TE Vfgh Beschluss 1981/11/27 G41/81

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Veröffentlicht am 27.11.1981
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §113 Abs1
StPO §113 Abs2

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des §113 Abs2 StPO; keine Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1.1. Mit einem beim VfGH am 25. Mai 1981 eingelangten Schriftsatz begehrt die Volksbank M. reg. GenmbH., M., Burgenland (in der Folge kurz: Volksbank M.), aus Anlaß des Strafverfahrens AZ Vr 1661/80 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt unter Berufung auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG die Aufhebung der (gesamten, hilfsweise eines Teiles der) Bestimmung des §113 Abs2 StPO - lautend: "Die Ratskammer entscheidet in nichtöffentlicher Sitzung nach Anhörung des Untersuchungsrichters und des Staatsanwaltes" - aus näher dargelegten Gründen als verfassungswidrig, und zwar wegen Widerspruchs zu Art7 Abs1 B-VG (Art2 StGG) und Art6 MRK. Die Antragstellerin bringt dazu ua. der Sache nach vor, sie habe in diesem (Finanz-)Strafverfahren zwar ihre Rechtsposition vor der - teils von ihr selbst, teils von der Staatsanwaltschaft schon wiederholt angerufenen - Ratskammer des Kreisgerichtes Wiener Neustadt zu verteidigen, doch räume ihr die angefochtene Norm weder ein Anhörungsrecht noch ein Recht auf Teilnahme an den Ratskammersitzungen ein.

1.1.2. In einer von der Bundesregierung erstatteten Äußerung wird primär die Zurückweisung, in eventu jedoch die Abweisung des Antrages der Volksbank M. beantragt.

1.2. Aus den von der Antragstellerin bezeichneten Strafakten des Kreisgerichtes Wiener Neustadt, die vom VfGH beigeschafft wurden, ergibt sich ua.:

Beim Kreisgericht Wiener Neustadt ist zu AZ Vr 1661/80 ein Strafverfahren gegen J. G. ua. wegen des Verdachtes eines Finanzvergehens anhängig, in dem nachts zum 21. Dezember 1980 in den Geschäftsräumlichkeiten der Volksbank M. auf Grund richterlichen Befehls eine Hausdurchsuchung stattfand. Dabei wurden nicht nur verschiedene, für das laufende Finanzstrafverfahren als Beweismittel in Betracht gezogene Gegenstände beschlagnahmt, sondern ersichtlich gemäß §144 StPO, §195 FinStrG auch solche Unterlagen, die nach Meinung der amtshandelnden Organe auf die Begehung einer anderen als jener strafbaren Handlung schließen ließen, derentwegen die Durchsuchung vorgenommen wurde (ON 156a des Gerichtsaktes). In der Folge beantragte die Volksbank M. in ihrer Eigenschaft als "Eigentümerin und bisherige Inhaberin" die Rückstellung dieser Sachen, soweit sie mit dem anhängigen Strafverfahren nicht in Zusammenhang stehen. Im weiteren Verfahrensverlauf ergingen mehrere die Volksbank M. berührende Entscheidungen der Ratskammer des Kreisgerichtes Wiener Neustadt: So gab dieses Gericht mit Beschluß vom 5. Feber 1981, GZ Vr 1661/80-307, einer (ua. das Unterbleiben einer Durchsuchung der beschlagnahmten Unterlagen anstrebenden) Beschwerde der Volksbank M. gegen den dieses Unternehmen betreffenden richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl keine Folge und ordnete zugleich die Durchsuchung des beschlagnahmten Materials an. Abschlägig beschied die Ratskammer aber auch mit Beschluß vom selben Tag, GZ Vr 1661/80-308, eine Beschwerde der Volksbank M. gegen einen Beschluß des Untersuchungsrichters (ON 242 des Gerichtsaktes), womit ua. die gerichtliche Versiegelung der im Zug der Hausdurchsuchung beschlagnahmten Sachen verfügt worden war. Ferner wurde mit Beschluß der Ratskammer des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 9. Feber 1981, GZ Vr 1661/80-332, eine Beschwerde der Volksbank M. gegen einen Beschluß des Untersuchungsrichters zurückgewiesen, der die (von der Beschwerdeführerin begehrte) Nichtzuziehung eines Vertreters der Finanzbehörde zur Entsiegelung der beschlagnahmten Gegenstände abgelehnt hatte. Schließlich hob die Ratskammer mit Beschluß vom 18. Feber 1981, GZ Vr 1661/80-348, infolge Beschwerde der Staatsanwaltschaft einen Beschluß des Untersuchungsrichters auf, demzufolge die (fortgesetzte) Sichtung der bei der Volksbank M. beschlagnahmten Unterlagen ohne Beisein eines Vertreters der Finanzbehörde stattzufinden habe (ON 320/S 20 ff. des Gerichtsaktes).

2. Über den Antrag wurde erwogen:

2.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG idF BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH "über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; ..."

2.2. Aus dem Zusammenhang der Antragsausführungen folgt, daß die Einschreiterin die Aufhebung des verfassungswidrig erachteten §113 Abs2 StPO ausschließlich deshalb begehrt, weil die Ratskammer des Kreisgerichtes Wiener Neustadt diese Norm anwende, wenn sie im zitierten Verfahren AZ Vr 1661/80 in Angelegenheiten (auch) der Antragstellerin abzusprechen habe.

Demgemäß erweist sich aber das weitere Antragsvorbringen, daß hier die Voraussetzungen für die Anfechtungslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG erfüllt seien, als unzutreffend. Denn die (nur) das Verfahren vor der Ratskammer regelnde Bestimmung des §113 Abs2 StPO könnte für die Antragstellerin im Strafverfahren AZ Vr 1661/80 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt - wenn überhaupt schon während des Vorverfahrens - lediglich durch eine - sie berührende - Entscheidung dieses gerichtlichen Spruchkörpers wirksam werden.

Somit fehlt es vorliegend jedenfalls an der für einen Individualantrag gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG zwingend geforderten Voraussetzung, daß das - anzufechtende - Gesetz für den Antragsteller ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung wirksam geworden sei (s. dazu VfSlg. 8554/1979; VfGH 1. 2. 1981 G41/79). Im übrigen kann angesichts der Bestimmung des §113 Abs1 StPO - eingereiht in den mit "Rechtsmittel gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters ..." überschriebenen Abschnitt IV des X. Hauptstückes der StPO - nicht zweifelhaft sein, daß es sich bei der Ratskammer des Kreisgerichtes Wiener Neustadt um ein in der Sache der Antragstellerin "zur Entscheidung in zweiter Instanz berufene(s)" und damit insoweit um ein iS des Art140 Abs1 Satz 1 B-VG (Art89 Abs2 B-VG) antragslegitimiertes Gericht handelt, das im Fall von Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der bei Erledigung der zu 1.2. angeführten Beschwerden anzuwendenden Gesetzesstelle des §113 Abs2 StPO einen Antrag auf Gesetzesprüfung beim VfGH zu stellen verpflichtet gewesen wäre. Nach der Bestimmung des §113 Abs1 StPO haben nämlich alle, "die sich während der Vorerhebungen, der Voruntersuchung oder in dem der Einbringung der Anklageschrift nachfolgenden Verfahren durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters beschwert erachten, ... das Recht, darüber eine Entscheidung der Ratskammer zu verlangen und ihr Begehren entweder schriftlich oder mündlich beim Untersuchungsrichter oder unmittelbar bei der Ratskammer anzubringen", die darüber als nachprüfende gerichtliche Beschwerde(Rechtsmittel)instanz befindet, wie dies Art140 Abs1 Satz 1 B-VG verlangt (s. dazu Mitterbacher, StPO, S 19; Lohsing - Serini, Strafprozeßrecht, 4. Auflage, S 118 ff; Roeder, Strafverfahrensrecht, 2. Auflage, S 179; Bertel, Strafprozeßrecht, S 103 f.).

2.3. Aus diesen Erwägungen war der Antrag der Volksbank M. mangels Vorliegens der Antragslegitimation gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 idF BGBl. 353/1981 als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Strafprozeßrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G41.1981

Dokumentnummer

JFT_10188873_81G00041_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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