TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/11 B212/80

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Veröffentlicht am 11.06.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs2
StGG Art8
StGG Art9

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; rechtmäßige Verhaftung nach §175 Abs1 Z2 iVm §177 Abs1 Z2 StPO; kein Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit durch die erfolgte Personsdurchsuchung

Spruch

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird, soweit sie sich gegen die Festnahme richtet, abgewiesen. Soweit die Beschwerde die Personsdurchsuchung betrifft, wird sie dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch diesen Verwaltungsakt in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß er am 19. März 1980 kurz nach 14,00 Uhr von einem Sicherheitswachebeamten (SWB) der Bundespolizeidirektion Innsbruck deshalb festgenommen worden sei, weil er in Innsbruck am Sparkassenplatz seine Füße auf eine Parkbank gelegt habe. Nach der Festnahme habe der Beamte die Kleidung des Beschwerdeführers durchsucht, worauf dieser - allerdings vergeblich - versucht habe, zu flüchten. In der Folge sei der Beschwerdeführer angehalten und erst nach vier Stunden wieder freigelassen worden.

Weder die Verhaftung noch die Personsdurchsuchung seien durch das Gesetz gedeckt gewesen. Der Beschwerdeführer erachtet sich deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Er beantragt, diese Rechtsververletzung kostenpflichtig festzustellen. Hilfsweise begehrt er die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.

2. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck, vertreten durch die Finanzprokuratur, schildert in ihrer Gegenschrift das Geschehen anders:

Der Beschwerdeführer habe sich dadurch, daß er auf einer Parkbank ausgestreckt gelegen und mit den Füßen die Sitzfläche beschmutzt habe, ordnungsstörend iS des ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 verhalten. Über Aufforderung des SWB Insp. E. B. habe der Beschwerdeführer zwar zunächst die Füße von der Bank genommen, sich jedoch, als sich der Beamte entfernte, wieder auf die Bank gelegt. Der Beschwerdeführer habe sich, obgleich er vom Beamten hiezu aufgefordert worden sei, nicht ausgewiesen. Der Beamte habe das Klirren metallischer Gegenstände in der Tasche des Beschwerdeführers gehört. Da sich der Beschwerdeführer zu diesen Gegenständen nicht äußern und sie auch nicht vorweisen habe wollen, habe der Beamte in die Außentasche des Mantels des Beschwerdeführers gegriffen und einen Schlagring zu Tage gefördert. In diesem Augenblick sei der Beschwerdeführer geflüchtet. Der Beamte habe ihn jedoch einholen und festhalten können. Nun habe der Beamte den Beschwerdeführer durchsucht und zwei Ausweise gefunden; auf dem Schülerausweis sei erkennbar der Geburtsmonat gefälscht gewesen. Schließlich habe der SWB einen an der Spitze zugeschliffenen Schraubenzieher sichergestellt, von dem der Beamte angenommen habe, daß es sich um ein Tatwerkzeug zum Aufstechen von Autoreifen handle. Jetzt habe der SWB formell die Festnahme des Beschwerdeführers ausgesprochen, der schließlich der Bundespolizeidirektion Innsbruck vorgeführt worden sei.

Die Festnahme des Beschwerdeführers sei sowohl nach §35 VStG als auch nach der StPO zulässig gewesen. Die Durchsuchung des Beschwerdeführers sei gleichfalls durch die StPO gedeckt gewesen.

Die belangte Behörde beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Festnahme des Beschwerdeführers und seine Anhaltung sowie die Durchsuchung seiner Kleidung wurden von einem Organ der Bundespolizeidirektion Innsbruck ohne Vorliegen eines richterlichen Befehles vorgenommen. Diese bekämpften Maßnahmen sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte, die nach Art144 Abs1 vorletzter Satz B-VG beim VfGH bekämpft werden können.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Landesgerichtes Innsbruck, 23 Vr 1882/80, Hv 293/81, und in den Verwaltungsstrafakt der Bundespolizeidirektion Innsbruck, St 528/80, sowie durch die im Rechtshilfeweg erfolgte Vernehmung der SWB Insp. E. B., Abt.-Insp. F. M., Bez.-Insp. W. F., Insp. G. H. und Insp. M.

L. als Zeugen und des Beschwerdeführers als Partei.

b) Der Gerichtshof nimmt auf Grund dieser Beweise folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 19. März 1980 kurz nach 14,00 Uhr bemerkte der Zeuge Insp. B. in Innsbruck am Sparkassenplatz den auf einer Bank liegenden Beschwerdeführer. Dieser kam der Aufforderung des Beamten, seine Füße von der Bank zu geben, nur zögernd nach. In der Zwischenzeit hatten sich mehrere Personen angesammelt, die ihren Unmut über das Verhalten des Beschwerdeführers äußerten. Als sich der SWB umdrehte, legte der Beschwerdeführer seine Füße neuerlich auf die Parkbank. Der Beamte forderte ihn nunmehr - um weiteres Aufsehen zu vermeiden - auf, ihm zum wenige Meter entfernten Sparkassendurchgang zu folgen und sich auszuweisen. Der Beschwerdeführer folgte dem SWB ohne Widerrede. Er erklärte jedoch, keinen Ausweis bei sich zu haben. Der Beamte verlangte nun aus Sicherheitsgründen vom Beschwerdeführer, die von ihm mitgeführten Gegenstände vorzuzeigen. Als der Beschwerdeführer in seine Manteltasche griff, hörte Insp. B. das Klirren metallischer Gegenstände. Daraufhin griff der SWB in diese Manteltasche; er fand dort einen Schlagring und einen an der Spitze zugeschliffenen Schraubenzieher; er stellte diese Gegenstände sicher. In diesem Augenblick flüchtete der Beschwerdeführer. Der Beamte konnte ihn aber nach etwa 200 bis 300 Metern in der Gilmstraße einholen. Nun erklärte er ihn als festgenommen.

Der Beschwerdeführer wurde sodann mit einem Funkstreifenwagen ins Wachzimmer Innere Stadt gebracht, wo ihn Insp. B. neuerlich durchsuchte. Er fand bei ihm mehrere Ausweise, darunter einen Schülerausweis, auf dem offenbar der Geburtsmonat gefälscht worden war. Nachdem der Beschwerdeführer prioriert und von einem Kriminalbeamten einvernommen worden war, wurde er am selben Tag um etwa 18,30 Uhr aus der Haft entlassen.

Der Beschwerdeführer wurde wegen des Liegens auf einer Parkbank rechtskräftig der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 (Ordnungsstörung) schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe von S 500,- (Ersatzarreststrafe in der Dauer von 25 Stunden) verhängt. Der VwGH hat mit Erk. vom 18. November 1981 Z 81/10/0099 die gegen den im Instanzenzug ergangenen Strafbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 27. Mai 1981 erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Landesgericht Innsbruck hat mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Juli 1980, 23 Vr 1882/80, Hv 250/80 den Beschwerdeführer der Vergehen nach §223 Abs1 und §224 StGB sowie nach §36 Abs1 litb Waffengesetz schuldig erkannt, weil er

"1. im Jänner 1979 den von der HTL ausgestellten Schülerausweis, somit eine echte inländische öffentliche Urkunde, durch Änderung des Geburtsdatums vom 16. 11. 1962 auf 16. 1. 1962 mit dem Vorsatz verfälscht habe, sie im Rechtsverkehr zum Beweise eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache zu gebrauchen;

2. am 19. März 1980 eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring, unbefugt besessen habe."

c) Bei der Feststellung dieses Sachverhaltes konnte sich der VfGH auf die unbedenklichen Aussagen der vernommenen Zeugen, insbesondere des Zeugen Insp. B. stützen, die in den hier bedeutsamen Belangen von den Angaben des Beschwerdeführers nicht wesentlich abweichen.

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH beantragt, den seinerzeit sichergestellten Schlagring zum Beweis dafür beizuschaffen, daß der SWB in der im Zuge dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Bezirksgericht Innsbruck im Rechtshilfeweg am 24. Feber 1982 abgelegten Zeugenaussage den Schlagring unrichtig geschildert habe. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben, weil aus dem Umstand, daß sich der Beamte möglicherweise an ein unwesentliches Detail eines lang zurückliegenden Vorfalles nicht mehr genau erinnern kann, keinesfalls die Unglaubwürdigkeit dieses Zeugen abgeleitet werden kann.

3. a) Der VfGH beurteilt die festgestellte Verhaftung unter dem Gesichtspunkt des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit wie folgt:

Der Beschwerdeführer wurde vom SWB erst in der Gilmstraße festgenommen. Die zum früheren Zeitpunkt vom Beamten an den Beschwerdeführer gerichteten Aufforderungen mitzukommen, hatten keinen befehlenden Charakter; es wäre dem Beschwerdeführer freigestanden, diese Einladungen abzulehnen, ohne daß er deshalb unmittelbar Folgen zu gewärtigen gehabt hätte.

Der VfGH geht davon aus, daß der Beschwerdeführer im Dienste der Strafjustiz ohne Vorliegen eines Haftbefehles verhaftet und in der Folge rund vier Stunden in vorläufiger Verwahrung gehalten wurde. Es ist daher nach §177 iVm §175 StPO zu prüfen, ob die Verhaftung in einem der "vom Gesetz bestimmten Fälle" iS des §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, erfolgt ist. Dies trifft zu:

Die im Zeitpunkt der Verhaftung dem einschreitenden SWB bekannten Umstände rechtfertigten seine Annahme, daß der Beschwerdeführer der Vergehen nach §36 Abs1 litb Waffengesetz (unbefugter Besitz einer verbotenen Waffe) und nach §125 StGB (Sachbeschädigung) verdächtig sei: Zum Zeitpunkt, an dem ihn Insp. B. (in der Gilmstraße) als festgenommen erklärte, hatte der Beamte den Schlagring (eine verbotene Waffe iS des §11 Abs1 Z5 Waffengesetz) und den zugeschliffenen Schraubenzieher beim Beschwerdeführer entdeckt. Dem Beamten war bekannt, daß kurz zuvor in Innsbruck an mehreren Fahrzeugen durch unbekannte Täter Reifen aufgestochen worden waren, weshalb ihm der Verdacht gerechtfertigt erschien, daß der an der Spitze zugeschliffene Schraubenzieher als Tatwerkzeug gedient haben könnte. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer unmittelbar vor der Festnahme versucht hatte, dem Sicherheitswachebeamten davonzulaufen, konnte der SWB auch annehmen, daß Fluchtgefahr nach §175 Abs1 Z2 StPO bestehe.

Zur selbständigen Beurteilung und Wahrnehmung des oben erwähnten Haftgrundes war der gegen den Beschwerdeführer einschreitende SWB der Bundespolizeidirektion Innsbruck jedoch nur nach Maßgabe des §177 Abs1 Z2 StPO befugt, also wenn die Einholung eines richterlichen Befehles wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich war. Bei der gegebenen Situation war es, um den Zweck der Amtshandlung nicht zu gefährden, ausgeschlossen, einen richterlichen Befehl einzuholen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Festnehmung im Gesetz begründet war.

Der Beschwerdeführer wurde nicht unnötig lang angehalten. Er wurde sofort nach Priorierung und niederschriftlicher Einvernahme entlassen.

Aus den dargelegten Erwägungen folgt, daß der Beschwerdeführer durch die vorgenommene Verhaftung im - hier ausschließlich in Betracht kommenden - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden ist.

Anhaltspunkte dafür, daß die die Verhaftung stützenden gesetzlichen Bestimmungen verfassungswidrig wären, haben sich unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles nicht ergeben. Der Beschwerdeführer ist sohin durch die Festnahme auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde war daher, soweit sie sich auf die Verhaftung bezieht, abzuweisen.

b) Da der VfGH unter dem Blickwinkel des Rechtes auf persönliche Freiheit die Gesetzmäßigkeit einer Verhaftung schlechthin zu prüfen hat, wird mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, ausschließlich die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht. Eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH kommt also insoweit nicht in Betracht (vgl. VfSlg. 8654/1979, S 176).

4. a) Der VfGH beurteilt die bekämpften Personsdurchsuchungen, bei denen ein Schlagring, ein Schraubenzieher und mehrere Ausweise gefunden und sichergestellt wurden, die Sicherstellung dieser Gegenstände ist nicht angefochten rechtlicht wie folgt:

Diese Amtshandlungen waren nicht auf die Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers gerichtet, sondern vielmehr ausschließlich auf die Durchsuchung seiner Person; sie stellen sich demnach nicht als Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers dar (vgl. VfSlg. 7298/1974, S 215).

Der Beschwerdeführer ist durch diese Personsdurchsuchungen in seinem Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist weder behauptet worden noch sonst hervorgekommen. Insbesondere stellt die Personsdurchsuchung keine Hausdurchsuchung iS des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 88/1862, dar (vgl. zB VfSlg. 8668/1979, S 214).

Da der VfGH unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die Rechtsgrundlagen, auf die die belangte Behörde die Personsdurchsuchung stützt (§§139 ff. StPO) keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat, ist der Beschwerdeführer durch die Personsdurchsuchungen auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war daher auch in dieser Hinsicht abzuweisen.

b) Sie war jedoch gemäß Art144 Abs2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 350/1981 (vgl. deren ArtIV) dem VwGH abzutreten.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Personsdurchsuchung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B212.1980

Dokumentnummer

JFT_10179389_80B00212_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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