TE Vfgh Erkenntnis 1981/12/16 B101/81

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Veröffentlicht am 16.12.1981
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art5
FinStrG §89 Abs1

Beachte

ähnlich Erk. B102/81 vom gleichen Tag

Leitsatz

Finanzstrafgesetz; §89 Abs1 keine gesetzliche Grundlage für eine - nicht bescheidmäßig verfügte, als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zu beurteilende - Beschlagnahme; Verletzung des Eigentumsrechtes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die am 27. Jänner 1981 in 5020 Salzburg, M-gasse 1, von Organen des Finanzamtes Salzburg-Stadt durchgeführte Beschlagnahme eines Handaktes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit einer auf §89 Abs1 FinStrG gestützten schriftlichen "Beschlagnahmeanordnung" verfügte das Finanzamt Salzburg-Stadt als Finanzstrafbehörde erster Instanz im Zuge eines Finanzstrafverfahrens am 22. Jänner 1981 zur Z 88/80 die Beschlagnahme der als Beweismittel in Betracht kommenden "gesamten Buchhaltungs- und Schriftverkehrsunterlagen der (Salzburger) Fa. P. Beratungs-GesmbH". In Berufung darauf nahmen Organe dieser Behörde am 27. Jänner 1981 in Räumlichkeiten des das bezeichnete Unternehmen vertretenden Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Dkfm. Dr. J. M. in Salzburg einen Handakt jedenfalls auch mit Unterlagen der Fa. P. Beratungs-GesmbH in Beschlag, dessen Herausgabe - laut finanzbehördlichem Aktenvermerk vom 27. Jänner 1981 - unter Hinweis auf bestehende gesetzliche Verschwiegenheitspflichten verweigert worden war.

1.2.1. In der an den VfGH gerichteten Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG begehrte Dkfm. Dr. J. M. die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch die geschilderte, dem Finanzamt Salzburg-Stadt als belangter Behörde zuzurechnende Amtshandlung vom 27. Jänner 1981, und zwar (nur) durch Beschlagnahme dieses Handaktes, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei, so im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 des 1. ZP zur MRK) und im Recht auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses (Art10 StGG).

1.2.2. Das Finanzamt Salzburg-Stadt als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies ua. für eine Beschlagnahme, dh. die zwangsweise Entziehung einer Sache zum Zweck der Verwahrung (VfSlg. 4947/1965, 6754/1972, 9099/1981), zutrifft, die nicht auf Grund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfand.

2.1.2. Wurde eine Beschlagnahme hingegen bescheidmäßig verfügt, kann sie - wie der VfGH schon wiederholt aussprach - nicht unmittelbar Gegenstand einer Beschwerdeführung nach Art144 Abs1 B-VG sein (vgl. zB VfSlg. 2450/1952, 3848/1960, 4947/1965, 5720/1968, 9099/1981).

2.1.3. Nun muß zwar eine Beschlagnahmeanordnung nach der Vorschrift des §89 Abs1 FinStrG - die bestimmt, daß die Finanzstrafbehörde die Beschlagnahme von verfallsbedrohten Gegenständen und von Gegenständen, die als Beweismittel in Betracht kommen können, anzuordnen hat, wenn dies zur Sicherung des Verfalls oder zur Beweissicherung geboten ist - in Bescheidform ergehen (s. dazu VfSlg. 4219/1962 und VwSlg. 2590 F/1962), weil damit eine Verwaltungsangelegenheit in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ geregelt, mithin ein Rechtsverhältnis für den Einzelfall bindend gestaltet wird (s. zB VfSlg. 6187/1970; VfGH 27. 2. 1981 B673/80). Als solcher Bescheid - der, da nicht ein Rechtsmittel für unzulässig erklärt wurde, der Anfechtung mit Administrativbeschwerde gemäß §152 Abs1 FinStrG unterliegt - ist jedoch die in Rede stehende "Beschlagnahmeanordnung" nach §89 Abs1 FinStrG deshalb nicht anzusehen, weil sie sich ihrem Inhalt nach - es fehlt ein Betroffener als Bescheidadressat - nicht an bestimmte (natürliche oder juristische) Personen, insbesondere auch nicht an den Beschwerdeführer Dkfm. Dr. J. M. oder an die - bloß im Zusammenhang mit den zu beschlagnahmenden Schriftstücken erwähnte - Fa. P. Beratungs-GesmbH richtet, also nicht über Rechtsverhältnisse individuell bestimmter Personen abspricht, sich vielmehr der Sache nach in einer behördeninternen Anweisung an Organe der belangten Behörde erschöpft, sodaß es hier nach Lagerung des Falles - allein schon aus diesem Grund - an einem unabdingbaren Bescheidessentiale mangelt (vgl. Mannlicher - Quell, Verwaltungsverfahren, 8. Auflage, S 291 ff. Anm. 1).

2.1.4. Daraus folgt aber, daß die bekämpfte, in der schriftlichen "Beschlagnahmeanordnung" vom 22. Jänner 1981 keine bescheidmäßige Deckung findende Beschlagnahme vom 27. Jänner 1981 iS der einleitenden Ausführungen zu 2.1.1. als Akt der Befehls- und Zwangsgewalt in der Bedeutung des Art144 Abs1 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 zu beurteilen ist.

Daß der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift einwendet - in einem (späteren) Schriftsatz erklärte, er habe der Beschlagnahme (nur) unter der Bedingung zugestimmt, daß der Handakt versiegelt und mit Plomben versehen werde, vermag an der dargelegten rechtlichen Wertung der bekämpften Amtshandlung (s. auch das bereits eingangs zu 1.1. zitierte Protokoll) nichts zu ändern, weil der behördliche Zugriff laut dem unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten ganz offensichtlich nicht etwa einem - vom Beschwerdeführer freiwillig erfüllten - schlichten Wunsch der amtshandelnden Organe (nach Sachübergabe) entsprang, sondern einzig und allein auf der amtlich vorgewiesenen schriftlichen "Beschlagnahmeanordnung" beruhte, die Amtshandlung somit dem Beschwerdeführer gegenüber als - nötigenfalls mit sofortigem physischem Zwang durchzusetzender - Herausgabebefehl mit unverzüglichem Befolgungsanspruch in Erscheinung trat, dem sich der Betroffene - so er physische Zwangsakte vermeiden wollte - jedenfalls zu beugen hatte.

2.1.5. Da ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, erweist sich die Beschwerde als zulässig.

2.2.1. Die Beschlagnahme eines in wirtschaftlicher (geldeswerter) Hinsicht nicht völlig zu vernachlässigenden Schriftenkonvoluts (s. dazu VfSlg. 8669/1979) greift in das "Eigentum" in der Bedeutung des Art5 StGG - und zwar den Umständen nach sowohl des Beschwerdeführers als auch des von ihm vertretenen Unternehmens - ein.

Dieser Eingriff wäre dann verfassungswidrig, wenn er auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei ihrer Amtshandlung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann zuträfe, wenn der Behörde ein so schwerer Fehler zur Last fiele, daß er mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist (s. VfSlg. 7409/1974, 7917/1976, 9020/1981 ua.).

2.2.2. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, daß die dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde gelegten Rechtsvorschriften verfassungswidrig seien. Auch der VfGH hegt - unter dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalls - keine derartigen Bedenken.

2.2.3. Demgemäß hätte die vom Beschwerdeführer behauptete Eigentumsverletzung nur dann stattgefunden, wenn der Behörde ein der Gesetzlosigkeit gleichkommendes Verhalten anzulasten wäre.

Dies ist der Fall.

Da - wie dargetan - eine bescheidmäßige Beschlagnahmeanordnung der Finanzbehörde, wie sie die von den amtshandelnden Organen herangezogene Vorschrift des §89 Abs1 FinStrG vorsieht und verlangt, hier nicht vorlag, überschritt es die Grenzen denkmöglicher Gesetzeshandhabung, wenn die belangte Behörde die angefochtene Beschlagnahme auf diese Gesetzesstelle stützte. Daß aber die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach §89 Abs2 FinStrG, nämlich für eine Beschlagnahme ohne Anordnung gemäß §89 Abs1 FinStrG wegen Gefahr im Verzug, gegeben gewesen wären, wurde gar nicht geltend gemacht. Der bekämpften Beschlagnahme fehlte damit die behauptete gesetzliche Grundlage.

2.2.4. Aus diesen Erwägungen wurde der Beschwerdeführer durch die im Spruch näher bezeichnete Amtshandlung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

Es mußte somit spruchgemäß entschieden werden, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Finanzstrafrecht, Beschlagnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B101.1981

Dokumentnummer

JFT_10188784_81B00101_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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