TE Vfgh Erkenntnis 1981/6/12 B221/79

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Veröffentlicht am 12.06.1981
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anhaltung
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
EGVG ArtIX Abs1 Z1

Leitsatz

Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit; keine gesetzliche Deckung der Festnahme in §35 litc VStG 1950, keine Verwirklichung des Tatbestandes des ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 idF BGBl. 232/1977

Spruch

Die Beschwerdeführer sind dadurch, daß sie am 8. Mai 1979 um ca. 2.00 Uhr im Wachzimmer Salzburg-Maxglan von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg festgenommen, zum Bahnhofswachzimmer verbracht und dort in einer Arrestzelle bis 6.00 Uhr angehalten wurden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht:

Die Beschwerdeführer hätten sich am 7. Mai 1979 in Salzburg getroffen und nach einer Geschäftsbesprechung das Lokal "Reblaus" in Salzburg-Maxglan aufgesucht. Gegen 24.00 Uhr, als sie das Lokal wieder verlassen wollten, habe der Beschwerdeführer R.W. von einer mit anderen gemeinsam an der Theke stehenden Person namens M.B. einen Schlag erhalten. Über Veranlassung der Beschwerdeführer sei hierauf die Polizei telefonischherbeigerufen worden, zumal der Beschwerdeführer R.W. durch den Schlag verletzt und seine Brille beschädigt worden sei.

In der Beschwerde wird ohne Erwähnung einer nachfolgenden Intervention der Polizei weiters ausgeführt, daß die Beschwerdeführer und M.B. sich sodann in die nahegelegene Wachstube Maxglan begeben hätten, wo von ihnen ihre Generalien bekanntgegeben worden seien. Als von den Beschwerdeführern ihre Reisepässe verlangt worden seien, hätten sie darauf verwiesen, daß sich diese in ihren vor dem Lokal abgestellten PKWs befänden, es sei ihnen jedoch verwehrt worden, diese zu holen. Obwohl die Beschwerdeführer sich erbötig gemacht hätten, Name und Adresse jener Personen namhaft zu machen, denen sie bekannt seien, seien sie unverständlicherweise anschließend gemeinsam mit M.B. vom Wachzimmer Maxglan in das Bahnhofswachzimmer verbracht worden. Der am linken Auge verletzte Beschwerdeführer R.W. habe sowohl im Wachzimmer Maxglan als auch im Bahnhofswachzimmer "um einen Amtsarzt gebeten", was ihm jedoch verweigert worden sei. Im Bahnhofswachzimmer seien die Beschwerdeführer aufgefordert worden, ihren Tascheninhalt abzugeben und schließlich von den Beamten "in die Arrestzelle geschmissen" worden, sodaß sich der Beschwerdeführer W. an der rechten Hand und der Beschwerdeführer H. im Schädelbereich verletzt hätten.

Die Beschwerdeführer seien sodann die folgende Zeit in der Arrestzelle der Bahnhofswachstube angehalten worden, die, "wie die Salzburger Nachrichten vom 9. Mai 1979 nach durchgeführtem Augenschein schreiben, ein kleines Loch, ohne Fenster, von Blut, Urin und Kot verschmutzt, in dem sonst üblicherweise Sandler ausgenüchtert werden", sei.

Die Beschwerdeführer beantragen in der Beschwerde, "der VfGH möge zu Recht erkennen, daß die Beschwerdeführer dadurch, daß sie in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1979 von Beamten der Bundespolizeidirektion Salzburg festgenommen und in die Bahnhofswachstube verbracht wurden, in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sind".

Bei der am 26. Feber 1981 stattgefundenen Verhandlung vor dem VfGH brachte der Vertreter der Beschwerdeführer vor, daß selbst dann, wenn die Beschwerdeführer zu Recht festgenommen worden wären, sie durch die Anhaltung in einer Zelle, die 3 x 4 m groß war, nicht dem modernen Standard entsprach und von einem "Sandler" verschmutzt war, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden seien, da hierin eine Verletzung des Art3 MRK liege.

2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt. Die Beschwerdeführer hätten durch ein Verhalten, das Argernis zu erregen geeignet gewesen sei, die Ordnung an einem öffentlichen Orte gestört und dadurch die Verwaltungsübertretung gemäß ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 idF BGBl. 232/1977 begangen. Da sie trotz wiederholter Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt wären, seien sie gemäß §35 litc VStG 1950 zum Zwecke ihrer Vorführung vor die Behörde gerechtfertigt festgenommen und angehalten worden.

Dem bei der Verhandlung am 26. Feber 1981 erhobenen Vorwurf einer Verletzung des Art3 MRK wurde vom Vertreter der belangten Behörde mit dem Hinweis entgegengetreten, daß Beschwerde nur gegen die Festnehmung der Beschwerdeführer erhoben und damit der Rahmen des Verfahrens abgesteckt worden sei. Es gebe aber auch keine Anhaltspunkte dafür, daß Art3 MRK verletzt worden sei, da qualifizierte Mißhandlungen der Beschwerdeführer nicht vorlägen.

II. Zur Ermittlung des strittigen Sachverhaltes hat der VfGH Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen K.V., G.B., K.K., J.K., H.H., E.S., M.B. als Zeugen und der beiden Beschwerdeführer als Partei. Sämtliche Einvernahmen wurden im Rechtshilfeweg durchgeführt. Des weiteren wurde das Arrestantenbuch des Wachzimmers Salzburg-Bahnhof auszugsweise in Fotokopie beigeschafft. Aufgrund dieser Beweisaufnahmen nahm der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

1. Die Beschwerdeführer suchten am 7. Mai 1979 gegen 22.00 Uhr das in Salzburg-Maxglan gelegene Lokal "Reblaus" auf, wo von ihnen je zwei bis drei Viertel Wein konsumiert wurden. Als sie nach 24.00 Uhr das Lokal verlassen wollten, kam es zwischen ihnen und M.B., der ebenfalls drei bis vier Viertel Wein im Lokal konsumiert hatte, wegen einer vermeintlichen beleidigenden Bemerkung eines der Beschwerdeführer über die Freundin des M.B. zu einer Auseinandersetzung mit aggressiven gegenseitigen Äußerungen und Tätlichkeiten. Hiebei wurde der Beschwerdeführer R.W. verletzt. Nachdem die Freundin des M.B. hierauf die Polizei telefonisch verständigt hatte, wurde gegen 1.05 Uhr des 8. Mai 1979 die Funkstreife S 20 mit der Besatzung Bezirksinspektor J.K. und Bezirksinspektor H.H. zum Gasthaus "Reblaus" beordert, wo sie die Streitenden antrafen. Die Sicherheitswachebeamten versuchten durch längere Zeit, die Beschwerdeführer und B. durch Zureden zu beruhigen und boten auch an, das Rote Kreuz oder Taxis zu rufen, um die Beschwerdeführer abholen zu lassen, was jedoch von den Beschwerdeführern abgelehnt wurde. J.H., R.W. und M.B. wurden hierauf aufgefordert, auf die Polizeiwachstube mitzukommen, welcher Aufforderung auch von allen Beteiligten freiwillig entsprochen wurde.

Wenn auch der als Zeuge vernommene Bezirksinspektor H. angab, daß er nach Abmahnung der Beteiligten die Amtshandlung an sich gezogen und eine Festnahme ausgesprochen habe, vermochte der Gerichtshof diesen Angaben nicht zu folgen, zumal sowohl die Beschwerdeführer als auch M.B. betonen, freiwillig zur Wachstube Maxglan gegangen zu sein, und Bezirksinspektor H. seine ursprüngliche Aussage dahin abschwächte, daß zu keinem der Beteiligten die Worte "Sie sind festgenommen" ausgesprochen worden seien. Auch die Aussage des Zeugen Bezirksinspektor K., der angibt, er habe "zuerst noch wegen der Tätlichkeiten die Festnahme ausgesprochen", ist in sich widersprüchlich, da von ihm unmittelbar vorausgehend wörtlich angegeben wurde: "... einigten wir uns dahin gehend, daß wir auf das Wachzimmer Maxglan gegangen sind". Der VfGH nimmt daher als erwiesen an, daß sich die Beteiligten über Aufforderung der Polizeibeamten zum Wachzimmer Maxglan begaben, ohne daß in diesem Zeitpunkte eine Festnahme erfolgte.

2. Im Wachzimmer Maxglan wurden sodann die Generalien der Beteiligten aufgenommen, wobei die Beschwerdeführer, als sie aufgefordert wurden, sich mit ihren Reisepässen auszuweisen, darauf verwiesen, daß sich ihre Dokumente in den vor dem Gasthaus abgestellten PKWs befänden. Auf ihr Ersuchen, die Ausweispapiere von dort holen zu können, wurde jedoch nicht eingegangen. Während der Amtshandlung kam es vorerst zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Beschwerdeführern und M.B. Nach der Aufnahme der Personalien gab es jedoch, wie M.B. glaubwürdig vorbrachte, im Wachzimmer "eigentlich keinerlei Streit mehr". Offensichtlich veranlaßte gerade dies Bezirksinspektor H. zu der laut ausgesprochenen Überlegung "Was machen wir nun mit den drei Besoffenen, schicken wir sie heim oder sperren wir sie ein?" M.B. führt zu den folgenden Geschehnissen aus, daß "daraufhin der Streit zwischen den beiden Herren und der Polizei los" gegangen sei, und führt weiters wörtlich aus, daß, "nachdem der Zirkus lautstark wieder weitergegangen ist", man uns sagte, "daß wir in die Ausnüchterungszelle gebracht würden und daß wir dementsprechend zum Bahnhof fahren werden". Über näheres Befragen gab der Zeuge präzisierend an, daß, wenn er vorhin etwas von einem lautstarken Zirkus gesagt habe, es lediglich darum gegangen sei, daß die Beschwerdeführer nach einem Anwalt bzw. einem Arzt verlangten und daß sie fragten, ob sie in einer Demokratie seien und daß sie sich so etwas nicht bieten ließen.

Aufgrund dieser Unmutsäußerungen wurde von Bezirksinspektor H. um ca. 2.00 Uhr die Überstellung der Beschwerdeführer und von M.B. in das Bahnhofswachzimmer zwecks Anhaltung in der Ausnüchterungszelle verfügt.

Wohl ist im Arrestantenbuch als Grund der Anhaltung "Störung der Ordnung" eingetragen und wird von Bezirksinspektor H. angegeben, die Festnahme habe sich "auf Fortsetzung der strafbaren Handlung nach wiederholter Abmahnung, iS des Art. Störung der Ordnung" gegründet. Diese Darstellung erweist sich jedoch als unglaubwürdig, da sie mit der ausdrücklichen wörtlichen Erklärung desselben Zeugen "Da die Beteiligten vollkommen angetrunken waren, brachten wir sie dann zur Ausnüchterungszelle zum Bahnhof" in unvereinbarem Widerspruch steht. Letztere Aussage des Zeugen H. hat dem Gerichtshof auch die Überzeugung vermittelt, daß die Schilderung der Ereignisse, die vom Zeugen B. gegeben wurde, den Tatsachen entspricht.

3. Im Bahnhofswachzimmer, wohin die Beschwerdeführer und M.B. sodann gebracht wurden, erfolgte deren Verwahrung, wie der Zeuge K. angab, in der einzig vorhandenen Zelle, bei welcher es sich unwidersprochen bestimmungsgemäß um einen Ausnüchterungsarrest handelt; in das Bahnhofswachzimmer seien die Beschwerdeführer, wie K. weiters ausführt, "ja lediglich zur Ausnüchterung gebracht worden".

Die ganze weitere Amtshandlung ist sehr ruhig verlaufen. Die Beschwerdeführer haben sich wohl gesträubt, in die Ausnüchterungszelle zu gehen, da in dieser bereits "Sandler" untergebracht worden waren. Der Zeuge B., der im Bahnhofswachzimmer Dienst versah, führt hiezu jedoch glaubwürdig aus, daß W., als er nicht in die Zelle gehen wollte, von Inspektor K. am Arm gefaßt und hineingezogen worden sei, er sich an eine erforderliche Abmahnung jedoch nicht erinnern könne und er in der Nacht des öfteren in die Zelle hineingeschaut habe, ohne daß ihm Außergewöhnliches aufgefallen sei.

Der VfGH betrachtet daher als festgestellt, daß es im Bahnhofswachzimmer zu keinerlei Anständen mit den Beschwerdeführern kam.

Weiters erachtet der VfGH aufgrund der hiezu übereinstimmenden Aussagen als festgestellt, daß um ca. 6.00 Uhr früh alle Insassen aus der Zelle entlassen wurden, die Beschwerdeführer ein Verlassen derselben jedoch verweigerten und von den anwesenden Polizeibeamten forderten, ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Arzt, einen Rechtsanwalt und die Presse anzurufen. Diesen Begehren wurde gegen 8.00 Uhr vom Leiter der Polizeiwachstube Bahnhof, der bis dahin eingelangt war, entsprochen.

4. Aufgrund der Beweisergebnisse erachtet der VfGH als festgestellt, daß die Beschwerdeführer um 2.00 Uhr im Wachzimmer Maxglan festgenommen, in das Bahnhofswachzimmer verbracht und dort in der Ausnüchterungszelle gemeinsam mit "Sandlern" bis 6.00 Uhr angehalten wurden.

III. Der VfGH hat erwogen:

1. a) In der Beschwerde wird eine Festnehmung der Beschwerdeführer angefochten. Es kommt jedoch nicht deutlich zum Ausdruck, ob Beschwerdegegenstand die Geschehnisse schon im Lokal "Reblaus" oder erst im Wachzimmer Maxglan sind. Die Beschwerdeführer haben bei ihrer Einvernahme jedoch ausdrücklich ausgesagt, daß sie freiwillig vom Lokal zum Wachzimmer gegangen sind. Hieraus ergibt sich, daß erst die Vorfälle im Wachzimmer Maxglan und die nachfolgende Anhaltung der Beschwerdeführer in Beschwerde gezogen sind.

b) Nicht in Beschwerde gezogen wurden demgegenüber die Umstände dieser Anhaltung. Aus dem Zusammenhang der schriftlichen Ausführungen ergibt sich, daß nur die Verletzung der persönlichen Freiheit Beschwerdegegenstand ist. Auf die Ausführungen des Beschwerdevertreters bei der Verhandlung in bezug auf eine Verletzung des Art3 MRK war daher nicht weiter einzugehen.

2. Auch wenn eine Festnahme der Beschwerdeführer von den Organen der belangten Behörde nie ausdrücklich erklärt wurde, muß eine solche für den Zeitpunkt angenommen werden, in welchem von Bezirksinspektor H. im Wachzimmer Maxglan verfügt wurde, daß die Beschwerdeführer in die Ausnüchterungszelle des Bahnhofswachzimmers zu bringen seien. Auch im nachfolgenden Transport der Beschwerdeführer in das Bahnhofswachzimmer und in ihrer Anhaltung in der Ausnüchterungszelle desselben liegt die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

3. a) Nach Art8 StGG ist die Freiheit der Person gewährleistet; das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, wird durch ihn zum Bestandteil des Staatsgrundgesetzes erklärt.

Nach §4 dieses Gesetzes dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 litc VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Es ist daher - ein anderer Festnehmungsgrund liegt keinesfalls vor - zu klären, ob ein Anwendungsfall des §35 litc VStG 1950 gegeben ist, mit anderen Worten, ob die Festnehmung der Beschwerdeführer in dieser Bestimmung ihre gesetzliche Deckung findet.

Nach §35 litc VStG 1950 dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zwecke ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

b) Die belangte Behörde rechtfertigt die Festnehmung der Beschwerdeführer damit, daß von diesen der Tatbestand des ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 idF BGBl. 232/1977 gesetzt worden sei. Nach dieser Bestimmung begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört. Für die Verwirklichung dieses Tatbestandes ist es erforderlich, daß durch das Verhalten ein Zustand hergestellt wird, der der Ordnung, wie sie an öffentlichen Orten gefordert werden muß, widerspricht (VwSlg. 2263 A/1951). Der VfGH hat zu der dem nunmehrigen Tatbestand des ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 idF BGBl. 232/1977 entsprechenden Bestimmung des ArtVIII Abs1 lita EGVG 1950 in der Stammfassung ausgeführt (VfSlg. 4813/1964), daß unter "Ordnung am öffentlichen Ort" nur der Zustand des gewöhnlichen Verhältnisses der Dinge der Außenwelt zueinander verstanden werden kann, eine Ordnung, die etwa durch Aufsehen oder durch einen Menschenauflauf gestört und in der Folge wieder hergestellt werden kann, somit die äußere öffentliche Ordnung. Er hat weiters darauf verwiesen, daß durch das - zudem Ärgernis erregende - Verhalten der Ablauf des äußeren Zusammenlebens von Menschen oder ein bestehender Zustand von Dingen in wahrnehmbarer Weise gestört worden sein muß. Der VfGH lehnte eine Auslegung, die diesen Tatbestand zu einem uferlosen verwaltungsstrafrechtlichen Universaltatbestand machen würde, ausdrücklich ab. Der VfGH hält an dieser Rechtsprechung auch weiterhin fest.

Mit Erk. VfSlg. 6542/1971 hat der VfGH weiters darauf verwiesen, daß gemäß §35 VStG 1950 eine Festnehmung nur "zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde zulässig" ist.

c) Auf dem Boden der getroffenen Feststellungen wurde die Festnahme der Beschwerdeführer im Wachzimmer Maxglan erst in einem Zeitpunkt ausgesprochen, als die Beschwerdeführer sich bereits beruhigt hatten und ausschließlich infolge der von B. wiedergegebenen Äußerung des Bezirksinspektors H. zu Unmutsäußerungen veranlaßt wurden, also in einem Zeitpunkte, in welchem von einem Verharren der Beschwerdeführer in einem ordnungsstörenden Verhalten jedenfalls nicht die Rede sein konnte. Aus der Äußerung des Bezirksinspektors H., was mit den "Besoffenen" nun geschehen, ob man sie heimschicken oder einsperren solle, ergibt sich schlüssig, daß auch die einschreitenden Organe der belangten Behörde das Verhalten der Beschwerdeführer nicht mehr als strafbar ansahen.

Es bedarf keiner Erörterung, daß die Alkoholisierung einer Person - ohne Hinzutreten eines gesetzwidrigen Verhaltens - keinen gesetzlichen Haftgrund bildet (vgl. VfSlg. 6542/1971) und daß dementsprechend der Bemerkung des Bezirksinspektors H. eine unvertretbare Rechtsauffassung zugrunde lag. Wenn die Beschwerdeführer gegen diese Äußerung Stellung bezogen, nach einem Anwalt und nach einem Arzt verlangten und sich sinngemäß auf ihre Rechte als Staatsbürger beriefen, so könnte hierin ein ärgerniserregendes Verhalten nur dann erblickt werden, wenn die jedermann zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten worden wäre, daß diese zufolge des Tones des Vorbringens, der zur Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen bereits als ein aggressives Verhalten gedeutet werden muß (VfSlg. 7987/1977). Der VfGH hat bereits mit Erk. VfSlg. 2906/1955 darauf verwiesen, daß es hieße, den in ArtVIII Abs1 litb EGVG 1950 ausgedrückten Gedanken des Schutzes der staatlichen Autorität ins Unerträgliche zu verzerren, wollte man jede Kundgebung seelischer Erregung bei sachlicher Verfechtung des Rechtsstandpunktes als ein die Festnahme rechtfertigendes Verhalten erklären. Der VfGH hält auch im Hinblick auf die durch die Novellierung des EGVG 1950 durch das Bundesgesetz BGBl. 232/1977 eingetretene Änderung der Rechtslage an dieser Rechtsauffassung fest.

Der VfGH ist dieser Rechtsauffassung folgend nicht der Ansicht, daß durch Unmutsäußerungen, die sich ausschließlich darauf beschränken, daß nach einem Anwalt und einem Arzt verlangt wird und sich Staatsbürger auf demokratische Rechte berufen, der Tatbestand des ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 idgF oder ein sonstiger strafbarer Tatbestand verwirklicht wurde, der von Gesetzes wegen einen Haftgrund bildet. Daß die Beschwerdeführer ausschließlich zu einem Zweck, der von Gesetzes wegen keinen Haftgrund bildet, nämlich zur Ausnüchterung, festgenommen und angehalten wurden, ergibt sich auch daraus, daß während der gesamten Dauer ihrer Anhaltung und auch bei ihrer Enthaftung von einem strafbaren Verhalten, für welches sie der zuständigen Behörde vorzuführen wären, nie die Rede war.

Da die Ereignisse im Lokal "Reblaus" als Haftgrund nicht mehr in Frage kamen, erweist sich, daß die Beschwerdeführer dadurch, daß sie am 8. Mai 1979 um ca. 2.00 Uhr im Wachzimmer Maxglan festgenommen, anschließend in das Bahnhofswachzimmer gebracht und dort bis 6.00 Uhr früh angehalten wurden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sind.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- ung Zwangsgewalt, Festnehmung, Anhaltung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B221.1979

Dokumentnummer

JFT_10189388_79B00221_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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