TE Vfgh Erkenntnis 2008/9/30 B663/08

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11
VersammlungsG §2, §6
AVG §13, §14
  1. AVG § 13 heute
  2. AVG § 13 gültig ab 15.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 57/2018
  3. AVG § 13 gültig von 01.01.2012 bis 14.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2011
  4. AVG § 13 gültig von 01.01.2011 bis 31.12.2011 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008
  5. AVG § 13 gültig von 01.01.2008 bis 31.12.2010 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008
  6. AVG § 13 gültig von 01.07.2004 bis 31.12.2007 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/2004
  7. AVG § 13 gültig von 01.03.2004 bis 30.06.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/2004
  8. AVG § 13 gültig von 20.04.2002 bis 29.02.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 65/2002
  9. AVG § 13 gültig von 01.01.2002 bis 19.04.2002 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 137/2001
  10. AVG § 13 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  11. AVG § 13 gültig von 01.02.1991 bis 31.12.1998

Leitsatz

Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Untersagung einerVersammlung von Tierschützern in der Wiener Innenstadt inZusammenhang mit einer Pelzmodenschau; Sicherheit derVersammlungsteilnehmer sowie der Besucher der Pelzmodenschau im Falleder gleichzeitigen Abhaltung der Gegenkundgebungen nichtgewährleistet

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Eingabe vom 29. September 2006 zeigte derrömisch eins. 1. Mit Eingabe vom 29. September 2006 zeigte der

beschwerdeführende Verein gegen Tierfabriken, vertreten durch seinen Obmann, der Bundespolizeidirektion Wien die beabsichtigte Abhaltung mehrerer "Kundgebungen gegen Pelztier-Bekleidung" an. Die Versammlungsanzeige lautet auszugsweise wie folgt:

"Zweck/Thema der Versammlungen:

Kundgebungen gegen Pelztier-Bekleidung

Ort: jeweils 1010 WIEN, Opernring Höhe Nr. 23 am

Gehsteig, sowie Eschenbachgasse Gehsteig Ecke Opernring, sowie auf dem Geh- bzw. Radweg des Opernrings zwischen den Bäumen auf Höhe Opernring 23, sowie auf der kleinen Verkehrsinsel Ecke Opernring/Eschenbachgasse. Zu-, Ab- und Durchgänge werden freigehalten

Zeit: 01.10.2007 bis einschließlich 31.11.2007

01.10.2008 bis einschließlich 31.11.2008 01.10.2009 bis einschließlich 31.11.2009 01.10.2010 bis einschließlich 31.11.2010 immer von 17.00 bis 23.00 Uhr

Erwartete Teilnehmerzahl: 10 Personen

Verwendete Mittel: Transparente, Flugblätter, 1 Megaphon, 1 Videogerät, 1 kleiner (geräuscharmer) Strom-Generator, 1 Videobeamer, 1 kleiner Tisch, Regenschutz, Plakatständer, 1 Auto

..."

2. Im Zuge einer Besprechung am 12. Oktober 2007 teilte die Bundespolizeidirektion Wien dem beschwerdeführenden Verein mit, dass bereits am 13. Oktober 2003 Versammlungen zum Thema "Pro Pelz" für 16. Oktober 2007 bis 19. Oktober 2007 am selben Versammlungsort angezeigt (und in weiterer Folge konkretisiert) wurden. Der von der Behörde vorgeschlagene - in unmittelbarer Nähe zum ursprünglichen Kundgebungsort gelegene - Versammlungsort wurde vom beschwerdeführenden Verein abgelehnt. Er hielt die ursprüngliche Versammlungsanzeige ausdrücklich aufrecht und wollte diese nur für den Fall der Untersagung der angezeigten Versammlungen in der von der Behörde vorgeschlagenen Form modifizieren. Die Bundespolizeidirektion Wien setzte den beschwerdeführenden Verein darüber in Kenntnis, dass eine Änderung der Versammlungsanzeige nach Untersagung nicht möglich sei; eine neue Anzeige müsse zur Fristwahrung schriftlich eingebracht werden.

Über die anlässlich dieser Besprechung erfolgte Anregung der Behörde, die Versammlungsanzeige hinsichtlich des Versammlungsortes zu ändern, und ihren ausdrücklichen Hinweis auf das Erfordernis der schriftlichen Einbringung von Versammlungsanzeigen wurde eine Niederschrift angefertigt, die von der Vertreterin des beschwerdeführenden Vereins unterschrieben wurde.

3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Oktober 2007 wurden die für 16. Oktober 2007 bis 19. Oktober 2007 (jeweils von 17.00 Uhr bis 23.00 Uhr) geplanten Kundgebungen gemäß §6 Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersG) iVm Art11 EMRK untersagt. Die in der Niederschrift vom 12. Oktober 2007 - für den Fall der Untersagung dieser Versammlungen - mündlich zu Protokoll gegebene, hinsichtlich des Versammlungsortes modifizierte Versammlungsanzeige wurde gemäß §2 Abs1 VersG zurückgewiesen. Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG ausgeschlossen. 3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Oktober 2007 wurden die für 16. Oktober 2007 bis 19. Oktober 2007 (jeweils von 17.00 Uhr bis 23.00 Uhr) geplanten Kundgebungen gemäß §6 Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersG) in Verbindung mit Art11 EMRK untersagt. Die in der Niederschrift vom 12. Oktober 2007 - für den Fall der Untersagung dieser Versammlungen - mündlich zu Protokoll gegebene, hinsichtlich des Versammlungsortes modifizierte Versammlungsanzeige wurde gemäß §2 Abs1 VersG zurückgewiesen. Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG ausgeschlossen.

4. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 21. Februar 2008 keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid.

4.1. Zur Untersagung der in Rede stehenden Versammlungen wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"Im vorliegenden Berufungsfall wollte der VGT die Kundgebungen an denselben Örtlichkeiten veranstalten, an welchen bereits Versammlungen von 'Pelzbefürwortern' zeitlich angezeigt worden waren. In einem solchen Fall hat die Behörde zu versuchen, einen Kompromiss herbeizuführen. Gelingt dies nicht, ist in der Regel die später angezeigte Versammlung zu untersagen. Anderes gilt lediglich dann, wenn einer der Veranstalter auf lange Zeit hinaus und eine Vielzahl von Versammlungen - regelmäßig zu 'begehrten Zeiten' an 'begehrten Orten' - angemeldet hat, weil ansonsten andere Personen unverhältnismäßig in ihrer Versammlungsfreiheit beschränkt werden würden (Keplinger Versammlungsrecht Linde Verlag 2002, Seite 156).

Entgegen der offensichtlichen Rechtsauffassung des VGT erfolgte die Anzeige der 'Pro Pelz'-Kundgebungen bereits im Jahr 2003. Der Veranstalter hat diese Versammlungsanzeige auch nicht zurückgezogen, sondern am 30.09.2004 bzw. am 03.09.2007 modifiziert und konkretisiert. Da keine rechtlichen Gründe vorlagen, wurden diese Versammlungen von der Erstbehörde auch nicht untersagt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass die Rechtsauffassung des VGT, bei einer Teilnehmerzahl von drei Personen sei eine Versammlung nicht als solche zu qualifizieren, mit der ständigen Rechtsprechung des VfGH nicht in Einklang zu bringen ist.

Die Erstbehörde hatte daher zu prüfen, ob die Versammlung des VGT an der angezeigten Örtlichkeit abgehalten werden kann und zu prognostizieren, ob eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bzw. das öffentliche Wohl gegeben ist und gleichzeitig eine Interessensabwägung zu treffen, ob die Interessen der Allgemeinheit höher wiegen, als die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung.

Zutreffend ging die Erstbehörde dabei von der Annahme aus, dass im Falle der Abhaltung beider Versammlungen am gleichen Versammlungsort schon allein auf Grund der widerstreitenden Interessen bei einem derart konfliktträchtigen Thema mit gegenseitigen Übergriffen von Versammlungsteilnehmern gerechnet werden musste. Tatsächlich ist es auch in der Vergangenheit selbst bei getrennten Versammlungsorten zu massiven verbalen Entgleisungen gekommen. So musste bereits im Jahr 2006 eine angezeigte Kundgebung des VGT untersagt werden, weil es in den Vorjahren zu lautstarken verbalen Angriffen und Beschimpfungen von Pelzbefürwortern gekommen ist. Es darf in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid hingewiesen werden. Diese Umstände rechtfertigten auch nach Ansicht der erkennenden Behörde die Prognose, dass es im Falle der Abhaltung beider Versammlungen am gleichen Ort zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommen hätte können. Von daher gesehen war eine Interessenabwägung zum Nachteil des Veranstalters der Versammlungen des VGT zu treffen, zumal ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit im Hinblick darauf, dass der VGT lediglich an vier von 31 angezeigten Kundgebungen in der Ausübung des Versammlungsrechtes beschränkt wurde, als äußerst gering zu erachten ist. Darüber hinaus hätte die Versammlung in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsortes der Modenschau und des Versammlungsortes der 'Pro Pelz'-Befürworter stattfinden können, hätte der VGT dem Kompromissvorschlag der Erstbehörde zugestimmt. Auch dort wären die Teilnehmer der Demonstration für die Besucher der Modenschau gut zu sehen gewesen und hätten ihre Anliegen auch von diesen Plätzen aus der Öffentlichkeit nahe bringen können. Es war daher keinesfalls notwendig, den Protest genau an jenen Orten kundzutun, an welchen bereits eine Versammlung mit kontroversiellem Thema angezeigt worden war.

Ebenso wie die Erstbehörde vertritt auch die erkennende Behörde die Auffassung, dass vorliegend die Beeinträchtigungen für die Öffentlichkeit aus den bereits dargelegten Gründen schwerer wogen, als die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung."

4.2. Die Zurückweisung der Versammlungsanzeige wurde wie folgt begründet:

"Was den von der Vertreterin des VGT anlässlich der Niederschrift vom 12.10.2007 mündlich zu Protokoll gegebenen 'Eventualantrag' [betrifft,] ist aus rechtlicher Sicht Folgendes festzuhalten:

Mit der Erlassung des nunmehr bekämpften Bescheides gemäß §6 Versammlungsgesetz wurde über die eingebrachte Versammlungsanzeige zur Gänze abgesprochen. Es blieb dabei kein Platz für eine Abänderung hinsichtlich der Versammlungsörtlichkeit. Vielmehr war der genannte Antrag als neue Versammlungsanzeige anzusehen, für die jedoch die Bestimmung des §2 Abs1 Versammlungsgesetz zwingend die Schriftform normiert.

Die mündlich zu Protokoll gegebene Anzeige wurde daher mangels schriftlicher Einbringung zu Recht von der Erstbehörde zurückgewiesen."

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Versammlungsfreiheit sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend wird insbesondere Folgendes vorgebracht:

"Die belangte Behörde hat es verabsäumt, auf Basis des Akteninhaltes (!) darzutun, warum in concreto die Versammlung untersagt hätte werden dürfen.

Die Judikatur in dieser Richtung gibt der Behörde aber nur dann eine Prognose- und Vermutungsermächtigung, wenn bei vorhergehenden gleichartigen Versammlungen mit gleichartigen Teilnehmern das öffentliche Wohl durch gesetzwidrige Verhaltensweisen gefährdet oder beeinträchtigt wurde. Das war nie der Fall und ergibt sich auch nicht aus dem gesamten Akt.

Auch auf Basis einer allenfalls zu erstellenden Gefährlichkeitsprognose hätte die Versammlung also gar nicht untersagt werden dürfen.

...

Die belangte Behörde hätte das Berufungsvorbringen zu überprüfen gehabt, wonach die Firma F ihre Versammlungen nur pro forma angezeigt hat, um (...) lästige Versammlungen von Tierschützern zu verhindern.

Es kann nicht angehen, dass über 7 (!) Jahre hinaus Versammlungen dadurch verhindert werden, dass ein anderer täglich Versammlungen, die tatsächlich nie stattfinden, anzeigt. Die Behörde

2. Instanz zitiert in diesem Zusammenhang richtig Keplinger in Versammlungsrecht, 2002, Seite 156, wonach eine Versammlung nicht zu untersagen ist, wenn ein anderer Veranstalter einer Versammlung am selben Ort zur selben Zeit auf lange Zeit hinaus eine Vielzahl von Versammlungen regelmäßig zu 'begehrten Zeiten' an 'begehrten Orten' angemeldet hat, weil ansonsten andere Personen - wie im Konkreten die Beschwerdeführerin - in ihrer Versammlungsfreiheit beschränkt würden. Gerade das hat die Firma F getan und gerade aus diesem Grunde wären die von der Beschwerdeführerin angezeigten Versammlungen nicht zu untersagen gewesen, zumal die Firma F über 500 von ihr angemeldete Versammlungen de facto nicht durchgeführt hat, was die Durchführung eines mangelfreien Verfahrens durch die belangte Behörde ergeben hätte.

Dass ein Eventualantrag schriftlich zu stellen wäre, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dem gesetzlichen Zweck der Schriftlichkeit ist durch den Hauptantrag, aber auch durch die Niederschrift vom 12.10.2007 entsprochen, dies umso mehr als die Firma F, von den Behörden gleichheitswidrig akzeptiert, ihrerseits eine mündliche Modifikation ihrer Versammlungsanzeige aus 2003 durchführte. Die Durchführung eines mangelfreien Verfahrens durch die belangte Behörde hätte auch dies ergeben.

...

Es liegt daher ein Verfahrensmangel, der in die Verfassungssphäre reicht, vor. Die belangte Behörde hat sich mit den Argumenten in der Berufung überhaupt nicht auseinander gesetzt und ihrer Entscheidung wie unter 1. dargelegt ungeprüft Unwahrheiten zu Grunde gelegt."

6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

A. Zur Untersagung der Versammlung

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 12.257/1990 und die dort zitierte Vorjudikatur, 15.170/1998) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das - im Einklang mit Art11 Abs2 EMRK auszulegende (VfSlg. 12.155/1989, 15.362/1998 und 17.259/2004) - Gesetz unrichtig angewendet wurde. Dies gilt auch für Vereine (vgl. etwa VfSlg. 6095/1969, 6305/1970, 6530/1971). 1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 12.257/1990 und die dort zitierte Vorjudikatur, 15.170/1998) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das - im Einklang mit Art11 Abs2 EMRK auszulegende (VfSlg. 12.155/1989, 15.362/1998 und 17.259/2004) - Gesetz unrichtig angewendet wurde. Dies gilt auch für Vereine vergleiche etwa VfSlg. 6095/1969, 6305/1970, 6530/1971).

1.2. Die belangte Behörde hat den Bescheid, mit dem sie die angezeigten Versammlungen untersagte, auf §6 VersG gestützt. Diese Bestimmung lautet:

"§6. Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."

Die Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art11 Abs2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist (vgl. dazu etwa VfSlg. 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990). Die Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art11 Abs2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist vergleiche dazu etwa VfSlg. 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990).

Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist von der Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen.

2.1. Die Behörde war nicht berechtigt, von sich aus die Versammlungsanzeige zu ändern oder zu modifizieren. Sie hatte die Versammlungen - in der Art, wie sie angezeigt wurden - entweder zu untersagen oder nicht zu untersagen. Sieht sich die Behörde veranlasst, nur wegen eines einzelnen bestimmten Umstandes die Untersagung auszusprechen, so hat sie zuvor den Veranstalter darauf aufmerksam zu machen und ihm die Änderung der Versammlungsanzeige nahe zu legen bzw. mit ihm in Verhandlungen zu treten (VfSlg. 9103/1981, 15.362/1998). Wenn die Behörde meinte, auch nur eine der Modalitäten der beabsichtigten Versammlungen (etwa der Kundgebungsort) sei derart, dass eines der in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet würde, hatte sie die Versammlungen zu untersagen; hätte sie die Untersagung unterlassen, so wären die Versammlungen in der angezeigten Form erlaubt gewesen (VfSlg. 15.362/1998).

Dieser Vorgangsweise wurde von der Versammlungsbehörde erster Instanz entsprochen: Der beschwerdeführende Verein wurde im Zuge der Besprechung am 12. Oktober 2007 darüber informiert, dass bereits im Jahr 2003 Versammlungen zum Thema "Pro Pelz" für denselben Ort und dieselbe Zeit angezeigt wurden. Deshalb wurde angeregt, die Versammlungsanzeige dahingehend zu ändern, dass die pelzkritischen Kundgebungen nicht am ursprünglich geplanten Versammlungsort, sondern in unmittelbarer Nähe davon abgehalten werden. Dieser Vorschlag wurde vom beschwerdeführenden Verein nicht aufgegriffen und die Versammlungsanzeige in allen Punkten aufrechterhalten. Die Behörde hatte also über die Versammlungen in der angezeigten Form zu entscheiden.

2.2. Vorauszuschicken ist, dass am Versammlungsort (Opernring 23, 1010 Wien) eine GmbH ihren Firmensitz hat, deren Mitarbeiter während der jährlich stattfindenden mehrtägigen Pelzmodenschau in unmittelbarer Nähe zum Geschäft Kundgebungen zum Thema "Pro Pelz" abhalten, die der Behörde gemäß §2 VersG ordnungsgemäß angezeigt und nicht untersagt wurden.

Mit Blick auf die in Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit und die in der Judikatur dazu entwickelten Grundsätze (vgl. insbesondere zur Voraussetzung eines gemeinsamen Wirkens: VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 5415/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10.443/1985, 10.608/1985, 10.955/1986, 11.651/1988, 11.866/1988, 11.904/1988, 11.935/1988, 12.161/1989, 15.109/1998 sowie zur Dauer der Veranstaltung und der Zahl ihrer Teilnehmer: VfSlg. 11.651/1988, 11.866/1988) teilt der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der belangte Behörde, dass es sich bei den in Rede stehenden Veranstaltungen um in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit fallende Zusammenkünfte handelt. Mit Blick auf die in Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit und die in der Judikatur dazu entwickelten Grundsätze vergleiche insbesondere zur Voraussetzung eines gemeinsamen Wirkens: VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 5415/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10.443/1985, 10.608/1985, 10.955/1986, 11.651/1988, 11.866/1988, 11.904/1988, 11.935/1988, 12.161/1989, 15.109/1998 sowie zur Dauer der Veranstaltung und der Zahl ihrer Teilnehmer: VfSlg. 11.651/1988, 11.866/1988) teilt der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der belangte Behörde, dass es sich bei den in Rede stehenden Veranstaltungen um in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit fallende Zusammenkünfte handelt.

Aus Anlass der jährlichen Pelzmodenschau werden regelmäßig auch Kundgebungen gegen Pelztierbekleidung durchgeführt.

2.3. Im vorliegenden Fall wurde die Untersagung im Wesentlichen damit begründet, dass die vom beschwerdeführenden Verein angezeigten Versammlungen mit den Kundgebungen zum Thema "Pro Pelz", die am 13. Oktober 2003 erstmals bekannt gegeben (und in weiterer Folge mehrfach modifiziert) wurden, zeitlich und örtlich kollidiert hätten. Die Behörde gelangte - nach Abwägung der widerstreitenden Interessen - zur Auffassung, bei einem derart konfliktträchtigen Thema sei es nicht auszuschließen, dass es zu gegenseitigen Übergriffen von Versammlungsteilnehmern käme, zumal in der Vergangenheit auch im Zuge getrennter Versammlungen schon massive verbale Entgleisungen und Beschimpfungen von Pelzbefürwortern stattgefunden hätten.

Nun ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine bloß allgemeine Befürchtung, es werde im Falle der Abhaltung beider Versammlungen möglicherweise zu handgreiflichen Auseinandersetzungen und Übergriffen zwischen Pelzgegnern und Pelzbefürwortern kommen, für sich alleine betrachtet noch nicht ausreicht, um die Untersagung jedweder Versammlung zu rechtfertigen.

2.4. Im vorliegenden Fall hat die Behörde ihrer Prognose die Erfahrungswerte im Zusammenhang mit bisher abgehaltenen Versammlungen des beschwerdeführenden Vereins während der jährlichen Pelzmodenschau zugrunde gelegt. Diesbezüglich enthält der Verwaltungsakt mehrere Berichte der Bundespolizeidirektion Wien über Kundgebungen, die vom beschwerdeführenden Verein veranstaltet wurden, im Zuge derer Parolen wie "Schande Schande Mörderbande", "Leichenschänder F", "nur Schlampen tragen Pelze" etc. in Richtung der vor dem Geschäftseingang demonstrierenden Pelzbefürworter, Kunden des Pelzmodengeschäfts sowie Besucher der Modenschau (teils mit Megafonen) geschrieen wurden.

Wenn die belangte Behörde nach Abwägung der Interessen aller beteiligten Grundrechtsträger und auf Basis ihrer sicherheitspolizeilichen Einschätzung zur Auffassung gelangt, dass die Sicherheit der Versammlungsteilnehmer sowie der Besucher der Pelzmodenschau im Falle der gleichzeitigen Abhaltung der Gegenkundgebungen nicht gewährleistet wäre, besteht für den Verfassungsgerichtshof keine Veranlassung, dieser Prognose entgegenzutreten. Insbesondere der Schutz der Kunden und Passanten im Bereich des Pelzmodengeschäfts rechtfertigt aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes die Untersagung der vom beschwerdeführenden Verein angezeigten Versammlungen; die befürchtete Gefährdung wäre anders auch nicht zu vermeiden gewesen, da der beschwerdeführende Verein - ungeachtet der Möglichkeit, die Kundgebungen in unmittelbarer Nähe zum ursprünglich geplanten Versammlungsort abzuhalten - der von der Behörde vorgeschlagenen Änderung des Versammlungsortes nicht zugestimmt hat.

2.5. Soweit der beschwerdeführende Verein behauptet, die Versammlungen hätten schon deshalb nicht untersagt werden dürfen, weil Pelzbefürworter über Jahre hinaus "pro forma" Versammlungen vor dem Geschäftseingang des in Rede stehenden Pelzmodengeschäfts angezeigt haben und dadurch die Ausübung des Versammlungsrechtes durch Pelzgegner in unzulässiger Weise beschränken, übersieht er, dass die belangte Behörde in Kenntnis der bisher regelmäßig abgehaltenen Kundgebungen zum Thema "Pro Pelz" zu Recht davon ausgehen konnte, dass auch die für 16. Oktober 2007 bis 19. Oktober 2007 aus Anlass der Pelzmodenschau geplanten Versammlungen tatsächlich durchgeführt werden. Hinzu kommt, dass der beschwerdeführende Verein nicht nachvollziehbar dargetan hat, warum der Versammlungszweck an dem von der Behörde vorgeschlagenen Versammlungsort nicht hätte erreicht werden können.

B. Zur Zurückweisung der Versammlungsanzeige

1. Gemäß §2 VersG ist eine allgemein zugängliche Versammlung wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zwecks, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich anzuzeigen.

In seinem Erkenntnis VfSlg. 16.842/2003 hat der Verfassungsgerichtshof dazu Folgendes ausgeführt:

"... Sinn und Zweck der im §2 VersG festgelegten

Anzeigefrist von 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der Versammlung ist es, einerseits der Versammlungsbehörde die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein Untersagungsgrund iS des §6 VersG vorliegt, und ihr die notwendige Zeit einzuräumen, um allenfalls erforderliche Vorkehrungen zur Sicherung des ungehinderten Verlaufs der Versammlung zu treffen, andererseits aber auch zu gewährleisten, dass auch kurzfristig mittels Abhaltung einer Versammlung - unter Einhaltung aller Vorschriften des VersG - auf aktuelle Ereignisse reagiert werden kann (...)."

2. Die belangte Behörde ging davon aus, dass die vom beschwerdeführenden Verein im Zuge der Besprechung am 12. Oktober 2007 - für den Fall der Untersagung der angezeigten Versammlungen - mündlich zu Protokoll gegebene Modifizierung der ursprünglichen Versammlungsanzeige hinsichtlich des Versammlungsortes als neue Versammlungsanzeige anzusehen sei, die jedoch entgegen der in §2 Abs1 VersG normierten Verpflichtung nicht schriftlich bei der Behörde eingebracht worden sei.

3. Zunächst ist festzuhalten, dass das in §2 Abs1 VersG normierte Erfordernis der Schriftlichkeit auch für Änderungen bereits eingebrachter Versammlungsanzeigen gilt. Zur Bestimmung des §13 AVG, die grundsätzlich zwischen schriftlichen und mündlichen Anbringen unterscheidet, gingen bisher sowohl die herrschende Lehre als auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass mündliche Anbringen durch die niederschriftliche Protokollierung gemäß §14 Abs1 AVG - mögen sie auch von der Partei durch ihre Unterschrift bestätigt werden - nicht den Charakter schriftlicher Eingaben erhalten (vgl. etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1998, E 10 zu §13 AVG; VwGH 27.11.2003, 2002/06/0052). 3. Zunächst ist festzuhalten, dass das in §2 Abs1 VersG normierte Erfordernis der Schriftlichkeit auch für Änderungen bereits eingebrachter Versammlungsanzeigen gilt. Zur Bestimmung des §13 AVG, die grundsätzlich zwischen schriftlichen und mündlichen Anbringen unterscheidet, gingen bisher sowohl die herrschende Lehre als auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass mündliche Anbringen durch die niederschriftliche Protokollierung gemäß §14 Abs1 AVG - mögen sie auch von der Partei durch ihre Unterschrift bestätigt werden - nicht den Charakter schriftlicher Eingaben erhalten vergleiche etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1998, E 10 zu §13 AVG; VwGH 27.11.2003, 2002/06/0052).

Daran vermag das - in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung in einem gemäß §13 Abs1 Z1 VwGG verstärkten Senat ergangene - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Mai 2004, 2001/20/0195, schon deshalb nichts zu ändern, weil der beschwerdeführende Verein anlässlich der Besprechung am 12. Oktober 2007 ausdrücklich auf das Erfordernis der schriftlichen Einbringung von Versammlungsanzeigen hingewiesen wurde. Im Sinne des zitierten Erkenntnisses sind die Behörden nämlich nicht daran gehindert, "den Versuch einer Partei, ein dem Schriftlichkeitsgebot unterliegendes Anbringen zu Protokoll zu geben, als solchen zu protokollieren oder in einem Aktenvermerk festzuhalten und die schriftliche Aufnahme des Anbringens dessen ungeachtet abzulehnen." Im vorliegenden Fall fand dieser Umstand auch in der über den Verlauf der Besprechung aufgenommenen Niederschrift Ausdruck.

Angesichts dieses Ergebnisses kann es dahinstehen, ob die in Rede stehende Judikaturänderung für jene Fälle, in denen der Materiengesetzgeber die Schriftform von Anbringen - wie in §2 Abs1 VersG - explizit vorgesehen hat, überhaupt maßgeblich ist.

Der belangten Behörde ist daher beizupflichten, wenn sie davon ausgeht, dass die der Bundespolizeidirektion Wien bei der Besprechung am 12. Oktober 2007 mündlich bekannt gegebene Versammlungsanzeige nicht den Erfordernissen des §2 Abs1 VersG entsprach.

4. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit ist sohin nicht erfolgt.

Im Hinblick darauf, dass die Behörde rechtsrichtig entschieden hat und dass gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, dass die beschwerdeführende Partei durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht, Verwaltungsverfahren, Eingaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:B663.2008

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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