Index
50 GewerberechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung der Festlegung einer überschießenden Mindestgeldstrafe im Gelegenheitsverkehrsgesetz für bestimmte Verwaltungsübertretungen unter Hinweis auf ein VorerkenntnisSpruch
I. §15 Abs2 letzter Satz des GelegenheitsverkehrsGesetzes 1996, BGBl. Nr. 112, idF BGBl. I Nr. 32/2002 war verfassungswidrig.
II. Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (in der Folge: UVS) ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz anhängig. Mit diesem Straferkenntnis wurde der Lenker eines Omnibusses bestraft, weil er ua. "einen gewerbsmäßigen Personentransport von St. Stefan nach Zürich/CH durchgeführt, und dabei kein Fahrtenblatt gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 bei der Personenbeförderung über die Grenze während der gesamten Fahrt mitgeführt bzw. dem Organ der Straßenaufsicht bei der Kontrolle nicht vorgezeigt [habe], obwohl sich das Original des Fahrtenblattes während der gesamten Dauer der Fahrt, für die es ausgestellt wurde, in dem betreffenden Fahrzeug befinden muss". Der Lenker wurde in erster Instanz ua. gemäß §15 Abs1 Z4 Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 zu einer Geldstrafe in Höhe von € 1.453,- (Ersatzfreiheitsstrafe 70 Stunden) verurteilt.
1.2. Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens hat der UVS gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag gestellt, den "§15 Abs2 letzter Satz des Gelegenheitsverkehrs-Gesetzes 1996, BGBl Nr 112/1996, in der Fassung BGBl I Nr 32/2002, als verfassungswidrig aufzuheben".
1.3. Zur Präjudizialität legt der UVS dar:
"Im ... Straferkenntnis wurde über den Beschuldigten wegen der angeführten Übertretung eine Geldstrafe gemäß §15 Abs1 Z4 Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 in der Höhe von 1.453 Euro verhängt. Wie bereits erwähnt, ist davon auszugehen, dass die vorerwähnte Strafhöhe unter Anwendung auch des §15 Abs2 letzter Satz des Gelegenheitsverkehrs-Gesetzes 1996, idF BGBl I Nr 32/2002, festgesetzt wurde. Nach dieser Bestimmung beträgt die Mindeststrafe bei Verwaltungsübertretungen gemäß §15 Abs1 Z4 des Gesetzes 1.453 Euro.
Jedenfalls hat der Unabhängige Verwaltungssenat im gegenständlichen Berufungsverfahren hinsichtlich der Höhe der über den Berufungswerber verhängten Geldstrafe den §15 Abs2 letzter Satz des Gelegenheitsverkehrs-Gesetzes 1996 anzuwenden."
In der Begründung seines Antrags verweist der UVS im Wesentlichen auf das Erkenntnis VfSlg. 16.649/2002, mit welchem ausgesprochen wurde, dass §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz idF BGBl. I Nr. 135/1999 verfassungswidrig war. Insbesondere wird ausgeführt:
"In diesem Fall führt ... die Blankettstrafnorm im Ergebnis zu einem Delikt, mit dem gerade jene Personen mit einer Mindeststrafe von 1.453 Euro bedroht werden, die zum einen aus der inkriminierten Tätigkeit in aller Regel keinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil haben dürften, zum anderen die für die Einhaltung dieser Vorschriften erforderlichen Vorkehrungen oft gar nicht im eigenen Verantwortungsbereich treffen können und zudem auch nicht selten unter dem Druck des Arbeitgebers stehen dürften.
Soweit der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Mindeststrafe (mittels pauschaler Verweisung) zumindest auch auf Übertretungen des Artikel 11 Abs1 der zitierten EG-Verordnung erstreckt hat, hat er eine überschießende und damit unsachliche Regelung getroffen."
2. Die Bundesregierung nahm mit Schreiben vom 9. Jänner 2006 von der Erstattung einer Äußerung Abstand.
3. Zur Rechtslage:
3.1. Die Verordnung (EWG) Nr. 684/92 des Rates vom 16. März 1992 zur Einführung gemeinsamer Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen (ABl. Nr. L 74 vom 20. März 1992, S 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 11/98 vom 11. Dezember 1997 (ABl. Nr. L 4 vom 8. Jänner 1998, S 1) lautet auszugsweise:
"Artikel 1
Geltungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen im Gebiet der Gemeinschaft, der von in einem Mitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften niedergelassenen Unternehmen gewerblich oder im Werkverkehr mit Fahrzeugen durchgeführt wird, die in diesem Mitgliedstaat zugelassen und die nach ihrer Bauart und Ausstattung geeignet und dazu bestimmt sind, mehr als neun Personen - einschließlich des Fahrers - zu befördern, sowie für Leerfahrten im Zusammenhang mit diesem Verkehr.
(...)
(...)
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Verordnungen gelten nachstehende Begriffsbestimmungen:
1. Linienverkehr
(...)
2. (...)
3. Gelegenheitsverkehr
3.1. Gelegenheitsverkehr ist der Verkehrsdienst, der nicht der Begriffsbestimmung des Linienverkehrs, einschließlich der Sonderformen des Linienverkehrs, entspricht und für den insbesondere kennzeichnend ist, daß auf Initiative eines Auftraggebers oder des Verkehrsunternehmers selbst vorab gebildete Fahrgastgruppen befördert werden.
Die Durchführung von parallelen oder zeitlich befristeten Verkehrsdiensten, die bestehenden Liniendiensten vergleichbar und auf deren Benutzer ausgerichtet sind, unterliegt der Pflicht zur Genehmigung nach dem in Abschnitt II festgelegten Verfahren.
(...)
Artikel 11
Fahrtenblatt
(1) Bei den in Artikel 4 Absatz 1 genannten
Verkehrsdiensten ist ein Fahrtenblatt mitzuführen.
(2) Verkehrsunternehmer, die Beförderungen im Gelegenheitsverkehr durchführen, müssen vor Antritt jeder Fahrt das Fahrtenblatt ausfüllen.
(...)"
3.2. Die Strafbestimmungen des Gelegenheitsverkehrs-Gesetzes 1996 lauten in der angefochtenen Fassung (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Strafbestimmungen
§15. (1) Abgesehen von gemäß dem V. Hauptstück der Gewerbeordnung 1994 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 7 267 Euro zu ahnden ist, wer
1. die Zahl der Fahrzeuge ohne Genehmigung gemäß §4 Abs2 vermehrt;
2. §7 zuwiderhandelt;
3. §10 zuwiderhandelt;
4. eine Beförderung gemäß §11 ohne die erforderliche Bewilligung durchführt oder gegen Gebote oder Verbote der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 zur Einführung gemeinsamer Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen, ABl. Nr. L 74 vom 20. März 1992, S 1, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 11/98, ABl. Nr. L 4 vom 8. Jänner 1998, S 1, oder der Verordnung (EG) Nr. 12/98 über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, ABl. Nr. L 4 vom 8. Jänner 1998, S 10, verstößt;
5. die gemäß §14 festgelegten Tarife nicht einhält;
6. andere als die in Z1 bis 5 genannten Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht einhält.
(2) Bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z1, 2 und 5 sowie bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z3, wenn es sich um Zuwiderhandlungen gegen §10 Abs2 handelt, hat die Geldstrafe mindestens 363 Euro zu betragen. Bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z4 hat die Geldstrafe mindestens 1 453 Euro zu betragen.
(3) Bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z5 ist das gewährte unzulässige Entgelt für verfallen zu erklären.
(4) Bei Verwaltungsübertretungen gemäß §366 Abs1 Z1 GewO 1994 hat die Geldstrafe mindestens 363 Euro zu betragen."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd. Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).
1.1.2. Mit BGBl. I Nr. 24/2006 wurde das Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 und damit auch dessen teilweise angefochtener §15 insofern geändert, als dieser mit Wirkung vom 17. Februar 2006 lautet:
"§15. (1) Abgesehen von gemäß dem V. Hauptstück der Gewerbeordnung 1994 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 7 267 Euro zu ahnden ist, wer als Unternehmer
1. - 2. (...)
3. eine Beförderung gemäß §11 Abs1 Z2 ohne die erforderliche Genehmigung durchführt;
4. (...)
5. andere als die in Z1 bis 5 genannten Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht einhält;
6. nicht dafür sorgt, dass die gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 oder der Verordnung (EG) Nr. 12/98 erforderliche beglaubigte Abschrift der Gemeinschaftslizenz oder das Fahrtenblatt mitgeführt wird;
7. gegen sonstige Gebote oder Verbote der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 oder der Verordnung (EG) Nr. 12/98 oder gegen sonstige unmittelbar anwendbare Vorschriften der Europäischen Union über den Personenverkehr auf der Straße verstößt;
8. (...)
(2) Bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z1, 4, 6 und 8 sowie bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z2, wenn es sich um Zuwiderhandlungen gegen §10 Abs2 handelt, hat die Geldstrafe mindestens 363 Euro zu betragen. Bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 Z3 und 7 sowie bei Verwaltungsübertretungen gemäß §366 Abs1 Z1 der Gewerbeordnung 1994 hat die Geldstrafe mindestens 1 453 Euro zu betragen.
(3) (...)
(4) Strafbar nach Abs1 Z3, 6 und 8 ist ein Unternehmer auch dann, wenn er die Verpflichtungen im Ausland verletzt. Örtlich zuständig ist diesfalls jene Behörde, in deren Sprengel der Lenker im Zuge einer Straßenkontrolle betreten wird, sonst jene Behörde, in deren Sprengel der Grenzübertritt in das Bundesgebiet erfolgte.
(5) Eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro zu ahnden ist, begeht, wer als Lenker
1. Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht einhält;
2. eine gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 oder der Verordnung (EG) Nr. 12/98 erforderliche Abschrift der Gemeinschaftslizenz oder das Fahrtenblatt nicht mitführt oder auf Verlangen den Kontrollorganen nicht vorweist;
3. gegen sonstige Gebote oder Verbote der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 oder der Verordnung (EG) Nr. 12/98 verstößt;
4. (...)
5. gegen unmittelbar anwendbare Vorschriften der Europäischen Union über den Personenverkehr auf der Straße verstößt.
(6) (...)"
1.1.3. Gemäß §1 Abs2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht wäre für den Täter günstiger. Eine Änderungen der Rechtslage nach Fällung des Bescheides erster Instanz muss daher aufgrund des §1 Abs2 VStG ohne Bedeutung bleiben (vgl. VfSlg. 15.763/2000, 16.124/2001, 16.649/2002, 16.819/2003).
Es besteht demnach kein Zweifel daran, dass der UVS bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung, die teilweise angefochtene Bestimmung des Gelegenheitsverkehrs-Gesetzes 1996 idF BGBl. I Nr. 32/2002 anzuwenden hätte.
1.2. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes die gegen seine Verfassungsmäßigkeit sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs führt das Fehlen der Darlegung der Bedenken zur Zurückweisung des Antrages, ohne dass ein Auftrag zur Behebung dieses Mangels zu ergehen hat (VfSlg. 12.648/1991 mwN).
Der UVS begnügt sich im vorliegenden Antrag im Wesentlichen mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis VfSlg. 16.649/2002. Die in diesem Erkenntnis getroffenen Erwägungen seien seiner Ansicht nach auch auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Eine bloße Verweisung auf Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs kann dem Erfordernis des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG nur dann genügen, wenn die seinerzeit in Prüfung gezogene (und aufgehobene) und die nunmehr bekämpfte Rechtsvorschrift in den maßgeblichen Bestimmungen und auch in Ansehung des ihnen zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes offenkundig gleich sind und daher die Gründe, die seinerzeit zur Aufhebung der Rechtsvorschrift geführt haben, ohne weiters zur Gänze als Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit (Verfassungsmäßigkeit) der nunmehr bekämpften Rechtsvorschrift ins Treffen geführt werden können (vgl. VfSlg. 8308/1978, 12.648/1991, 14.362/1995, 16.819/2003). Das gleiche hat zu gelten, wenn der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass eine Bestimmung verfassungswidrig war.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor: In §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 idF BGBl. I Nr. 32/2002 wird für die Begehung des Tatbestandes des §15 Abs1 Z4 leg.cit. eine Mindeststrafe von € 1.453,- normiert; die Bestimmung sieht, ebenso wie §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 idF BGBl. I Nr. 135/1999, eine Strafe für die Missachtung bestimmter Vorschriften - deren Einhaltung in erster Linie den Unternehmern obliegt - durch (ua.) Lenker vor.
1.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache:
Der Antrag ist begründet:
2.1. In seinem Erkenntnis VfSlg. 16.649/2002 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 idF BGBl. I Nr. 135/1999 verfassungswidrig war.
Begründend führte der Verfassungsgerichtshof dazu - unter Bezugnahme auf seine Vorjudikatur - aus: "soweit der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Mindeststrafe ... zumindest auch auf Übertretungen von Art3a Abs3 2. Satz ('Eine beglaubigte Kopie der Gemeinschaftslizenz ist in den Fahrzeugen mitzuführen und den Kontrollberechtigten auf Verlangen vorzuzeigen') der zitierten EG-Verordnung erstreckt hat, hat er eine überschießende und damit unsachliche Regelung getroffen."
Weiter heißt es im vorzitierten Erkenntnis:
"... Bei der Strafbestimmung des §15 Abs1 Z4 Gelegenheitsverkehrs-Gesetz handelt es sich um eine Blankettstrafnorm (in Form einer Verweisung), also um eine Norm, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie selbst keine Tatbilder enthält, diese sich vielmehr erst aus dem Inhalt der einzelnen verwiesenen Vorschriften ergeben (vgl. VfSlg. 5469/1967). Dieser gesetzestechnische Vorgang der äußeren Trennung von Tatbild und Strafdrohung ist verfassungsrechtlich an sich nicht bedenklich; im Einzelfall kann es freilich Zweifel darüber geben, an wen sich die einzelne Strafnorm richtet.
...
Die Normierung einer gesetzlichen Mindeststrafe kann jedoch sachlich gerechtfertigt sein; uzw. etwa dann, wenn damit - im Hinblick auf das hohe wirtschaftliche Interesse der potentiellen Täter am verbotenen Verhalten - zur Sicherung des Strafzwecks vermieden werden soll, daß diese den Strafbetrag als bloßen Preis für den wirtschaftlichen Nutzen einkalkulieren (vgl. VfSlg. 13790/1994).
... In dem antragstellenden UVS zur Entscheidung stehenden Fällen geht es nun nicht um jene Übertretungen der Verordnung (EWG) Nr. 684/92, die in der Regel nur durch die im Gelegenheitsverkehr tätigen gewerblichen Unternehmer begangen werden, sondern um solche Fälle, die der Anordnung des Art3a dieser Verordnung unterliegen, wonach '... eine beglaubigte Kopie der Gemeinschaftslizenz in den Fahrzeugen mitzuführen und den Kontrollberechtigten auf Verlangen vorzuzeigen [ist]', - um jenes Tatbild also, das schon der Sache nach auch vom jeweiligen Lenker des Fahrzeuges verwirklicht werden kann.
In diesem Teilbereich führt also die Blankettstrafnorm im Ergebnis zu einem Delikt, mit dem, wie insbesondere auch die beim antragstellenden UVS anhängigen Fälle zeigen, gerade jene Personen mit einer Mindeststrafe von S 20.000,- bedroht werden, die zum einen aus der inkriminierten Tätigkeit in aller Regel keinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil haben dürften, zum anderen die für die Einhaltung dieser Vorschriften erforderlichen Vorkehrungen oft gar nicht im eigenen Verantwortungsbereich treffen können und zudem auch nicht selten unter dem Druck des Arbeitgebers stehen dürften."
2.2. Diese Argumente sind auf die hier angefochtene Norm übertragbar:
Die Blankettstrafnorm des §15 Abs1 Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 idF BGBl. I Nr. 32/2002 erklärt die Nichteinhaltung der darin aufgezählten Rechtsvorschriften zu Verwaltungsübertretungen, die mit einer Geldstrafe bis zu € 7.267,-
zu ahnden sind. Soweit Übertretungen der im Abs1 Z4 genannten Vorschriften betroffen sind (dabei handelt es sich ua. um gemeinschaftsrechtliche Vorschriften zum gewerblichen Personengelegenheitsverkehr), sieht der angefochtene §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 darüber hinaus vor, dass die Geldstrafe mindestens € 1.453,- zu betragen hat.
In dem dem Antrag des UVS zugrunde liegenden Verfahren geht es um einen Fall, der der Anordnung des Art11 Abs1 der Verordnung (EWG) Nr. 684/92 vom 16. März 1992, idF der Verordnung (EG) Nr. 11/98 vom 11. Dezember 1997, unterliegt. Demnach ist "bei den in Artikel 4 Absatz 1 genannten Verkehrsdiensten ... ein Fahrtenblatt mitzuführen". Dieses Tatbild kann ebenso wie jenes, das dem Erkenntnis VfSlg. 16.649/2002 zugrunde lag, schon der Sache nach auch vom jeweiligen Lenker des Fahrzeuges verwirklicht werden.
Soweit der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Mindeststrafe zumindest auch auf Übertretungen von Art11 Abs1 der zitierten EG-Verordnung erstreckt hat, sprechen dagegen dieselben Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof im vorerwähnten Erkenntnis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der damals maßgebenden Wortfolge des §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 idF BGBl. I Nr. 135/1999 veranlasst haben.
Offenbar in Erkenntnis dieser Konsequenz erging die Novelle des Gelegenheitsverkehrs-Gesetzes 1996 durch BGBl. I Nr. 24/2006. Nunmehr wird ausschließlich ein Verstoß des Unternehmers selbst ua. gegen §15 Abs1 Z3 und 7 leg.cit. mit einer Mindeststrafe von € 1.453,- bedroht. Der Lenker kann gemäß §15 Abs5 leg.cit. für die Nichteinhaltung der aufgezählten Rechtsvorschriften nur mehr mit einer Geldstrafe bis zu € 726,- bestraft werden. An die Stelle einer Mindeststrafe von € 1.453,- ist somit eine Höchststrafe von € 726,-
getreten.
Die angefochtene Mindestgeldstrafe in der dieser Novelle vorausgegangenen Fassung erweist sich somit als überschießend und ist insofern sachlich nicht zu rechtfertigen, sodass sie mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot unvereinbar ist.
2.3. Da die angefochtene Bestimmung durch die Novelle BGBl. I Nr. 24/2006 mit Wirkung vom 17. Februar 2006 eine neue Fassung erhalten hat, hatte sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung zu beschränken, dass §15 Abs2 letzter Satz Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996 idF BGBl. I Nr. 32/2002 verfassungswidrig war.
III. 1. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art140 Abs5 B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm. §3 Z3 BGBlG.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Bedenken, VfGH / Antrag, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Präjudizialität, EU-Recht, Gewerberecht, Gelegenheitsverkehr, Verwaltungsstrafrecht, Strafe, Geldstrafe, Verweisung, BlankettstrafnormEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:G2.2006Dokumentnummer
JFT_09939394_06G00002_00