TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/13 B411/79

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.1981
beobachten
merken

Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
BAO §186
BAO §311 Abs2

Leitsatz

BAO; keine Bedenken gegen §311 Abs2; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung eines Devolutionsantrages betreffend die Neufeststellung des Einheitswertes

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Das Finanzamt Bruck a. d. Leitha hat mit rechtskräftigem Bescheid vom 27. Mai 1974 für das der beschwerdeführenden Genossenschaft gehörende Superädifikat (ein Mietwohnhaus) auf dem Grundstück Nr. 4926, EZ 20 KG S. am Leithagebirge, den Einheitswert zum 1. Jänner 1973 mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 1974 festgestellt.

Mit der am 17. Jänner 1979 beim Finanzamt Bruck a. d. Leitha eingebrachten, mit 15. Jänner 1979 datierten Eingabe beantragte die beschwerdeführende Genossenschaft unter Hinweis auf das Erk. des VfGH vom 13. Oktober 1978, G21/78, G89, 90/78 (= VfSlg. 8421/1978) "die Neufeststellung des Einheitswertes zum 1. 1. 1973 mit Wirksamkeit ab 1. 1. 1974" für dieses Mietwohngrundstück (vgl. hiezu das hg. Erk. vom 20. Juni 1981, B460/79, dem ein Bescheid zugrundeliegt, der über einen gleichartigen Antrag in der Sache abspricht).

Das Finanzamt wies dieses Ansuchen mit Bescheid vom 2. August 1979 (zugestellt am 17. August 1979) ab. Über die dagegen von der beschwerdeführenden Genossenschaft erhobene Berufung wurde bisher nicht entschieden.

Inzwischen hatte die beschwerdeführende Genossenschaft am 9. August 1979 einen mit 8. August 1979 datierten, an die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. gerichteten Devolutionsantrag zur Post gegeben, in der der Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über das Ansuchen auf Neufestsetzung des Einheitswertes vom 15. Jänner 1979 an die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt wurde. Dieser Devolutionsantrag ist bei der Finanzlandesdirektion am 14. August 1979 eingelangt.

Diese Behörde hat den Devolutionsantrag mit Bescheid vom 10. September 1979 mit der Begründung abgewiesen, daß das Anbringen vom 15. Jänner 1979 noch vor Ergehen des Devolutionsantrages von der Abgabenbehörde erster Instanz bescheidmäßig erledigt worden sei, weshalb die Tatbestandsmerkmale des §311 BAO nicht erfüllt gewesen seien.

2. Gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 10. September 1979 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die Beschwerde wird im wesentlichen damit begründet, daß der erstinstanzliche Bescheid vom 2. August 1979 der beschwerdeführenden Genossenschaft erst am 17. August 1979 zugestellt und daher erst zu diesem Zeitpunkt erlassen worden sei. Der Devolutionsantrag sei noch vor diesem Zeitpunkt bei der belangten Behörde eingelangt. Da diese sohin zu Unrecht ihre Zuständigkeit verneint und eine Sachentscheidung verweigert habe, habe sie die beschwerdeführende Genossenschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

b) Die beschwerdeführende Genossenschaft wäre durch den angefochtenen Bescheid im erwähnten Recht verletzt worden, wenn die belangte Behörde den Antrag auf Zuständigkeitsübergang rechtswidrigerweise abgewiesen hätte (vgl. VfSlg. 8189/1977 und die dort zitierte Vorjudikatur).

§311 Abs2 BAO lautet:

"Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§185 - 206), der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; er ist abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist."

Der mit 2. August 1979 datierte, den Antrag der beschwerdeführenden Genossenschaft vom 15. Jänner 1979 erledigende Bescheid wurde der beschwerdeführenden Genossenschaft erst am 17. August 1979 zugestellt und damit erlassen (vgl. zB VfSlg. 8752/1980).

Wären auch die übrigen Voraussetzungen für den Übergang der Entscheidungspflicht auf die belangte Behörde vorgelegen, so wäre bereits am 14. August 1979 die Zuständigkeit auf sie übergegangen (vgl. zB VwSlg. 7072 A/1967, 7577 A/1969): Zu diesem Zeitpunkt wäre die sechsmonatige, in §311 Abs2 BAO vorgesehene Entscheidungsfrist abgelaufen gewesen; die Verspätung wäre ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen gewesen. Der Devolutionsantrag war bereits am 14. August 1979 bei der belangten Behörde eingelangt, sohin vor Erlassung des erwähnten, mit 2. August 1979 datierten erstinstanzlichen Bescheides.

Die belangte Behörde hat das Devolutionsverlangen mit der Begründung abgelehnt, daß inzwischen die erste Instanz entschieden habe. Diese Begründung trägt - wie die vorstehenden Überlegungen nachweisen - den angefochtenen Bescheid nicht.

Dennoch erfolgte die Abweisung des Devolutionsantrages im Ergebnis zu Recht:

Wie sich aus §311 Abs2 BAO ergibt, kann die Entscheidungspflicht in Ansehung solcher Bescheide, "die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind (§§185 - 206 BAO)" nicht auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz übergehen.

Die Regierungsvorlage zur BAO (228 BlgNR IX. GP) besagt in den Erläuterungen zu §311:

"... Dementsprechend soll im §311 Abs1 die Entscheidungspflicht der Abgabenbehörden grundsätzlich festgelegt werden, jedoch mit der Einschränkung, daß alle jene verfahrensrechtlichen Anbringen und Schritte, zu denen die Abgabenpflichtigen kraft Gesetzes verhalten sind, nicht unter die der Devolutionswirkung unterliegenden Anträge eingereiht werden, da ansonsten dem Abgabepflichtigen der ordentliche, nur zwei Instanzen umfassende Rechtszug entzogen würde. Daher soll eine Devolvierung keinesfalls im Bemessungs- und Feststellungsverfahren, wohl aber ansonsten zum Beispiel im Einhebungs- und Vollstreckungsverfahren eintreten ..."

Die Feststellung von Einheitswerten ist im §186 BAO vorgesehen, fällt also unter die im Klammerausdruck des §311 Abs2 BAO genannten Bestimmungen. Aus §80 Abs1 des Bewertungsgesetzes 1955 ergibt sich, daß die bescheidmäßige Feststellung der Einheitswerte auf Grund von Abgabenerklärungen der Steuerpflichtigen zu erlassen ist.

Die beschwerdeführende Genossenschaft meint, daß die erwähnte Ausnahmebestimmung des §311 Abs2 BAO im vorliegenden Fall deshalb nicht zum Tragen komme, weil der neue Bescheid nicht auf Grund einer Abgabenerklärung zu erlassen sei, sondern (wenngleich das Bewertungsverfahren an sich die Abgabe von Erklärungen kenne) auf Grund einer neuen - der seinerzeitigen entsprechenden - Rechtslage lediglich ein bereits vorhandener Bescheid im Hinblick auf diese Rechtsänderung geändert werden müsse.

Diese Argumentation führt nicht zu dem von der beschwerdeführenden Genossenschaft angenommenen Ergebnis: Mit Eingabe vom 15. Jänner 1979 hat die beschwerdeführende Genossenschaft beantragt, einen Einheitswert "neu festzusetzen". Auch eine solche Neufestsetzung hätte, wenn sie überhaupt vorzunehmen war (vgl. VfSlg. 9151/1981), auf Grund einer Abgabenerklärung der beschwerdeführenden Genossenschaft, wenngleich auf Grund einer geänderten Rechtslage, vorgenommen werden müssen. Weder der Wortlaut noch der Sinn der im §311 Abs2 BAO enthaltenen Ausnahmeregelung lassen annehmen, daß in Ansehung einer Devolution für eine solche Neufestsetzung des Einheitswertes etwas anderes gelten soll als für die ursprüngliche Festsetzung.

2. Da der Devolutionsantrag der beschwerdeführenden Genossenschaft zu Recht abgewiesen worden ist, ist die Beschwerdeführerin im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der diese Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften ist es damit auch ausgeschlossen, daß sie in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 8741/1980).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Finanzverfahren, Devolution

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B411.1979

Dokumentnummer

JFT_10188987_79B00411_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten