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32 SteuerrechtNorm
StGG Art5Leitsatz
BAO; §207 Abs1 bezieht sich auch auf Bescheide der Abgabenbehörde zweiter Instanz; denkunmögliche Annahme, daß nach der erstinstanzlichen, nicht rechtskräftig gewordenen Festsetzung einer Abgabe das Recht, diese festzusetzen, nicht mehr verjähren könneSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Mit Bescheid vom 26. August 1969 schrieb das Finanzamt der Beschwerdeführerin für den Erwerb einer Eigentumswohnung Grunderwerbsteuer in Höhe von S 20.800 vor. In der dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin das Vorliegen von Steuerbefreiungstatbeständen nach §4 Abs1 GrEStG geltend und stellte den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Mit der Begründung, daß beim VwGH ein Verfahren betreffend die auch für das vorliegende Berufungsverfahren entscheidende Rechtsfrage anhängig sei, setzte die Finanzlandesdirektion für OÖ das Berufungsverfahren mit Bescheid vom 30. Juni 1976 gemäß §281 Abs1 BAO aus. Nach Beendigung des beim VwGH anhängigen Verfahrens (Erk. v. 17. 2. 1978 Z 728/76) wies die Finanzlandesdirektion die Berufung mit Bescheid vom 14. November 1978 als unbegründet ab.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentumes gerügt und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Da ab dem Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides im Jahre 1969 bis zum Ablauf des Jahres 1974 keine nach außen erkennbare Amtshandlung der Abgabenbehörden erfolgt sei, sei mit Ablauf des Jahres 1974 Bemessungsverjährung iS des §207 Abs1 BAO eingetreten und hätte die Abgabe in der Berufungsentscheidung nicht mehr festgesetzt werden dürfen.
Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Vorschreibung einer Abgabe greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentumes ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2. Der angefochtene Bescheid gründet sich in materiellrechtlicher Hinsicht auf Bestimmungen des Grunderwerbsteuergesetzes, in formeller Hinsicht auf die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung in der Fassung vor der BAO-Nov. 1980, BGBl. 151/1980. Gegen diese Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides wurden weder Bedenken vorgetragen noch sind solche beim VfGH unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles entstanden.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH könnte somit die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentumes nur verletzt worden sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.
Dies ist der Behörde anzulasten:
a) Nach §207 Abs1 BAO unterliegt "das Recht, eine Abgabe festzusetzen", der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt bei der Grunderwerbsteuer 5 Jahre (§207 Abs2 BAO) und beginnt, abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Sonderregelungen gemäß §208 Abs1 lita BAO mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
§209 BAO in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl. 194/1961 bestimmte sodann:
(1) Die Verjährung wird durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§77) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.
(2) Die Verjährung ist gehemmt,
a) solange die Geltendmachung des Anspruches innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nicht möglich ist;
b) solange gemäß §281 Abs1 die Entscheidung über eine Berufung ausgesetzt ist.
(3) Sind seit der Entstehung des Abgabenanspruches (§4) fünfzehn Jahre verstrichen, darf der Abgabenanspruch nicht mehr geltend gemacht werden.
b) Im vorliegenden Fall ist der Abgabenanspruch im Jahre 1969 entstanden; im selben Jahr wurde die Abgabe erstinstanzlich festgesetzt. Gegen die Abgabenfestsetzung wurde fristgerecht Berufung erhoben. Nach dem unbestrittenen Sachverhalt stellt der Aussetzungsbescheid der Finanzlandesdirektion vom 30. Juni 1976 die nächste nach außen erkennbare, zur Geltendmachung des Abgabenanspruches unternommene Amtshandlung der Abgabenbehörden dar. Sie wurde erst mehr als 5 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Abgabe erstinstanzlich festgesetzt wurde, unternommen. Hemmungstatbestände iS des §209 Abs2 BAO lagen bis zu diesem Zeitpunkt nicht vor.
Die für die Beurteilung des vorliegenden Falles entscheidenden Rechtsfragen sind, ob auch eine Abgabenfestsetzung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz eine Festsetzung einer Abgabe iS des §207 Abs1 BAO ist und ob es möglich ist, daß eine bereits erstinstanzlich festgesetzte Abgabe durch Untätigbleiben der Behörde im Berufungsverfahren verjährt.
c) Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß sich aus §207 Abs1 BAO ergebe, daß eine einmal festgesetzte Abgabe nicht mehr verjähren könne. Hiebei sei es belanglos, ob die Festsetzung rechtskräftig sei oder nicht, auch eine nicht rechtskräftige Festsetzung sei eine Festsetzung. Eine einmal vorgenommene Abgabenfestsetzung könne daher nicht mehr "unterbrochen" werden, weshalb auch keine neue Verjährungsfrist zu laufen beginnen könne.
Diese Auffassung der belangten Behörde ist aber denkunmöglich. Denn §207 Abs1 BAO bezieht sich seinem klaren Wortlaut nach auch auf Bescheide der Abgabenbehörde zweiter Instanz, sofern durch sie Abgaben festgesetzt werden:
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß auch derartige Bescheide Abgabenfestsetzungsbescheide iS des §207 Abs1 BAO sind. Zu prüfen bleibt jedoch noch, ob eine nicht rechtskräftig gewordene erstinstanzliche Abgabenfestsetzung eine Verjährung im Berufungsverfahren unmöglich macht.
d) Es läßt sich aber für die Zeit vor der BAO-Nov. 1980 kein Anhaltspunkt für eine Rechtsauffassung gewinnen, derzufolge die Regel des §207 Abs1 BAO nicht anwendbar sein sollte, wenn der Abgabenfestsetzungsbescheid durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz erfolgt. Im Gegenteil:
§209 Abs2 litb BAO, der in der hier maßgeblichen Stammfassung bestimmt (im Gegensatz zur absoluten Verjährungsfrist nach §209 Abs3 BAO, die nicht einmal dadurch gehemmt wird), daß die Verjährung gehemmt ist, solange gemäß §281 Abs1 leg. cit. die Entscheidung über eine Berufung ausgesetzt ist, geht offenkundig davon aus, daß die Verjährungsfrist auch dann läuft, wenn eine erstinstanzliche Abgabenfestsetzung mit Berufung angefochten wird.
Der Einwand der belangten Behörde, wonach der Sinn dieser Vorschrift darin lag, im Hinblick auf ein ausgesetztes Berufungsverfahren bei einem gleichartigen noch nicht bemessenen Fall Hemmung der Verjährung zu bewirken, ist nicht zielführend, da aus keiner Bestimmung der BAO prozessuale Folgen einer Aussetzung nach §281 BAO für andere noch nicht bemessene "gleichartige Fälle" abgeleitet werden können.
Der Sinn der Bestimmung des §209 Abs2 litb BAO lag vielmehr darin, im Hinblick auf die oftmals längere Verfahrensdauer den Eintritt der Bemessungsverjährung in Berufungsverfahren zu verhindern, in denen die Entscheidung über die Berufung wegen einer zur gleichen oder zu einer ähnlichen Rechtsfrage anhängigen Berufung oder wegen eines sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde anhängigen Verfahrens, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Berufung ist, ausgesetzt wird. In solchen Fällen kann die Entscheidung über die Berufung unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe ausgesetzt werden, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei entgegenstehen. Die Berufungsbehörde hat nach ihrem Ermessen die Wahl, ob sie die maßgebende Entscheidung formlos abwarten oder ob sie mit Bescheid gemäß §281 ihre Entscheidung aussetzen will; nur die förmliche Aussetzung nach §281 steht dem Vorwurf der Verletzung der Entscheidungspflicht entgegen und nur ein Bescheid nach §281 BAO führte zur Hemmung der Verjährungsfrist (Reeger - Stoll, 5. Auflage, Die Bundesabgabenordnung, 433).
Wenn die belangte Behörde vermeint, daß für die Beschwerdeführerin durch einen Eintritt der Verjährung während des Berufungsverfahrens nichts gewonnen wäre, da die Behörde dann das Verfahren mit der Wirkung einzustellen hätte, daß die erfolgte Abgabenfestsetzung unverändert aufrecht bliebe, so ist ihr entgegenzuhalten, daß der Eintritt der Verjährung die Behörde nicht von ihrer Entscheidungspflicht entbindet, diese ihre Entscheidung jedoch unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Verjährung zu treffen hätte.
e) Auch der Gesetzgeber der BAO-Nov. 1980, BGBl. 151/1980, ist von diesem Verständnis der früheren Rechtslage ausgegangen, als er im neugeschaffenen §209a normierte, daß einer Abgabenfestsetzung, die in einer Berufungsentscheidung zu erfolgen hat, der Eintritt der Verjährung nicht entgegensteht. Gleichzeitig wurde die Bestimmung des §209 Abs2 neu gefaßt und der Hemmungstatbestand der Aussetzung einer Berufungsentscheidung als überflüssig beseitigt. In den EB zur RV, 128 BlgNR XV. GP, heißt es hiezu:
"Die im §209 Abs2 litb BAO in der derzeitigen Fassung enthaltene Regelung, derzufolge während des Zeitraumes zwischen der Aussetzung der Entscheidung über eine Berufung gemäß §281 Abs1 leg. cit. und dem Ergehen der Entscheidung in dem Verfahren, dessentwegen die Aussetzung erfolgte, die Bemessungsverjährung gehemmt ist, erscheint im Hinblick auf die ... vorgeschlagene Einfügung eines §209a in die BAO überflüssig."
f) Die angestellten Erwägungen zeigen, daß nach der Rechtslage vor der BAO-Nov. 1980 auch bei der Festsetzung einer Abgabe in einer Berufungsentscheidung der Eintritt der Bemessungsverjährung zu beachten war.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid keine Folge gegeben und diesen Bescheid bestätigt. Er ist so zu werten, als ob die belangte Behörde einen mit dem Bescheid der Unterinstanz übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen hätte, der fortan an die Stelle dieses Bescheides tritt (VfSlg. 5368/1966, 5718/1968, 6832/1972, 7742/1976) und dessen Wirksamkeit völlig verdrängt. Ebenso wie durch den erstinstanzlichen wurde auch durch den diesen ersetzenden Berufungsbescheid eine Abgabe, nämlich Grunderwerbsteuer, festgesetzt.
Da aber die belangte Behörde bei Erlassung des Berufungsbescheides davon ausgegangen ist, daß nach der erstinstanzlichen, nicht rechtskräftig gewordenen Festsetzung einer Abgabe das Recht, diese festzusetzen, nicht mehr verjähren könne, hat sie das Gesetz denkunmöglich angewendet. Sie hätte bei der meritorischen Erledigung der Berufung vielmehr den Eintritt der Verjährung beachten und der Berufung Folge geben müssen.
Infolge dieser denkunmöglichen Anwendung des Gesetzes wurde die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentumes verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Schlagworte
Auslegung eines Bescheides, Finanzverfahren, VerjährungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B18.1979Dokumentnummer
JFT_10189378_79B00018_00