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25 Strafprozeß, StrafvollzugNorm
B-VG Art129Leitsatz
Strafvollzugsgesetz; keine Bedenken gegen §§107 Abs1 Z10, 109 Z5, 114, 121 Abs2; Beschwerdemöglichkeit nach §120; Nichtzuständigkeit des VfGH; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte StPO; keine Bedenken gegen §183Spruch
1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetztes Verhalten der Behörde durch Verweigerung der Einreichung eines Rechtsmittels, durch Beschränkung des Briefverkehrs sowie durch eine gegen das Verbot der erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung verstoßende Anhaltung richtet, zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer ist, soweit sich die Beschwerde gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. März 1980, Jv 2102-16a/80, richtet, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. In einer vom Beschwerdeführer mit 26. März 1980 datierten, am 22. April 1980 beim VfGH eingelangten, selbstverfaßten Eingabe wird vom Einschreiter unter dem Betreff "Einbringung einer Verfassungsbeschwerde und anderer Rechtsmittel, Ansuchen um Verfahrenshilfe" vorgebracht, daß er, nachdem ihm der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien "die Vorführung zu einem Rechtshilferichter verweigert" und sein zuständiger Richter ihm erklärt habe, nicht sein Rechtsanwalt zu sein, innerhalb offener Rechtsmittelfrist alle ihm von Gesetzes wegen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel einbringe. Der Einschreiter übersandte dem VfGH mit dem Beschwerdeschreiben ein Konvolut von Eingaben mit dem Ansuchen, ihm Verfahrenshilfe zu gewähren, damit er in der Lage sei, dem angerufenen Gerichtshof seine Beschwerden vorzutragen.
1.2. Die dem Beschwerdeschreiben angeschlossenen Eingaben hatten folgenden Inhalt:
1.2.1. Eine "An den Anstaltsleiter" gerichtete Eingabe vom 5. Feber 1980 - der Beschwerdeführer befand sich damals im Gefangenenhaus I des Landesgerichtes Wien in Untersuchungshaft - war mit "Zellenüberbelag-Belagsverweigerung" überschrieben. Vom Beschwerdeführer wurde geltend gemacht, daß seine Unterbringung in einer Einzelzelle, die mit drei Personen belegt sei, gegen die baupolizeilichen Bestimmungen, die Gesundheitsvorschriften und die Menschenwürde verstoße.
1.2.2. Weiters wurde vom Beschwerdeführer ein Straferkenntnis der Gefangenenhausdirektion I des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. März 1980 vorgelegt. Mit diesem Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, eine Ordnungswidrigkeit nach §107 Abs1 Z10 StVG dadurch begangen zu haben, daß er trotz wiederholter Abmahnung das Haftraum-Notsignal ohne Vorliegen einer Notsituation betätigt habe; hiefür wurde über den Beschwerdeführer gemäß §109 Z5 und §114 StVG die Ordnungsstrafe des einfachen Hausarrestes für die Dauer von 10 Tagen verhängt. Zur Begründung wurde in diesem Straferkenntnis ausgeführt, daß der Beschwerdeführer sich am 25. Feber 1980 bei einem Justizwachebeamten über seine Unterbringung in einem Haftraum beschwert und sich nach der Bewegung im Freien geweigert habe, den Haftraum zu betreten. Nach Belehrung durch den Justizwachebeamten habe der Beschwerdeführer zwar den Haftraum wieder betreten, doch habe er sich bei der Arrestvisite neuerlich über den Überbelag beschwert. Auch der visitierende Richter habe den Beschwerdeführer darauf aufmerksam gemacht, daß alle übrigen Hafträume der Abteilung mit drei Personen belegt seien. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer dennoch wiederholt das Haftraum-Notsignal entgegen §14 der Hausordnung betätigt und, obwohl er darüber belehrt worden sei, daß es sich um einen Mißbrauch des Notsignals handle, die Betätigung des Notsignals hartnäckig fortgesetzt.
Mit der an den VfGH gerichteten Eingabe wurde vom Einschreiter weiters seine Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 4. März 1980 und das hierüber ergangene Erk. des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. März 1980, Jv 2102-16a/80, vorgelegt. Mit diesem wurde der Beschwerde keine Folge gegeben, da der Beschwerdeführer durch sein Geständnis und das durchgeführte Beweisverfahren überführt worden sei, das Notsignal wiederholt betätigt zu haben, ohne daß eine Notsituation oder zwingende unaufschiebbare Gründe vorgelegen hätten.
1.2.3. Mit einer weiteren Eingabe vom 13. März 1980, die der an den VfGH gerichteten Beschwerde abschriftlich angeschlossen war, wurde vom Einschreiter Beschwerde an den Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien geführt, in welcher geltend gemacht wurde, daß der Vollzug des Hausarrestes gegen die Menschenrechte und die Menschenwürde verstoßen habe.
Es seien ihm alle Habseligkeiten abgenommen worden, sodaß er keine Möglichkeit gehabt habe, die fristgerechte Ausführung und Einbringung von Rechtsmitteln vorzunehmen. Mit seinen berechtigten Vorbringen habe er erst am 29. Feber "einen Sukzeß" verbuchen können, indem ihm das Schreiben eines Briefes gestattet worden sei. In der Folge habe man ihm bis 5. März 1980 den Schriftverkehr mit Behörden und Rechtsbeiständen verwehrt.
Für die Zeit des Hausarrestes sei er gezwungen worden, seine ordentlichen und sauberen Kleidungsstücke gegen "schäbige und schmutzige Anstaltsfetzen" zu tauschen. Die Zeit vom 25. Feber bis 27. Feber habe er in einer Zelle verbringen müssen, welche keine Lüftung gehabt habe, weil das Fenster nicht geöffnet habe werden können; die Milchglasscheiben des Fensters hätten ganztägig eine künstliche Beleuchtung erforderlich gemacht; das WC habe kein Brett und keinen Deckel gehabt; da keine weiteren Einrichtungsgegenstände in der Zelle gewesen seien, habe er die Mahlzeiten entweder sitzend auf dem offenen WC oder stehend zu sich nehmen müssen; das Essen sei ihm im Blechnapf ohne Aushändigung von Messer und Gabel vorgesetzt worden; in der Zelle habe sich kein Fließwasser befunden; er habe keine Möglichkeit gehabt, sich in irgendeiner Weise vernünftig zu beschäftigen.
Auch den weiteren Hausarrest habe er unter ähnlichen Bedingungen in einer anderen Zelle verbringen müssen.
2. Der VfGH hat dem Beschwerdeführer mit Beschluß vom 28. Mai 1980 die Verfahrenshilfe bewilligt.
3. In der vom bestellten Verfahrenshelfer verbessert eingebrachten Beschwerde wird ausgeführt, daß hinsichtlich der Sachverhaltsdarstellung auf die selbstverfaßte Beschwerde des Beschwerdeführers verwiesen und diese unverändert dem Beschwerdeverfahren zugrunde gelegt werde.
3.1. Hievon ausgehend wird im Beschwerdeschriftsatz des Verfahrenshelfers geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weiters in den durch Art5 Abs4, Art6 Abs3 und Art8 und 10 MRK gewährleisteten Rechten dadurch verletzt worden, daß ihm verweigert worden sei, mit seinem Verteidiger Briefverkehr zu pflegen, und daß er gehindert worden sei, ein Rechtsmittel gegen die Verhängung der Ordnungsstrafe so rechtzeitig einzubringen, daß die Entscheidung vor der Beendigung des Hausarrestes gefällt hätte werden können. Weiters wird, Bezug nehmend auf die Art seiner Unterbringung während der Untersuchungshaft (Zellenüberbelag) und die Bedingungen seiner Anhaltung während des Hausarrestes, unter Hinweis auf die Anhaltungsbedingungen in anderen Gefängnissen eine Verletzung des Gleichheitsgebotes geltend gemacht. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens wird der Antrag gestellt, "festzustellen, daß durch die Handlungen der belangten Behörde verfassungsrechtlich gewährte Rechte verletzt worden" seien.
3.2. In einer die Beschwerde - fristgerecht - ergänzenden Eingabe wird zusätzlich geltend gemacht, daß der Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. März 1980 "wegen der mangelnden Feststellungen der Behörde, daß das Ausmaß des Haftraumes, belegt durch drei Personen, der Menschenwürde widerspricht", verfassungsrechtlich bedenklich sei. Des weiteren werden - nicht nähere spezifizierte - Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen vorgebracht und ergänzend beantragt, "daß der Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. 3. 1980, Jv 2102-16a/80, aufgehoben werden möge".
4. Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und bekanntgegeben, keine Gegenäußerung zu erstatten.
5. Der VfGH hat erwogen:
5.1. Soweit - wie unter 3.1. wiedergegeben - durch die vorliegende Beschwerde die Feststellung begehrt wird, daß durch "die Handlungen der belangten Behörde" verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden seien, wird die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpft.
Gemäß §120 StVG können sich Strafgefangene gegen jede Entscheidung oder Anordnung und über jedes Verhalten der Strafvollzugsbediensteten beschweren, soweit dadurch in ihre Rechte eingegriffen wird. Auf Beschwerden, denen kein Eingriff in Rechte des Strafgefangenen zugrunde liegt (Aufsichtsbeschwerden), braucht die Behörde keinen Bescheid zu geben (§122 StVG). Diese Bestimmungen sind dem Sinne nach auch auf die Anhaltung in der Untersuchungshaft anzuwenden (§183 StPO). Soweit in Rechte des Beschwerdeführers durch die bekämpften Handlungen eingegriffen wurde, stand dem Einschreiter eine Beschwerdemöglichkeit gemäß §120 StVG demnach offen, er hat, wie sich aus der Aktenlage ergibt, von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht. Wie der VfGH ua. in VfSlg. 7754/1976 ausgesprochen hat, wird durch das gesetzlich vorgesehene Beschwerderecht des §120 StVG ein Instanzenzug iS des Art144 B-VG eröffnet. Da die Anrufung des VfGH erst nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges erfolgen kann (§82 Abs1 VerfGG), ist die vorliegende Beschwerde, soweit sie ein Behördenverhalten, das in Rechte des Beschwerdeführers eingriff, zum Gegenstand eines Feststellungsbegehrens iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG macht, als unzulässig zurückzuweisen; soweit durch das Verhalten der Behörden in Rechte des Beschwerdeführers nicht eingegriffen wurde, fehlt ihm ein Beschwerderecht an sich.
5.2. Soweit - wie unter 3.2. wiedergegeben - mit der Beschwerde der vom Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien in seiner Eigenschaft als Vollzugsoberbehörde erlassene Bescheid vom 13. März 1980, Jv 2102-16a/80, bekämpft wird, ist sie zulässig, aber unbegründet.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen des Bescheides wurden vom Beschwerdeführer wohl behauptet, nicht aber näher ausgeführt. Die belangte Behörde hat bei Erlassung des angefochtenen Bescheides insbesondere die Bestimmungen der §§183 StPO und 107 Abs1 Z10, 109 Z5, 114 und 121 Abs2 StVG angewandt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen sind aus Anlaß des Beschwerdefalles im VfGH auch von Amts wegen nicht entstanden.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid sei "verfassungsrechtlich bedenklich wegen der mangelnden Feststellungen der Behörde, daß das Ausmaß des Haftraumes, belegt durch drei Personen, der Menschenwürde widerspricht", wird vom VfGH dahin verstanden, daß eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wegen Verfahrensverletzung geltend gemacht wird. Hiezu genügt es, darauf zu verweisen, daß die Prüfung, ob bei Erlassung eines Bescheides mangelhafte Feststellungen und damit Verfahrensfehler unterlaufen sind, ausschließlich dem VwGH obliegt, der gemäß Art129 B-VG zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen ist; daß die Behörde durch Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem für die Beurteilung entscheidenden Punkt oder durch Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes Willkür geübt hätte (vgl. VfSlg. 8808/1980), ist offensichtlich zu verneinen. Bemerkt sei in diesem Zusammenhang, daß der VwGH die vom Beschwerdeführer gegen denselben Bescheid erhobene Beschwerde mit dem gemäß §42 Abs1 VwGG 1965 gefällten Erk. vom 10. Dezember 1980, Z 937/80, abgewiesen hat.
Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben sohin nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde, sodaß die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid als unbegründet abzuweisen war.
Schlagworte
Strafvollzug, Untersuchungshaft, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:B178.1980Dokumentnummer
JFT_10179682_80B00178_00