TE Vfgh Erkenntnis 1981/6/20 B283/78

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Veröffentlicht am 20.06.1981
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art118 Abs2
StVO 1960 §29b Abs4
Wr Stadtverfassung §132 Abs1

Leitsatz

StVO 1960; §29b Abs4 regelt keine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde; keine Bedenken gegen diese Bestimmung; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 23. März 1977 wurde dem vom Beschwerdeführer gestellten Antrag um Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b Abs4 der Straßenverkehrsordnung - StVO 1960, idF der 6. StVO-Nov., BGBl. 412/1976, nicht stattgegeben. Auf Grund eines von der zuständigen Abteilung des Magistrates (Gesundheitsamt) eingeholten amtsärztlichen Gutachtens wurde in der Begründung des Bescheides ausgeführt, daß der Beschwerdeführer "nach §29b der 6. StVO-Nov. nicht ständig stark gehbehindert" und die "Bedienung beider Pedale möglich" sei.

b) Der gegen den Bescheid des Magistrates vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde mit dem Bescheid der Wr. Landesregierung vom 14. März 1978 gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

Die Verweigerung der Ausstellung des Ausweises stützt sich auf ein weiteres von der Berufungsbehörde eingeholtes amtsärztliches Gutachten.

2. Gegen den Bescheid der Wr. Landesregierung vom 14. März 1978 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. §29b StVO 1960 lautet:

Gehbehinderte Personen

(1) Dauernd stark gehbehinderte Personen dürfen

a) auf Straßenstellen, für die durch das Straßenverkehrszeichen "Halten und Parken verboten" ein Halte- und Parkverbot kundgemacht ist,

b) entgegen der Vorschrift des §23 Abs2 über das Abstellen eines Fahrzeuges am Rand der Fahrbahn und

c) in einer Fußgängerzone während der Zeit, während der eine Ladetätigkeit vorgenommen werden darf, mit dem von ihnen selbst gelenkten Fahrzeug oder mit einem Fahrzeug, das sie als Mitfahrer benützen, zum Aus- oder Einsteigen einschließlich des Aus- oder Einladens der für die gehbehinderte Person nötigen Behelfe (wie etwa ein Rollstuhl u.dgl.) für die Dauer dieser Tätigkeiten halten.

(2) Ferner dürfen dauernd stark behinderte Personen das von ihnen selbst gelenkte Fahrzeug

a) auf Straßenstellen, für die durch das Straßenverkehrszeichen "Parken verboten" ein Parkverbot kundgemacht ist,

b) in einer Kurzparkzone ohne zeitliche Beschränkung und

c) auf Straßen, für die ein Parkverbot, das gemäß §44 Abs4 kundzumachen ist, erlassen worden ist,

parken.

(3) Beim Halten gemäß Abs1 hat der Inhaber eines Ausweises nach Abs4 diesen den Straßenaufsichtsorganen auf Verlangen vorzuweisen. Beim Parken gemäß Abs2 sowie beim Halten oder Parken auf den nach §43 Abs1 litd freigehaltenen Straßenstellen hat der Ausweisinhaber den Ausweis bei mehrspurigen Kraftfahrzeugen hinter der Windschutzscheibe und durch diese gut erkennbar, bei anderen Fahrzeugen an einer sonst geeigneten Stelle gut wahrnehmbar anzubringen.

(4) Die Behörde hat Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ansuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen. Sofern die gehbehinderte Person selbst ein Kraftfahrzeug lenkt, ist auf dem Ausweis das kraftfahrrechtliche Kennzeichen des betreffenden Fahrzeuges gut sichtbar anzubringen, sonst ein Vermerk, daß von der gehbehinderten Person selbst kein Fahrzeug gelenkt wird. Inhalt und Form des Ausweises hat der Bundesminister für Verkehr durch Verordnung zu bestimmen.

2. a) Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, daß "die Erteilung der Ausnahmebewilligung gemäß §29b Abs4 Aufgabe des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde" sei, da die Ausnahmebestimmung des §29b StVO 1960 praktisch nur in der Großstadt Wien mit ihren beschränkten Parkplätzen zum Tragen komme.

b) Bei der Entscheidung, ob ein Ausweis nach §29b Abs4 StVO auszustellen oder ob die Ausstellung zu verweigern ist, handelt es sich um die Erlassung eines Bescheides, der nur auf eine bestimmte Person bezogen ist. Da die Wirkung eines solchen Bescheides nicht auf einen örtlichen Bereich beschränkt ist und ihm somit jegliche territoriale Beziehung fehlt, handelt es sich dabei nicht um eine Angelegenheit, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen ist (Art118 Abs2 B-VG).

Gegen die Regelung, nach der die in §29b StVO 1960 zu besorgenden Aufgaben nicht als solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde (§94d StVO 1960) bezeichnet sind, bestehen in verfassungsrechtlicher Hinsicht keine Bedenken.

3. a) In der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH hat der Beschwerdeführer vorgebracht, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil der angefochtene Bescheid vom Magistrat als Amt der Wr. Landesregierung im selbständigen Wirkungsbereich des Landes erlassen worden sei; in der Verordnung der Wr. Landesregierung vom 30. Jänner 1973, LGBl. 9, in welcher einige Geschäfte dem Amt der Wr. Landesregierung zur Vollziehung überlassen werden, seien diese Agenden jedoch nicht genannt, weshalb der Magistrat als Amt der Landesregierung zur Entscheidung nicht zuständig gewesen wäre.

b) Hiezu genügt es, darauf hinzuweisen, daß sich aus der Fertigungsklausel "Für die Landesregierung" ergibt, daß der Bescheid der Landesregierung zuzurechnen ist (vgl. VfSlg. 8959/1980); das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers geht daher ins Leere (zur Überlassung von Amtsgeschäften der Landesregierung an den Magistrat als Amt der Landesregierung vgl. VfSlg. 6849/1972).

c) Für den Fall, daß der VfGH nicht der unter Pkt. II.2.a) geäußerten Ansicht des Beschwerdeführers ist, bringt er weiters vor, daß auch eine Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde nicht in Betracht komme, da diese nur dann zuständig sei, wenn der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden solle. Somit bleibe dann "logischerweise nur die Landesverwaltung als kompetente Stelle I. Instanz über. Da jedoch im selbständigen Wirkungsbereich des Landes gegen einen von der Landesregierung erlassenen Bescheid ein Rechtsmittel nicht möglich und statthaft" sei, ergebe sich, daß das Recht des Beschwerdeführers "auf den gesetzlichen Richter durch den Wr. Magistrat verletzt worden" sei.

d) Der Beschwerdeführer vertritt damit die Auffassung, deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil über seinen Antrag in I. Instanz unzuständigerweise der Magistrat der Stadt Wien (als Bezirksverwaltungsbehörde) abgesprochen hat. Er hat damit offenbar die Rechtsprechung des VfGH im Auge, wonach das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn zwar in letzter Instanz die zuständige, in erster Instanz aber eine sachlich unzuständige Behörde entschieden hat.

Mit dieser Auffassung ist der Beschwerdeführer jedoch nicht im Recht. Der VfGH hat nämlich in ständiger Rechtsprechung die erwähnte Grundrechtsverletzung darin erblickt, daß der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug unvollständig geblieben ist; dies trifft im vorliegenden Fall aber nicht zu. Über den Antrag des Beschwerdeführers hat der Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde entschieden; wäre er zu dieser Entscheidung zuständig gewesen, so hätte die Wr. Landesregierung zu Recht über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung entschieden. Hätte aber der Magistrat als sachlich unzuständige Behörde die erstinstanzliche Entscheidung gefällt, so hätte über die Berufung gegen den Bescheid des Magistrates die allein in erster und letzter Instanz zuständige Wr. Landesregierung entschieden. Dadurch, daß über die Berufung gegen diesen Bescheid die diesfalls allein zuständige Behörde abgesprochen hätte, wäre ebenfalls ein Ausschluß einer in Unterinstanz zuständigen Behörde nicht bewirkt worden (vgl. VfSlg. 5807/1968, 7508/1975 und 8939/1980).

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

4. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Im Verfahren vor dem VfGH ist nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Straßenpolizei örtliche, Wirkungsbereich übertragener, Straßenpolizei, Behördenzuständigkeit, Straßenbenützer bevorzugte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B283.1978

Dokumentnummer

JFT_10189380_78B00283_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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