TE Vfgh Beschluss 1982/6/16 V10/81

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Veröffentlicht am 16.06.1982
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
SpeisepilzV, BGBl 250/1979

Leitsatz

Art139 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des §1 der Speisepilzverordnung, BGBl. 250/1979; keine Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Die Antragstellerin, eine OHG, betreibt einen Großhandel mit Lebens- und Genußmitteln und eine Handelsvertretung. Gestützt auf Art139 Abs1 B-VG stellt sie den Antrag, "den §1 der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 14. Mai 1979, BGBl. 250, über frische und getrocknete Speisepilze (Speisepilzverordnung) als gesetzwidrig aufzuheben".

Nach dieser Bestimmung ist es verboten, andere als die in der Anlage zu der Verordnung genannten Speisepilze in Verkehr zu bringen. Die Antragstellerin führt dazu aus, in der Anlage seien zahlreiche Speisepilze angeführt, nicht jedoch die von der Antragstellerin seit Jahren importierten und auch nach den Untersuchungsbefunden der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung einwandfrei genußtauglichen Reisstrohpilze. Das in der Verordnung ausgesprochene Verbot sei damit für die Antragstellerin ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides unmittelbar wirksam geworden, weil es der Antragstellerin nicht zugemutet werden könne, sich "auf die Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung einzulassen, um die Gesetzwidrigkeit der Verordnung unter Beweis zu stellen".

Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz erstattete eine Äußerung, in der beantragt wird auszusprechen, daß die angefochtene Verordnungsbestimmung nicht gesetzwidrig ist.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der VfGH über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Anfechtungsberechtigt ist also nur der Normadressat, in dessen Rechtssphäre durch die Verordnung selbst in einer nach Art und Ausmaß in der Verordnung eindeutig bestimmten Weise, nicht bloß potentiell, sondern aktuell eingegriffen wird und dem ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der Rechtswidrigkeit nicht zur Verfügung steht; dabei ist von jenen Wirkungen der Norm auszugehen, durch die sich der Antragsteller beschwert erachtet (VfSlg. 8058/1977, 8060/1977, 9277/1981). Aus dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes (VfSlg. 8312/1978, 8404/1978, 8594/1979, 8700/1979, 8890/1980, 9154/1981) folgt aber auch, daß ein Individualantrag - außer bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände - auch dann nicht zulässig ist, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist, in dem Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den VfGH oder, falls ein Verfahren beim VfGH selbst anhängig ist, zur Anregung einer amtswegigen Prüfung (vgl. VfSlg. 9285/1981) geboten ist. Andernfalls gelangte man zu der mit dem Charakter des Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stehenden Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes.

2. Die Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 14. Mai 1979 über frische und getrocknete Speisepilze (Speisepilzverordnung), BGBl. 250/1979, stützt sich auf das Lebensmittelgesetz 1975 (LMG 1975), BGBl. 86, insbesondere auf dessen

§13.

Nach den dem VfGH in dem Verfahren über den vorliegenden Individualantrag und in dem die Antragstellerin betreffenden Beschwerdeverfahren zu Zahl B592/81 vorliegenden Akten hat die Antragstellerin mit Eingabe vom 17. Feber 1981, ergänzt am 22. Juni 1981, beim Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz gemäß §§13 und 12 Abs2 LMG 1975 einen Antrag auf bescheidmäßige Zulassung von durch die Speisepilzverordnung nicht zugelassenen Speisepilzen (nämlich Reisstrohpilzen) gestellt. Diesem Antrag ist mit Bescheid des Bundesministers vom 11. November 1981, Z IV-445.445/7-6/81, gemäß §12 Abs2 und 3 LMG 1975 unter einer Reihe von Bedingungen und befristet entsprochen worden. Die Antragstellerin hat diesen Bescheid, insoweit die Zulassung des Inverkehrbringens von Reisstrohpilzen von Bedingungen abhängig gemacht worden ist, beim VwGH angefochten, der den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat (VwGH 12. 2. 1982 Z 81/10/0145). Die Antragstellerin hat den Bescheid auch beim VfGH (zu Zahl B592/81) gemäß Art144 B-VG angefochten, uzw. wegen Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf den gesetzlichen Richter und auf Gleichheit vor dem Gesetz; dieses Verfahren hat der VfGH mit Beschluß vom heutigen Tage B592/81-9 wegen Wegfalles des Beschwerdegegenstandes infolge Aufhebung des Bescheides durch den VwGH eingestellt.

Die Speisepilzverordnung war eine der Rechtsgrundlagen in dem Verfahren über die von der Antragstellerin begehrte Zulassung von Speisepilzen, da nämlich eine Sachentscheidung über einen solchen Antrag auf Zulassung nur unter der Voraussetzung möglich war, daß die unbestritten als Lebensmittel (nach §2 LMG 1975) geltenden Speisepilze den - die Zusatzstoffe (nach §4 LMG 1975) betreffenden - Vorschriften des §12 Abs2 und 3 LMG 1975 unterliegen; diese Voraussetzung konnte die Behörde nur in Anwendung der Speisepilzverordnung für gegeben annehmen.

Der Antragstellerin war in dem über ihren Antrag durchgeführten verwaltungsbehördlichen Verfahren und den daran anschließenden Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes die Möglichkeit geboten, die Gesetzwidrigkeit der Speisepilzverordnung geltend zu machen und die Anregung eines Verordnungsprüfungsverfahrens vorzubringen (vgl. VfSlg. 8890/1980).

Nach Aufhebung des in diesem Verfahren erlassenen Bescheides durch den VwGH ist das - anhängige - Verwaltungsverfahren offen. In dem von der Verwaltungsbehörde in Bindung an die Rechtsanschauung des VwGH (§63 VwGG 1965) fortzuführenden Verfahren wird die Möglichkeit einer Anregung im übrigen wiederum gegeben sein.

Die von der Antragstellerin gegen die Gesetzmäßigkeit der Speisepilzverordnung dargelegten Bedenken können aus den in der Rechtsprechung des VfGH herausgearbeiteten Gründen (s. vorstehenden Pkt. II.1.) nicht im Wege eines Individualantrages geltend gemacht werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:V10.1981

Dokumentnummer

JFT_10179384_81V00010_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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