TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/11 B441/81

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.1982
beobachten
merken

Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1

Leitsatz

Zivildienstgesetz; keine Verletzung des im §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 2, vom 10. April 1981, Z 120586/1-ZDK/2/81, wurde der von Dr. med. D. F. - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974 (ZDG) - gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht gemäß §2 Abs1 iVm §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

Begründend legte die ZDK ua. wörtlich dar:

"Zur Begründung Ihres Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht führten Sie im wesentlichen aus, bedingt durch Ihre ärztliche Ethik um die Erhaltung menschlichen Lebens und der Gesundheit bemüht zu sein. Körperliches und geistiges Wohlbefinden werde durch jede Gewaltanwendung gestört, somit auch durch den Dienst im Bundesheer. Die autoritären Strukturen militärischer Hierarchie unterdrückten Selbstbestimmung und demokratische Bestrebungen, welche Sinnerfüllung des Lebens darstellten. Der Sanitätsdienst stelle, da nicht wertfrei außerhalb des Bundesheeres, ebenfalls keine akzeptable Lösung dar. Sie würden im Hinblick auf die Effektivität moderner Waffen auch Verteidigungskriege ablehnen. Ausschließlich die gewaltfreie Verteidigung biete die Möglichkeit, Leben und kulturelle Werte zu erhalten, anstatt menschliches Leben politischen und wirtschaftlichen Interessen anderer Mächte zu opfern. Sie hätten bereits während des Besuches der Mittelschule sich für Gewaltfreiheit eingesetzt und durch Beschäftigung mit der jüngeren deutschen Geschichte sowie deren Folgen die Überzeugung zur Ablehnung jeder Form der Gewalt gewonnen. Die fehlende Chancengleichheit zwischen den sozialen Schichten innerhalb einer Bevölkerung sowie zwischen Staaten sei zwangsläufig Grund für Unruhen. Zur Lösung dieser Probleme hätten Sie sich in Graz marxistischen Gruppen angeschlossen; als Ihres Erachtens jedoch keine Möglichkeit zur Übereinstimmung in der Frage der Gewalt gegeben war, diese wieder verlassen. Auch ihre sonstigen Tätigkeiten in der gesundheitspolitisch orientierten Liste unabhängiger Mediziner oder im Arbeitskreis für Sozialmedizin bzw. im Rahmen der Hochschülerschaft der medizinischen Fakultät seien Ergebnis Ihrer Auseinandersetzung mit der Erhaltung eines lebenswerten Lebens. Den Beruf als Arzt hätten Sie gewählt, um Leben zu bewahren und Gesundheit zu fördern; die Zugehörigkeit zu einer militärischen Organisation stünde hiezu im Widerspruch.

... Auf Grund Ihres schriftlichen und mündlichen Vorbringens sowie nicht zuletzt auf Grund des von Ihnen vermittelten persönlichen Eindruckes gelangte die Zivildienstkommission zu der Ansicht, daß Sie zwar ein engagierter Gegner einer militärischen Landesverteidigung Österreichs sind, im Grunde aber die materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 Zivildienstgesetz nicht erfüllen. Ihre Ausführungen richten sich unentwegt gegen Gewalt (physischer wie psychischer) und beinhalten ein durchaus glaubhaftes Bekenntnis zur Ablehnung dieser Gewalt. Sie brachten aber praktisch nichts vor, was auf Ihre persönlichen schwerwiegenden Gewissensgründe im Falle Ihrer militärischen Dienstleistung näher hindeutet.

... Ihr Zivildienstantrag erweist sich daher insoferne als mangelhaft, weil Sie für Ihre Person nichts dargetan haben, weshalb Sie im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würden. Ihr Antrag war daher schon aus diesem Grunde nach der herrschenden Rechtsprechung des VfGH abzuweisen (s. VfGH v. 17. 3. 1980 B102/76).

Nur ergänzend sei ausgeführt, daß Sie zwar andeutungsweise von der Überprüfung des Gewissens sprachen, das sich Ihrer Ansicht nach an Hand einiger Fakten gar nicht überprüfen lasse. Es könne höchstens im täglichen Umgang mit Problemen und Menschen erfaßt werden. Was Sie zur näheren Erläuterung anführen, ist aber nichts anderes als die Suche eines jungen Menschen nach seinem politischen Standpunkt in dieser Welt und das Streben, sich der für Sie optimalst erscheinenden Form der Medizin zu widmen.

... Ihre weiteren Ausführungen schließlich, daß die autoritären Strukturen militärischer Hierarchie Selbstbestimmung und demokratische Bestrebungen unterdrückten, deuten darauf hin, daß Sie wegen Ihrer individualistischen Wesensart nicht bereit sind, sich militärischen Zwängen unterzuordnen, mögen diese auch im österreichischen Bundesheer im Vergleich zu anderen Staaten noch in mildester Form zu finden sein. ..."

1.2.1. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH; der Beschwerdeführer beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.2.2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfGH 12. 3. 1982 B561/81).

2.2. Die ZDK gelangte - nach dem offenkundigen Sinn- und Aussagegehalt der Begründung des angefochtenen Bescheides insgesamt - zum Ergebnis, dem Beschwerdeführer sei die im §2 Abs1 ZDG vorausgesetzte Glaubhaftmachung, daß er die Anwendung von Gewalt gegen andere Menschen aus Gewissensgründen ablehne, nicht gelungen. Der VfGH ist der Auffassung, daß der Beschwerdeführer nach Lagerung des Falles zwar seine Abneigung gegen die Anwendung von Waffengewalt darzutun vermochte, daß er aber damit nicht zugleich Gewissensgründe iS des §6 Abs2 ZDG glaubhaft machte. Hiezu hätte es hier - insbesondere unter Berücksichtigung des hohen Bildungsgrades des Antragstellers - spezifischer weiterer Darlegungen bedurft, weil die Bekundung der Überzeugung von der Einmaligkeit und Erhaltungswürdigkeit menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit, die ja eines der Ziele jeder Heranbildung - vor allem zum Humanarzt - ist, für sich allein genommen noch keineswegs als hinreichende Glaubhaftmachung von Gewissensgründen in der Bedeutung des §6 Abs2 ZDG angesehen werden kann (s. schon VfSlg. 8811/1980). Dies wurde hier von der belangten ZDK im Ergebnis durchaus zutreffend erkannt:

Insbesondere tat nämlich der Beschwerdeführer für seine Person nicht entsprechend dar, weshalb er bei Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geriete (s. VfSlg. 8033/1977, 8390/1978, 8787/1980, ferner auch das von der ZDK zitierte Erk. VfGH 17. 3. 1980 B102/76 = VfSlg. 8788/1980). Der in der Beschwerdeschrift der Sache nach verfochtenen Auffassung, daß sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Administrativverfahren eine drohende Gewissensnot gleichsam von selbst ergebe, kann der VfGH unter den obwaltenden Verhältnissen nicht beipflichten. Im übrigen erschöpft sich das Beschwerdevorbringen in weiten Teilen nach Inhalt und Zielsetzung bloß in einer subjektiven Kritik der freien Beweiswürdigung der ZDK und einzelner Begründungselemente des angefochtenen Bescheides, ohne der belangten Behörde unterlaufene entscheidungswichtige Verstöße im verfassungsrechtlichen Bereich aufzuzeigen, sodaß auf diese Beschwerdeabschnitte - schon aus dieser Erwägung - nicht näher einzugehen war.

Da die ZDK demgemäß in Würdigung und Wertung der gesamten Einlassungen des Antragstellers davon ausgehen konnte, daß Gewissensnot im Fall der Leistung des Wehrdienstes nicht glaubhaft gemacht sei, liegt keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vor.

2.3. Da schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B441.1981

Dokumentnummer

JFT_10179389_81B00441_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten