ordentlichen Wohnsitzes, also einer von ihm nicht zu beantwortenden Rechtsfrage einvernommen worden sei, nicht aber über die diesbezüglich maßgeblichen Tatsachen (wie zB wann er nach Bruck/Mur übersiedelt ist).

Hiezu ist der Anfechtungswerberin jedoch bloß einzuräumen, daß der Bescheidbegründung eine gewisse Undeutlichkeit in diesem Punkt anhaftet. Sieht man aber die Begründung vor dem Hintergrund der mit H.H. und seiner Tochter I.E. aufgenommenen Niederschriften, so ist es nicht zweifelhaft, daß die Wahlbehörde aufgrund der schlüssigen und unbedenklichen Angaben der Genannten zur Meinung gelangt war, H.H. sei erst nach dem 17. Feber 1980 von Trofaiach nach Bruck/Mur übersiedelt, und auf dem Boden dieser Sachverhaltsfeststellung die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Bruck/Mur bis zum maßgeblichen Tag verneinte.

Einen weiteren Verfahrensmangel erblickt die anfechtende Wählergruppe darin, daß von ihr im Einspruch angebotene Beweise (Bescheinigungsmittel) nicht erhoben worden seien.

Dazu ist festzuhalten, daß sich die im Einspruch beantragten Beweise insgesamt auf anderen Themen als jene tatsächlichen Umstände bezogen, die für die Beurteilung des ordentlichen Wohnsitzes von H.H. erheblich sind.

Einen Verfahrensmangel sieht die einschreitende Wählergruppe schließlich auch darin, daß ihr keine Möglichkeit geboten worden sei, anläßlich der Einvernahme von H.H. (durch ihren Zustellungsbevollmächtigten) Fragen zu stellen, sowie daß ihr kein Parteiengehör (nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren) gewährt worden sei.

Auf dieses Vorbringen braucht der VfGH jedoch schon deshalb nicht weiter einzugehen, weil es im gegebenen Zusammenhang offenkundig unerhebliche Umstände betrifft. Denn die Anfechtungswerberin, die hinsichtlich der Frage des ordentlichen Wohnsitzes schon im Verfahren vor der Landeswahlbehörde von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgegangen ist, tut nicht dar, warum die Wahlbehörde als Folge einer Intervention anläßlich der Einvernahmen oder als Folge einer Äußerung nach gewährtem Parteiengehör zur Auffassung hätte kommen sollen, daß H.H. früher als angenommen nach Bruck/Mur übersiedelt sei.

c) Die anfechtende Wählergruppe hat in der mündlichen Verhandlung durch ihren Zustellungsbevollmächtigten noch zahlreiche weitere Umstände vorgebracht, aus denen sie die Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ableiten will. Hierauf war jedoch nicht einzugehen, weil der VfGH im Wahlanfechtungsverfahren ausschließlich zu prüfen hat, ob die bereits in der (schriftlichen) Wahlanfechtung geltend gemachten Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens vorliegen (§67 Abs1 VerfGG).

3. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die behaupteten Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens nicht gegeben sind; der Wahlanfechtung war sohin nicht stattzugeben.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:WI16.1980

Dokumentnummer

JFT_10189680_80WI0016_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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