TE Vfgh Erkenntnis 1981/6/30 B112/77

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Veröffentlicht am 30.06.1981
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; keine Verletzung des durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, (im folgenden: ZDG) die Befreiung von der Wehrpflicht. Er brachte in seinem Antrag im wesentlichen folgendes vor: Es habe eine neue Geschichtsepoche begonnen, Erfindungen und Entdeckungen seien gemacht und für die Menschheit nutzvoll angewendet worden. Gleichzeitig habe man neu zu rüsten begonnen; neues Kriegsmaterial sei gebaut und junge Menschen seien zum Kämpfen erzogen worden. Darin sehe er eine Provokation des Krieges; Krieg sei nicht die Lösung, um ein Problem zu beseitigen, sondern er bewirke das Gegenteil von dem, was man erhoffe. Er lehne daher jegliche Waffengewalt gegen Menschen ab, weil er sich dadurch mitschuldig fühlte, einen Beitrag für die Provokation des Krieges geleistet zu haben und damit auch einen Beitrag zum Unheil der Menschheit.

2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Sie ergaben seine Unbescholtenheit; Nachteiliges kam nicht hervor.

In der mündlichen Verhandlung vor der ZDK, Senat 4, gab der Beschwerdeführer an, daß er den Zivildienst nur in Wien leisten würde; zB nach Vorarlberg würde er aus dem Grund nicht gehen, weil er seine Freundin nicht so lange in Wien allein lassen könnte. Würde er als Zivildiener abgewiesen, so würde er in das Ausland ziehen.

3. Mit Bescheid vom 13. Dezember 1976 wies die ZDK, Senat 4, den Antrag des Beschwerdeführers ab. Sie begründete diese Entscheidung unter Bezugnahme auf die §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG folgendermaßen:

Der Beschwerdeführer sei in seinem Antrag auf die Problematik der Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen nur in sehr allgemein gehaltenen Ausführungen eingegangen, ohne näher darzutun, ob und inwieweit seine Anschauungen zu einer für ihn bindenden Gewissensentscheidung geführt hätten. In der mündlichen Verhandlung habe er ausdrücklich erklärt, den Zivildienst nur in Wien, aber keinesfalls zB in Vorarlberg leisten zu wollen. Auf Grund dieser Angaben sei der Senat außerstande, beim Beschwerdeführer schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG als glaubhaft anzunehmen.

4. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, einen Ausspruch des VfGH dahin, daß seinem Antrag auf Wehrpflichtbefreiung stattgegeben werde, sowie - hilfsweise - die Beschwerdeabtretung an den VwGH.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Wie sich aus den folgenden Darlegungen ergibt, hat der VfGH in dieser Beschwerdesache die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG, welche durch ArtII Z2 der Zivildienstgesetz-Nov. 1980, BGBl. 496, mit Wirksamkeit vom 1. Dezember 1980 (ArtIV Abs1 Z5 dieser Nov.) eine neue Fassung erhalten hat, in ihrer Stammfassung heranzuziehen:

In ständiger Rechtsprechung hat der VfGH den Standpunkt eingenommen, daß der im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren angefochtene Bescheid auf dem Boden der zum Zeitpunkt seiner Erlassung gegebenen Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist (siehe zB VfSlg. 7161/1973). Dies gilt auch dann, wenn der Bescheid in Handhabung einer Verfassungsbestimmung - hier: des §2 Abs1 ZDG - erlassen wurde. Ist aus der anzuwendenden Verfassungsbestimmung ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht abzuleiten - wie gemäß der mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten Judikatur aus §2 Abs1 ZDG das auch im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung -, so liefert die Verfassungsbestimmung in ihrer zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Fassung auch den Maßstab für die vorzunehmende Prüfung, ob das durch sie gewährleistete Recht verletzt wurde.

2. Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH vor, wenn die Behörde die in dieser Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - im Hinblick darauf, daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers vor der ZDK beinhaltet nur Darlegungen darüber, daß er auf Grund bestimmter Erwägungen die militärische Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ablehnt; er hat aber für seine Person nicht dargetan, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Wie der VfGH in gleichgelagerten Fällen schon ausgesprochen hat (VfSlg. 8033/1977, 8390/1978, 8787/1980, 8788/1980), ist bei einer solchen Sachlage die ZDK schon auf dem Boden der Behauptungen des Beschwerdeführers gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber bereits in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es - wie der VfGH ebenfalls in den angeführten Erk. dargelegt hat - auch unerheblich, ob die belangte ZDK ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr - wie der Beschwerdeführer anscheinend vermeint - irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.

3. Soweit der Beschwerdeführer aber weitere Gründe für die von ihm verlangte Wehrpflichtbefreiung ins Treffen führt und einen Ausspruch des VfGH dahin beantragt, daß seinem Antrag auf Wehrpflichtbefreiung stattgegeben werde, verkennt er, daß der VfGH im Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG nicht etwa eine vom Verwaltungsgeschehen losgelöste Entscheidung in der Sache zu fällen, sondern ausschließlich die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Verwaltungsbehörde unter dem Gesichtspunkt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte sowie der Anwendung rechtmäßiger genereller Normen zu überprüfen hat.

4. Das Beschwerdeverfahren hat auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme ergeben, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen als dem von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung oder infolge der Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in einem Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

5. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen, weil im Hinblick auf die Einrichtung der ZDK und ihrer Senate als Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG ein Fall vorliegt, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (vgl. VfSlg. 8787/1980).

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B112.1977

Dokumentnummer

JFT_10189370_77B00112_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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