TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/15 B481/77

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Veröffentlicht am 15.10.1981
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Index

81 Wasserrecht, Wasserbauten
81/01 Wasserrechtsgesetz 1959

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §56
WRG 1959 §71 Abs1

Leitsatz

WRG 1959; Erlassung eines Bescheides des Bürgermeisters in Anwendung des §71 Abs1; Entzug des gesetzlichen Richters durch Verweigerung der Sachentscheidung über eine Berufung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Der Bürgermeister der Gemeinde Irschen/Bezirk Spittal/Ktn. hat am 22. Juli 1976 folgendes Schreiben an den Beschwerdeführer sowie an E. G., H. U. und M. K. (als Vertreter seiner Gattin B. K.) gerichtet:

"Bezugnehmend auf die Anweisung der Bezirkshauptmannschaft Spittal a. d. Drau, Wasserrechtsbehörde, vom 1976 07 21 und in Anwendung des §71 des Wasserrechtsgesetzes 1959 wird folgende Verfügung getroffen:

Durch die lang anhaltende Trockenperiode und den dadurch entstandenen akuten Wassermangel der Besitzer G. K. und E. G., beide P., ist eine Notstandsituation eingetreten. Dieser ist insofern sofort Abhilfe zu schaffen, als den Besitzern K. und G. das Recht eingeräumt wird, das Überwasser aus dem Wasserbehälter U.-K., das laut Vertrag in das Pflüglbachl eingeleitet wird und einen Teil der Wasserversorgung in P. bildet, so zu fassen, daß die größtmöglichste Wassermenge des Überwassers als Nutzwasser für K. und G. Verwendung finden kann. Eine prov. vorübergehende Ableitung mittels Rohre ist daher zu gestatten. Eine Entfernung der Rohre durch dritte Personen hat zu unterbleiben. Das Wasser darf von den Benützern als Trinkwasser nur in abgekochtem Zustand verwendet werden."

An dieselben Personen adressierte der Bürgermeister der Gemeinde Irschen am 30. September 1976 das folgende Schreiben:

"Die am 22. 7. 1976 getroffene Verfügung, die auf Anweisung der Bezirkshauptmannschaft Spittal/Drau, Wasserrechtsbehörde, vom 1976 07 21 und in Anwendung des §71 des Wasserrechtsgesetzes 1959 erfolgt ist, wonach den Besitzern K. und G. das Recht zur Entnahme des Überwassers aus dem Wasserbehälter U.-K. eingeräumt wurde, wird ab sofort aufgehoben, da das Pflüglbachl seit einigen Wochen wieder Wasser führt und daher keine Notstandsituation mehr besteht.

Die provisorische Ableitung ist wieder zu entfernen."

b) Der Landeshauptmann von Ktn. hat mit Bescheid vom 23. Mai 1977 die vom Beschwerdeführer gegen das Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde Irschen vom 30. September 1976 erhobene Berufung gemäß §71 des Wasserrechtsgesetzes 1959, BGBl. 215 (WRG), und §66 Abs4 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen.

Er hat diesen Bescheid wie folgt begründet:

"Nach §71 WRG 1959 wird die Behörde zur Durchführung notstandspolizeilicher Maßnahmen ermächtigt. Die Durchführung notstandspolizeilicher Maßnahmen kann auch gegen den Willen der Betroffenen angeordnet werden. Als Enteignungsrecht ist dieses Recht jedoch nicht anzusehen, weil es zur Erlassung eines Bescheides nicht kommt, vielmehr nur faktische Amtshandlungen vorgenommen werden.

Gegenstand der notstandspolizeilichen Maßnahme ist die 'zeitweilige' Benützung von öffentlichen Gewässern sowie von Privatgewässern, und zwar für jenen Zeitpunkt oder Zeitraum, in welchem Feuergefahr oder vorübergehender Wassermangel besteht.

Sowohl die Anordnung des Bürgermeisters vom 22. 7. 1976 als auch deren Zurücknahme vom 30. 9. 1976 stellen keine Bescheide iS der Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes dar, sondern bedeuten lediglich faktische Amtshandlungen. Daraus ergibt sich, daß weder gegen die Erlassung noch gegen die Aufhebung einer solchen Anordnung Rechtsmittel erhoben werden können. Deshalb war die dagegen eingebrachte Berufung des G. K., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. R. G., als unzulässig zurückzuweisen. Zur Sache selbst ist zu bemerken, daß mit der Notstandsverfügung vom 22. 7. 1976 im Gegensatz zur Auffassung des Berufungswerbers G. K. und E. G. kein Wasserbenutzungsrecht eingeräumt worden ist und daß sie demgemäß auch keinen Anspruch haben, daß diese Maßnahme, auch wenn sie zu ihren Vorteilen gereicht, weiterhin aufrechterhalten wird.

Unter diesem Gesichtspunkt erübrigt es sich, auf die übrigen Ausführungen der Berufung weiter einzugehen, und es bleibt dem Berufungswerber unbenommen, den Bestand seiner Rechte in einem ordentlichen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen."

c) Der gegen diesen Bescheid des Landeshauptmannes von Ktn. erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 22. September 1977 gemäß §66 AVG 1950 keine Folge gegeben.

Dieser Bescheid des Bundesministers ist wie folgt begründet:

"Gemäß §71 Abs1 WRG 1959 ist beim Eintritt vorübergehenden, dringend Abhilfe erfordernden Wassermangels die Bezirksverwaltungsbehörde oder bei Gefahr im Verzug der Bürgermeister befugt, die durch das öffentliche Interesse gebotenen Verfügungen zu treffen und nötigenfalls unverzüglich vollstrecken zu lassen.

Wie dem Akteninhalt zu entnehmen ist, hat der Bürgermeister von Irschen mit Schreiben vom 22. 7. und 30. 9. 1976 zwei Anordnungen erlassen, wobei nur gegen letztere Berufung erhoben wurde. Aus den übereinstimmenden Ausführungen bei Krzizek (Kommentar zum Wasserrechtsgesetz (1962) Seite 291 f.) und Mannlicher - Quell (Das Verwaltungsverfahren, 1. Halbband, 8. Auflage (Wien 1975), Seite 88) ist zu entnehmen, daß derartige Maßnahmen ohne vorausgehende Verfahren und ohne Einhaltung der für Bescheide geforderten Form gemäß der Rechtsprechung der Höchstgerichte öffentlichen Rechtes 'als faktische Amtshandlungen' anzusehen sind (in neuerer Literatur auch als 'Verfahrensfreie Verwaltungsakte' bezeichnet, vgl. Funk, der verfahrensfreie Verwaltungsakt (Wien 1975). Auf diese Akte finden aber gemäß ArtII Abs6 lite EGVG 1950 die Verwaltungsverfahrensgesetze keine Anwendung. Diese Akte sind daher sofort rechtskräftig und können sohin weder mit einem ordentlichen noch mit einem außerordentlichen Rechtsmittel angefochten werden. Wohl aber kann derjenige, der behauptet, durch die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in seinen Rechten verletzt worden zu sein, Beschwerde an den VwGH gemäß Art131a B-VG bzw. an den VfGH gemäß Art144 B-VG erheben. Der Landeshauptmann hat daher die Berufung zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Da der Landeshauptmann in seinem Bescheid über den Gegenstand des Verfahrens nicht abgesprochen, sondern nur über die formalrechtliche Frage der Unzulässigkeit entschieden hat, war es der Berufungsbehörde verwehrt, in der Sache selbst zu entscheiden, da in diesem Fall nach ständiger Judikatur des VwGH für die Rechtsmittelentscheidung nur die Frage der Zulässigkeit Gegenstand der in Betracht kommenden Sache war (vgl. Erk. vom 26. 1. 1972, Zl. 43/71). Es konnte daher auf die vom Berufungswerber in seinem Schriftsatz geltend gemachten Gründe nicht näher eingegangen werden."

2. Gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 22. September 1977 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).

Das Rechtsmittelverfahren war am 1. Jänner 1977 bereits anhängig. Da die durch die B-VG-Nov. 1974, BGBl. 444, verfügte Abkürzung des Instanzenzuges ihrem ArtVI Abs2 zufolge in derartigen Fällen nicht gilt, ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft zu Recht als Rechtsmittelinstanz eingeschritten.

2. Ein Verstoß gegen das erwähnte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht liegt auch dann vor, wenn eine im Instanzenzug einschreitende Behörde einen unter Z1 genannten Fehler der Unterbehörde nicht wahrnimmt (vgl. zB VfSlg. 8692/1979 und 8828/1980 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Ein solcher Fehler läge etwa vor, wenn eine Unterinstanz unzuständigerweise eine Entscheidung getroffen hätte. Dies ist hier nicht erfolgt:

Die vom Bürgermeister der Gemeinde Irschen getroffene Entscheidung vom 30. September 1976 ist - wie in der folgenden Z3 dargetan wird - als Bescheid zu werten. Dieser Bescheid erging in Handhabung des §71 Abs1 WRG, wobei es in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben kann, ob die zitierte Bestimmung zu Recht oder zu Unrecht angewendet wurde. Diese Bestimmung ermächtigt "bei Feuergefahr oder beim Eintritt vorübergehenden, dringende Abhilfe erfordernden Wassermangels" die Bezirksverwaltungsbehörde, bestimmte Verwaltungsakte zu setzen. Wenn diese Maßnahmen wegen Gefahr im Verzug von der Bezirksverwaltungsbehörde nicht zeitgerecht getroffen werden können, ist nach §71 Abs1 WRG der Bürgermeister ermächtigt, anstelle der Bezirksverwaltungsbehörde einzuschreiten. Wenn der Bürgermeister an die Stelle der Bezirksverwaltungsbehörde tritt, ändert dies am Instanzenzug nichts. Über die Berufung gegen einen derartigen auf §71 WRG gestützten Bescheid des Bürgermeisters hat daher ebenso wie gegen einen von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassenen Bescheid der Landeshauptmann zu entscheiden.

Der Landeshauptmann von Ktn. ist daher hier zu Recht als zweite Instanz eingeschritten.

3. Der belangten Behörde ist aber ein anderer, nach der vorstehenden Z2 relevanter Fehler unterlaufen, der das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt:

Der Landeshauptmann von Ktn. hat die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde Irschen vom 30. September 1976 als unzulässig zurückgewiesen, sohin dem Beschwerdeführer eine Sachentscheidung über diese Berufung verweigert. Der Bundesminister hat im Berufungswege diese Entscheidung bestätigt. Sowohl der Landeshauptmann als auch der Bundesminister begründen ihre Bescheide damit, daß das Schreiben des Bürgermeisters vom 30. September 1976 kein Bescheid sei. Vielmehr handle es sich bei den Maßnahmen nach §71 WRG um sogenannte "faktische Amtshandlungen", die nicht im administrativen Instanzenzug, sondern unmittelbar bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes angefochten werden könnten.

Das Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde Irschen vom 30. September 1976 ist nun tatsächlich weder als Bescheid bezeichnet, noch in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung unterteilt. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 7202/1973, 7436/1974 und 8560/1979) sind aber auch formlose Erledigungen als Bescheide anzusehen, wenn durch sie nach ihrem Inhalt gegenüber individuell bestimmten Personen Verwaltungsangelegenheiten normativ geregelt werden, das heißt, wenn sie die bindende Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt haben.

Mit dem Schreiben vom 30. September 1976 hat der Bürgermeister dem Beschwerdeführer das ihm bis dahin auf Grund des Schreibens vom 22. Juli 1976 zustehende Recht aberkannt, das Überwasser für seine Zwecke zu verwenden. Dieses Schreiben ist sohin ein Bescheid (der im administrativen Instanzenzug mit Berufung bekämpft werden kann) und nicht etwa - wie die belangte Behörde meint - eine Maßnahme iS des ArtII Abs6 lite EGVG 1950.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die bescheidmäßige Erledigung des Bürgermeisters vom 30. September 1976 im §71 WRG ihre Deckung findet.

Wie immer dies sei: Der Bürgermeister ist anstelle der Bezirkshauptmannschaft Spittal a.d. Drau als Wasserrechtsbehörde eingeschritten; er hat in dieser Eigenschaft den Bescheid vom 30. September 1976 erlassen. Gegen diesen Bescheid war eine Berufung zulässig, über die meritorisch zu entscheiden war.

4. Diese meritorische Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer verweigert. Er ist sohin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid war also aufzuheben.

Schlagworte

Bescheidbegriff, Wasserrecht, Verwaltungsverfahren, Instanzenzug, Behördenzuständigkeit, Berufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B481.1977

Dokumentnummer

JFT_10188985_77B00481_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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