TE Vfgh Beschluss 1981/11/30 G70/81

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Veröffentlicht am 30.11.1981
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Index

30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/02 Finanzausgleich

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art137 / Allg
B-VG Art138 Abs1 litb
FAG 1979
VolkszählungsG 1980 §1 Abs1

Beachte

ähnlich Beschl. G62, 63/80 v. gleichen Tag

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des FAG 1979, BGBl. 673/1978, und des §1 Abs1 des Volkszählungsgesetzes 1980, BGBl. 199/1980; keine Legitimation; Zumutbarkeit der Erhebung einer Klage nach Art137 B-VG

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I.1. Die Marktgemeinde R. stellt an den VfGH die Anträge, dieser möge

a) das Finanzausgleichsgesetz 1979, BGBl. 673/1978, zur Gänze, in eventu in dem näher beschriebenen Umfang (ds. §8 Abs2 Z2 zweiter Satzteil, §8 Abs2 Z4 zweiter Satzteil ab dem Strichpunkt, §8 Abs3, §10 Abs2 letzter Satz) und die Bestimmungen des §1 Abs1 des Volkszählungsgesetzes 1980, BGBl. 199, wegen Verfassungswidrigkeit aufheben;

b) erkennen, daß frühere gesetzliche Vorschriften nicht wieder in Kraft treten;

c) erkennen, daß der Bund bei Zwang schuldig ist, der Antragstellerin die verzeichneten Prozeßkosten zu ersetzen.

Die gegenwärtige Regelung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels im FAG 1979 (insbesondere die §§7 bis 13) widerspreche dem aus Art7 B-VG und Art2 StGG entspringenden Gebot der Gleichbehandlung, sei aber jedenfalls wegen der besonders groben und ungeschlachten Differenzierung mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar. Die einschlägigen Regelungen des Volkszählungsgesetzes 1980 (§1 Abs1) in Zusammenhalt mit den Bestimmungen des FAG 1979 über das für die Verteilung der Abgabenerträge auf Grund der Bevölkerungszahl bzw. des abgestuften Bevölkerungsschlüssels im allgemeinen maßgebliche Zehn-Jahres-Intervall (§8 Abs3 erster Satz FAG 1979) könne mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbart werden.

2. Zur Antragslegitimation führt die antragstellende Gemeinde ua. aus:

Die Verteilung der Ertragsanteile auf die Gemeinden werde unmittelbar auf Grund des Gesetzes ohne weitere Rechtsakte, sondern nur mittels technischer Manipulation vorgenommen. Das FAG 1979 sei gegenüber der antragstellenden Gemeinde tatsächlich wirksam geworden und es finde nicht nur potentiell, sondern aktuell eine Rechtsbeeinträchtigung statt. Der Gemeinde stehe kein anderer zumutbarer Weg zur Rechtsverfolgung offen, sodaß sie von der Möglichkeit des Individualantrages Gebrauch machen könne.

Eine Klage gemäß Art137 B-VG sei der Antragstellerin nicht zumutbar. Auf Grund der gegebenen einfachgesetzlichen Rechtslage müsse ohne weiteres mit einer Abweisung, allenfalls sogar mit einer Zurückweisung der Klage gerechnet werden. Zu diesem Problem heißt es dann in der Klage wörtlich:

"Die Antragstellerin könnte wenn überhaupt in diesem Verfahren nur anregen, der VfGH möge das Verfahren nach Art137 B-VG unterbrechen und die mit diesem Antrag angefochtenen Regelungen einer verfassungsgesetzlichen Überprüfung unterziehen. Wenn der VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung von der 'Mediatisierung' der Möglichkeit von Personen zur Normanfechtung bzw. von einem anderen zumutbaren Weg der Rechtsverfolgung gesprochen hat (vgl. dazu die angeführten Erk. des VfGH - ds. VfSlg. 8009, 8066, 8148, 8187, 8241, 8276, 8292, 8312 und VfGH 17. 10. 1979 V11/78, V15/79 sowie 4. 10. 1980 G13/80), meinte er im übrigen bisher immer Wege, die bei Verwaltungsbehörden oder anderen Gerichten als beim VfGH einzuschlagen waren. Die Antragstellerin ist der Auffassung, daß jedenfalls dann, wenn ein Begehren nach Art137 B-VG in jedem Falle kraft der eindeutigen Gesetzeslage völlig aussichtslos sein muß und ausschließlich einen gekünstelten Versuch darstellt, um zu einer Gesetzesprüfung zu gelangen, dieser Weg nicht beschritten werden muß. Die B-VG-Nov. 1975 wollte erklärtermaßen gerade solche gekünstelte Wege, die gar nicht zum Erfolg führen können - ein Antrag nach Art137 B-VG muß immer zu einer Abweisung, allenfalls zu einer Zurückweisung führen, da die gegebene Gesetzeslage für die Antragstellerin unmittelbar negativ wirkt - für die Zukunft überflüssig machen.

Zu bedenken ist vorliegendenfalls auch, daß in jedem Falle unmittelbar der VfGH anzurufen wäre, sodaß der hinter der bisherigen Rechtsprechung des VfGH liegende, sicher nicht völlig unbegründete Gedanke, daß der VfGH nur dann angerufen werden sollte, wenn alle anderen bei anderen Verwaltungsbehörden und Gerichten bereitstehenden und vorgeschalteten Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft sind, nicht zum Tragen kommt. Auch ist deutlich hervorzuheben, daß der primär maßgebliche Wortlaut des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG davon spricht, daß ein Gesetz unmittelbar für eine Person wirksam geworden ist, was vorliegendenfalls unbestrittenermaßen zutrifft. Wenn deshalb Waidhofen einen Antrag nach Art137 B-VG gestellt hat, ist dies genauso überflüssig, wie wenn jemand ein Bauansuchen stellt, um zu einer Überprüfung des Flächenwidmungsplanes zu gelangen, obwohl dieser die Errichtung des geplanten Baues verbietet; oder noch deutlicher: Aus dem Umstand, daß Waidhofen einen allenfalls möglichen, aber überflüssigen Weg gegangen ist, um allenfalls zu einer Gesetzesprüfung zu gelangen, kann nicht abgeleitet werden, daß auch die Antragstellerin auf die Inanspruchnahme der durch die B-VG-Nov. 1975 eindeutig geschaffenen Rechtsschutzmöglichkeiten verzichtet.

Das Verfahren, einen Feststellungsbescheid zu begehren und diesen dann vor dem VfGH zu bekämpfen, obwohl dies in den einschlägigen Regelungen nicht vorgesehen ist, um dann zu einer Gesetzesprüfung zu gelangen, ist aber seinerseits immer nur ein subsidiäres und letztes Mittel gewesen, um Rechtsschutzlücken möglichst zu verkleinern. Die Einführung der Individualanfechtung in Art140 B-VG durch die B-VG-Nov. 1975 will gerade solche umständliche und von Gesetzes wegen ausdrücklich gar nicht vorgesehene Wege den Rechtsunterworfenen nicht mehr zumuten, sondern den direkten Weg zum VfGH eröffnen.

Das Begehren aber auf Auszahlung höherer Ertragsanteile, als sie im FAG 1979 vorgesehen sind, müßte offenkundig auch abgewiesen werden. Wie nun der VfGH etwa im durchaus analogen Fall der Flächenwidmung erkannt hat, wird diese unmittelbar für den jeweils betroffenen Liegenschaftseigentümer wirksam und es kann diesem nicht zugemutet werden, ein Bauansuchen zu stellen und dieses bis zu den Höchstgerichten 'durchzukämpfen' (vgl. VfSlg. 8463, aber auch den schon erwähnten Fall der ÖBB VfGH 3. 12. 1980 V13/79). Ähnlich liegt die Sache auch vorliegendenfalls, weshalb grundsätzlich die Anfechtungslegitimation der Marktgemeinde R. jedenfalls bezüglich jener Regelungen des FAG 1979 gegeben ist, welche die 'Unterverteilung' der Ertragsanteile auf die Gemeinden regeln."

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG idF BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. In einem solchen Antrag ist gemäß §62 Abs1 letzter Satz VerfGG 1953 idF BGBl. 311/1976 auch darzutun, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Die Antragslegitimation setzt auch voraus (wie im Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in der späteren Judikatur zB auch Erk. VfSlg. 8485/1979 und 8700/1979 bekräftigt worden ist), daß für den Rechtsschutz gegen rechtswidrige Normen kein anderer zumutbarer Weg als die Anfechtung beim VfGH zur Verfügung steht.

2. Der antragstellenden Gemeinde ist durch Art137 B-VG die Möglichkeit eingeräumt, behauptete vermögensrechtliche Ansprüche an andere Gebietskörperschaften im Wege einer Klage (§37 VerfGG 1953) geltend zu machen und dabei die behaupteten Verfassungswidrigkeiten darzutun; dadurch wird der VfGH in die Lage versetzt, gemäß Art140 Abs1 B-VG idF BGBl. 302/1975 von Amts wegen über die Verfassungswidrigkeit der angewendeten Gesetzesbestimmungen zu erkennen.

Die antragstellende Gemeinde hält aber diesen Weg für nicht zumutbar.

Zu dem Vorbringen der antragstellenden Gemeinde, der VfGH habe in seiner bisherigen Rechtsprechung unter einem zumutbaren Weg der Rechtsverfolgung immer Wege gemeint, die bei Verwaltungsbehörden oder anderen Gerichten als beim VfGH einzuschlagen seien, ist zu bemerken, daß zweifellos unter einer gerichtlichen Entscheidung iS des letzten Satzes in Art140 Abs1 B-VG auch eine Entscheidung des VfGH zu verstehen ist; in diesem Zusammenhang ist nur darauf hinzuweisen, daß auch mit dem im letzten Satzteil des Art138 Abs1 litb B-VG verwendeten Ausdruck "Gerichten" der VfGH umfaßt ist (vgl. VfSlg. 2084/1950, 3348/1958, 6672/1972).

Die Behauptung der antragstellenden Gemeinde, ein Begehren nach Art137 B-VG müsse bei der eindeutigen Gesetzeslage völlig aussichtslos sein und stelle ausschließlich einen gekünstelten Versuch dar, um zu einer Gesetzesprüfung zu gelangen, vermag die Unzumutbarkeit dieses Weges nicht darzutun. Der VfGH ist in seiner Rechtsprechung seit jeher von der Auffassung ausgegangen, daß es für die Frage der Zumutbarkeit belanglos ist, ob das Beschreiten des Verwaltungs- oder Gerichtsweges für den Betroffenen in der Sache selbst wegen der bestehenden einfachgesetzlichen Rechtslage aussichtslos ist (vgl. zB die Entscheidungen VfSlg. 8187/1977, S 356 und 8485/1979, S 55, die diese Auffassung voraussetzen). Er hat sie später ausdrücklich mit dem die Antragslegitimation begrenzenden und in dieser Beziehung eindeutigen Inhalt des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG begründet (zB VfSlg. 8846/1980).

Auch der Umstand, daß die antragstellende Gemeinde - wie sie betont - im Verfahren nach Art137 B-VG nur die Gesetzesprüfung anregen könnte, kann nicht als Argument gegen die Zumutbarkeit der Beschreitung dieses Weges gelten. In allen Fällen, in denen ein Individualantrag aus dem Grunde unzulässig ist, weil die Beschreitung des Gerichts- oder Verwaltungsweges zumutbar ist, sind ähnliche Verhältnisse gegeben: Die Anfechtung eines Bescheides beim VfGH ermöglicht dem Beschwerdeführer nur die Anregung eines Normenprüfungsverfahrens; es bleibt dem VfGH überlassen, ob er von Amts wegen ein solches Prüfungsverfahren einleitet. Im Falle einer gerichtlichen Entscheidung ist dem Betroffenen sogar versagt, seine Bedenken gegen die Norm unmittelbar beim VfGH vorzubringen, er hat nur die Möglichkeit, bei dem hiezu berufenen Gericht die Stellung eines Antrages an den VfGH auf Normenprüfung anzuregen (vgl. VfSlg. 8187/1977, S 356; 8312/1978, S 334).

Im übrigen hat sich der VfGH schon wiederholt mit der Frage befaßt, unter welchen Voraussetzungen die Beschreitung eines an sich bei Gerichten oder Verwaltungsbehörden eröffneten Rechtsweges unzumutbar ist, um Rechtsschutz gegen rechtswidrige Normen zu erlangen.

Er hat die Beschreitung des Gerichtsweges dann für nicht zumutbar erachtet, wenn sich dabei nennenswerte Nachteile (VfSlg. 8187/1977, S 356) oder gewichtige Nachteile (VfSlg. 8212/1977, S 461 in Verbindung mit 8312/1978, S 333) für den Antragsteller ergäben.

Die Beschreitung des Verwaltungsweges hat der VfGH dann für nicht zumutbar erachtet, wenn dieser in der Provozierung eines Strafverfahrens (VfSlg. 8396/1978, S 173; 8432/1978, S 329;

8433/1978, S 343; 8464/1978, S 510) oder der Vorführung zum Antritt einer Arreststrafe bestünde (VfSlg. 9046/1981), wenn dies eine außergewöhnliche Härte (VfSlg. 8432/1978, S 329; 8433/1978, S 343;

8464/1978, S 510) im besonderen eine außergewöhnliche wirtschaftliche Härte (VfSlg. 8433/1978, S 341,343) mit sich bringen würde. Der Gerichtshof hat es auch nicht für zumutbar erachtet, nur um die behauptete Rechtswidrigkeit eines Flächenwidmungsplanes geltend machen zu können, ein Bauverfahren mit den hiefür erforderlichen Planungsunterlagen in Angriff zu nehmen (VfSlg. 8463/1978, S 496 und 8697/1979, S 346).

Kein solcher und ähnlicher Grund würde für die antragstellende Gemeinde die Erhebung einer Klage nach Art137 B-VG als unzumutbar erweisen.

Der antragstellenden Gemeinde stand somit für den Rechtsschutz gegen die von ihr für verfassungswidrig erachteten Normen als zumutbarer Weg die Erhebung einer Klage nach Art137 B-VG zur Verfügung.

Bei dieser Rechtslage brauchte auf das Vorbringen, es sei auch nicht zumutbar, einen Feststellungsbescheid zu begehren, um über dessen Bekämpfung zu einer Gesetzesprüfung zu gelangen, nicht eingegangen zu werden (vgl. dazu im übrigen VfSlg. 8978/1980).

3. Die auf Art140 B-VG gestützten Anträge waren daher mangels Legitimation zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Auslegung Verfassungs-, Finanzausgleich, Volkszählung, Bevölkerungsschlüssel abgestufter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G70.1981

Dokumentnummer

JFT_10188870_81G00070_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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