TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/23 B473/79

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Veröffentlicht am 23.06.1982
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Index

L5 Kulturrecht
L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
AVG §56
AVG §58 Abs1
Nö NaturschutzG §9

Leitsatz

Nö. Naturschutzgesetz; bloße Mitteilung über beantragte Erklärung eines Objektes zum Naturdenkmal mit Bekanntgabe der Rechtslage und Einladung zur Stellungnahme - kein Bescheid; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das beschwerdeführende Stift ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 531/1 LT 492 KG Heiligenkreuz. Auf diesem Grundstück befindet sich der Steinbruch "Ungarstein".

Am 21. August 1979 erhielt das beschwerdeführende Stift ein Schreiben des Bezirkshauptmannes von Baden vom 16. August 1979 folgenden Inhaltes:

"Mit Erlaß des Amtes der NÖ Landesregierung vom 11. 7. 1979, Zl. II/3-551-02/18-1979 wurde beantragt, den Steinbruch 'Ungarstein', welcher sich auf Ihrem Grundstück Parz. Nr. 531/1 LT.492 KG. Heiligenkreuz befindet, gemäß §9 NÖ Naturschutzgesetz, LGBl. 5500-1, zum Naturdenkmal zu erklären.

Ein Sachverständigengutachten und Lageplan betreffend den 'Ungarstein' ist in Fotokopie beigeschlossen.

Gemäß §9 Abs5 in Verbindung mit §7 Abs5 leg. cit. sind für den an der Parzelle Berechtigten ab Verständigung von der Einleitung des Verfahrens die im §7 Abs2 bis 5 leg. cit. normierten Verpflichtungen gegeben. Eine Fotokopie dieser gesetzlichen Bestimmung liegt bei.

Gleichzeitig wird Ihnen gemäß §45 Abs3 AVG. 1950 Gelegenheit gegeben, hiezu innerhalb von drei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme abzugeben."

Gegen den - von ihm als Bescheid gewerteten - ersten Satz des dritten Absatzes der oben wiedergegebenen Erledigung erhob das beschwerdeführende Stift Berufung an die Nö. Landesregierung. Diese Berufung wies die Nö. Landesregierung mit Bescheid vom 28. September 1979 "gemäß §66 Abs4 AVG 1950 iVm §73 Abs1 leg. cit." als unzulässig zurück.

2. Mit der vorliegenden auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid der Nö. Landesregierung gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980). Eine gesetzwidrige Ablehnung einer Zuständigkeit ist einer Behörde insbesondere dann anzulasten, wenn sie eine Sachentscheidung über eine nach dem Gesetz zulässige Berufung verweigert. Im vorliegenden Fall wäre das beschwerdeführende Stift somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, falls dessen Berufung gegen das Schreiben des Bezirkshauptmannes von Baden vom 16. August 1979 zulässig und die belangte Behörde somit zur Fällung einer Sachentscheidung verpflichtet gewesen wäre.

2. Die belangte Behörde hat die Berufung des beschwerdeführenden Stiftes mit der Begründung zurückgewiesen, daß die angefochtene Erledigung keinen Bescheid - gegen den allein das Recht der Berufung zusteht - darstellt. Trifft diese Wertung des oben wiedergegebenen Schreibens zu, hat die belangte Behörde die Sachentscheidung über die Berufung zu Recht verweigert.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH kommt einer behördlichen Erledigung nicht nur dann Bescheidcharakter zu, wenn sie unter Einhaltung der für die Bescheiderlassung von den Verwaltungsvorschriften aufgestellten Voraussetzungen erlassen worden ist. Eine behördliche Enunziation ist - ungeachtet ihrer äußeren Form - vielmehr auch dann als Bescheid iS des Art144 B-VG anzusehen, wenn der Wille der Behörde darauf gerichtet war, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen, sei es, daß der Verwaltungsakt für den Einzelfall ein Rechtsverhältnis mit bindender Wirkung feststellt, sei es, daß er dies mit solcher Wirkung gestaltet (vgl. VfSlg. 8560/1979 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die mit der Berufung angefochtene Erledigung ist weder als Bescheid bezeichnet, noch in Spruch, Begründung oder Rechtsmittelbelehrung unterteilt. Aber auch aus ihrem Inhalt ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Annahme eines Bescheidwillens seitens der belangten Behörde. Im einleitenden ersten Absatz wird mitgeteilt, daß das Amt der Nö. Landesregierung beantragt hat, den auf dem Grundstück des beschwerdeführenden Stiftes befindlichen Steinbruch "Ungarstein" gemäß §9 Nö. Naturschutzgesetz (in der Folge Nö. NSchG), LGBl. 5500-1, zum Naturdenkmal zu erklären. Im zweiten Absatz wird ein Hinweis auf ein Sachverständigengutachten sowie auf einen Lageplan, die dieser Erledigung angeschlossen sind, gegeben. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß diese ersten beiden Sätze den Charakter einer bloßen Mitteilung ohne möglichen normativen Gehalt aufweisen.

Aber auch im darauffolgenden Satz "Gemäß §9 Abs5 in Verbindung mit §7 Abs5 leg. cit. sind für den an der Parzelle Berechtigten ab Verständigung von der Einleitung des Verfahrens die im §7 Abs2 bis 5 leg. cit. normierten Verpflichtungen gegeben," ist ein gegenüber dem beschwerdeführenden Stift normativ wirkender Ausspruch nicht zu sehen. Aus der Wahl der in diesem Satz verwendeten Worte "sind ... gegeben" kann nicht geschlossen werden, daß der Bezirkshauptmann von Baden den Adressaten der Erledigung nicht bloß von der Rechtslage in Kenntnis setzte, sondern ihm gegenüber ein Verbot erließ. Denn der Inhalt dieser Verbote ergibt sich - entgegen der Annahme des beschwerdeführenden Stiftes - zweifelsfrei aus den im wiedergegebenen Satz enthaltenen Zitaten von Bestimmungen des Nö. NSchG. Nach dem einleitend zitierten §9 Abs5 leg. cit. (idF vor der 2. Nov. zum Nö. NSchG, LGBl. 5500-2, vom 20. November 1980) sind die Bestimmungen gemäß §7 auf Naturdenkmale sinngemäß anzuwenden. Der in dieser Vorschrift bezogene §7 Abs6 Nö. NSchG normiert, daß "die Verpflichtungen gemäß Abs2 bis 5" ab dem Zeitpunkt der Verständigung von der Einleitung des Verfahrens zur Erklärung zum Naturschutzgebiet gelten und außer Kraft treten, wenn die Verordnung (über die Erklärung zu einem Naturschutzgebiet) nicht binnen sechs Monaten kundgemacht ist. Nach den Abs2 bis 5 des §7 Nö. NSchG wird jeder Eingriff in das Pflanzenkleid und Tierleben sowie jede Änderung bestehender Boden- und Felsbildungen untersagt (Abs2), eine Anzeigepflicht des Grundeigentümers statuiert (Abs4) und die Behörde zur Durchführung von Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren und Schädigungen zur Erhaltung des Naturschutzgebietes ermächtigt (Abs5).

Die Auffassung des beschwerdeführenden Stiftes, die erwähnten Bestimmungen seien auf das Verfahren zur Erklärung zum Naturdenkmal nicht anzuwenden, weshalb der Eintritt der im oben zitierten Satz genannten Verpflichtungen durch das Schreiben des Bezirkshauptmannes von Baden bewirkt worden sei, ist unzutreffend. Sie verbietet sich wegen des klar hervorleuchtenden Sinnes des §7 Abs6 (iVm §9 Abs5), die Vereitelung des Verfahrenszweckes für die Dauer von sechs Monaten nach der Verständigung von der Verfahrenseinleitung hintanzuhalten. Der Zweck des Verfahrens verlangt unabhängig davon, ob das Verfahren auf die Erlassung einer Verordnung oder eines Bescheides abzielt, den sofortigen Schutz des Objektes, hinsichtlich dessen das Verfahren eingeleitet wird.

Daß aber auch das Nö. NSchG selbst im Regelfall nicht die bescheidmäßige Verfügung der Verfahrenseinleitung intendiert woraus sich allenfalls in gesetzeskonformer Interpretation ein Indiz für den Bescheidwillen der belangten Behörde ergeben hätte können -, macht den Gebrauch der Worte "Verständigung von der Einleitung des Verfahrens" deutlich.

Die belangte Behörde hat das Schreiben des Bezirkshauptmannes von Baden somit zu Recht als bloße Mitteilung ohne Bescheidcharakter, gegen die ein Recht auf Einbringung einer Berufung gemäß §63 Abs1 AVG 1950 nicht zusteht, qualifiziert. Da die Berufung des beschwerdeführenden Stiftes zu Recht zurückgewiesen worden ist, ist das beschwerdeführende Stift im Recht auf den gesetzlichen Richter nicht verletzt. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Zurückweisung tragenden Rechtsvorschriften ist es damit auch ausgeschlossen, daß es in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 8741/1980).

Schlagworte

Bescheidbegriff, Naturschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B473.1979

Dokumentnummer

JFT_10179377_79B00473_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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