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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Art140 B-VG; Individualantrag; Antragslegitimation; Nö. Gemeindeordnung 1973; §96 nicht gleichheitswidrigSpruch
Dem Antrag wird keine Folge gegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der "Verband Freiheitlicher und Unabhängiger Gemeindevertreter Niederösterreichs" - ein Verein iS des VereinsG 1951 - begehrt unter Berufung auf Art140 B-VG, den zweiten Halbsatz ("die mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder der Gemeinderäte aller Gemeinden des Landes NÖ erfassen") im §96 der Nö. Gemeindeordnung 1973 (Nö. GO 1973), LGBl. 1000-2, als verfassungswidrig aufzuheben, der (idF vor der mit 1. Juli 1981 in Kraft tretenden Nov. LGBl. 1000-3) folgendermaßen lautet:
Interessenvertretung der Gemeinden
Die in Niederösterreich bestehenden Interessenvertretungen für die Gemeinden, die mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder der Gemeinderäte aller Gemeinden des Landes Niederösterreich erfassen, sind vor Erlassung von Landesgesetzen und Verordnungen der Landesregierung, durch die allgemeine Gemeindeinteressen berührt werden, zu hören.
Der antragstellende Verein bringt insbesondere vor, daß ihm insgesamt 121 Gemeinderatsmandatare (also weniger als die geforderten 5 v.H., das seien 572) angehörten, und legt im einzelnen die noch zu erörternden Gründe dar, aus denen die angefochtene Gesetzesbestimmung dem Gleichheitsgebot widerspreche.
2. In der hiezu erstatteten Äußerung begehrt die Nö. Landesregierung die Zurückweisung, allenfalls die Abweisung des Individualantrages.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die Nö. Landesregierung wendet zunächst ein, es fehle die für einen Individualantrag in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG geforderte Voraussetzung, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung den Antragsteller in seinen Rechten verletze. Sie weist in diesem Zusammenhang auf die Vorschriften der Art25 Abs1 und 3 und Art60 der (- nach Antragseinbringung - mit 1. Jänner 1979 in Kraft getretenen) Nö. Landesverfassung 1979 (LGBl. 0001-1) hin, in bezug auf die Nachstehendes festzuhalten ist:
Nach dem Abs1 des mit "Begutachtungsverfahren" überschriebenen Art25 Nö. LV 1979 sind Vorlagen der Landesregierung, die Gesetzesvorschläge zum Gegenstand haben, bevor sie in den Landtag gelangen, einem Begutachtungsverfahren zu unterziehen; je nach dem sachlichen Gehalt des Gesetzesvorschlages kommen näher bezeichnete begutachtende Stellen in Betracht, darunter nach Z3 die Interessenvertretungen für die Gemeinden gemäß Art60. Dem ersten Satz im §25 Abs3 zufolge besteht auf die Durchführung des Begutachtungsverfahrens kein Rechtsanspruch; die Unterlassung desselben hat gemäß dem zweiten Satz dieses Absatzes auf das gültige Zustandekommen eines Beschlusses des Landtages keinen Einfluß. Der unter der Überschrift "Interessenvertretungen der Gemeinden" stehende Art60 Nö. LV 1979 bestimmt folgendes: Inwieweit den Interessenvertretungen für die Gemeinden vor Erlassung von Landesgesetzen und Verordnungen der Landesregierung, durch die allgemeine Gemeindeinteressen berührt werden, ein Anhörungsrecht zukommt, ist durch Landesgesetz zu regeln.
Nach Ansicht der Nö. Landesregierung müsse auf Grund des Zusammenhanges des Art60 mit Art25 Abs1 Z3 Nö. LV 1979 angenommen werden, daß der Landesgesetzgeber nicht beabsichtigt habe, unter Abweichung von der Bestimmung des Art25 Abs3, wonach auf die Durchführung des Begutachtungsverfahrens kein Rechtsanspruch bestehe, den Interessenvertretungen für die Gemeinden als einzigen ausdrücklich einen solchen Rechtsanspruch zu geben; der Landesverfassungsgesetzgeber habe sich mit dem Wort "Anhörungsrecht" lediglich eines mißverständlichen Ausdruckes bedient.
b) Der VfGH kann dem Einwand der Nö. Landesregierung nicht beipflichten.
Es ist zwar richtig, wenn die Landesregierung davon ausgeht, daß seit dem Inkrafttreten der Nö. LV 1979 mit 1. Jänner 1979 deren Bestimmungen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der angefochtenen Gesetzesvorschrift mit heranzuziehen sind. Wenn die Antragsgegnerin jedoch aus dem ersten Satz des §25 Abs3 den Schluß zieht, daß die bekämpfte Gesetzesstelle nicht in die Rechtssphäre des in das Begutachtungsverfahren eingeschalteten Rechtsträgers eingreife, so ist dies unzutreffend. Der erste Satz des §25 Abs3 darf nicht isoliert betrachtet, sondern muß im Zusammenhalt mit dem ihm folgenden Satz gewertet werden, aus dem er seinen Sinn erhält: §25 Abs3 regelt ausschließlich die Frage, ob die Unterlassung eines Begutachtungsverfahrens Rechtsfolgen für die Rechtmäßigkeit eines Landtagsbeschlusses hat, verneint sie und negiert nur insoweit, also in Ansehung der Rechtmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens, einen Rechtsanspruch der im Begutachtungsverfahren zu befassenden Rechtsträger.
2. Unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des VfGH, die Legitimation zu einem Individualantrag setze voraus, daß für den Rechtsschutz gegen rechtswidrige Normen kein anderer zumutbarer Weg als die Anfechtung beim VfGH zur Verfügung stehe (siehe dazu zB aus jüngster Zeit VfSlg. 9048/1981), wendet die Nö. Landesregierung weiters ein, daß dem Antragsteller die Erwirkung eines - sodann bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpfbaren - Feststellungsbescheides zumutbar wäre.
Auch diese Ansicht teilt der VfGH nicht.
Es kann auf sich beruhen, ob die Nö. Landesregierung verpflichtet wäre, einen derartigen Feststellungsbescheid auf Antrag des Anfechtungswerbers zu erlassen. Selbst wenn nämlich diese Frage zu bejahen wäre, könnte dieser Weg im Hinblick darauf nicht zugemutet werden, daß gerade während der Anhängigkeit des Verwaltungsverfahrens über den Feststellungsbescheid besonders wichtige legislative oder verordnungsgeberische Maßnahmen - etwa sehr bedeutsame Angelegenheiten des allgemeinen Gemeinderechts - in Aussicht genommen werden.
3. Der Individualantrag erweist sich, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind (siehe dazu die eingehenden Darlegungen im Beschluß VfSlg. 8009/1977, an denen der VfGH in ständiger Rechtsprechung festgehalten hat) als zulässig.
4. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
a) Unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des VfGH, wonach das Gleichheitsgebot dem Gesetzgeber verwehre, (sachlich) Gleiches ungleich und (wesentlich) Ungleiches gleich zu behandeln, lastet der antragstellende Verein der angefochtenen Vorschrift Verstöße in beiden Richtungen an. Er meint - auf das Wesentliche zusammengefaßt -, daß eine unzulässige Differenzierung insofern vorliege, als bei den mit ähnlichen Aufgaben betrauten Gemeindevertreterverbänden auf ihre Größe abgestellt werde (wogegen die Mitgliederzahl anderer Interessenvertretungen belanglos sei), sowie daß eine unzulässige Gleichbehandlung von Gemeindevertreterbehörden insofern stattfinde, als bloß die Zahl der ihnen angehörenden Gemeinderatsmitglieder maßgebend sei und damit "mit verschiedener Stimmenanzahl gewählte Gemeinderäte in ihrer Gewichtigkeit gleichgesetzt" würden.
b) Nach Ansicht des VfGH ist diese Argumentation jedoch nicht stichhältig.
Der Gesetzgeber ist unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes nicht gehalten, Interessenvertretungen für die Gemeinden allein auf Grund des Umstandes gleiche Anhörungsrechte einzuräumen, daß ihnen ein (selbstgewählter) gleichartiger Aufgabenbereich zukommt; es liegt vielmehr durchaus in der Natur der Sache, Unterscheidungen nach dem Gesichtspunkt zu treffen, ob die betreffende Interessenvertretung so repräsentativ ist, daß ihre Meinung auf der Ebene der Gesetzgebung und der obersten Vollziehung des Bundeslandes Gehör verdient. Ein Vergleich mit gesetzlichen Interessenvertretungen (- Art25 Abs1 Z3 Nö. LV 1979 nennt als begutachtende Stellen "die für den Bereich des Landes NÖ zuständigen gesetzlichen Interessenvertretungen" -) ist im gegebenen Zusammenhang fehl am Platz, weil sich deren Aufgabenbereich von dem eines Gemeindevertreterverbandes wesentlich unterscheidet; auch auf die Mitgliederstärke der gesetzlichen Interessenvertretungen kommt es nicht an, da sie unterschiedliche Interessen zu vertreten haben.
Bei der Festlegung, welche Interessenvertretungen für die Gemeinden als repräsentativ zu gelten haben, steht dem Gesetzgeber weitreichende rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu; verwehrt sind ihm bloß Kriterien, welche mit der typischen Struktur solcher Organisationen nicht vereinbar sind, die nach Zweck und Einrichtung (insbesondere) die Interessen in jeder Beziehung (also auch im Hinblick auf die Größe der jeweiligen Gemeinde) gleichberechtigter Gemeinderatsmitglieder zu vertreten haben. Es liegt kein unzulässiges Kriterium vor, wenn sich der Gesetzgeber an der Mitgliederstärke des Gemeindevertreterverbandes ohne Rücksicht darauf orientiert, welche Gesamtstimmenzahl im Bundesland sie fiktiv darstellt, also im wesentlichen den Umstand vernachlässigt, ob es sich um Mitglieder des Gemeinderates größerer oder kleinerer Gemeinden handelt. Denn es ist nicht sachfremd, aufeine gewisse Mindestrepräsentanz in einer Mindestzahl von Gemeinden abzustellen, und damit bei der Wertung der kommunalpolitischen Bedeutung der Vertretung insgesamt mit zu berücksichtigen, daß eine größere Zahl von Gemeinden in der Interessenvertretung mitgliedsmäßig repräsentiert sein muß. Im Zusammenhang damit gesehen, kann auch die festgelegte Schranke von 5 v.H. der Mitglieder der Gemeinderäte nicht als überhöht bezeichnet werden.
5. Da der angefochtenen Gesetzesbestimmung die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit sohin nicht anhaftet, war dem Antrag keine Folge zu geben.
Schlagworte
Gesetz Erlassung, VfGH / Individualantrag, GemeinderechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:G18.1977Dokumentnummer
JFT_10189376_77G00018_00