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27 RechtspflegeNorm
EMRK Art10Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere nicht der Meinungsäußerungsfreiheit, durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen sachlich nicht erforderlicher Vorwürfe gegen den Gegenvertreter sowie wegen Verstoßes gegen das DoppelvertretungsverbotSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Steier-märkischen Rechtsanwaltskammer vom 14. Juni 2004 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe:
"I.) zu D 63/98
durch die Erhebung des Vorwurfes des Doppelverkaufes gegenüber RA Dr. H E in Schriftsätzen des Oppositionsverfahrens ... des BG für ZRS Graz, ohne zuvor die Richtigkeit dieser Vorwürfe durch Kontaktaufnahme mit dem Vertreter der Verkäufer zu verifizieren, gegen das Verbot von sachlich nicht erforderlichen Vorwürfen gegen den Gegenvertreter (§9 Abs3 RAO, §18 RL-BA) verstoßen und dadurch die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigt und
II.) zu D 16/02
durch Übernahme der Vertretung des R G gegenüber seiner Mandantin S O, insbesondere durch das an ihre Rechtsvertreterin gerichtete Schreiben vom 19.9.2001 gegen das Doppelvertretungsverbot (§10 RAO) verstoßen und dadurch die Berufspflichten verletzt bzw. auch die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigt."
Der Beschwerdeführer wurde zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße in Höhe von € 1.000,- verurteilt. Hinsichtlich eines weiteren gegen ihn erhobenen Vorwurfs wurde er freigesprochen.
2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 20. Juni 2005 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass er in seinem Spruchpunkt I. zu lauten habe:
"Der Disziplinarbeschuldigte hat durch die Erhebung des Vorwurfs des Doppelverkaufes gegenüber Rechtsanwalt Dr. H E in einem an Rechtsanwalt Dr. W K gerichteten Schreiben vom 15. Juni 1998, ohne zuvor mit Dr. E Kontakt aufgenommen zu haben, gegen das Verbot von sachlich nicht erforderlichen Vorwürfen gegen den Gegenvertreter gemäß §18 RL-BA verstoßen und hat dadurch Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt."
Begründend wird dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erhebung des Vorwurfs des Doppelverkaufs sichere Anhaltspunkte für das Zutreffen dieses Vorwurfs haben hätte müssen. Die Anschuldigung des Doppelverkaufs sei nicht von der Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art10 EMRK gedeckt, weil es sich um den Vorwurf einer strafbaren Handlung handle. Zu beachten sei außerdem, dass die Behauptung der Doppelveräußerung nicht gegenüber Rechtsanwalt Dr. E in einem an diesen gerichteten Schreiben erhoben wurde, sondern in einem Schreiben an einen Dritten. Zu Spruchpunkt II. des Bescheides des Disziplinarrates wird dargelegt, dass der Rechtsanwalt durch entsprechende Vorkehrungen in seiner Kanzleiorganisation dafür zu sorgen habe, dass ihm die aufrechten Vertretungsverhältnisse gegenwärtig sind und der Gefahr vorgebeugt werde, dass neue Mandate übernommen und ausgeführt werden, welche den Tatbestand der echten oder formellen Doppelvertretung erfüllen.
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer hat gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften keine verfassungs-rechtlichen Bedenken vorgebracht. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden.
2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:
2.1.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt. Begründend führt er ua. aus, dass die Feststellungen der belangten Behörde im Widerspruch zu rechtskräftigen Feststellungen in anderen zivilgerichtlichen Verfahren stünden. Dem Beschwerdeführer sei aufgrund der Umstände des Falles das Recht zugestanden, Rechtsanwalt Dr. E vorzuwerfen, die Liegenschaft doppelt veräußert zu haben. Darüber hinaus sei der Vorwurf aus "rein sachlicher Natur" erhoben worden. Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer bei Rechtsanwalt Dr. E Rücksprache halten hätte müssen, ob der Vorwurf berechtigt sei, sei unzutreffend, weil bei der Beurteilung einer Meinungsäußerung als strafbares Disziplinarvergehen besondere Zurückhaltung erforderlich und der Beschwerdeführer gutgläubig gewesen sei. Gutgläubig vorgebrachte Beschuldigungen würden nicht zu einer Berufspflichtenverletzung führen.
2.1.2. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Da sich die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer auf verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsvorschriften stützt (vgl. Punkt II.1.), könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn dem Gesetz fälschlicherweise ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt oder wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre, was aber nur dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 7907/1976 mwN, 14.005/1995, 16.265/2001).
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes fordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung eine besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung eines Rechtsanwaltes als strafbares Disziplinarvergehen (vgl. VfSlg. 13.122/1992, 13.612/1993, 14.006/1995, 14.233/1995, 16.519/2002). Der belangten Behörde kann - aus verfassungsrechtlicher Sicht - aber nicht entgegengetreten werden, wenn sie das Verhalten des Beschwerdeführers als persönlichen Angriff gegen Rechtsanwalt Dr. E bzw. als unnötiges in Streitziehen dieses Anwaltes iSd. §18 RL-BA 1977 ansieht und damit eine nicht unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit im Dienste des Ansehens der Rechtsprechung vornimmt. Die belangte Behörde hat dem Gesetz somit keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die belangte Behörde die Feststellungen aus anderen zivilgerichtlichen Verfahren nicht entsprechend gewürdigt habe, wirft unter dem Blickwinkel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung keine verfassungsrechtlichen Fragen auf.
Der Beschwerdeführer wurde nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.
2.2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, weil die belangte Behörde ein unzureichendes Beweisverfahren durchgeführt und das Parteien-vorbringen ignoriert habe. Aufgrund dieses mangelhaften Ermittlungsverfahrens komme die belangte Behörde - im Gegensatz zu rechtkräftigen Feststellungen in anderen Verfahren - zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde im Hinblick auf Spruchpunkt II. §3 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt 1990) anwenden müssen.
2.2.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften (Punkt I.1.) und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002).
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist die belangte Behörde in einem - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht zu beanstandenden Verfahren zu ihren Beweisergebnissen gelangt. Die vom Beschwerdeführer zur Stützung seiner Auffassung immer wieder herangezogenen rechtskräftigen Feststellungen aus anderen Verfahren waren schon deshalb für die belangte Behörde nicht bindend, weil es in keinem dieser Verfahren um den vom Beschwerdeführer erhobenen - disziplinarrechtlich zu verantwortenden - Vorwurf des Doppelverkaufs ging.
Der Ansicht des Beschwerdeführers, wonach im Hinblick auf Spruchpunkt II. des Bescheides §3 DSt 1990 anzuwenden gewesen wäre, ist entgegenzuhalten, dass es der Verfassungsgerichtshof allein aufgrund des - in einem unbedenklichen Ermittlungsverfahren festgestellten - Verhaltens des Beschwerdeführers für vertretbar hält, wenn die belangte Behörde keinen Anlass zur Anwendbarkeit des §3 DSt 1990 sieht. Ob die Bestimmung in jeder Hinsicht richtig angewendet wurde, ist eine Frage der Anwendung des einfachen Gesetzes, für deren Beurteilung dem Verfassungsgerichtshof keine Zuständigkeit zukommt.
Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.
3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, MeinungsäußerungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B3561.2005Dokumentnummer
JFT_09939394_05B03561_00