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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art116 Abs1Leitsatz
Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag der Marktgemeinde Millstatt auf Aufhebung der §§46 Abs3, 53 Abs3 und 77 lita Ktn. Gemeindestruktur-Verbesserungsgesetz; keine Legitimation; kein absolutes Recht der individuellen Gemeinde auf "ungestörte Existenz"Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1. Die Marktgemeinde Millstatt ficht gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG die §§46 Abs3, 53 Abs3 und 77 lita des Ktn.
Gemeindestruktur-Verbesserungsgesetzes vom 29. Juli 1972, LGBl. 63 (künftig: GStVG), wegen Verfassungswidrigkeit an.
2.1. Diese Bestimmungen lauten:
§46 Abs3:
"Von der Marktgemeinde Millstatt wird der Stadtgemeinde Spittal an der Drau jener Teil angeschlossen, der südwestlich und westlich der nachstehend beschriebenen Grenzlinie gelegen ist:
..." (es folgt eine genaue Gebietsumschreibung).
§53 Abs3:
"Von der Marktgemeinde Millstatt wird der Gemeinde Ferndorf jener Teil angeschlossen, der südlich der nachstehenden beschriebenen Grenzlinie gelegen ist:
..." (es folgt eine genaue Gebietsumschreibung).
§77 (angefochten ist nur dessen lita):
"Liegenschaften und Bestandverträge
Die Gemeinde, der ein Teil einer anderen Gemeinde angeschlossen wird, ist für den Bereich dieses Gebietes Rechtsnachfolgerin:
a) hinsichtlich des gemeindlichen Liegenschaftsvermögens samt Zubehör und
b) hinsichtlich der von der früheren Gemeinde abgeschlossenen Bestandverträge."
2.2. Die Aufhebung wird im wesentlichen aus folgenden Gründen begehrt:
Zufolge §46 Abs3 würden die südlichen Teile von Millstatt, die "im großen und ganzen die Katastralgemeinde Großegg bilden", von der Marktgemeinde Millstatt abgetrennt und der Stadtgemeinde Spittal an der Drau angeschlossen. Die Abtrennung der Katastralgemeinde Großegg bedeute für die Marktgemeinde Millstatt "einen auf die Zukunft wirkenden nichtwiedergutzumachenden Verlust", da die Aufschließung und Verbauung dieses am unverbauten Südufer des Millstätter Sees liegenden Gebietes zu befürchten sei. Damit würden "jahrzehntelange Bemühungen der Marktgemeinde Millstatt, dieses Erholungsgebiet für den Fremdenverkehr zu erhalten, zunichte gemacht". Innerhalb dieses Gebietes befänden sich die Liegenschaften EZ 54, 58 und 68 KG Großegg, an denen die Marktgemeinde Millstatt mit Tausch- und Kaufverträgen Privateigentum grundbücherlich erworben habe. Aufgrund des §77 GStVG iVm §46 Abs3 leg. cit. sei hinsichtlich dieser Liegenschaften das Eigentumsrecht für die Stadtgemeinde Spittal an der Drau grundbücherlich einverleibt worden. Durch die "zitierten Grundankäufe wollte die Marktgemeinde Millstatt vorerst eine Verbauung dieser Gebiete verhindern, um sodann Raum für das geplante Erholungszentrum zu erhalten. Es werde hinzugefügt, daß der Marktgemeinde Millstatt durch diese Gebietsabtrennung außerdem ein jährliches Steueraufkommen von rund S 250.000,-" entgehe. Rein geographisch gesehen gehöre die Katastralgemeinde Großegg zum Seegebiet und nicht zum Gebiet der Stadtgemeinde Spittal, deren Entwicklung ihren Schwerpunkt im Drautal habe. Die Abtrennung dieses Gebietes und seine Anschließung an die Stadtgemeinde Spittal sei als geradezu "naturwidrig" anzusehen.
Hinsichtlich der Anfechtung des §53 Abs3 GStVG bestünden die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken, da es sich hier um Gebiete des Sees und seiner Nachbarlandschaft handle. Auch bei der Abtrennung dieser Gebiete und deren Zuweisung an die Gemeinde Ferndorf handle es sich um Teile der KG Großegg; ein Unterschied bestehe nur insofern, als die Marktgemeinde Millstatt in den der Gemeinde Ferndorf zugewiesenen Gebieten kein zivilrechtliches Eigentum besessen habe.
Keine Bedenken bestünden seitens der Antragstellerin gegen die Zuteilung eines kleinen Teiles der reinen Seeparzelle an die Marktgemeinde Radenthein; die Absätze 5 und 6 des §48 GStVG, durch welche Bestimmungen diese Gebietsveränderung verfügt würden, blieben daher unangefochten.
Die Legitimation zur Antragstellung nach Art140 Abs1 B-VG stehe schon deshalb zu, weil sie gemäß §47 Abs2 GStVG Rechtsnachfolgerin der bisherigen Marktgemeinde Millstatt sei und weil §77 lita GStVG eine Enteignung unmittelbar ausspreche, ohne daß es eines weiteren gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens bedürfe; der Antragstellerin stünde weder gegen die deklarative Eintragung des Eigentumsüberganges im öffentlichen Buch noch sonst ein anderer Rechtsweg offen.
Die angefochtenen Gesetzesstellen seien verfassungswidrig. Da ein öffentliches Interesse an der verfügten Enteignung nicht vorliege, verstoße §77 lita GStVG gegen Art5 StGG; alle angefochtenen Gesetzesstellen verletzten den sich aus Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG ergebenden Gleichheitsgrundsatz.
2.3. Über Aufforderung des VfGH legte die Antragstellerin die Protokolle der Gemeinderatssitzungen der Marktgemeinde Millstatt vom 31. August 1977 und vom 7. April 1978 vor, in welchen über die vorliegende Anfechtung Beschluß gefaßt worden war.
3. Die Ktn. Landesregierung bestreitet in der von ihr erstatteten Äußerung vorerst, daß der vorliegende Individualantrag in der Beschlußfassung des Gemeinderates der Marktgemeinde Millstatt Deckung finde. Aus §35 Abs2 AGO ergebe sich, daß der Gemeinderat sowohl über das "Ob" einer Beschwerdeführung als auch über den Inhalt der Beschwerde Beschluß zu fassen habe. Aus der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung vom 31. August 1977 ergebe sich lediglich ein grundsätzlicher Beschluß, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Grundstücke in der Laggerbucht zu erhalten und die Interessen der Marktgemeinde ua. beim VfGH zu vertreten, der aber nach Auffassung der Ktn. Landesregierung nicht ausreiche, die eingebrachte Beschwerde gemäß §24 VerfGG abzudecken. Es handle sich hiebei nicht um ein bloßes Formgebrechen, sondern um einen Mangel, der eine sachliche Erledigung der Beschwerde nicht zulasse.
Der Zulässigkeit des Antrages stehe aber weiters entgegen, daß gemäß §77 lita GStVG die Gemeinde, der ein Anteil einer anderen Gemeinde angeschlossen werde, für den Bereich dieses Gebietes Rechtsnachfolgerin hinsichtlich des gemeindlichen Liegenschaftsvermögens samt Zubehör sei. In diesem Zusammenhang werde bemerkt, daß die ehemalige Gemeinde Millstatt gemäß §47 Abs1 GStVG keine heute noch bestehende Rechtsperson darstelle; Rechtsnachfolgerin sei vielmehr eine neue Gemeinde gleichen Namens. Der von der (nunmehrigen) Marktgemeinde Millstatt behauptete Eingriff hätte allenfalls von der ehemaligen Marktgemeinde Millstatt behauptet werden können. Die am 31. Dezember 1972 noch existierende Marktgemeinde Millstatt habe gemäß §47 GStVG zu existieren aufgehört; hinsichtlich dieser Regelung werde von der Marktgemeinde Millstatt nicht behauptet, daß sie verfassungswidrigerweise in ihre Rechte eingreife. Durch §47 werde eine völlig neue Rechtsperson "Marktgemeinde Millstatt" geschaffen; es erscheine ausgeschlossen, daß diese neue Rechtsperson in Rechten verletzt sei, die im Zuge der Neuordnung der Gemeindestruktur anderen Gemeinden zugesprochen worden seien. Nach Ansicht der Ktn. Landesregierung behauptet die Marktgemeinde Millstatt somit nicht die Verletzung eigener verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, sondern solcher, die gemäß §46 Abs3 iVm §77 lita GStVG der Stadtgemeinde Spittal an der Drau und hinsichtlich §53 Abs3 iVm §77 lita GStVG der Gemeinde Ferndorf zustünden.
Es wird daher primär die Zurückweisung des vorliegenden Antrages begehrt.
Die Ktn. Landesregierung verteidigt aber auch die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Gesetzesstellen und beruft sich hinsichtlich der Sachlichkeit der Strukturverbesserungsmaßnahmen auf die Ergebnisse umfangreicher Untersuchungen, die in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage und in den dem VfGH vorgelegten Berichten über die Neuordnung der Gemeindestruktur dargelegt werden.
Sie beantragt daher für den Fall der Zulässigkeit des Individualantrages, diesen abzuweisen und auszusprechen, daß die angefochtenen Gesetzesstellen nicht verfassungswidrig sind.
4. Zur Frage der Zulässigkeit des Individualantrages wurde erwogen:
4.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen (Gesetzesbestimmungen) auch auf Antrag einer Person. Wie der VfGH in ständiger Judikatur - beginnend mit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 - ausgesprochen hat, ist ua. grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation, daß das bekämpfte Gesetz (die bekämpfte Gesetzesbestimmung) nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift und diese - im Falle der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes (der Gesetzesbestimmung) - verletzt.
4.2. Es erübrigt sich, auf die Frage einzugehen, inwieweit die vorliegende Anfechtung in der Beschlußfassung des Gemeinderates der Marktgemeinde Millstatt Deckung findet, da sich der auf Art140 B-VG gestützte Antrag aus folgenden Gründen als unzulässig erweist:
4.3.1. Gemäß §47 Abs1 GStVG wurde die Marktgemeinde Millstatt in dem sich aus §§46, 48 und 53 und die Gemeinde Obermillstatt in dem sich auf §48 ergebenden Gebietsumfang zur Marktgemeinde Millstatt vereinigt. Gemäß Abs2 leg. cit. ist die Marktgemeinde Millstatt Rechtsnachfolgerin der bisherigen Gemeinde gleichen Namens und der Gemeinde Obermillstatt.
Nach §77 lita GStVG ist die Gemeinde, der ein Teil einer anderen Gemeinde angeschlossen wird, für den Bereich dieses Gebietes Rechtsnachfolgerin insbesondere hinsichtlich des gemeindlichen Liegenschaftsvermögens.
4.3.2. Wie der VfGH bereits in VfSlg. 6697/1972 ausgesprochen hat, enthält das B-VG eine Bestandsgarantie für die Gemeinde nur als Institution (vgl. insbesondere Art116 Abs1 B-VG), sie garantiert aber der individuellen Gemeinde kein absolutes Recht auf "ungestörte Existenz". Maßnahmen, die bewirken, daß eine Gemeinde gegen ihren Willen als solche zu bestehen aufhört, sind im Rahmen des Bundesverfassungsrechtes durchaus zulässig. Sie sind weder durch die Vorschriften des B-VG über den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde noch durch das verfassungsgesetzliche Verbot einer nicht im öffentlichen Interesse gelegenen Enteignung (Art5 StGG) ausgeschlossen. Der VfGH hat in dem zitierten Erk. weiters ausgesprochen, daß das Recht einer Gemeinde, sich gegen eine den Untergang ihrer rechtlichen Existenz nach sich ziehende Vereinigungsmaßnahme zu wehren, ein höchstpersönliches ist, das nach ihrem Untergang nicht auf eine neue Gemeinde übergehen kann. Dies schließt aus, daß die Antragstellerin in Rechten verletzt sein kann, die den untergegangenen Gemeinden zugestanden sind.
4.3.3. In ihrer eigenen, durch §47 GStVG begründeten Rechtssphäre kann die Antragstellerin durch die bekämpften Bestimmungen ebensowenig berührt worden sein. Der Gesetzgeber kann, ja er muß nämlich über Rechte, die untergegangenen Gemeinden zustanden, disponieren und sie anderen Rechtsträgern zuweisen. Dies hat er durch §47 und die bekämpften Gesetzesbestimmungen auch getan. Demnach wurde die Rechtssphäre der antragstellenden Gemeinde erst durch die Bestimmungen des GStVG begründet, und zwar nur in dem Rahmen, in dem der Gesetzgeber der neuen Gemeinde Rechte zuwies. Die durch die angefochtenen Bestimmungen anderen Gemeinden zugewiesenen Gebiete und Rechte haben der antragstellenden Gemeinde, wie sich aus den hiefür allein maßgeblichen Bestimmungen des GStVG ergibt, niemals gehört, sie waren in die der neuen Gemeinde zustehende Rechtssphäre nie integriert. Die Antragstellerin kann durch die bekämpften Maßnahmen demnach auch nicht betroffen sein.
Damit mangelt der Antragstellerin die Legitimation zur Bekämpfung der angefochtenen Gesetzstellen, da diese Bestimmungen in ihre, erst durch das GStVG begründete Rechtssphäre nicht eingreifen konnten.
Der Antrag war daher mangels Legitimation zurückzuweisen.
Schlagworte
Gemeinderecht, Gemeinderecht Zusammenlegung, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:G3.1979Dokumentnummer
JFT_10179682_79G00003_00