TE Vfgh Beschluss 1982/6/15 G72/81

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Veröffentlicht am 15.06.1982
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Index

L3 Finanzrecht
L3400 Abgabenordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AVG §68
Tir LAO 1963 §220 Abs2
Tir LAO 1963 §222

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung der §§220 Abs2 und 222 der Tir. Landesabgabenordnung; keine Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Die antragstellende Aktiengesellschaft begehrt gemäß Art140 B-VG die Aufhebung der §§220 Abs2, 222 der Tir. Landesabgabenordnung (TLAO), LGBl. 7/1963 wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG.

In §220 Abs2 TLAO ist vorgesehen, daß ein Bescheid von der Oberbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen eines Widerspruches zu zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen aufgehoben werden kann. Nach §222 TLAO steht niemandem ein Anspruch auf die Ausübung des der Behörde gemäß den §§220 und 221 zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechtes zu.

2. Seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 hat der VfGH den (in erster Linie auf der Entstehungsgeschichte der B-VG-Nov. BGBl. 302/1975 beruhenden) Standpunkt eingenommen, daß dieser Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (vgl. zB VfGH 8890/1980).

Ein solcher Weg ist hier aus folgenden Gründen gegeben:

Der VwGH vertritt seit dem Beschluß seines verstärkten Senates VwSlg. 9458 A/1977 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß jede Partei des Verwaltungsverfahrens Anspruch auf Erlassung eines Bescheides habe, wenn ein Antrag oder eine Berufung offen ist. Dieser Anspruch sei auch dann gegeben, wenn die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrages oder der Berufung vorliegen. In diesem Fall habe die Partei Anspruch auf Erlassung eines Bescheides betreffend die Zurückweisung ihres Antrages oder ihrer Berufung. Demnach sei zur Einbringung einer Säumnisbeschwerde nach Art132 B-VG beim VwGH auch ein Antragsteller legitimiert, welcher als Partei im Verwaltungsverfahren berechtigt war, die Entscheidungspflicht der belangten Behörde geltend zu machen, auch wenn die Entscheidung nach der Rechtslage nur in einer Zurückweisung bestehen könne. In dieser nunmehr ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa die Erk. des VwGH vom 6. 12. 1978 Z 1350/77, 10. 10. 1979 Z 755/79, 11. 1. 1980 Z 1438/79, 22. 1. 1980 Z 977/79 und 17. 11. 1980 Z 219/80) geht der VwGH davon aus, daß diese Entscheidungspflicht der Behörde auch im Streit um Parteistellung und Antragsbefugnis besteht, insoweit diese zur Entscheidung stehen. In dem hier relevanten Bereich der Ausübung des Aufsichtsrechtes vertritt der VwGH allerdings nach wie vor in ständiger Rechtsprechung (vgl. VwSlg. 1698 A/1950, 6567 A/1965 und 8613 A/1974 sowie VwGH 8. 9. 1978 Z 297/77, 30. 10. 1978 Z 2817, 2818/78 und 5. 9. 1980 Z 620/78) in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung der Lehre (Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I S 415 f., 423; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes,

2. Auflage, S 205; Mannlicher - Quell, Das Verwaltungsverfahren, erster Halbband, S 378; abweichend Kopp, Probleme der Abänderung und Behandlung von Bescheiden gemäß §68 AVG, ZfV 1977, S 389 ff., insbesondere S 393 f.) den Standpunkt, daß niemandem ein Rechtsanspruch auf Erlassung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen iS des §68 AVG zustehe.

Auch der VfGH vertritt in langjähriger Rechtsprechung (vgl. aus letzter Zeit etwa VfSlg. 7742/1976, 8277/1978 sowie 9095/1981) die Auffassung, daß kein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechtes besteht, sodaß durch die Nichtausübung dieses Rechtes durch die Behörde eine Rechtsverletzung nicht stattfinden kann. Es besteht in diesen Fällen insbesondere auch kein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung (vgl. VfSlg. 8129/1977, S 55 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Es besteht aber - auch unter Berücksichtigung der soeben angeführten Judikatur der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Bereich des Aufsichtsrechtes - für die antragstellende Aktiengesellschaft die Möglichkeit, bei der Oberbehörde den Antrag auf Aufhebung bestimmter, von der antragstellenden Aktiengesellschaft als rechtswidrig erachteter Bescheide zu stellen. Der antragstellenden Aktiengesellschaft stünde dann sowohl in dem Fall, daß die Oberbehörde diesen Antrag unter Berufung auf §§220 Abs2 und 222 TLAO mit Bescheid zurückweist als auch in dem Fall, daß die Oberbehörde über den Antrag keine Entscheidung trifft, die Anrufung des VwGH - im ersten Fall auch des VfGH - offen. In der Beschwerde an den VfGH könnte die amtswegige Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §220 Abs2 und des §222 TLAO, in der Beschwerde an den VwGH die Stellung eines Antrages auf Prüfung der als verfassungswidrig erachteten Gesetzesbestimmungen angeregt werden. Dies gilt auch für den Fall, daß der VwGH eine allfällige Säumnisbeschwerde in Entsprechung seiner oben angeführten Rechtsprechung mit der Begründung zurückweist, daß die Behörde im Hinblick auf §220 Abs2 und §222 TLAO zu einer Sachentscheidung nicht verpflichtet war. Denn auch in diesem Falle hätte der VwGH die Verpflichtung, bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die von ihm angewendeten Bestimmungen gemäß Art140 Abs1 B-VG an den VfGH heranzutreten.

3. Da es der antragstellenden Aktiengesellschaft somit hinsichtlich der bekämpften Bestimmungen an einer Voraussetzung für die Stellung eines Individualantrages nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG mangelt, ist der Antrag gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in der Fassung BGBl. 353/1981 in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Abänderung und Behebung von amtswegen, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:G72.1981

Dokumentnummer

JFT_10179385_81G00072_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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