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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Fremdenpolizeigesetz; rechtswidrige Zurückweisung einer Berufung gegen einen noch dem Rechtsbestand angehörenden SchubhaftbescheidSpruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist Fremder iS des §1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPG).
Er wurde am 1. März 1981 von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen. Mit Bescheid dieser Behörde vom selben Tag wurde gegen ihn gemäß §5 Abs1 FrPG die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) angeordnet. Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG 1950 ausgeschlossen.
Am 2. März 1981 erhob er gegen diesen Schubhaftbescheid Berufung.
Am 4. März 1981 wurde der Beschwerdeführer vom Fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien niederschriftlich insbesondere über die näheren Umstände seines bisherigen Aufenthaltes in Österreich und über seine Einkommensverhältnisse einvernommen.
Abschließend lautet es in der Niederschrift:
"Ich bestreite aufs entschiedenste aktiv bzw. als Initiator an der Demonstration teilgenommen zu haben. Aufgrund eines ha. am 4. 3. 1981, 12.45 Uhr eingelangten Aktes des StB und des am 2. 3. 1981 notierten Aktenvermerkes der im selben Akt beinhaltet war, nehme ich zur Kenntnis, daß ich mit sofortiger Wirkung aus der Schubhaft entlassen werde. Es wird auch kein Aufenthaltsverbot über mich verhängt werden. Ich werde unverzüglich nach Deutschland zurückkehren."
Der Beschwerdeführer wurde sodann tatsächlich aus der Haft entlassen.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wies mit Bescheid vom 25. Juni 1981, berichtigt mit Berichtigungsbescheid (§62 Abs4 AVG 1950), die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Schubhaftbescheid vom 1. März 1981 gemäß §66 Abs4 AVG 1950 als unzulässig zurück. Sie begründete dies damit, daß der Schubhaftbescheid vom 1. März 1981 am 4. März 1981 von der Bundespolizeidirektion Wien aufgehoben und der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen worden sei, wobei die Bundespolizeidirektion Wien dem Beschwerdeführer diese aufhebende Verfügung in Form einer Niederschrift - sohin mit Bescheidcharakter - verkündet und damit rechtswirksam gemacht habe. Durch diesen - nicht nur faktischen, sondern auch formellen - Akt sei der angefochtene Schubhaftbescheid außer Kraft getreten, sodaß er weder von der Behörde erster Instanz als Grundlage zu einer allfälligen neuerlichen Verhaftung verwendet werden noch andere rechtliche Wirkungen entfalten könne. Die Berufung richte sich demnach gegen einen bereits von der Behörde selbst außer Kraft gesetzten und somit nicht mehr existenten Bescheid, sodaß die Berufung als gegenstandslos und damit unzulässig zurückzuweisen sei.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980).
Mit dem angefochtenen Bescheid wird dem Beschwerdeführer eine Sachentscheidung über seine Berufung verweigert; dies zu Unrecht:
Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und die dort zitierte Vorjudikatur). Ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid ist also Voraussetzung dafür, daß ein Fremder in Schubhaft genommen und in Schubhaft gehalten werden darf. Zwar ist die Erlaubnis, einen Fremden auf Grund eines Schubhaftbescheides in Haft zu nehmen und zu halten, mit der der (erstmaligen) Festnahme und Anhaltung folgenden Entlassung konsumiert. Wenn der Fremde (faktisch) aus der Schubhaft entlassen wird, wird aber damit nicht kraft Gesetzes die Rechtsgrundlage (nämlich der Schubhaftbescheid) für seine bisherige Verwahrung aus der Rechtsordnung beseitigt.
Die belangte Behörde meint im angefochtenen Bescheid und noch deutlicher in ihrer Gegenschrift, die Bundespolizeidirektion Wien habe - wie immer die Rechtslage bei richtiger Auslegung des FrPG sei - am 4. März 1981 einen rechtswirksamen, mündlich verkündeten Bescheid erlassen, dessen Inhalt - wenngleich möglicherweise rechtswidrig - es sei, den Schubhaftbescheid vom 1. März 1981 (ex tunc) aufzuheben. Darin irrt die Behörde:
Sie beruft sich auf den Passus, der in der von der Bundespolizeidirektion Wien am 4. März 1981 aufgenommenen Niederschrift enthalten ist, wonach der Beschwerdeführer zur Kenntnis nimmt, daß er anschließend aus der Schubhaft entlassen werde. Mit diesem Satz wird dem Beschwerdeführer die Absicht der Behörde eröffnet, ihn aus der Haft zu entlassen; allenfalls kann darin auch der - nach dem oben Gesagten allerdings überflüssige - Ausspruch der Behörde erblickt werden, daß der Schubhaftbescheid künftig keine Rechtswirkung mehr habe. Gleichgültig, ob dem erfolgten Ausspruch ein normativer Inhalt beigemessen wird oder nicht, keinesfalls wird damit verfügt oder festgestellt, daß der Schubhaftbescheid (als rechtswidrig) rückwirkend aus der Rechtsordnung beseitigt wird. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solcher - bescheidmäßiger - rückwirkender Ausspruch zulässig wäre und welche Folgen sich daraus für die Behandlung einer Berufung ergäben.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Schubhaftbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 1. März 1981 zum Zeitpunkt der Entscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien noch dem Rechtsbestand angehört hat und daß diese Behörde daher verpflichtet gewesen wäre, über die gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers zu entscheiden. Da sie dies durch die Zurückweisung der Berufung abgelehnt hat, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Der Bescheid war sohin aufzuheben.
Schlagworte
Fremdenpolizei, SchubhaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1982:B389.1981Dokumentnummer
JFT_10179370_81B00389_00