TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/7 B184/80

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Veröffentlicht am 07.10.1981
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
EGVG ArtIX Abs2 Z2
VStG §35

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; unvertretbare Annahme eines Festnehmungsgrundes nach §35 VStG 1950; kein ungestümes Benehmen iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß sie am 15. März 1980 nachmittags in Laxenburg nächst dem Haus Leopold-Figl-Straße 5 festgenommen und sodann etwa eine Stunde lang im Gendarmeriepostenkommando Laxenburg angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht:

Die Beschwerdeführerin habe am 15. März 1980 um etwa 14.50 Uhr ihren PKW in Laxenburg auf dem Autobahnzubringer gelenkt. Vor dem Abbiegen in die Leopold-Figl-Straße habe sie in Beachtung einer dort angebrachten Stopptafel ihr Fahrzeug kurz angehalten. Nach etwa 150 m sei sie von einem Gendarmeriebeamten zum Stehenbleiben aufgefordert worden. Der Beamte habe behauptet, sie habe die Stopptafel überfahren. Dies habe sie in Abrede gestellt. Darauf habe sich ein Wortwechsel entsponnen, in dessen Verlauf der Beamte ihr vorgeworfen habe, sie benehme sich ungestüm. Dieser Vorwurf sei völlig ungerechtfertigt erfolgt, weshalb sie ihn zurückgewiesen hat. Schließlich habe der Beamte die Festnahme der Beschwerdeführerin ausgesprochen und ihr befohlen, ihm in ihrem PKW zum Gendarmeriepostenkommando (GPK) Laxenburg zu folgen. Dort sei sie bis etwa 16.45 Uhr angehalten worden.

b) Die Beschwerdeführerin beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß sie durch die Festnahme und die darauffolgende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Mödling als belangte Behörde schildert den Sachverhalt insofern abweichend, als die Festnahme der Beschwerdeführerin erst um 15.45 Uhr und ihre Entlassung bereits um

16.30 Uhr erfolgt sei, und als sich die Beschwerdeführerin trotz Abmahnung ungestüm benommen habe und sie trotz weiterer Abmahnung in der Fortsetzung dieser strafbaren Handlung verharrt sei. Die Festnahme und die folgende Anhaltung sei sohin durch §35 litc VStG gedeckt.

Die belangte Behörde beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II.1. Der VfGH hat Beweis erhoben, durch Einvernahme der Gendarmeriebeamten Bez. Insp. W. P. und Insp. F. L. sowie der Tochter der Beschwerdeführerin Dr. S. P. als Zeugen und der Beschwerdeführerin als Partei, sowie durch Einsichtnahme in die Akten der Bezirkshauptmannschaft Mödling Z 3/1-P 8025 (betreffend Verwaltungsstrafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen Übertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG - noch nicht rechtskräftig abgeschlossen), Z 3-P-781343/1 (betreffend Verwaltungsstrafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen Übertretung nach §19 Abs4 letzter Satz StVO 1960 - noch nicht rechtskräftig abgeschlossen) und Z 11-S (betreffend Erhebungen der belangten Behörde auf Grund der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde) sowie in den Akt des Bezirksgerichtes Mödling AZ 6 U 1212/80 (betreffend Strafsache gegen W. P. wegen §303 StGB - das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen).

2. Auf Grund dieser Beweise stellt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:

Die Beschwerdeführerin bog am 15. März 1980 nachmittags mit ihrem PKW in Laxenburg vom Autobahnzubringer in die Leopold-Figl-Straße ein. Nächst dem Haus Nr. 5 wurde sie von Bez. Insp. P. angehalten. Der Beamte warf der Beschwerdeführerin vor, sie habe eine Stopptafel nicht beachtet. Es entspann sich ein Wortwechsel, den die Beschwerdeführerin in scharfem Tonfall führte. Sie bestritt zunächst entschieden, die Stopptafel überfahren zu haben, worauf der Beamte entgegnete, sie werfe ihm also vor zu lügen. Die Beschwerdeführerin antwortete, daß der Beamte ihr etwas unterstelle, was nicht stimme. Bez. Insp. P. ermahnte die Beschwerdeführerin daraufhin, ihr ungestümes Verhalten einzustellen. Die Beschwerdeführerin verwahrte sich - wiederum auf sehr entschiedene Weise - auch gegen den Vorwurf des ungestümen Benehmens. Der Gendarmeriebeamte erklärte sie nun nach nochmaliger Ermahnung für festgenommen. Die Beschwerdeführerin hielt sich während dieses ganzen Vorganges im PKW auf. Ihre Äußerungen brachte sie zwar sehr energisch und erregt vor, aber in keinem Stadium übermäßig laut oder mit ungebührlichen Worten. Sie machte auch keine besonders heftigen aggressiven Gesten.

Der Beamte veranlaßte die Beschwerdeführerin schließlich, ihm in ihrem PKW zum GPK Laxenburg zu folgen. Dort wurde sie angehalten und nach etwa einer Stunde über Weisung eines Beamten der Bezirkshauptmannschaft Mödling entlassen.

3. Diese Sachverhaltsfeststellung gründet sich auf die präzise Aussage der Beschwerdeführerin als Partei. Sie machte einen glaubwürdigen Eindruck. Ihre Aussage ist in sich widerspruchsfrei.

Sie wird durch die Aussage der Zeugin Dr. S. P. bestätigt. Diese hat zwar die bekämpfte Amtshandlung nicht selbst wahrgenommen, schildert aber durchaus glaubwürdig ihr kurz nach deren Abschluß mit Bez. Insp. P, geführtes langes Telefongespräch. Danach hat der Beamte das ungestüme Benehmen der Beschwerdeführerin lediglich darin erblickt, daß ihm diese "scharf" geantwortet und gestikuliert habe. Nach Androhung der Festnahme habe die Beschwerdeführerin "durchgedreht". Der Beamte habe allerdings - wie die Zeugin Dr. S. P. weiter aussagt - dieses "Durchdrehen" über ihr Fragen nicht näher konkretisieren können.

Der die Amtshandlung führende Gendarmeriebeamte Bez. Insp. P. gibt in seiner vor dem VfGH abgelegten Zeugenaussage an, sich an die Vorfälle nicht mehr erinnern zu können. Er bezieht sich lediglich auf die von ihm an die Bezirkshauptmannschaft Mödling erstattete Anzeige. In dieser kommt die subjektive Meinung des Zeugen zum Ausdruck, die Beschwerdeführerin habe sich ihm gegenüber ungestüm benommen. (Diese Meinung war aber - wie unten (III.2.) dargetan wird - objektiv verfehlt.)

Der die Amtshandlung aus einiger Entfernung wahrnehmende andere Gendarmeriebeamte Insp. F. L. sagt aus, die Beschwerdeführerin sei erregt gewesen und habe "eher laut" gesprochen.

III. Ausgehend von diesen Sachverhaltsfeststellungen hat der VfGH erwogen:

1. Die Festnahme und zwangsweise Anhaltung der Beschwerdeführerin ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen sie ergangener Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 B-VG (vgl. zB VfSlg. 8960/1980). Die dagegen erhobene Beschwerde ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

Der bekämpfte Verwaltungsakt wurde von einem Gendarmeriebeamten des GPK Laxenburg gesetzt. Der Verwaltungsakt ist jener Behörde zuzurechnen, deren Vollziehungsgewalt die Gendarmeriebeamten gehandhabt haben (vgl. zB VfSlg. 8815/1980), also hier der Bezirkshauptmannschaft Mödling. Die Festnahme erfolgte nämlich wegen angeblichen Verharrens in einem nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 strafbaren Verhalten, zu dessen Bestrafung örtlich und sachlich die genannte Behörde zuständig wäre.

2. Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Es ist daher - da ein anderer Festnehmungsgrund keinesfalls vorliegt - nur zu klären, ob ein Anwendungsfall des §35 VStG gegeben ist.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Festnehmung einer Person ist in allen vom §35 VStG 1950 erfaßten Fällen, daß das einschreitende Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (hiezu zählen die Gendarmeriebeamten) die Person bei Begehung einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betritt. Es reicht hin, wenn das einschreitende Organ wenigstens vertretbarerweise annehmen kann, daß eine verwaltungsstrafrechtlich zu ahndende Handlung vorliegt.

An dieser Voraussetzung hat es aber hier gefehlt:

Nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich ungeachtet vorangegangener Abmahnung ua. gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während sich dieses in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befindet, ungestüm benimmt.

Wie der VfGH in ständiger Judikatur - in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des VwGH (zB VwSlg. 2263 A/1951; VwGH 14. 5. 1968 Z 1759/67 und 1. 3. 1979 Z 873/78) - dargetan hat, ist unter "ungestümem Benehmen" ein sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten anzusehen (vgl. VfSlg. 7464/1974). Die Vertretung eines Rechtsstandpunktes, mag dies auch in entschiedener Weise geschehen, stellt eine angemessene Reaktion, nicht aber ein ungestümes Benehmen dar (vgl. VfSlg. 2906/1955; VwGH 28. 11. 1967 Z 836/67 und 20. 12. 1977 Z 2064/77).

Die Beschwerdeführerin ist zwar den Vorwürfen von Bez. Insp. P. energisch und erregt entgegengetreten, ohne daß dies aber auf Grund besonderer Lautstärke oder der Gestik als aggressives Verhalten iS des ArtIX Abs1 Z2 EGVG gedeutet werden könnte.

Es ist objektiv ausgeschlossen, daß Bez. Insp. P. annehmen durfte, die Beschwerdeführerin verletze diese Vorschrift. Der Beamte war vielmehr über das resolute und von ihm möglicherweise als geradezu anmaßend empfundene Benehmen der Beschwerdeführerin empört. Es war aber objektiv unvertretbar, auf Grund dieses subjektiven Empfindens darauf zu schließen, die Beschwerdeführerin benehme sich ungestüm (vgl. hiezu VfSlg. 7464/1974 und VfSlg. 8960/1980).

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der einschreitende Gendarmeriebeamte nicht vertretbarerweise annehmen konnte, daß die Beschwerdeführerin sich der Verwaltungsübertretung des ungestümen Benehmens schuldig gemacht habe. Es war daher keine gesetzliche Grundlage für ihre Festnehmung und für ihre weitere Anhaltung gegeben.

Die Beschwerdeführerin ist sohin durch die bekämpfte Amtshandlung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

3. Der Kostenspruch stützt sich auf §88 VerfGG.

Die Amtshandlung wurde in - zwar verfassungswidriger - Handhabung des §35 litc VStG iVm mit ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 gesetzt. Der Tatbestand des ungestümen Benehmens zählt kompetenzmäßig zu den Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheitspolizei, ressortiert also zum Bundesminister für Inneres. Es war sohin der Bund (Bundesminister für Inneres) zum Kostenersatz zu verpflichten.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Benehmen ungestümes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B184.1980

Dokumentnummer

JFT_10188993_80B00184_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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