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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Art144 Abs1 B-VG; eine gerichtliche Anordnungen entsprechende Amtshandlung von Vollstreckungsorganen iS dieser Bestimmung Finanzstrafgesetz; keine Bedenken gegen §89; eine Beschlagnahmeanordnung nach §89 Abs1 hat in Bescheidform zu ergehen; keine gesetzliche Grundlage für die bekämpfte Beschlagnahme Abgabenexekutionsordnung; keine Bedenken gegen §13; die Frage der Rechtmäßigkeit der Durchführung einer finanzbehördlichen Pfändung ist in einem Verwaltungsverfahren auszutragenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß Organe des Finanzamtes Wr. Neustadt im Finanzstrafverfahren AZ Vr 1661/80 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt freigegebene Gegenstände, und zwar am 27. Februar 1981 das Sparbuch Nr. ... (der Volksbank M. reg Genossenschaft mbH) und am 6. März 1981 die Sparbücher Nr. ... (der Volksbank M. reg Genossenschaft mbH), beschlagnahmt haben, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden;
II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit sie sich a) gegen die schriftliche "Beschlagnahmeanordnung" des Finanzamtes Wr. Neustadt vom 17. Feber 1981, ferner b) gegen die finanzbehördliche Pfändung der Sparbücher Nr. ... (der Volksbank M. reg Genossenschaft mbH) am 31. März 1981 richtet.
III. Das Verfahren wird eingestellt, soweit sich die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamtes Eisenstadt vom 31. März 1981, StNr. R 11-360/3545, betreffend Übertragung einer Forderung, wendet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Vor dem Kreisgericht Wr. Neustadt fanden im Verlauf des dort anhängigen Finanzstrafverfahrens gegen J. G. und andere (AZ Vr 1661/80) am 27. Februar und 6. März 1981 Tagsatzungen zur Sichtung gerichtlich beschlagnahmter Unterlagen aus dem Besitz der Volksbank M. reg Genossenschaft mbH statt. Mit Beschlüssen des beide Amtshandlungen leitenden Richters wurde dabei die gerichtliche Beschlagnahme des im Gerichtsprotokoll unter den Punkten II 33 und III 4 - Seiten 37 und 43 bis 47 benannten Materials (das sind fünf aus dem Besitz J. S. stammende Sparbücher mit den Nummern: ...) ausdrücklich aufgehoben. Alle diese vom Gericht freigegebenen Sachen wurden daraufhin von einem Organ des örtlichen Finanzamtes in Ausübung behördlicher Zwangsgewalt in amtliche Verwahrung genommen; dies in Berufung auf eine dem Kreisgericht vorliegende, vom Finanzamt Wr. Neustadt als Finanzstrafbehörde erster Instanz am 17. Feber 1981 gemäß §89 Abs1 FinStrG erlassene schriftliche "Beschlagnahmeanordnung" (ohne Zahl), die sich auf offensichtlich als Beweismittel (auch) in verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren in Betracht gezogene "Drei gerichtlich beschlagnahmte, im Finanzamt Wr. Neustadt versperrt verwahrte und mit dem Dienstsiegel des Finanzamtes versehene Pakete, die Unterlagen und Beweismittel etc. in verschiedenen Finanzstrafverfahren beinhalten und im Zuge einer Hausdurchsuchung in einem gerichtlichen Finanzstrafverfahren in der Volksbank M. beschlagnahmt wurden", erstreckte und folgende Begründung aufwies:
"Die Beschlagnahme war geboten, weil in den versiegelten Paketen Gegenstände vorhanden sind, die als Beweismittel in Finanzstrafverfahren in Betracht kommen können und zu befürchten ist, daß diese Gegenstände ohne diese Beschlagnahme gemäß §89 FinStrG in den Finanzstrafverfahren nicht mehr greifbar sind, obwohl sie als Beweismittel benötigt werden."
1.2.1. Das Finanzamt Eisenstadt erließ am 30. März 1981 zu Z R 11-360/3545 einen an J. S. adressierten Sicherstellungsauftrag gemäß §232 BAO und ordnete darin die "Sicherstellung in das bewegliche und unbewegliche Vermögen" dieses Abgabepflichtigen zur Sicherung von Abgabenansprüchen in der Höhe von S 550.000,- an. Eine Ausfertigung dieses Sicherstellungsauftrags wurde J. S. noch am selben Tag zugestellt.
1.2.2. Die zu 1.1. beschriebenen fünf Sparbücher wurden am 31. März 1981 vom Finanzamt Wr. Neustadt freigegeben und Organen der Volksbank M. reg Genossenschaft mbH ausgehändigt.
Anschließend wurden vier dieser Sparbücher (mit Kontonummern ...) laut Pfändungsprotokoll der Vollstreckungsstelle des Finanzamtes Eisenstadt Nr. Ref. 11-360/3545 vom 31. März 1981 in den Räumlichkeiten der Volksbank M. reg Genossenschaft mbH unter Berufung auf den Sicherstellungsauftrag vom Vortag finanzbehördlich gepfändet.
1.3. Mit dem Bescheid des Finanzamtes Eisenstadt vom 31. März 1981, StNr. R 11-360/3545, wurde die dem Abgabenschuldner J. S. auf Grund der zu 1.2.2. bezeichneten Sparbücher ("Einlagebücher") zustehende Forderung von S 550.000,- (mehr oder weniger) der Republik Österreich bis zur Höhe der Abgabenschuld gemäß §71 Abs3 AbgEO übertragen.
1.4.1. J. S. begehrte in seiner an den VfGH gerichteten - rechtzeitigen - Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, daß er sowohl durch die schriftliche "Beschlagnahmeanordnung" vom 17. Feber 1981 als auch durch die geschilderten finanzbehördlichen Amtshandlungen vom 27. Feber 1981 - ihm bekannt geworden erst am 3. März 1981 - und vom 6. März 1981, und zwar durch Beschlagnahme des gerichtlich freigegebenen Materials, ferner durch die finanzbehördliche Pfändung von vier Sparbüchern am 31. März 1981, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, sowie durch den Bescheid (Übertragungserklärung) des Finanzamtes Eisenstadt vom 31. März 1981, StNr. R 11-360/3545, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei, nämlich im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 des 1. ZP zur MRK) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und im Recht nach Art6 MRK; hilfsweise wurde die Abtretung der Beschwerde an den VwGH gemäß Art144 Abs2 B-VG idF vor dem BVG BGBl. 350/1981 beantragt.
1.4.2. Die Finanzämter Wr. Neustadt und Eisenstadt als belangte Behörden erstatteten - unter Vorlage der Verwaltungsakten - Gegenschriften und begehrten die Zurückweisung bzw. Abweisung der Beschwerde.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1.1. bis einschließlich 2.2.1. (wie Pkt. 4. des Erk. B236 - 238/81 v. 11. Juni 1982)
2.2.2. In diesem Umfang war der auf Art144 Abs2 B-VG idF vor dem BVG BGBl. 350/1981 gestützte Eventualantrag auf Beschwerdeabtretung an den VwGH abzulehnen, weil eine solche Abtretung nur im - vorliegend nicht gegebenen - Fall einer abweisenden Sachentscheidung des VfGH in Betracht kommt, nicht hingegen auch bei Zurückweisung einer unzulässigen Beschwerde (vgl. zB VfGH 30. 11. 1978 B530/78).
2.3.1. und 2.3.2.1. (wie Pkt. 5.1.1. und 5.1.2. des Erk. B236 - 238/81 v. 11. Juni 1982)
2.3.2.2. Wenn in der Beschwerdeschrift zum Beleg der dort vertretenen Rechtsmeinung, die Bestimmung des §14 AbgEO finde hier keine Anwendung, auf das Erk. VfSlg. 5635/1967 verwiesen wird, so bleibt zu erwidern, daß es vorliegend um §13 AbgEO geht und daß sich dieser Rechtsfall vom damaligen allein schon insofern unterscheidet, als der Beschwerdeführer behauptet, in seinem Eigentumsrecht an den gepfändeten Sachen verletzt worden zu sein, wogegen der Beschwerdeführer im seinerzeitigen Verfahren eine derartige Behauptung nicht aufgestellt, sondern sich gegen den zwangsweisen Eintritt des Vollstreckers in sein Haus gewendet hatte (s. dazu bereits VfSlg. 7486/1975).
2.3.3. Zusammenfassend ergibt sich daher, daß der VfGH zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde - soweit sie sich gegen die finanzbehördlichen Pfändungsakte vom 31. März 1981 richtet - nicht zuständig ist.
2.3.4.1. Der Beschwerdeführer zieht allerdings auch die Verfassungsmäßigkeit der AbgEO in Zweifel, indem er, sinngemäß zusammengefaßt, geltend macht, §90 Abs1 AbgEO überlasse die Festlegung des Zeitpunktes des Inkrafttretens der §§1 bis 89 AbgEO in Verletzung des Art18 B-VG einem Verwaltungsorgan, und zwar dem Bundesminister für Finanzen, der auch eine entsprechende Verordnung (BGBl. 242/1949) erlassen habe.
2.3.4.2. Der VfGH hegt indessen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der - in dieser Beschwerdesache im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung anzuwendenden und demgemäß iS des Art140 Abs1 B-VG präjudiziellen - Bestimmungen der AbgEO, insbesondere ihres §13, und zwar aus folgenden Erwägungen:
Nach Art49 Abs1 B-VG sind Bundesgesetze im Bundesgesetzblatt kundzumachen; ihre verbindende Kraft beginnt, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, nach Ablauf des Tages, an dem das Stück des Bundesgesetzblattes, das die Kundmachung enthält, herausgegeben und versendet wird. Eine derartige abweichende Bestimmung über das Inkrafttreten, wie sie Art49 Abs1 B-VG vorsieht, muß aber der Bundesgesetzgeber selbst erlassen (s. auch Klecatsky, Bundesverfassungsrecht, 2. Auflage, S 249, Fußnote 3 zu Art49 B-VG). Der Gesetzgeber darf diese Anordnung keinesfalls völlig undeterminiert - wie hier - einem Verwaltungsorgan überantworten, und zwar auch nicht in der Form, daß dieses Organ (hier: der Bundesminister für Finanzen) zur Bestimmung des Zeitpunktes des Inkrafttretens des Gesetzes ausdrücklich ermächtigt wird (so §90 Abs1 AbgEO). Das Bundesgesetz vom 30. März 1949 über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Abgaben (Abgabenexekutionsordnung - AbgEO), BGBl. 104/1949, dessen §§1 bis 89 der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung vom 6. Oktober 1949 über die Festsetzung des Wirksamkeitsbeginns des Abgabeneinhebungsgesetzes und der Abgabenexekutionsordnung, BGBl. 242/1949, mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1950 in Kraft gesetzt hatte, wurde jedoch bereits mit dem zufolge seines §3 nach Ablauf von acht Tagen nach der Kundmachung in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 24. Oktober 1951 (Nov. zur Abgabenexekutionsordnung), BGBl. 1/1952 - in seinen §§55 und 57 novelliert. Dieser ersten Novellierung folgten das Bundesgesetz vom 14. Juni 1961, BGBl. 159/1961 (zweite Nov. zur AbgEO), in Kraft getreten gemäß Art49 B-VG nach Ablauf des Kundmachungstages, das ist der 30. Juni 1961, ferner das Bundesgesetz vom 27. Feber 1963, BGBl. 53/1963 (dritte Nov. zur AbgEO), in Kraft getreten zufolge seines ArtII am 1. Jänner 1963, und schließlich das Bundesgesetz vom 11. November 1981, mit dem die AbgEO geändert wird, BGBl. 521/1981, in Kraft getreten gemäß Art49 B-VG nach Ablauf des Kundmachungstages, das ist der 1. Dezember 1981.
Es stellt sich daher die Frage, ob der ursprünglich der AbgEO anhaftende verfassungsrechtliche Mangel etwa durch die folgenden Gesetzesnovellierungen beseitigt wurde.
Nun bedeutet zwar die Novellierung eines Gesetzes nicht ganz allgemein, daß gleichzeitig mit der Kundmachung des Textes der neuen oder geänderten Bestimmungen der bisherige Gesetzesbestand als neu erlassen und neu kundgemacht zu gelten habe. Ein derartiger Grundsatz ist auch der bisherigen Rechtsprechung des VfGH nicht zu entnehmen. Der VfGH maß aber in mehreren besonders beschaffenen Fällen der Novellierung eine Wirkung auch auf die Geltung des novellierten (Stamm-)Gesetzes bei. Ein solcher Fall liegt auch hier vor: Denn nach Lage der Verhältnisse ist der Schluß zulässig, daß der Bundesgesetzgeber mit der Nov. BGBl. 1/1952 nicht nur die geänderten §§55 und 57 in Kraft setzen, sondern auch die bis dahin bloß vom Verordnungsgeber eingeführten §§1 bis 54, 56 und 58 bis 89 AbgEO als neu erlassenes und zum diesmal unbedenklich iS des Art49 B-VG im Gesetz selbst abschließend bestimmten Zeitpunkt, das ist nach Ablauf von acht Tagen nach der Kundmachung (s. §3 der Nov.), wirksam werdendes Bundesgesetz behandelt wissen wollte, wie insbesondere die Bestimmungen des §2 der Nov. belegen (s. VfSlg. 4838/1964). Vor allem der dort zu findende Hinweis auf bisherige Pfändungsverfügungen bringt nämlich deutlich und unmißverständlich zum Ausdruck, daß der Novellengesetzgeber die Stammfassung der AbgEO als bereits geltendes Gesetz zugrunde legte. Unter diesen Umständen muß aber der alte Gesetzestext als durch die Nov. BGBl. 1/1952 normativ bestätigt angesehen werden. Dies besagt hier, daß der eingangs festgehaltene verfassungsrechtliche Mangel der AbgEO durch die Gesetzesnovellierung behoben (saniert) wurde (vgl. VfSlg. 8099/1977). Letzten Endes aus dieser hier dargelegten Rechtsauffassung resultiert, daß der VfGH schon in seiner bisherigen mit dem Erk. VfSlg. 3683/1960 eingeleiteten Rechtsprechung zur AbgEO keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§1 bis 89 dieses Gesetzes unter dem Aspekt des ursprünglichen Geltungsgrundes, nämlich ihrer erstmaligen Inkraftsetzung durch Verwaltungsakt, hegen konnte (s. dazu: VfSlg. 5635/1967, 6440/1971, 7486/1975, 8991/1980).
2.3.5. Abschließend ergibt sich also, daß die Beschwerde im hier maßgebenden Umfang - als unzulässig - zurückgewiesen werden mußte (Punkt II.b des Spruches). Auf die Ausführungen unter 2.2.2. wird besonders verwiesen.
2.4. Der - gleichfalls bekämpfte Bescheid des Finanzamtes Eisenstadt vom 31. März 1981, StNr. R 11-360/3545 (s. 1.3.). wurde mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 4. Mai 1981, Z GA 7-13301/81, gemäß §299 Abs2 BAO aufgehoben. Damit schied der angefochtene Bescheid aus dem Rechtsbestand aus, die Beschwerde wurde insoweit gegenstandslos. Das Verfahren war in diesem Umfang einzustellen (s. Punkt III des Spruches).
Schlagworte
Finanzverfahren, Finanzstrafrecht, Vollstreckung (Finanzen), Abgaben Vollstreckung, Pfändung, Beschlagnahme, Gesetz Kundmachung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Novellierung, DeterminierungsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:B193.1981Dokumentnummer
JFT_10179385_81B00193_00