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95 TechnikNorm
B-VG Art12 Abs3Leitsatz
Elektrotechnikgesetz; keine Zuständigkeit des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie zur Erteilung einer elektrizitätsrechtlichen Bewilligung eines Projektes; Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Mit Bescheid vom 27. Feber 1976, Z I/5-541/1-1976, wurde der Nö. Elektrizitätswerke AG (NEWAG) über deren Antrag vom Landeshauptmann von NÖ die elektrizitätsrechtliche und von der Nö. Landesregierung die energiewirtschaftsrechtliche Bau- und Betriebsbewilligung zur Errichtung der 20 kV-Trafostation Gasten samt einer zugehörigen 20 kV-Anschlußleitung erteilt.
Diesen Bescheid bekämpften die Beschwerdeführer mit einer hinsichtlich der elektrizitätsrechtlichen Bewilligung als Berufung zu wertenden und hinsichtlich der energiewirtschaftsrechtlichen Bewilligung als Devolutionsantrag gemäß Art12 Abs3 B-VG zu wertenden Eingabe, in der sie eine geänderte Trassenführung für das Projekt begehrten.
2. Hierauf ordnete der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bauten und Technik die Neudurchführung eines Ermittlungsverfahrens gemäß den Bestimmungen des Nö. Starkstromwege-Gesetzes, LGBl. 224/1970, des Art12 Abs3 B-VG in Verbindung mit dem Bundesgesetz BGBl. 62/1926, des Elektrotechnikgesetzes, BGBl. 57/1965, sowie der dazu ergangenen einschlägigen Durchführungsverordnungen in Zusammenhalt mit den §§40 ff. AVG 1950 an. Aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurde vom Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie mit Bescheid vom 27. Mai 1977, Z 51.822/2-V/4/77, für das Projekt des Baues der 20 kV-Trafostation "Gasten" (Kopfstation) auf Parzelle 56/1, KG Gasten, samt zugehöriger etwa 490 m langer 20 kV-Anschlußleitung, ausgehend von dem auf Parzelle 29, KG Gasten, anstelle eines derzeit bestehenden T-Mastes zu errichtenden Abzweig-Mastes der Hochspannungsfreileitung Obergrafendorf-Badendorf und endend beim Aufstellungsort der Masttrafostation "Gasten" durch die Nö. Elektrizitätswerke AG gemäß den Bestimmungen des Nö. Landesgesetzes vom 4. Juni 1970 über elektrische Leitungsanlagen, die sich nur auf das Gebiet des Bundeslandes NÖ erstrecken (Nö. Starkstromwege-Gesetz), LGBl. 224/1970, die energiewirtschaftsrechtliche Baubewilligung und aufgrund der gemäß §9 des Bundesgesetzes vom 17. März 1965 über Sicherheitsmaßnahmen, Normalisierung und Typisierung auf dem Gebiet der Elektrotechnik (Elektrotechnikgesetz), BGBl. 57/1965, vorgenommenen Überprüfung des Projektes und der hiebei getroffenen Feststellungen unter der Bedingung der Einhaltung näher bezeichneter Auflagen die elektrizitätsrechtliche Bewilligung erteilt sowie die von den Beschwerdeführern gestellten Anträge abgewiesen.
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.
Die belangte Behörde und die als Beteiligte zugezogene NEWAG haben Gegenschriften erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Die Beschwerdeführer behaupten vorerst, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein.
Sie vermeinen, die belangte Behörde wäre zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zuständig gewesen, da die durch das Verfahren betroffenen Grundstücke mit Verordnung vom 31. Jänner 1977, Z 4.246/11, in ein Zusammenlegungsverfahren nach dem Nö. Flurverfassungs-Landesgesetz 1975, LGBl. 6650-0, einbezogen worden seien. Gemäß §97 leg. cit. erstrecke sich die Zuständigkeit der Agrarbehörden vom Zeitpunkt der Einleitung eines Zusammenlegungsverfahrens bis zum Zeitpunkt des Abschlusses eines solchen auf die Verhandlung und Entscheidung über alle "tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse", die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung in das Verfahren einbezogen werden müssen.
Hiezu genügt es, auf die Erk. VfSlg. 3798/1960 und 5733/1968 zu verweisen, deren Erwägungen auch für das vorliegende Verfahren zutreffen.
b) Die Beschwerdeführer vermeinen weiters, auch dadurch im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, daß der Landeshauptmann von NÖ gleichzeitig Vorsitzender des Aufsichtsrates der antragstellenden NEWAG ist. Sie sind der Ansicht, daß aus diesem Grunde der Landeshauptmann bei der Entscheidung über den Antrag der NEWAG nicht mitwirken hätte dürfen.
Mit diesem Vorbringen wird von den Beschwerdeführern offensichtlich geltend gemacht, daß der Landeshauptmann von NÖ bei der Erlassung des Bescheides vom 27. Feber 1976 gemäß §7 AVG 1950 befangen gewesen sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 7082/1973, 8386/1978) dadurch, daß ein befangenes Verwaltungsorgan an der Erlassung eines Bescheides mitgewirkt hat, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt wird.
c) Die behauptete Grundrechtsverletzung liegt jedoch dennoch vor.
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde vom Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie sowohl im Devolutionswege gemäß Art12 Abs3 B-VG über die Erteilung der energiewirtschaftsrechtlichen Bewilligung eines Projektes als auch über eine Berufung über einen Bescheid, der nach dem Elektrotechnikgesetz vom Landeshauptmann von NÖ erlassen worden war, entschieden. Wohl fällt es in die Zuständigkeit des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie, über die energiewirtschaftsrechtliche Bewilligung eines Projektes gemäß Art12 Abs3 B-VG im Devolutionsweg zu entscheiden (Anlage zu §2 des Bundesministeriengesetzes 1973, BGBl. 389, Teil 2, Abschnitt F Z13). Anders ist jedoch die Rechtslage hinsichtlich der im Instanzenzug ergangenen elektrizitätsrechtlichen Bewilligung nach dem Elektrotechnikgesetz; die Entscheidung über diese Berufung fällt (Anlage zu §2 des Bundesministeriengesetzes 1973, Teil 2 Abschnitt C Z6) ausschließlich in den Wirkungsbereich des Bundesministers für Bauten und Technik. Dem Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie kam weder aufgrund des Bundesministeriengesetzes 1973, auf welches in den Verwaltungsakten Bezug genommen wird, noch einer anderen gesetzlichen Bestimmung das Recht zur Fällung dieser in die Zuständigkeit des Bundesministers für Bauten und Technik fallenden Entscheidung zu.
Dadurch, daß der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie insofern eine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, die einem anderen Bundesminister zustand, sind die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Da die Entscheidung aufgrund des Devolutionsantrages gemäß Art12 Abs3 B-VG über die energiewirtschaftsrechtliche Bewilligung eines Projektes und über die Berufung gegen die elektrizitätsrechtliche Bewilligung desselben im angefochtenen Bescheid einheitlich gefällt wurde und dieser untrennbaren Inhaltes ist, war der Bescheid zur Gänze aufzuheben, ohne daß auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführer einzugehen war.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Befangenheit, VfGH / Trennbarkeit, Agrarbehörden, Agrarverfahren, Behördenzuständigkeit, Bescheid Trennbarkeit, Energierecht, ElektrizitätswesenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B309.1977Dokumentnummer
JFT_10189299_77B00309_00