Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / PrüfungsmaßstabLeitsatz
Versammlungsgesetz 1953; mangelhafte Ortsangabe in der Anzeige nach §2 Abs1Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Am Sonntag, dem 10. Oktober 1976, um 8.10 Uhr überreichte F.R. dem Journaldienst versehenden Beamten der Abteilung I der Bundespolizeidirektion Wien eine schriftliche Versammlungsanzeige, die folgenden Wortlaut hatte:
"Auf Grund des Versammlungsgesetzes 1953 melde ich für den 15. Oktober 1976 eine Volksversammlung an.
Zwecke: Protest gegen die 12jährige Verschleppung der Fertigstellung der Abfahrt Jedlesee der Nordbrücke.
Zeit: 15 Uhr bis ca. 17 Uhr.
Ort: Abfahrt Jedlesee und anschließend Protestmarsch über den Fußgängerübergang der Nordbrücke nach der Brigittenau und zurück."
Wie aus den Verwaltungsakten hervorgeht, leistete der Einschreiter dem anschließenden Ersuchen des Journalbeamten, er möge (ersichtlich zur Erteilung näherer Auskünfte) kurze Zeit warten, keine Folge.
1.2.1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (Vereinsbüro) vom 12. Oktober 1976, Z I-51/Vs-VB/76, wurde die angezeigte Veranstaltung gemäß §13 Abs1 VersG untersagt, weil der Anmelder die beabsichtigte Aufmarschstrecke und damit den Versammlungsort - entgegen den Bestimmungen des §2 Abs1 VersG - nicht ausreichend konkretisiert habe.
1.2.2. Die Sicherheitsdirektion für Wien gab einer von F.R. dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom 27. Oktober 1976, Z SD 450/76, keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid gemäß §66 Abs4 AVG 1950 im wesentlichen mit der Begründung, die vorgeschriebene Anzeige müsse gemäß §2 Abs1 VersG Zweck, Ort und Zeit der beabsichtigten Versammlung enthalten, damit die Behörde prüfen könne, ob die Durchführung der Veranstaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährde und ob den Umständen nach sicherheits- oder verkehrspolizeiliche Maßnahmen erforderlich seien. Bei einem Protestmarsch, der - wie der angezeigte - "über den Fußgängerübergang der Nordbrücke nach der Brigittenau und wieder zurück" führe, stehe aber nicht fest, ob die Marschroute durch verschiedene (nicht festgelegte) Straßen des 20. Bezirkes (der "Brigittenau") und anschließend wieder zum Ausgangspunkt oder nur bis zum (Brigittenauer) Ende des Fußgängerüberganges und zurück verlaufe. Von der im VersG vorausgesetzten genauen Beschreibung und Begrenzung des in Aussicht genommenen Marschweges könne demnach nicht die Rede sein.
1.2.3. F.R. ergriff auch gegen diesen Bescheid der Sicherheitsdirektion für Wien das Rechtsmittel der Berufung, dem mit Bescheid des Bundesministers für Inneres (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) vom 24. Feber 1977, Z 129.973/1-II/6/76, ein Erfolg versagt wurde.
In der Begründung dieses Bescheides wird gleichfalls die Rechtsauffassung vertreten, daß es an einer detaillierten Bezeichnung der geplanten Marschroute und des gedachten Umkehrpunktes fehle, sodaß die (unabdingbaren) Voraussetzungen des §2 Abs1 VersG nicht gegeben seien.
Die Berufungsbehörde brachte dem Berufungswerber vor Erlassung dieses Bescheides den gesamten Akteninhalt zur Kenntnis und bot ihm solcherart Gelegenheit zu einer - ergänzenden und aufklärenden - Stellungnahme. F.R. begnügte sich jedoch ua. mit der zu Protokoll gegebenen Äußerung, daß der Versammlungsort in seiner eingangs zitierten Anzeige vom 10. Oktober 1976 ausreichend präzisiert worden sei (s. Niederschrift vom 23. Feber 1977).
1.3.1. Gegen diesen Bescheid des Bundesministers für Inneres richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des F.R. an den VfGH, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere des Rechts auf Versammlungsfreiheit nach Art12 StGG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
1.3.2. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.
2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Daß die von der belangten Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften verfassungswidrig seien, macht der Beschwerdeführer nicht geltend; auch der VfGH hegt unter dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalles keine derartigen Bedenken.
Wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm konnte darum der Beschwerdeführer in seinen Rechten nicht verletzt worden sein.
2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. 98 (VersG), die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechts zu werten (zB VfSlg. 2311/1952, 3957/1961, 5087/1965, 7762/1976).
Der Beschwerdeführer wäre demnach im Grundrecht nach Art12 StGG und Art11 MRK verletzt worden, wenn die Behörde die angemeldete Versammlung mit dem angefochtenen Bescheid den Bestimmungen des VersG zuwider untersagt hätte.
2.2.1. Der Beschwerdeführer bringe mit Beziehung auf das Grundrecht nach Art12 StGG - sinngemäß zusammengefaßt - vor, die Wortwahl "über den Fußgängerübergang der Nordbrücke nach der Brigittenau und zurück" stelle klar, daß der beabsichtigte Protestmarsch nur über den Fußgängerübergang der Nordbrücke bis zu dessen Brigittenauer Ende und zurück führen sollte. Außerdem hätte die Behörde zumindest den ersten Teil der Versammlung am Orte "Abfahrt Jedlesee" der Nordbrücke nicht untersagen dürfen.
2.2.2. §2 Abs1 VersG lautet:
"Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.".
2.2.3. Demnach muß in der nach §2 Abs1 VersG vorgeschriebenen Anzeige ua. der "Ort" der Versammlung angegeben werden. Darunter ist bei öffentlichen Aufzügen (Aufmärschen) - wie hier - die beabsichtigte Aufmarschstrecke zu verstehen (vgl. OGH 14. Jänner 1903, Z 394, ÖZfV 1903, S 139; Fessler, Österreichisches Versammlungsrecht, Wien 1970, S 39).
Der belangten Behörde ist beizupflichten, wenn sie in ihrer Gegenschrift der Sache nach einwendet, daß die strittige Versammlungsanzeige diesem Erfordernis der Ortsbezeichnung nicht gerecht wird; denn die Angaben "Ort: Abfahrt Jedlesee und anschließend Protestmarsch über den Fußgängerübergang der Nordbrücke nach der Brigittenau und zurück" nennt zwar den Ausgangspunkt und den anfänglichen Marschweg, läßt aber sowohl die (weitere) Marschroute innerhalb des 20. Bezirkes (Brigittenau) als auch den Umkehrpunkt offen, womit es an der (genauen) Beschreibung der gesamten Aufmarschstrecke fehlt. Der in der Beschwerdeschrift vorgetragenen Deutung des Beschwerdeführers, der einen Marsch nur im Brückenbereich (bis zum Brückenende und zurück) angezeigt haben will, steht der "Brigittenau" als Stadtteil begreifende allgemeine Sprachgebrauch entgegen ("... nach der Brigittenau und zurück").
Davon ausgehend, daß der Beschwerdeführer selbst sich schon bei der Überreichung der Versammlungsanzeige, aber auch noch im drittinstanzlichen Berufungsverfahren der Gelegenheit zur Konkretisierung seiner Ortsbezeichnung begab (s. 1.1. und 1.2.3.), war die Behörde - da das Gesetz eine bloß teilweise Untersagung einer angezeigten Versammlung nicht vorsieht (Fessler, aaO, S 65) - im Recht, wenn sie zur Auffassung gelangte, daß das im §2 Abs1 VersG vorausgesetzte Erfordernis der Angabe auch des "Ortes" der Versammlung - mangels Benennung der vollständigen Aufmarschstrecke - nicht erfüllt sei; die Untersagung der Versammlung wegen Verstoßes der Anzeige gegen die zwingende Bestimmung des §2 Abs1 VersG entsprach daher der Vorschrift des §13 Abs1 VersG.
Der Aufnahme der vom Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift beantragten Beweise (Ortsaugenschein, Parteieneinvernahme) bedurfte es unter den gegebenen Verhältnissen nicht, weil es sich hier ausschließlich um die Auslegung und Würdigung des bekannten Anzeigewortlauts handelt.
Der Beschwerdeführer wurde darum durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit nicht verletzt.
2.3. Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes kommt angesichts der festgestellten Rechtmäßigkeit des - auf verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlagen beruhenden (s. 2.1.) - angefochtenen Berufungsbescheides nicht in Betracht (s. VfSlg. 8141/1977 ua.).
2.4. Die Beschwerde war infolgedessen als unbegründet abzuweisen.
Schlagworte
Versammlungsrecht, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B82.1977Dokumentnummer
JFT_10189388_77B00082_00