TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/11 B123/78

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.1982
beobachten
merken

Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art5
EStG 1967 §6e Abs6
EStR 1968

Leitsatz

EStG 1972; keine denkunmögliche Anwendung des §6e Abs6; EStR 1968 - kein Verordnungscharakter

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer betrieb bis 31. März 1972 die Erzeugung und Reparatur von Elektrogeräten und den Großhandel mit Elektrogeräten in Form eines Einzelunternehmens; dieses bilanzierte nach Kalenderjahren. Mit 1. April 1972 erfolgte die Umwandlung des Unternehmens in eine Kommanditgesellschaft, an der die Elektrogeräte Gesellschaft m. b. H. als Komplementär und der Beschwerdeführer als Kommanditist beteiligt sind. Dadurch ergab sich für das Einzelunternehmen ein Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Jänner bis zum 31. März 1972.

b) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 28. Oktober 1977 wurde dem Beschwerdeführer ua. für dieses Rumpfwirtschaftsjahr Einkommensteuer vorgeschrieben und der Gewerbesteuermeßbetrag festgesetzt.

Der Beschwerdeführer hatte im Rumpfwirtschaftsjahr (1. Jänner bis 31. März 1972) aus den in den Jahren 1968 und 1970 zu Lasten der Gewinne aus dem Gewerbebetrieb gebildeten Rücklagen S 2,846.320,-

entnommen. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers löste die belangte Behörde diese (steuerfrei gebildeten) Rücklagen gemäß §6e Abs6 des Einkommensteuergesetzes 1967, BGBl. 268 (EStG 1967), mit einem Teilbetrag von S 817.444,- (gewinnerhöhend) auf, weil die Entnahmen des Rumpfwirtschaftsjahres

1. Jänner bis 31. März 1972 von ...................... S 2,846.320,-

den aliquoten berichtigten Jahresgewinn 1971

(ein Viertel von S 8,115.503,-) von .................. S 2,028.876,-

                                                       -------------

um den aufgelösten Teilbetrag der Rücklage von ....... S   817.444,-

überstiegen hätten.

2. Mit der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird der erwähnte Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 28. Oktober 1977 insoweit angefochten, als "er in dem Wirtschaftsjahr vom 1. 1. bis 31. 3. 1972 gemäß §6e EStG 1967 gebildete Rücklagen für nicht entnommenen Gewinn gewinnerhöhend auflöst, hiefür Einkommensteuer und Gewerbeertragsteuer und überdies für beide Steuerarten Zuschläge gemäß §6e Abs7 EStG 1967 vorgeschrieben hat". Der Beschwerdeführer erklärt ausdrücklich, die übrigen Feststellungen und Vorschreibungen des Bescheides nicht anzufechten.

Der Beschwerdeführer behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Er begehrt, den angefochtenen Bescheid als verfassungswidrig aufzuheben. Hilfsweise beantragt er die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.

3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Bei Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 1972 war noch das EStG 1967 anzuwenden (vgl. §124 Abs1 des Einkommensteuergesetzes 1972, BGBl. 440).

§6e Abs6 EStG 1967 lautet:

"Wenn in einem der auf das Jahr der Bildung der Rücklage folgenden fünf Wirtschaftsjahre die Entnahmen höher sind als der jeweilige Gewinn des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres, so sind die steuerfrei gebildeten Rücklagen im Wirtschaftsjahr der Mehrentnahme entsprechend dem Betrag der Mehrentnahmen aufzulösen und zu versteuern. Hiebei sind die Mehrentnahmen zunächst auf die für das zeitlich am weitesten zurückliegende Wirtschaftsjahr gebildete Rücklage anzurechnen. Wird ein Betrieb unentgeltlich übertragen, so hat der Rechtsnachfolger die Rücklage in seiner Eröffnungsbilanz zu übernehmen (§6 Abs1 Z7); in diesem Fall sind die vorstehenden Bestimmungen auf den Rechtsnachfolger anzuwenden. Wird ein Betrieb veräußert oder aufgegeben, so sind die steuerfrei gebildeten Rücklagen zu diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen."

§6 des Gewerbesteuergesetzes 1953, BGBl. 2/1954 (GewStG 1953), bestimmt:

"(1) Gewerbeertrag ist der Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftssteuergesetzes zu ermitteln ist, vermehrt und vermindert um die in den §§7 bis 9 bezeichneten Beträge.

(2) Als Gewinn, der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes zu ermitteln ist, gilt der Gewinn iS der Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. ..."

b) Die im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung 1969 unter Punkt 120 verlautbarten Einkommensteuerrichtlinien 1968 (EStR 1968) (Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 29. April 1969, Z 253.186-9a/69) lauten auszugsweise:

"Diese Richtlinien stellen lediglich einen Behelf für die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung dar. ... Die Erläuterungen in den Richtlinien zu den einzelnen Gesetzesbestimmungen sind eine Zusammenfassung der Rechtsprechung der Höchstgerichte. Soweit eine solche Rechtsprechung nicht vorliegt, geben sie die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Finanzen wieder, die im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird. Aufgrund dieser Sach- und Rechtslage hat daher eine Zitierung dieses Erlasses in mündlichen oder schriftlichen Erledigungen zu unterbleiben. Es ist vielmehr zur Begründung einer Entscheidung auf die entsprechenden Erk. der Höchstgerichte zu verweisen oder diese Begründung originär aus dem Gesetz abzuleiten. ...

49. Nicht entnommener Gewinn (§6e)

...

(3) Sind in einem der auf das Jahr der Bildung der Rücklagen folgenden fünf Wirtschaftsjahre die Entnahmen höher als der jeweilige Gewinn des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres, so sind die steuerfrei gebildeten Rücklagen im Wirtschaftsjahr der Mehrentnahme entsprechend dem Betrag der Mehrentnahmen aufzulösen und zu versteuern. Hiebei sind die Mehrentnahmen zunächst auf die für das zeitlich am weitesten zurückliegende Wirtschaftsjahr gebildete Rücklage anzurechnen. Als Mehrentnahme ist der den Gewinn (vor Abzug der Rücklage für den nichtentnommenen Gewinn sowie der Gewerbesteuerrückstellung) des Vorjahres übersteigende Betrag der Entnahmen anzusetzen. Sind im selben Wirtschaftsjahr sowohl Entnahmen als auch Einlagen erfolgt, so werden diese Entnahmen und Einlagen bei Ermittlung der Mehrentnahme in der Regel gegeneinander aufzurechnen sein.

Der Vergleich der Höhe der Entnahmen mit dem Gewinn des Vorjahres setzt gleiche Zeiträume voraus. War das Vorjahr ein Rumpfwirtschaftsjahr von weniger als 12 Monaten, so muß der Gewinn des Vorjahres auf einen Jahresgewinn umgerechnet werden. Ist hingegen das Wirtschaftsjahr der Entnahme ein Rumpfwirtschaftsjahr, so muß der Gewinn des Vorjahres auf einen dem folgenden Rumpfwirtschaftsjahr entsprechenden Zeitraum umgerechnet werden (s. 111 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP).

..."

2. Die Beschwerde wird im wesentlichen wie folgt begründet:

a) Bei Erlassung des angefochtenen Bescheides seien die EStR 1968 angewendet worden. Der Betriebsprüfungsbericht berufe sich ausdrücklich auf sie; die belangte Behörde folge ihnen inhaltlich, auch wenn sie im angefochtenen Bescheid nicht zitiert werden.

Dieser Erlaß sei eine Rechtsverordnung. Mangels Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt sei er rechtswidrig.

b) Abschnitt 49 (3) zweiter Absatz EStR 1968 sei auch inhaltlich rechtswidrig (s. die folgende litc).

c) Die Behörde habe das Gesetz denkunmöglich angewendet. §6e Abs6 EStG 1967 vergleiche Wirtschaftsjahre. Ein Wirtschaftsjahr könne nach §2 Abs5 EStG 1967 wohl kürzer, nicht aber länger als zwölf Monate sein. Das Gesetz enthalte in keiner Weise die Ermächtigung bzw. Regelung, den Gewinn des Vorjahres auf einen dem folgenden Rumpfwirtschaftsjahr entsprechenden Zeitraum "umzurechnen". Die dem Gesetz entsprechende Berechnung sei daher hier wie folgt vorzunehmen:

Gewinn 1971 (berichtigt durch BP) .................... S 8,115.503,-

Entnahmen im Wirtschaftsjahr 1972 (I-III/1972) ....... S 2,846.320,-

                                                       -------------

Auflösung und Nachversteuerung                               0

Durch die Vorschreibung der Einkommensteuer und der Gewerbesteuer auf der Grundlage des von der belangten Behörde errechneten Betrages von S 817.444,- sei der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung und wegen denkunmöglicher Anwendung des §6e Abs6 EStG 1967 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

3. a) Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

b) Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 6928/1972 S 1214 f. dargetan, daß den EStR 1968 (s.o. II.1.b) im Hinblick auf ihren Eingang der Charakter einer der Prüfung durch den VfGH gemäß Art139 B-VG zugänglichen Verordnung nicht zukomme. Der Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen (vgl. zB auch VfSlg. 9256/1981 und die dort zitierte weitere Judikatur).

Die EStR 1968 waren nicht Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides.

Da beim VfGH keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides (s.o. II.1.a) entstanden sind, liegt in dieser Beziehung kein im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren wahrzunehmender Mangel dieses Bescheides vor.

c) Bei der gegebenen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte der Beschwerdeführer im Eigentumsrecht nur durch denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein.

Dies ist jedoch nicht der Fall:

Der Wortlaut des §6e Abs6 spricht vom "Wirtschaftsjahr", in dem die Entnahme vorgenommen wird, und setzt diese in Bezug zum Gewinn des "unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres". Dieser Wortlaut schließt die von der belangten Behörde angewendete Interpretation nicht aus; der Sinn der Regelung legt diese Auslegung eher nahe. So besagen die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend das EStG 1967 (111 BlgNR XI. GP, S 9) zur vorliegenden Frage folgendes:

"Der Vergleich mit dem Gewinn des Vorjahres setzt Zeiträume gleichen Ausmaßes voraus. Ist daher das Vorjahr ein Rumpfwirtschaftsjahr von weniger als zwölf Monaten, muß der Gewinn des Vorjahres auf einen Jahresbetrag umgerechnet werden. Ist das Jahr der Entnahme ein Rumpfwirtschaftsjahr, so muß der Gewinn des Vorjahres auf einen dem folgenden Rumpfwirtschaftsjahr entsprechenden Zeitraum umgerechnet werden."

Die Behörde kann ihre Auslegung auf Literatur (zB Zapletal - Hofstätter, Kommentar zum EStG 1967, Anm. 8 zu §6e) stützen.

Ob die Behörde das Gesetz nicht bloß denkmöglich, sondern auch richtig angewendet hat, ist nicht vom VfGH, sondern vom VwGH zu beurteilen.

d) Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer im Eigentumsrecht nicht verletzt worden ist.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Einkommensteuer, VerwaltungsV, Investitionsrücklage, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B123.1978

Dokumentnummer

JFT_10179389_78B00123_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten