TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/2 B104/80

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Veröffentlicht am 02.10.1981
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
EGVG ArtIX Abs1 Z1, ArtIX Abs1 Z2
VStG §35 litc
VStG §36 Abs1

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; vertretbare Annahme eines Festnehmungsgrundes nach §35 litc VStG 1950; Ordnungsstörung und ungestümes Benehmen iS des ArtIX Abs1 Z1 und 2 EGVG 1950

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht:

Der Beschwerdeführer habe in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1980 mit drei Kollegen das Cafe "Metropol" in der Linzer Altstadt besucht. Der Kellner dieses Lokales habe, weil die Aufgabe der Bestellung zu lange gedauert habe, einem der Begleiter des Beschwerdeführers die Getränkekarte derart auf den Kopf geschlagen, daß die Brille dieses Kollegen herabfiel und leicht beschädigt wurde. Er (der Beschwerdeführer) habe daraufhin telefonisch die Polizei verständigt. Ein mit zwei Sicherheitswachebeamten (SWB) besetzter Funkstreifenwagen sei gegen 4.25 Uhr eingetroffen. Der Kellner habe vor dem Polizisten zugegeben, die Brille beschädigt zu haben. Um entsprechende Beweise für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Kellner zu sichern, habe er (der Beschwerdeführer) die SWB aufgefordert, den Vorfall und das Geständnis des Kellners schriftlich aufzunehmen. Dieses Ansinnen hätten die Polizisten abgelehnt und auch die Bekanntgabe ihrer Dienstnummer verweigert. Daraufhin sei der Beschwerdeführer - ohne daß er irgendein strafbares Verhalten gesetzt hätte - um etwa 4.30 Uhr vor dem erwähnten Nachtlokal festgenommen und in das Gebäude der Bundespolizeidirektion Linz gebracht worden. Dort sei er in eine Arrestzelle gesperrt worden. Erst um etwa 10.30 Uhr sei er - nachdem er dem Journalbeamten vorgeführt worden sei - aus der Haft entlassen worden.

Der Beschwerdeführer beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß seine Festnahme und die anschließende Anhaltung verfassungswidrig waren. Es sei kein Haftgrund vorgelegen, insbesondere auch nicht nach §35 VStG.

2. Die Bundespolizeidirektion Linz als belangte Behörde (vertreten durch die Finanzprokuratur) begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen und schildert den Sachverhalt im wesentlichen wie folgt:

Der Beschwerdeführer habe zunächst innerhalb des Lokales, später auch auf der Straße vor dem Lokal geschrieen und heftig gestikuliert. Er habe auch die SWB trotz wiederholter Abmahnung angeschrieen und versucht, einen der SWB am Rockärmel festzuhalten. Der Beschwerdeführer sei daraufhin gemäß §35 litc VStG festgenommen und mit dem Funkwagen in das Gebäude der Bundespolizeidirektion Linz überstellt worden. Eine Einvernahme durch den Journalbeamten sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen, da der Beschwerdeführer übermäßig erregt gewesen sei. Erst nachdem sich der Beschwerdeführer beruhigt hatte und die Vormerkungen über ihn eingeholt worden seien, sei er gegen 10.00 Uhr einvernommen und um 10.25 Uhr aus der Haft entlassen worden.

II.1. Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Bundespolizeidirektion Linz, GZ St-137/80; ferner durch die im Rechtshilfeweg durchgeführte Vernehmung der drei Begleiter des Beschwerdeführers (nämlich der Studenten O. St., G. G. und E. Sch.), der beiden Kellner des Cafe "Metropol" (nämlich A. B. und J. M.), der Besatzung des Funkstreifenwagens (nämlich der SWB BezInsp. J. F. und RevInsp. G. P.) und der rechtskundigen Beamten der Bundespolizeidirektion Linz (OR Mag. O. A. und OKmsr. Dr. J. P.) als Zeugen sowie schließlich des Beschwerdeführers als Partei.

2. Auf Grund dieser Beweise stellt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:

Am 13. Februar 1980 gegen 3.00 Uhr besuchte der Beschwerdeführer gemeinsam mit drei Freunden (den Zeugen St., G. und Sch.) das Cafe "Metropol" in Linz. Die vier Studenten gaben trotz mehrmaliger Nachfrage des Kellners (des Zeugen B.) ihre Bestellung nicht auf, sodaß dieser ungeduldig wurde; er nahm dem Zeugen St. die Getränkekarte aus der Hand und schlug sie ihm derart auf den Kopf, daß die Brille St. zu Boden fiel und dadurch beschädigt wurde.

Da der Kellner die Bekanntgabe seines Namens verweigerte, rief der Beschwerdeführer telefonisch die Polizei herbei. Kurze Zeit später traf der Funkstreifenwagen (Besatzung: die Zeugen BezInsp. J. F. und RevInsp. P.) beim Cafe "Metropol" ein. Auf Grund der Intervention der SWB teilten der Kellner B. und der Geschädigte St. einander ihre Namen mit.

Dennoch beschimpften die vier Studenten und der Kellner einander weiter, wobei sich der Beschwerdeführer besonders hervortat und sein lärmendes Verhalten nicht einstellte, obgleich er durch die SWB (insbesondere durch RevInsp. P.) wiederholt ermahnt wurde, "er möge sich doch ordentlich benehmen", sonst müsse er festgenommen werden. Im Lokal befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch einige Gäste; im Vorraum sammelten sich auf Grund des Vorfalles einige Zuschauer an.

Die vier Studenten befolgten die Aufforderung der SWB, das Lokal zu verlassen, zunächst nicht, sondern bewegten sich im Kreis und hielten - wie es der Zeuge B. ausdrückte - die Polizeibeamten "zum Narren" und "machten einen Wirbel".

Damit sein Freund St. bei einem allfälligen Gerichtsverfahren wegen des Ersatzes der beschädigten Brille qualifizierte Zeugen habe, forderte der Beschwerdeführer die SWB wiederholt auf, ein Protokoll über den Vorfall zu verfassen oder ihm (dem Beschwerdeführer) wenigstens ihre Namen zu nennen. Die Polizisten lehnten dieses Ansinnen ab und verwiesen darauf, daß es sich bei der Beschädigung der Brille um eine reine Zivilrechtsangelegenheit handle, zu deren Behandlung die Bundespolizeidirektion Linz nicht zuständig sei. Der Beschwerdeführer wollte dies aber nicht zur Kenntnis nehmen und beharrte lautstark und mit den Händen gestikulierend auf seiner Forderung; schließlich faßte er BezInsp. F. am Rockärmel, was diesen veranlaßte, den Beschwerdeführer zu ermahnen, ihn sofort auszulassen, "ansonsten müsse er ihn einsperren".

Als die vier Studenten schließlich doch das Lokal verlassen hatten, begehrte der Beschwerdeführer neuerlich, die Namen oder wenigstens die Dienstnummern der SWB zu erfahren. Er äußerte laut und erregt seine Empörung darüber, daß die Polizeibeamten nichts gegen den Kellner unternehmen, obgleich er eine Brille beschädigt habe. Als der Beschwerdeführer neuerlich Abmahnungen durch den Zeugen RevInsp. P., sein aggressives Verhalten den SWB gegenüber einzustellen, nicht befolgte, wurde er um 4.25 Uhr von den SWB festgenommen. Er wurde ins Polizeigefangenenhaus eingeliefert und von dort - nachdem die über ihn bestehenden Vormerkungen eingeholt worden waren - am selben Tag um etwa 10.00 Uhr dem Strafreferenten OKmsr. Dr. P. vorgeführt, der ihn nach Einvernahme als Beschuldigter um 10.25 Uhr aus der Haft entließ.

3. Die Sachverhaltsfeststellungen des VfGH gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

Die Aussagen der Zeugen St., G. und Sch. sowie des Beschwerdeführers als Partei einerseits und der Zeugen BezInsp. F., RevInsp. P. und B. andererseits stehen gerade in der hier maßgeblichen Hinsicht, ob der Beschwerdeführer ein strafbares Verhalten gesetzt hat, zueinander in Widerspruch. Während die erste Gruppe dies eindeutig bestreitet, bejaht dies die zweite Gruppe ebenso dezidiert und konkret.

Es entspricht den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß sich der Vorfall so abgewickelt hat, wie ihn die beiden SWB und der Kellner B. schildern. Der VfGH folgt daher ihren Aussagen und nicht jenen des Beschwerdeführers und seiner drei Freunde.

Auch aus der Schilderung des Beschwerdeführers und seiner Freunde geht hervor, daß die SWB ihnen gegenüber zunächst durchaus freundlich eingestellt waren und durch ihre Intervention - zu der sie gar nicht verhalten waren - dem Zeugen St. ermöglichten, den Namen der Person zu erfahren, die seine Brille beschädigt hatte; dadurch wurde er in die Lage versetzt, allfällige zivilrechtliche Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Wenn die SWB in der Folge dennoch gegen den Beschwerdeführer einschritten, so kann das unter diesen Umständen nur darauf zurückgeführt werden, daß sie von ihm provoziert wurden. Es ist unglaubwürdig, daß ein bloßes Ersuchen um Bekanntgabe der Namen oder der Dienstnummern der Beamten die Festnahme ausgelöst haben soll, wie dies der Beschwerdeführer und seine Freunde angeben. Der VfGH folgt der wesentlich lebensnäheren Schilderung der Situation durch die Zeugen F., P. und B., daß nämlich der leicht alkoholisierte Beschwerdeführer meinte, die SWB verletzten ihre Pflicht, die Beschädigung der Brille aufzunehmen, und wie er infolgedessen seinen Aggressionen freien Lauf ließ.

III.1. Die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen ihn ergangener Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 vorletzter Satz B-VG (vgl. zB VfSlg. 8580/1979).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. Der VfGH beurteilt den festgestellten Sachverhalt (s.o. II.2.) unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt:

Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Der Beschwerdeführer wäre sohin durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden, wenn die Festnehmung nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 8507/1979).

Die Festnehmung einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG 1950 setzt voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten wird". Das Sicherheitsorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. zB VfSlg. 8507/1979 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die SWB haben die Taten, deren sie den Beschwerdeführer beschuldigten, selbst wahrgenommen. Sie konnten vertretbarerweise annehmen, daß er durch sein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet war, die Ordnung an öffentlichen Orten gestört (ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950) und daß er sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung ihnen gegenüber, während sie sich in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes befanden, ungestüm benommen hatte (ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950).

Bei dieser Sachlage war - da der Beschwerdeführer trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlungen verharrte - der Festnehmungsgrund der litc des §35 VStG 1950 gegeben.

Die im Anschluß an die - im Gesetz gedeckte - Festnahme des Beschwerdeführers erfolgte Anhaltung war ebenfalls rechtmäßig:

Der in den frühen Morgenstunden dem Gefangenenhaus eingelieferte Beschwerdeführer wurde - nachdem die Vormerkungen über ihn eingeholt worden waren - um etwa 10.00 Uhr desselben Tages vom Strafreferenten einvernommen und dann sogleich auf freien Fuß gesetzt. Es kann daher nicht davon gesprochen werden, daß die Freilassung des Beschwerdeführers unnötig verzögert worden wäre.

Der Beschwerdeführer wurde sohin durch die Festnahme und die nachfolgende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

3. Da die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gleichfalls nicht stattgefunden hat und auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Beschwerdeführer infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Ordnungsstörung, Benehmen ungestümes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B104.1980

Dokumentnummer

JFT_10188998_80B00104_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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