TE Vfgh Erkenntnis 1982/3/17 B558/80

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Veröffentlicht am 17.03.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs3
VfGG §82 Abs2
VStG §35
VStG §36 Abs1 erster Satz

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; gesetzmäßige Festnehmung nach §35 litc VStG 1950; ungewöhnlich lange, aber noch in §36 Abs1 VStG 1950 gedeckte Anhaltung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten, am 6. November 1980 zur Post gegebenen Beschwerde wird im wesentlichen folgendes vorgebracht:

Der Beschwerdeführer habe am 24. September 1980 gegen 22,30 Uhr in Wien 22, Eipeldauerstraße ein Taxi gelenkt. Ein Sicherheitswachebeamter habe ihn beanstandet, weil er nicht die rechte Fahrspur benützt und weil er die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten habe. Nachdem er die Organmandatstrafen bezahlt habe, habe er den einschreitenden Beamten ersucht, ihm die Dienstnummer bekanntzugeben. Die Folge sei gewesen, daß der Beamte die Festnahme gemäß §35 litc VStG 1950 ausgesprochen habe.

In der Folge sei er (der Beschwerdeführer) zum Bezirkspolizeikommissariat Donaustadt gebracht worden, wo er zunächst bis etwa 11,30 Uhr des nächsten Tages in einer Arrestzelle festgehalten worden sei. Um etwa 12,00 Uhr habe ein Polizeijurist die Einvernahme mit ihm begonnen, sie aber unterbrochen, weil er (der Beschwerdeführer) sich geweigert habe, ein Geständnis abzulegen. Er sei dann neuerlich in die Arrestzelle gebracht worden. Nachdem gegen ihn ein Straferkenntnis wegen Übertretungen nach ArtVIII und IX EGVG 1950 erlassen worden sei, sei er um 13,25 Uhr aus der Haft entlassen worden.

Der Beschwerdeführer bestreitet, die ihm vorgeworfenen Delikte begangen zu haben. Er sei sohin ohne Vorliegen eines gesetzlichen Haftgrundes festgenommen worden. Sollte aber die Festnahme rechtmäßig gewesen sein, so hätte er spätestens um 23,00 Uhr des 24. September 1980 freigelassen werden müssen, weil zu diesem Zeitpunkt zweifellos die Gründe für die Anhaltung weggefallen seien.

Er sei daher durch die ohne gesetzlichen Grund erfolgte Festnahme, jedenfalls aber durch seine Verwahrung ohne gesetzlichen Grund vom 24. September 1980, 23,00 Uhr bis zum 25. September 1980 um 13,25 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Er stellt den Antrag, der VfGH wolle diese Rechtsverletzung feststellen.

Hilfsweise stellt er den Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten.

2. Die belangte Behörde, vertreten durch die Finanzprokuratur, hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie im wesentlichen vorbringt, der Beschwerdeführer habe sich dem einschreitenden Sicherheitswachebeamten gegenüber ungestüm benommen. Da er trotz wiederholter Abmahnung in der Fortsetzung dieser strafbaren Handlung verharrt habe, habe der Beamte gemäß §35 litc VStG 1950 die Festnahme ausgesprochen. Der Beschwerdeführer sei sodann zum Bezirkspolizeikommissariat Donaustadt gebracht worden, wo er im Arrestlokal angehalten worden sei. Es seien noch in der Nacht die Prioren eingeholt worden. Die Strafverhandlungsschrift mit dem Beschwerdeführer habe erst in den Mittagsstunden vom Polizeijuristen aufgenommen werden können, weil der Beamte Verfahren gegen andere Häftlinge durchzuführen und vor allem Erhebungen im Zusammenhang mit einem in den Morgenstunden erfolgten Raubüberfall zu leiten gehabt habe.

Im übrigen sei die Beschwerde, soweit sie die noch am 24. September 1980 erfolgten Amtshandlungen bekämpft, verspätet eingebracht worden, da sie erst am 6. November 1980, sohin nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist, zur Post gegeben wurde.

Die belangte Behörde stellt daher den Antrag, die Beschwerde, soweit sie die Amtshandlungen am 24. September 1980 (Festnahme und Verwahrung) betrifft, wegen Verspätung zurückzuweisen, ansonsten anzuweisen. Außerdem wird der Zuspruch von Kosten begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Die behauptete Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers haben tatsächlich stattgefunden (s. den folgenden Punkt 2). Diese Maßnahmen sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen den Beschwerdeführer ergangene Verwaltungsakte iS des Art144 Abs1 vorletzter Satz B-VG (vgl. zB VfSlg. 9208/1981).

b) Gemäß §82 Abs2 VerfGG kann die Beschwerde nach Art144 Abs1 B-VG gegen einen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangenen Verwaltungsakt nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen erhoben werden. Diese Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, sofern er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung.

Der Beschwerdeführer wurde am 24. September 1980 um etwa 22,45 Uhr festgenommen und in der Folge von der Bundespolizeidirektion Wien bis 25. September 1980, 13,25 Uhr angehalten (s. den folgenden Punkt 2). Nach der Lage des Falles war es ihm jedenfalls bis zum Ende des 24. September 1980 unmöglich, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen. Die sechswöchige Beschwerdefrist hat sohin auch hinsichtlich der Vorfälle vom 24. September 1980 erst mit 25. September 1980 zu laufen begonnen. Die am 6. November 1980 zur Post gegebene Beschwerde wurde sohin in Ansehung aller bekämpften Maßnahmen rechtzeitig erhoben.

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zur Gänze zulässig.

2. a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einvernahme des rechtskundigen Beamten der Bundespolizeidirektion Wien Mag. P. F., des Kriminalbeamten H. T. sowie der Sicherheitswachebeamten R. A., A. W.,

J. Sch. und J. A. als Zeugen sowie durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Donaustadt, Z Pst 8149, 8150/Dt/80 und den Akt des Landesgerichtes für Strafsachen AZ 1c E Vr 10092/80, Hv 864/80.

b) Auf Grund dieser Beweise nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 24. September 1980 gegen 22,40 Uhr beanstandete der Zeuge Insp. A. den Beschwerdeführer, weil er als Lenker eines Taxis mehrere Übertretungen der StVO 1960 begangen habe. Der Beschwerdeführer bezahlte zwar die gegen ihn verhängten Organmandatstrafen, wurde aber dann gegen den einschreitenden Sicherheitswachebeamten ausfällig. Er beschimpfte ihn in lautem Tonfall, wobei er wild gestikulierte. Der Beamte mahnte ihn wiederholt, jedoch ohne Erfolg, ab. Als der Beschwerdeführer sein Verhalten trotz nochmaliger Abmahnungen nicht einstellte, erklärte ihn der Sicherheitswachebeamte um etwa 22,45 Uhr gemäß §35 litc VStG 1950 als festgenommen. Dennoch stieg der Beschwerdeführer in sein Fahrzeug und fuhr einige hundert Meter weiter. Er wurde von der Besatzung eines Funkstreifenwagens, die den Vorfall bemerkt hatte, gestellt und konnte nun mit diesem Polizeiauto zum Bezirkspolizeikommissariat Donaustadt gebracht werden. Ab dem Zeitpunkt, in dem er im Polizeiauto Platz genommen hatte, bis zu seiner Entlassung verhielt sich der Beschwerdeführer ruhig und setzte kein strafbares Verhalten mehr.

Der Beschwerdeführer wurde im Arrestlokal des Kommissariats angehalten. Der Journalbeamte, der Zeuge Oberkommissär Mag. F., ließ sich den Beschwerdeführer am folgenden Tag (25. September 1980) erst um etwa 12,00 Uhr vorführen, weil er die Amtshandlung gegen drei weitere Häftlinge durchzuführen hatte, und vor allem, weil in den Morgenstunden ein spektakulärer Raubüberfall stattgefunden hatte, bei dem ihm die Leitung der Erhebungen oblag. Der Beamte mußte aus diesem Anlaß auch die Strafverhandlung mit dem Beschwerdeführer unterbrechen und konnte sie erst um 13,25 Uhr beenden. Danach wurde der Beschwerdeführer sofort enthaftet.

Die gegen den Beschwerdeführer nach ArtVIII und IX EGVG verhängten Verwaltungsstrafen von zusammen S 4.400,- sind noch nicht in Rechtskraft erwachsen.

Der Beschwerdeführer wurde auch des Vergehens der gefährlichen Drohung nach §107 Abs1 StGB und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§15, 269 Abs1 StGB angeklagt, jedoch mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. November 1980, AZ 1c E Vr 10092/80, Hv 864/80, gemäß §259 Z3 StPO freigesprochen.

c) Zu den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ist festzuhalten, daß die Angaben der vernommenen Zeugen, die Behauptungen des Beschwerdeführers in der Beschwerde und die Behauptungen der belangten Behörde in der Gegenschrift in den hier wesentlichen Punkten übereinstimmen. In der Beschwerde wird lediglich das Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber dem einschreitenden Sicherheitswachebeamten abgeschwächt.

Der Beschwerdeführer hat den in der Beschwerde enthaltenen Antrag, ihn selbst als Partei einzuvernehmen, nach Durchführung der Zeugeneinvernahmen ausdrücklich zurückgezogen. Der VfGH hat keine Veranlassung gesehen, ihn dennoch als Partei einzuvernehmen, da der hier maßgebliche Sachverhalt auf Grund der Aussagen der glaubwürdigen Zeugen auch ohne dieses Beweismittel geklärt erschien.

3. Der VfGH beurteilt den festgestellten Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt:

Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §35 VStG 1950, auf die sich die belangte Behörde beruft. Der Beschwerdeführer wäre sohin durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nur verletzt worden, wenn die Festnehmung nicht in dieser Gesetzesvorschrift begründet wäre (vgl. zB VfSlg. 9208/1981).

Die Festnehmung einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß §35 VStG 1950 setzt voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten wird". Das Sicherheitsorgan muß also selbst ein Verhalten unmittelbar wahrnehmen, das es zumindest vertretbarerweise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren kann (vgl. auch hiezu zB VfSlg. 9208/1981 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Der einschreitende Sicherheitswachebeamte hat die Tat, derer er den Beschwerdeführer beschuldigte, selbst wahrgenommen. Er konnte zumindest vertretbarerweise annehmen, daß sich der Beschwerdeführer ihm gegenüber ungeachtet vorausgegangener Abmahnung, während er sich in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes befand, ungestüm benommen hatte (ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950).

Bei dieser Sachlage war - da der Beschwerdeführer trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrte - der Festnahmegrund der litc des §35 VStG 1950 gegeben.

b) Die im Anschluß an die - im Gesetz gedeckte, wegen Verharrens in der strafbaren Handlung ausgesprochene - Festnahme des Beschwerdeführers erfolgte Anhaltung war ebenfalls rechtmäßig:

aa) Gemäß §36 Abs1 erster Satz VStG 1950 ist der zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Behörde Festgenommene freizulassen, wenn der Grund zur Festnahme schon vorher entfällt. Wenn aber bereits die Festnahme selbst bewirkt, daß der Grund der Festnahme entfällt, wenn also die wegen Verharrens im strafbaren Verhalten festgenommene Person dieses Verhalten gerade infolge der Festnahme einstellt, ist diese Rechtsregel nicht wörtlich anzuwenden. Vielmehr ist - dem Sinn des Gesetzes entsprechend - der Festgenommene nur dann vorzeitig zu enthaften, wenn auf Grund besonderer Umstände augenfällig wird, daß er im Fall der Freilassung das strafbare Verhalten nicht wieder aufnehmen wird. In diesem Sinn ist auch die Vorjudikatur zu verstehen (vgl. zB einerseits VfSlg. 4333/1962 und 8507/1979, andererseits VfSlg. 8580/1979).

Anhaltspunkte dafür, daß derartige besondere Umstände in diesem Fall vorlagen, haben sich nicht ergeben.

bb) Die Behörde hatte aber auch die weiteren Bestimmungen des §36 Abs1 VStG 1950 zu beachten, wonach sie verhalten ist, jeden Festgenommenen ehestmöglich als Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren zu vernehmen. Sie hat die ihr zumutbaren organisatorischen und personellen Maßnahmen zu treffen, um dieser Verpflichtung nachzukommen.

Hier erfolgte die Anhaltung ungewöhnlich lange; die Einvernahme des Beschwerdeführers erfolgte nicht - wie an sich zu fordern - in den Morgenstunden oder zumindest am frühen Vormittag. Die Anhaltung kann aber im Hinblick auf die am 25. September 1980 außergewöhnlich starke Belastung des Journalbeamten, die weit über dem durchschnittlichen dringend zu erledigenden Arbeitsanfall lag und darauf, daß es sinnvoll war, den Erhebungen im Zusammenhang mit dem Raubüberfall die Priorität vor der Einvernahme des Beschwerdeführers einzuräumen, gerade noch als vom Gesetz gedeckt angesehen werden.

c) Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, waren die Voraussetzungen für die Festnahme und die nachfolgende Anhaltung des Beschwerdeführers nach §35 litc VStG 1950 gegeben. Der Beschwerdeführer ist demnach durch diese Maßnahmen in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

Da die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gleichfalls nicht stattgefunden hat und auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Beschwerdeführer infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

4. Da der VfGH unter dem Blickwinkel des Rechtes auf persönliche Freiheit die Gesetzmäßigkeit einer Verhaftung schlechthin zu prüfen hat, wird mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen und angehalten worden zu sein, ausschließlich die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht. Eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH kommt also nicht in Betracht (VfSlg. 8654/1979, S 176). Der darauf gerichtete Antrag des Beschwerdeführers war sohin abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Fristen, Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Anhaltung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, VfGH / Abtretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B558.1980

Dokumentnummer

JFT_10179683_80B00558_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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