TE Vfgh Erkenntnis 1981/6/19 B171/77

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Veröffentlicht am 19.06.1981
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
Nö BauO §22 Abs1
Nö BauO §93 Z1

Leitsatz

Nö. Bauordnung 1976; zum Inhalt des §22 Abs1; keine Bedenken gegen diese Bestimmung; denkunmögliche Auslegung des Begriffes "Ausbau des Dachgeschosses"; Willkür

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Die Beschwerdeführerin ist Anrainerin des Grundstückes 2084/3 EZ 6482 KG P. Der Eigentümer dieser Liegenschaft suchte im Jahre 1973 um die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Einfamilienhauses auf diesem Grundstück an, welche ihm mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde P. vom 21. Jänner 1974 erteilt wurde. Nachdem die Beschwerdeführerin vorerst erfolglos Berufung erhoben hatte, wurde von der mittels Vorstellung angerufenen Nö. Landesregierung mit Bescheid vom 29. Juli 1974 der bekämpfte Berufungsbescheid aufgehoben, da im Bauverfahren der Grenzverlauf des Grundstückes des Bauwerbers zum Grundstück der Beschwerdeführerin strittig war und diese Streitfrage, obwohl es sich um eine für die Bestimmung des Bauwiches notwendige Vorfrage handelte, nicht beurteilt worden war. Hierauf behob der Gemeinderat mit Bescheid vom 26. Feber 1975 den Baubewilligungsbescheid vom 21. Jänner 1974 und verwies die Angelegenheit an den Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz zurück.

b) Mit Bescheid vom 26. Mai 1975 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde P. nach Verfahrensergänzung neuerlich die beantragte Baubewilligung. Eine dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde wieder vom Gemeinderat abgewiesen; der hierauf erhobenen Vorstellung wurde jedoch mit Bescheid der Nö. Landesregierung vom 23. März 1976 stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit an den Gemeinderat als zuständige Baubehörde zweiter Instanz zurückverwiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß nach den Bauplänen lediglich ein Bauwich von drei Metern vorgesehen sei, was, da der Bauwich eine Mindestbreite im Ausmaß der halben Gebäudehöhe aufweisen müsse, einer Gebäudehöhe von höchstens sechs Metern entspreche, wohingegen die Gebäudehöhe infolge des beabsichtigten Dachgeschoßausbaues - da in diesem Falle die Oberkante für die Berechnung maßgeblich sei - mehr als sechs Meter betragen würde. Das zulässige Höchstausmaß würde auch unter Zugrundelegung einer allenfalls bewilligten Niveauveränderung überschritten.

Hierauf gab der Gemeinderat der Berufung der Beschwerdeführerin statt und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an den Bürgermeister zurück.

c) Nachdem der Bauwerber hierauf vor der Baubehörde erster Instanz bei der Verhandlung über sein Bauansuchen erklärt hatte, daß ein Dachgeschoßausbau nicht stattfinden werde und von ihm die Baupläne ausgewechselt worden waren, erteilte der Bürgermeister mit Bescheid vom 27. Juli 1976 die in diesem Sinne beantragte Baubewilligung. In den berichtigten Plänen, welche der erteilten Baubewilligung zugrunde liegen, ist gegenüber dem gewachsenen Gelände eine Anschüttung von 30 bzw. 40 cm eingezeichnet. Der Baubewilligungsbescheid enthält die Erklärung, daß die geänderten Einreichpläne hiemit genehmigt werden.

Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates vom 13. Oktober 1976 abgewiesen. Hinsichtlich der Errichtung von fundierten Einfriedungen an der linken und rechten Nachbargrenze wurde auf eine in der Begründung festgehaltene Vereinbarung zwischen dem Bauwerber und der Anrainerin F.K. vom 30. September 1976 verwiesen.

Die gegen den Berufungsbescheid erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Nö. Landesregierung vom 10. März 1977 als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt werden.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter stützt die Beschwerdeführerin auf die Behauptung, daß die belangte Behörde über eine Veränderung des Niveaus durch Geländeaufschüttung abgesprochen habe, die nicht Gegenstand des baubehördlichen Bewilligungsverfahrens gewesen sei. Hiedurch habe die belangte Behörde eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.

b) Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist schon deshalb verfehlt, weil die belangte Behörde keineswegs über die Frage einer Veränderung des Niveaus durch Geländeaufschüttung unmittelbar entschieden hat, sondern, worauf sie im angefochtenen Bescheid ausdrücklich verweist, bei ihrer Entscheidung von der Annahme ausgegangen ist, daß die Niveauveränderung vom Gemeinderat baubehördlich bewilligt wurde.

Diese Betrachtung der belangten Behörde ist wohl insofern verfehlt, als die Veränderung des Niveaus eines im Bauland gelegenen Grundstückes, wenn dadurch die Bebaubarkeit beeinflußt oder Rechte des Nachbarn verletzt werden könnten, gemäß §93 Z1 der Nö. Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0, ein bewilligungspflichtiges Vorhaben ist, was einen auf behördliche Genehmigung abzielenden Antrag des Bauwerbers voraussetzt. Ein solcher Antrag wurde nach der Aktenlage jedoch nicht gestellt, zumal in der (alleinigen) Einzeichnung der Veränderung des Niveaus in den Einreichplänen der nach dem Gesetz geforderte Bewilligungsantrag nicht erblickt werden kann. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wäre daher gegeben, wenn die Gemeindebehörde - wie dies die belangte Behörde annahm - die Änderung des Niveaus bewilligt hätte, obwohl gar kein hierauf abzielender Antrag vorlag. Da aber die - bloße - Genehmigung der Einreichpläne schon mangels eines hierauf abzielenden Antrages nicht als Bewilligung der Änderung des Niveaus gedeutet werden kann und damit die belangte Behörde in der Annahme, daß die Gemeindebehörden eine Änderung des Niveaus bewilligt hätten, irrt, kann ihr im Ergebnis die behauptete Grundrechtsverletzung nicht angelastet werden.

2. a) Die Beschwerdeführerin erblickt die Gleichheitswidrigkeit darin, daß das Gebäude, dessen Errichtung durch die bekämpfte Baubewilligung genehmigt werde, (nach wie vor) den Plänen des Bauwerbers aus dem Jahre 1973 entspreche, wenn es nun auch keine Zwischenwände im Dachgeschoß aufweise. Dieser Nichtausbau des Dachgeschosses verringere nach Meinung der belangten Behörde die Gebäudehöhe, obwohl das Haus in der Natur, ob mit oder ohne Dachgeschoßausbau, gleich hoch werde. Durch die Bestimmung, daß der Bauwich eine Mindestbreite im Ausmaß der halben Gebäudehöhe aufweisen müsse, solle der Lichteinfall gewährleistet werden. Für den Anrainer sei es unmaßgeblich, ob im Inneren eines Dachgeschosses Zwischenwände errichtet werden oder nicht. Die Auslegung der belangten Behörde sei demnach gleichheitswidrig.

b) Die Regelung des Bauwiches findet sich in §21 Abs4 Nö. Bauordnung 1976, welcher lautet:

"(4) Der Bauwich muß eine Mindestbreite im Ausmaß der halben Gebäudehöhe, mindestens drei Meter aufweisen. Gegen die hintere Grundstücksgrenze ist ein Grundstreifen in der Mindestbreite des Ausmaßes der halben Gebäudehöhe, mindestens fünf Meter, von jeder Bebauung freizuhalten. Der Bauwich erhöht sich je Bauklasse um zwei Meter, wenn auf dem Bauplatz eine höhere Bauklasse vorgeschrieben worden ist oder in Anspruch genommen wird als auf dem Anrainergrundstück. Die Bestimmungen des §22 Abs6 und 7 werden hiedurch nicht berührt."

In §22 Nö. Bauordnung 1976 wird die Höhe der Baulichkeiten wie folgt bestimmt:

"(1) Die Gebäudehöhe ist nach der Höhe der Gebäudefront an der Baufluchtlinie über dem verglichenen Gelände zu bemessen; hiebei ist bei zurückgesetzten Geschoßen oder ausgebauten Dachgeschoßen deren Deckenoberkante für die Gebäudehöhe maßgebend. Die Höhe anderer Baulichkeiten wird nach der Lage ihres obersten Punktes über dem verglichenen Gelände bemessen, wobei untergeordnete Bauteile außer Betracht bleiben.

(2) Als Geländehöhe gilt grundsätzlich das Niveau der angrenzenden Verkehrsfläche. Weicht das Niveau der Verkehrsfläche von dem des zur Bebauung vorgesehenen Teiles des Bauplatzes ab, so ist bis zu einem Höhenunterschied von 3 m die verglichene Geländehöhe maßgebend.

(3) Die Baubehörde hat beim Anbau an ein bestehendes Gebäude zur Vermeidung sichtbar bleibender äußerer Brandwände eine größere Gebäudehöhe vorzuschreiben, wenn dies zur Pflege des Orts- und Landschaftsbildes geboten scheint.

(4) Die zulässige Höhe von Baulichkeiten an oder gegen Straßenfluchtlinien darf nicht mehr betragen als der Abstand zwischen den beiden an der Verkehrsfläche liegenden Baufluchtlinien.

(5) Die Baubehörde kann bei Baulichkeiten, die öffentlichen Zwecken, wie religiösen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Bevölkerung, oder technischen Zwecken dienen, Ausnahmen hinsichtlich der Bebauungshöhe und Bebauungsdichte gewähren, wenn eine nachteilige Beeinflussung des Orts- und Landschaftsbildes nicht gegeben ist und die Belichtung anderer Gebäude dadurch nicht beeinträchtigt wird.

(6) Zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Wohngebäude darf bei freier Anordnung der Gebäude die zulässige Höhe aller Gebäude gegenüber Wohngebäuden auf demselben Bauplatz nicht überschreiten:

1. den halben Abstand bei gegenüberliegenden Gebäudelängsseiten;

2. den ganzen Abstand bei gegenüberliegenden Gebäudeschmalseiten (Giebelseiten);

3. drei Viertel des Abstandes bei Gegenüberliegen einer Gebäudelängsseite zu einer Gebäudeschmalseite.

(7) Zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Wohngebäude darf bei freier Anordnung der Gebäude die zulässige Höhe aller Gebäude gegenüber den Grundgrenzen nicht überschreiten:

1. den ganzen Abstand, wenn eine Gebäudelängsseite zur Grenze gerichtet ist;

2. den doppelten Abstand, wenn eine Gebäudeschmalseite zur Grenze gerichtet ist.

(8) Die nach Abs6 und 7 zu berechnenden Höhen sind nach den geringsten Abständen zu ermitteln, wenn die beiden Gebäudeseiten oder die Grundgrenze und die Gebäudeseiten nicht parallel zueinander verlaufen."

c) Eine Verletzung des Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angeordneten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Aus dem Vorbringen der Beschwerde läßt sich entnehmen, daß die Beschwerdeführerin die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit der §§21 Abs4 und 22 Abs1 und 2 Nö. Bauordnung 1976 behauptet, falls dem inneren Ausbau des Dachgeschosses eines Gebäudes für die Berechnung der Gebäudehöhe Bedeutung zukäme. Der VfGH ist nun wohl der Ansicht, daß §22 Abs1 Nö. Bauordnung 1976 zwingend der Inhalt beizumessen ist, daß für die Frage, ob ein Dachgeschoß ausgebaut ist, auch dem Umstande Bedeutung zukommt, wie das Dachgeschoß im Inneren gestaltet ist, da hierauf sowohl nach der sprachlichen Fassung dieser Gesetzesstelle als auch auf den Zusammenhang der Gesamtregelung geschlossen werden muß. Er sieht sich jedoch aufgrund der Zielrichtungen der in Frage stehenden Bestimmungen, welche offensichtlich nicht nur die Wahrung eines ausreichenden Lichteinfalles bezwecken, sondern auch eine Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes hintanhalten sollen, aber auch der Einheitlichkeit der Bebauung eines bestimmten Gebietes dienen, sodaß aus dieser Sicht auch der Bebauungsdichte Bedeutung zukommt, zu Bedenken nicht veranlaßt. Da die Regelung all diesen Zwecken dient, ist es sachlich gerechtfertigt, daß ein Ausbau des Dachgeschosses nach §22 Abs1 Nö. Bauordnung 1976 sowohl dann, wenn das äußere Erscheinungsbild eines Gebäudes dem eines ausgebauten Dachgeschosses entspricht, als auch dann, wenn die Gestaltung des Inneren eines Dachgeschosses die Voraussetzungen eines Ausbaues erfüllt, vorliegt.

Der VfGH sieht sich daher zu Bedenken gegen die genannten Bestimmungen aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht veranlaßt.

Der belangten Behörde ist jedoch anzulasten, daß sie in Anwendung des Gesetzes gleichheitswidrig vorgegangen ist. Ein willkürliches und damit gleichheitswidriges Verhalten ist nämlich nicht nur bei einem absichtlichen Zufügen von Unrecht durch die Behörde, sondern auch dann gegeben, wenn der Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften im Widerspruch steht (vgl. VfSlg. 8737/1980), wobei eine denkunmögliche Gesetzesanwendung Willkür indizieren kann (VfSlg. 8758/1980).

Wenn die belangte Behörde sich darauf beruft, daß die Nö. Bauordnung 1976 keine Definition der Gebäudefront enthalte und einen Ausbau des Dachgeschosses allein deshalb verneint, weil die bewilligungsgegenständlichen Einreichpläne keine Zwischenwände im Dachgeschoß aufweisen, ist ihr eine denkunmögliche Gesetzesauslegung anzulasten. Wie sich nämlich aus den nunmehr genehmigten Einreichplänen ergibt, weichen diese lediglich insofern von den ursprünglich im Jahre 1973 verfaßten Plänen ab, als im Dachgeschoß Zwischenwände nicht vorgesehen sind, während das äußere Erscheinungsbild nicht verändert wurde. Selbst Dachausnehmungen für Fenster, wie sie in der ursprünglichen Planung vorgesehen waren, finden sich in den nunmehr genehmigten Einreichplänen wieder. Nach dem äußeren Erscheinungsbild des geplanten Gebäudes ist damit ein Dachgeschoß iS des §22 Abs1 Nö. Bauordnung 1976 ausgebaut. Wenn die belangte Behörde dies nur deshalb verneint, weil im Inneren des Dachgeschosses Zwischenwände nicht vorgesehen sind, ist dies denkunmöglich. Da die belangte Behörde noch im Vorstellungsbescheid vom 23. März 1976 den Dachgeschoßausbau für die Genehmigung als hindernd erachtete, nunmehr aber in der Bewilligung des Bauansuchens kein gesetzwidriges Vorgehen der Baubehörde erblickt, obwohl sich durch das bloße Weglassen der Zwischenwände in den geänderten Bauplänen am Ausbau des Dachgeschosses iS der hier maßgeblichen Bestimmung des §22 Abs1 Nö. Bauordnung 1976 rechtlich nichts geändert hat, ist ihr damit im Ergebnis Willkür anzulasten.

Der angefochtene Bescheid war daher als gleichheitswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B171.1977

Dokumentnummer

JFT_10189381_77B00171_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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