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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Lebensmittelgesetz 1975; keine Bedenken, daß §74 Abs6 im Widerspruchzu Art11 Abs2 B-VG steht; keine denkunmögliche GesetzesanwendungSpruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Über den Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, vom 31. Oktober 1977, Z MBA 9-12/020/7 Str., wegen der Verwaltungsübertretung nach den §§74 Abs2 Z1 in Verbindung mit 7 Abs1 litb des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. 86/1975 - LMG 1975 -, gemäß der eben zitierten Gesetzesstelle eine Geldstrafe von S 1.500,-, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von 2 Tagen verhängt, weil er in der Zeit vom 10. Juni 1976 bis 18. August 1976 in Wien 10, Südostbahnhof, 9. Straße, als Verantwortlicher der "C. C., Großhandel mit Lebens- und Genußmitteln und Handelsvertretung, L. K. und O. R. OHG", 30 Kartons a 100 Dosen Panorama Sardinen pikant in Öl in Verkehr gebracht hatte, obwohl diese nach den Begriffsbestimmungen des §8 litg LMG 1975 als wertgemindert zu beurteilen waren.
1.2. Aufgrund der vom Beschwerdeführer dagegen eingebrachten Berufung wurde gemäß §66 Abs4 AVG 1950 das angefochtene Straferkenntnis hinsichtlich des Tatzeitraumes vom 14. Juli 1976 bis 18. August 1976 behoben und das Verfahren insoweit gemäß §45 Abs1 lita VStG 1950 eingestellt.
Im übrigen wurde das angefochtene Straferkenntnis gemäß §66 Abs4 AVG 1950 in der Schuldfrage, im Ausspruch des Ersatzes der Kosten an die Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung und im Ausspruch über die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten des Strafvollzuges mit der Maßgabe bestätigt, daß der erste Satz des Spruches zu lauten habe:
"Der Beschuldigte M. L. hat in der Zeit vom 10. Juni 1976 bis 13. Juli 1976 in Wien 10, Südostbahnhof, 9. Straße, als Verantwortlicher der "C. C., Großhandel mit Lebens- und Genußmitteln und Handelsvertretung, L. K. und O. R. OHG, wertgeminderte Panorama Sardinen pikant in Öl in Verkehr gebracht, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht wurde."
Die Strafe wurde weiters mit S 1.000,-, bei Uneinbringlichkeit 24 Stunden Arrest neu bemessen.
Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt:
Der durch ein Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung erhärtete Tatbestand sei in objektiver Hinsicht unbestritten geblieben. Zur Frage der behaupteten Verjährung sei darauf zu verweisen, daß dem Beschwerdeführer mit Beschuldigten-Ladungsbescheid vom 11. März 1977 die im Spruch näher umschriebene Tat zur Last gelegt wurde und seine Ladung zur Vernehmung für 17. März 1977 erfolgt sei, an welchem Tage seine Vernehmung als Beschuldigter stattgefunden habe. Demnach seien gegen ihn innerhalb der gemäß §74 Abs6 LMG 1975 ein Jahr betragenden Verjährungsfrist Verfolgungshandlungen gesetzt worden. Hinsichtlich der Tatzeitanlastung sei jedoch zu berücksichtigen gewesen, daß die inkriminierten Waren am 14. Juli 1976 von Aufsichtsorganen gemäß §40 Abs1 LMG 1975 vorläufig beschlagnahmt worden seien, sodaß ab diesem Zeitpunkte eine Verfügungsberechtigung des Beschwerdeführers über die in Frage stehenden Waren nicht mehr gegeben gewesen sei und folglich für den Zeitraum ab 14. Juli 1976 von einem Inverkehrbringen iS des LMG 1975 nicht mehr gesprochen habe werden können, sodaß auch ein Tatvorwurf für den nachfolgenden Zeitraum nicht aufrechterhalten hätte werden können.
1.3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
1.3.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt.
2. Der VfGH hat erwogen:
2.1. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums ausschließlich mit der Behauptung, §74 Abs6 LMG 1975 sei verfassungswidrig, weil er entgegen Art11 Abs2 B-VG von der Regelung des §31 Abs2 VStG 1950 abweiche. Nach §31 Abs2 VStG 1950 stehe seiner Bestrafung Verfolgungsverjährung entgegen.
2.2. Der VfGH versteht den in der Beschwerde ua. gestellten Antrag, "das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §74 Abs6 LMG 1975 einzuleiten", als - zulässige - Anregung, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten, hat jedoch nicht das Bedenken, daß §74 Abs6 LMG verfassungswidrig ist.
Wie sich aus den Materialien zur B-VG-Nov. 1974 (182 BlgNR XIII. GP, S 16) hinsichtlich Art11 Abs2 B-VG ergibt, zielt die sprachliche Parallelität dieser Verfassungsbestimmung zu Art15 Abs9 B-VG darauf ab, auch für den neugefaßten Art11 Abs2 B-VG ein handhabbares Kriterium zu gewinnen (vgl. VfSlg. 8945/1980).
Dem VfGH ist jedoch nicht zweifelhaft, daß es sich bei der in §74 Abs6 festgelegten Verjährungsregelung des LMG 1975 um eine Bestimmung handelt, die den hiemit geforderten verfassungsgesetzlichen Kriterien entspricht. Die Tatsache, daß in vielen Fällen der Verdacht einer strafbaren Handlung nach dem LMG 1975 erst in einem Zeitpunkt entsteht, in dem bei Anwendbarkeit des §31 Abs2 VStG Verjährung bereits eingetreten wäre, zeigt, daß diese Verjährungsfrist nicht ausreicht und deshalb die längere Verjährungsfrist des Lebensmittelgesetzes unerläßlich und damit gerechtfertigt ist. An diesem Verhältnis zwischen lex generalis und lex specialis hat sich auch durch die Novellierung des §31 Abs2 mit Bundesgesetz vom 2. Feber 1977, BGBl. 101, nichts geändert (siehe hiezu insbesondere auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage dieses Bundesgesetzes 383 BlgNR XIV. GP, S 3).
Der VfGH hat daher nicht das Bedenken, daß §74 Abs6 LMG 1975 zu Art11 Abs2 B-VG im Widerspruch steht.
2.3. Bei der Unbedenklichkeit der den Bescheid sonst tragenden Rechtsgrundlagen (Bedenken wurden diesbezüglich weder vorgebracht noch sind solche entstanden) könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur im Falle einer denkunmöglichen Anwendung des Gesetzes verletzt worden sein. Auch hiefür bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
2.4. Da sich auch nicht ergeben hat, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Schlagworte
Lebensmittelrecht, Verwaltungsstrafrecht, Verjährung,Kompetenz Bund - Länder, BedarfskompetenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1981:B102.1979Zuletzt aktualisiert am
13.08.2010