TE Vfgh Beschluss 1981/6/17 B441/80, B442/80, B443/80, B444/80, B445/80

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Veröffentlicht am 17.06.1981
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33
ZPO §146 Abs1

Leitsatz

VerfGG 1953 §33; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerden gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von NÖ vom 16. Jänner 1980, Z VI/4-Vet.-23-1979, wird bewilligt.

Begründung

Begründung:

I.1. Mit fünf zur Z VI/4-Vet.-23-1979 erlassenen Bescheiden des Landeshauptmannes von NÖ vom 16. Jänner 1980 wurden im Jahre 1979 ergangene Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung bestätigt, in welchen dem Beschwerdeführer auf Grund des Tierseuchengesetzes und der Verordnung des Landeshauptmannes von NÖ vom 23. Oktober 1972 in der Fassung der Verordnung vom 1. Juli 1976, LGBl. 6400/1-2, für amtstierärztliche Untersuchungen im Flughafen Schwechat anläßlich von Transporten von Kücken ins Ausland Untersuchungsgebühren in Höhe von S 20.966,- (B441/80), S 17.876,-

(B442/80), S 10.192,- (B443/80), S 18.650,- (B444/80) und S 11.506,- (B445/80) vorgeschrieben wurden. Die Bescheide enthielten die Rechtsmittelbelehrung, daß dagegen binnen zwei Wochen nach Zustellung schriftlich oder telegraphisch die an das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz zu richtende Berufung bei der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung eingebracht werden könne.

2. Entsprechend dieser Rechtsmittelbelehrung brachte der Beschwerdeführer gegen diese Bescheide Berufungen ein; diese wurden vom Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz mit Bescheiden vom 2. Juli 1980, Z IV-440.178/1-6/80, als unzulässig zurückgewiesen. In den Begründungen wird ausgeführt, daß das Veterinärwesen gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sei und im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung (Art102 Abs1 B-VG) vollzogen werde. Gemäß Art103 Abs4 B-VG in der Fassung der Nov. BGBl. 444/1974 ende in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung der administrative Instanzenzug, sofern der Landeshauptmann als Rechtsmittelbehörde zu entscheiden habe und nicht durch Bundesgesetz ausnahmsweise auf Grund der Bedeutung der Angelegenheit ausdrücklich anderes bestimmt sei, beim Landeshauptmann. Die gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von NÖ erhobenen Berufungen seien daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Zurückweisungsbescheide des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz wurden dem Beschwerdeführer am 7. August 1980 zugestellt.

3. Mit den vorliegenden Anträgen wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung von Verfassungsgerichtshofbeschwerden gegen die Bescheide des Landeshauptmannes begehrt. Zugleich mit den Anträgen werden auf Art144 B-VG gestützte Beschwerden eingebracht, in denen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

II. Der VfGH hat über die Wiedereinsetzungsanträge erwogen:

1. Nach §33 VerfGG kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist in den Fällen des Art144 B-VG bewilligt werden. Eine nähere Regelung dieses Rechtsbehelfs gibt das Verfassungsgerichtshofgesetz nicht. Es sind daher gemäß §35 Abs1 VerfGG die Bestimmungen der ZPO sinngemäß anzuwenden.

Nach §146 Abs1 ZPO ist Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses. Im Beschluß VfSlg. 4536/1963 hatte sich der VfGH mit der Frage zu befassen, ob eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung, die demjenigen, der im Vertrauen auf sie die Frist zur Einbringung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG an den VfGH versäumt, an der rechtzeitigen Vornahme dieser Prozeßhandlung hindert, für den Betroffenen ein unvorhergesehenes Ereignis darstellt. Damals hat der VfGH ausgeführt, daß er bei der Auslegung der entsprechenden Bestimmungen der ZPO auf die von der Gesetzgebung vorgenommenen Wertungen unrichtiger Rechtsmittelbelehrungen zu rekurrieren hat. Dies nötige zum Schluß, daß die Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung für die Partei ein unvorhergesehenes Ereignis darstelle und daß das Vertrauen auf die Richtigkeit der bekanntgegebenen Rechtsmittelbelehrung der Partei nicht als Verschulden angerechnet werden könne (vgl. auch VfSlg. 6229/1970, 7566/1975, VfGH 3. 3. 1979 B305/78, VfSlg. 8874/1980).

Als Konsequenz dieser Interpretation ergibt sich, daß einer Partei, die im Vertrauen auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung dieser entsprechend rechtzeitig Berufung ergriffen hat und erst durch den ihr Rechtsmittel als unzulässig zurückweisenden Bescheid Kenntnis von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erhalten hat, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen ist (vgl. VfSlg. 7566/1965, VfGH 3. 3. 1979 B305/78).

2. Die Angelegenheiten des Veterinärwesens sind gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache und werden nach Art102 Abs1 B-VG im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung vollzogen. In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung endet der administrative Instanzenzug gemäß Art103 Abs4 B-VG in der Fassung der Nov. BGBl. 444/1974, sofern der Landeshauptmann als Rechtsmittelbehörde zu entscheiden hat und nicht durch Bundesgesetz ausnahmsweise auf Grund der Bedeutung der Angelegenheit ausdrücklich anderes bestimmt ist, beim Landeshauptmann.

In den vorliegenden Fällen hat der Landeshauptmann als Rechtsmittelbehörde über Berufungen in Angelegenheiten des Veterinärwesens entschieden. Da durch Bundesgesetz nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, war somit der Instanzenzug mit der Entscheidung des Landeshauptmannes erschöpft.

Die in den Bescheiden des Landeshauptmannes von NÖ enthaltenen Rechtsmittelbelehrungen waren daher unzutreffend. Der Beschwerdeführer, der im Vertrauen auf die Rechtsmittelbelehrungen Berufung eingebracht hatte, wurde erst durch die diese Berufungen zurückweisenden Bescheide des Bundesministers von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrungen in Kenntnis gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist für die Einbringung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen die Bescheide des Landeshauptmannes schon abgelaufen.

3. Durch dieses - iS der Rechtsprechung des VfGH (vgl. II.1.) unvorhergesehene und unverschuldete - Ereignis wurde der Beschwerdeführer an der rechtzeitigen Vornahme befristeter Prozeßhandlungen, nämlich der Einbringung der Beschwerden an den VfGH, gehindert, was den Rechtsnachteil des Ausschlusses von diesen Prozeßhandlungen zur Folge hatte.

Da der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzungsanträge am 21. August 1980 zur Post gegeben hat und somit gemäß §125 Abs1 ZPO binnen 14 Tagen nach Zustellung des zurückweisenden Bescheides des Bundesministers und somit binnen 14 Tagen ab Kenntnis der Unzulässigkeit der Berufung eingebracht (§148 Abs2 ZPO) und die versäumte Beschwerde nachgeholt hat (§149 Abs1 ZPO), war den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §146 Abs1 ZPO in Verbindung mit §35 VerfGG Folge zu geben.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B441.1980

Dokumentnummer

JFT_10189383_80B00441_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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