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36 WirtschaftstreuhänderNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Wahlordnung für die Durchführung der Wahlen der Kammerorgane der Kammer der Wirtschaftstreuhänder; §26 Abs6 und 7 gesetzwidrig; die Einräumung eines Instanzenzuges von einer Selbstverwaltungseinrichtung an eine staatliche Behörde bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen RegelungSpruch
1. Abs6 und 7 des §26 der Wahlordnung für die Durchführung der Wahlen der Kammerorgane der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, beschlossen in der Sitzung des Kammertages der Kammer der Wirtschaftstreuhänder am 21. März 1959, genehmigt vom Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau mit Erlaß vom 11. Mai 1959, Z 152.443-IV/20/59, idF des Kammertagsbeschlusses vom 11. Dezember 1971 (kundgemacht im Amtsblatt der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vom 11. Dezember 1971, Nr. 2/72), genehmigt mit Erlaß des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 17. Jänner 1972, Z 143.909-II/24/71 (kundgemacht im Amtsblatt der Wirtschaftstreuhänder vom 18. März 1972, Nr. 5/72), wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
2. Der zweite Satz des §32 der Wahlordnung in der zitierten Fassung wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Am 19. April 1980 fand die Wahl des Vorstandes der Kammer der Wirtschaftstreuhänder statt. Gegen das Wahlergebnis erhob eine wahlwerbende Gruppe Einspruch, der mit Bescheid der Hauptwahlkommission abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Administrativbeschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24. Juli 1980 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wendet sich die beim VfGH anhängige, zu B396/80 registrierte Beschwerde.
2. a) Bei der Beratung über diese Beschwerde sind beim VfGH Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des zweiten Satzes des §32 und der Abs6 und 7 des §26 der Wahlordnung für die Durchführung der Wahlen der Kammerorgane der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, beschlossen in der Sitzung des Kammertages der Kammer der Wirtschaftstreuhänder am 21. März 1959, genehmigt vom Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau mit Erlaß vom 11. Mai 1959, Z 152.443-IV/20/59, idF des Kammertagsbeschlusses vom 11. Dezember 1971, genehmigt mit Erlaß des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 17. Jänner 1972, Z 143.909-II/24/71 (künftig: WO), entstanden.
Der VfGH hat beschlossen, aus Anlaß der erwähnten Beschwerde von Amts wegen nach Art139 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmungen der vorläufig als Verordnung gewerteten WO einzuleiten.
b) §32, dessen zweiter Satz in Prüfung gezogen wurde, lautet:
"Das Wahlergebnis kann von den bevollmächtigten Vertretern (§30 Abs2) binnen einer Woche nach Durchführung der Wahl bei der Hauptwahlkommission angefochten werden. Die Bestimmungen des §26 gelten sinngemäß."
§26 WO, dessen Abs6 und 7 in Prüfung gezogen wurden, lautet:
"(1) Dem Zustellungsbevollmächtigten eines Wahlvorschlages, der gemäß §16 Abs7 verlautbart wurde sowie den Zustellungsbevollmächtigten gemäß §15 Abs7 steht es frei, binnen acht Tagen nach Empfang der Verständigung über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens (§24) gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses bzw. wegen Verletzung wesentlicher Bestimmungen über das Wahlverfahren bei der Hauptwahlkommission schriftlich Einspruch zu erheben.
(2) In den Einsprüchen ist hinreichend zu begründen, warum und inwiefern die Ermittlung des Wahlergebnisses nicht den Bestimmungen dieser Wahlordnung entspricht bzw. wesentliche Bestimmungen über das Wahlverfahren verletzt wurden. Fehlt diese Begründung, kann der Einspruch ohne weitere Überprüfung abgewiesen werden.
(3) Wird ein hinlänglich begründeter Einspruch erhoben, so überprüft die Hauptwahlkommission auf Grund der ihr vorliegenden Schriftstücke das Wahlergebnis. Ergibt sich aus diesen Schriftstücken die Unrichtigkeit der Ermittlung, so hat die Hauptwahlkommission das Ergebnis sofort richtigzustellen.
(4) Wurden wesentliche Bestimmungen über das Wahlverfahren verletzt, bei deren Beobachtung das Wahlergebnis voraussichtlich ein anderes gewesen wäre, so hat die Hauptwahlkommission auf Grund eines fristgerecht (Abs1) eingebrachten Einspruches die Wahl für ungültig zu erklären und zu bestimmen, welche Teile der Wahlhandlung bei der unverzüglich auszuschreibenden Neuwahl vorzunehmen sind.
(5) Findet die Hauptwahlkommission keinen Anlaß zur Richtigstellung oder Ungültigkeiterklärung, so ist der Einspruch abzuweisen.
(6) Gegen die Abweisung eines Einspruches (Abs2 bzw. 5) steht binnen einer Woche nach Zustellung der Entscheidung der Hauptwahlkommission die Beschwerde an das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie offen. Die Beschwerde ist bei der Hauptwahlkommission einzubringen, die sie unter Anschluß des Wahlaktes mit einer Stellungnahme dem Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie vorzulegen hat.
(7) Im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie sind die Bestimmungen der Abs2 bis 5 sinngemäß anzuwenden."
c) Der VfGH hat die entstandenen Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen im Einleitungsbeschluß wie folgt umschrieben:
Bei der Kammer der Wirtschaftstreuhänder handelt es sich um eine Selbstverwaltungseinrichtung (VfSlg. Anhang 14/1954). Der VfGH hat in ständiger Judikatur ausgesprochen, daß es im Bereich der Selbstverwaltung, auch der beruflichen, zur Einräumung eines Rechtsmittels an ein Organ der staatlichen Verwaltung einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung bedarf (VfSlg. 3683/1960, 4667/1964, 5438/1966, 5745/1968, 6305/1970).
§32 WO scheint ein Rechtsmittel an ein Organ der staatlichen Verwaltung einzuräumen, da nach seinem zweiten Satz die Bestimmungen des §26 sinngemäß gelten, nach dessen Absätzen 6 und 7 gegen Entscheidungen der Hauptwahlkommission ein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie vorgesehen ist. Es scheint aber keine gesetzliche Bestimmung zu bestehen, die dafür Deckung bietet. Sitz der Verfassungswidrigkeit scheinen die Absätze 6 und 7 des §26 sowie der zweite Satz des §32 WO zu sein.
3. a) Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat eine Äußerung erstattet, in der er den Antrag stellt, die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen festzustellen. Er führt im wesentlichen aus:
Die Wahlordnung für die Durchführung der Wahlen der Kammerorgane der Kammer der Wirtschaftstreuhänder sei eine Verordnung des satzungsgebenden Organes der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Der Bundesminister konnte Bestimmungen der Wahlordnung daher nur entweder genehmigen oder diesen die Genehmigung versagen; er könne auch in der Folge eine Änderung nicht veranlassen.
Gleichlautende Bestimmungen, wie die nunmehr in Prüfung gezogenen, seien bereits in der am 22. Oktober 1949 vom Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder beschlossenen und vom Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau am 11. November 1949 genehmigten ersten Wahlordnung in den §§26 Abs5 und 6 und 31 enthalten gewesen. In diesem Zeitpunkt seien die Bestimmungen des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes nach der Rechtsprechung des VfGH für die gesetzmäßige Deckung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen gemäß Art18 B-VG als ausreichend anzusehen gewesen. Vom Bundesminister wird daher die Meinung vertreten, "daß der Instanzenzug nur im Lichte der damaligen Rechtsprechung beurteilt werden kann" und die vom VfGH im Einleitungsbeschluß vorgebrachten Bedenken deshalb nicht aufrechterhalten werden könnten.
b) Auch der Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat eine Äußerung erstattet, in der im wesentlichen vorgebracht wird:
Nicht widersprochen werde der Rechtsmeinung des VfGH, daß es sich bei der WO um eine Verordnung iS des Art139 B-VG handle. Es sei auch zutreffend, daß weder das Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetz noch eine andere gesetzliche Vorschrift ein Rechtsmittel an die staatliche Verwaltung einräume. Es müsse allerdings darauf hingewiesen werden, daß §27 des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes dem Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau (Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie) das Aufsichtsrecht einräume, welches die Sorge für die gesetzmäßige Führung der Geschäfte und Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Ganges der Verwaltung umfasse; die Aufsichtsbehörde sei bei Handhabung ihres Aufsichtsrechtes berechtigt, Beschlüsse aufzuheben. Der Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder räume jedoch ein, daß angesichts der Rechtsprechung des VfGH die in Prüfung gezogene Regelung, welche ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Organe der Kammer der Wirtschaftstreuhänder an die Aufsichtsbehörde vorsehe, gesetzlich nicht gedeckt erscheine, da die Handhabung des Aufsichtsrechtes nicht mit der Stellung einer Rechtsmittelbehörde vergleichbar sei.
Der Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder verweise jedoch auf den Beschluß des VfGH vom 1. Dezember 1980, WI-33/80, wonach eine auf Art141 Abs1 lita B-VG gestützte Wahlanfechtung als unzulässig zurückgewiesen wurde, sodaß die den Anlaßfall bildende Beschwerde im Falle der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen ins Leere gehe, da die belangte Behörde des Anlaßverfahrens sodann die Berufung gegen die Entscheidung der Hauptwahlkommission als unzulässig zurückzuweisen hätte.
II. Der VfGH ist im Einleitungsbeschluß vorläufig von der Annahme ausgegangen, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen Verordnungscharakter iS des Art139 B-VG besitzen und daß sie von der belangten Behörde im Anlaßfall angewendet wurden. Weder der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie noch der Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist diesen Annahmen entgegengetreten; es ist auch sonst nichts hervorgekommen, das die Richtigkeit der im Einleitungsbeschluß angestellten Überlegungen zweifelhaft erscheinen ließe. Wenn nämlich der Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vermeint, daß eine Aufhebung im Anlaßfall ins Leere ginge, genügt es, darauf zu verweisen, daß die Auswirkung eines Normenprüfungsverfahrens auf die Sachentscheidung im Einzelfall für die Frage der Präjudizialität ohne Bedeutung ist.
Das Verordnungsprüfungsverfahren ist, da auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, somit zulässig.
III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:
1. Zufolge des zweiten Satzes des §32 WO gelten die Bestimmungen des §26 und damit auch der Absätze 6 und 7 dieser Bestimmung sinngemäß für die Anfechtung des Wahlergebnisses der Wahl des Vorstandes der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. In den Absätzen 6 und 7 des §26 WO wird gegen die Abweisung eines Einspruches gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses bzw. wegen Verletzung wesentlicher Bestimmungen über das Wahlverfahren durch die Hauptwahlkommission die Möglichkeit einer Beschwerde an das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie eröffnet und das Beschwerdeverfahren geregelt. Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist eine Selbstverwaltungseinrichtung (VfSlg. 3993/1961). Mit den genannten Bestimmungen wird ein Instanzenzug von einer Selbstverwaltungseinrichtung an eine staatliche Behörde geschaffen. Der VfGH hat schon mit Erk. VfSlg. 1946/1950 ausgesprochen, daß die Einräumung eines Instanzenzuges von einem Selbstverwaltungskörper an ein Organ der staatlichen Verwaltung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf, weil andernfalls mangels jedes organisatorischen Zusammenhanges nicht einmal feststehen würde, welche Stelle der staatlichen Verwaltung zur Entscheidung berufen wäre. An dieser Rechtsprechung hat der VfGH auch in der Folge ausnahmslos festgehalten (vgl. VfSlg. 3683/1960, 4667/1964, 5438/1966, 5745/1968, 6305/1970, 7837/1976).
Der Kammertag der Kammer der Wirtschaftstreuhänder weist nur darauf hin, daß gemäß §27 Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetz dem Bundesminister ein Aufsichtsrecht über die Kammer der Wirtschaftstreuhänder zusteht. Diese Bestimmung bietet jedoch schon deshalb keine Deckung für die Einräumung eines Instanzenzuges, da das Gesetz weder vorsieht, daß irgend jemand ein Recht auf eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde hat, noch das Gesetz den Verordnungsgeber ermächtigt, ein solches Recht zu begründen.
§26 Abs6 und 7 WO ist somit, da sich auch ansonsten keine Bestimmung findet, die als gesetzliche Grundlage herangezogen werden könnte, gesetzwidrig. Diese Bestimmungen der WO waren daher als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Mit der Aufhebung der Abs6 und 7 des §26 WO sind die im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken gegen den zweiten Satz des §32 WO weggefallen; er verweist nämlich nicht mehr auf eine Regelung, die einen Instanzenzug von einer Selbstverwaltungseinrichtung an eine staatliche Behörde einrichtet. Es war daher auszusprechen, daß er nicht als gesetzwidrig aufgehoben wird.
IV. Die Verpflichtung des Bundesministers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 B-VG.
Schlagworte
RechtsV, Wirtschaftstreuhänder Kammern, berufliche Vertretungen, Selbstverwaltungsrecht, Instanzenzug, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:V4.1981Dokumentnummer
JFT_10189383_81V00004_00