TE Vfgh Erkenntnis 1982/9/24 B359/79

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Veröffentlicht am 24.09.1982
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art9
HausRSchG §2 Abs2

Leitsatz

Gesetz zum Schutze des Hausrechtes; dieses Recht steht dem Mitinhaber durchsuchter Räume zu; rechtmäßig vorgenommene Hausdurchsuchungen

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit der - am 24. August 1979 unter dem Namen H. P. (richtig: H.

D. zufolge der am 12. Feber 1979 erfolgten Eheschließung - §93 Abs1 ABGB) erhobenen - auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde werden die am 23. Mai 1979 in Wien I, W-straße 31, in Mödling, E-straße 45 und in Raglitz/Bezirk Neunkirchen, N-straße 2, durchgeführten Hausdurchsuchungen bekämpft. Es sei wohl gegen den Beschwerdeführer ein gerichtlicher Haftbefehl erlassen worden, der ihm aber nicht zugestellt worden sei. Dieser Haftbefehl habe nicht zur Vornahme der Hausdurchsuchungen berechtigt. Außerdem seien die in Mödling und in Raglitz vorgenommenen Hausdurchsuchungen von unzuständigen Organen, nämlich von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien-Wirtschaftspolizei, durchgeführt worden.

2. Die Bundespolizeidirektion Wien (vertreten durch die Finanzprokuratur), die Bezirkshauptmannschaft Mödling und die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen haben Gegenschriften erstattet. Die Behörden verweisen darauf, daß gegen den Beschwerdeführer beim Landesgericht für Strafsachen Wien unter AZ 24d Vr 2709/78 eine Voruntersuchung wegen des Verdachtes gemäß §34 Abs2 des Kreditwesengesetzes und gemäß §133 Abs2 zweiter Fall StGB anhängig war und daß dieses Gericht am 21. Mai 1979 einen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer erließ.

Die durchgeführten Hausdurchsuchungen seien durch §2 Abs2 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 88, zum Schutze des Hausrechtes (HausrechtsG) gedeckt gewesen.

II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde gegen die am 23. Mai 1979 gesetzten Amtshandlungen wurde erst am 24. August 1979 vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beim VfGH eingebracht.

Nach §82 Abs2 VerfGG kann die Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG gegen einen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangenen Verwaltungsakt nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen erhoben werden. Diese Frist beginnt - von einem hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmsfall abgesehen - in dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat.

Der Beschwerdeführer behauptet, daß er erst am 28. Juli 1979 von den bekämpften Hausdurchsuchungen Kenntnis erlangt habe.

Auf Grund der vom VfGH durchgeführten Einvernahmen des R. P. und der Dr. R. D. als Zeugen sowie des Beschwerdeführers als Partei nimmt der VfGH diese Behauptung als erwiesen an. Die Behauptung des Beschwerdeführers erscheint vor allem deshalb glaubwürdig, weil er wegen der gegen ihn geführten Voruntersuchung am 22. Mai 1979 ins Ausland geflüchtet war und erst nach einiger Zeit dort Kontakt mit seinen Familienangehörigen aufnahm.

Die sechswöchige Beschwerdefrist ist sohin gewahrt.

2. Fest steht, daß die angefochtenen Hausdurchsuchungen tatsächlich stattgefunden haben; sie wurden von Sicherheitsorganen aus eigener Macht vorgenommen (s.u. III.3.).

Derartige Hausdurchsuchungen sind Verwaltungsakte, die nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpft werden können.

3. Der Beschwerdeführer ist beschwerdelegitimiert:

Hauptmieter der im Haus in Wien I, W-Straße 31, befindlichen durchsuchten Räumlichkeiten war die "B., Bodenrealitäten, An- und Verkaufsgesellschaft m.b.H.", deren Geschäftsführer und Gesellschafter der Beschwerdeführer war; außerdem hatte er über einen Raum einen Untermietvertrag mit dieser Gesellschaft abgeschlossen.

Die in Mödling, E-Straße 45, durchsuchten Räume waren die eheliche Wohnung des Beschwerdeführers; dieses Reihenhaus gehörte der Gattin des Beschwerdeführers.

Das in Raglitz durchsuchte Einfamilienhaus ist Eigentum der Mutter des Beschwerdeführers. Wenngleich kein formeller Mietvertrag abgeschlossen worden war, hatten ihm doch seine Eltern eigene - nämlich die durchsuchten - Räume zur Benützung (insbesondere an Wochenenden) überlassen.

All diese Feststellungen gründen sich zum Teil auf die übereinstimmenden Ausführungen der Parteien im Zuge dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens, zum Teil auf die Aussage des Beschwerdeführers als Partei vor dem VfGH vom 30. März 1982 und zum Teil auf die Aussage der vom VfGH einvernommenen Beamten (s.u. III.3.).

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer jedenfalls Mitinhaber aller durchsuchten Räume war. Es steht ihm daher der Schutz des Hausrechtes zu (vgl. VfSlg. 1906/1950 und 5182/1965).

4. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:

1. Nach §2 Abs2 HausrechtsG (das dem Art149 B-VG zufolge auf Verfassungsstufe steht) kann zum Zwecke der Strafgerichtspflege eine Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen jemanden ein "Vorführungs- oder Verhaftbefehl" erlassen wurde.

Die Hausdurchsuchung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, nach der Person zu suchen, gegen die ein Haftbefehl erlassen wurde.

Die Sicherheitsorgane müssen vertretbarerweise annehmen können, daß sich die gesuchte Person in der zu durchsuchenden Räumlichkeit iS des §1 HausrechtsG aufhält.

2. Alle diese Voraussetzungen lagen hier vor:

Ein gegen den Beschwerdeführer erlassener gerichtlicher Haftbefehl war ausgestellt worden. Ob er dem Beschwerdeführer zugekommen ist oder nicht, spielt bei der Natur eines Haftbefehles keine Rolle.

Die Beamten konnten nach den Umständen des Falles durchaus vertretbar annehmen, daß sich der Beschwerdeführer in den durchsuchten Räumlichkeiten aufhalte, wenngleich die Durchsuchungen erfolglos blieben. Diese Vertretbarkeit bedarf in Ansehung der ehelichen Wohnung und der Büroräume keiner weiteren Erörterung. Da die Beamten bei der Durchsuchung des Hauses Mödling, E-Straße 45, einen Zettel vorfanden "Bringe das Kind nach Raglitz zu den Eltern!", war es naheliegend zu vermuten, daß sich auch der Beschwerdeführer im Hause seiner Eltern in Raglitz aufhalte.

Die Sicherheitsorgane (Kriminalbeamte und Gendarmeriebeamte) beschränkten sich darauf, nach dem Beschwerdeführer zu suchen; sie unterließen es, etwa nach Gegenständen zu fahnden.

Diese Tatsachen stehen auf Grund der Aussagen der vom VfGH vernommenen Beamten fest (s.u. III.3.).

Die von den Sicherheitsorganen aus eigener Macht vorgenommenen Hausdurchsuchungen waren daher an sich rechtmäßig.

3. Sie wären jedoch dennoch rechtswidrig erfolgt, wenn nicht die zuständigen Sicherheitsorgane eingeschritten wären (vgl. zB VfSlg. 9013/1981).

Der VfGH hat ua. über diesen Umstand Beweis erhoben durch Vernehmung der einschreitenden Beamten als Zeugen, nämlich der Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Wien-Wirtschaftspolizei R. P., W. J. und W. M., der Gendarmeriebeamten des Gendarmeriepostenkommandos Mödling R. B. und F. Sch. sowie der Gendarmeriebeamten des Gendarmeriepostenkommandos Ternitz F. Sch. und R. S. Auf Grund dieser - übereinstimmenden - Aussagen, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlaß besteht, nimmt der VfGH als erwiesen an, daß die Hausdurchsuchung in Wien ausschließlich von Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Wien vorgenommen wurde. An den Hausdurchsuchungen in Mödling und in Raglitz nahmen sowohl Kriminalbeamte der Bundespolizeidirektion-Wirtschaftspolizei als auch Beamte der (örtlich zuständigen) Gendarmeriepostenkommanden Mödling und Ternitz teil. Die Führung der Amtshandlungen in Niederösterreich nahmen die Gendarmeriebeamten wahr, während die Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Wien lediglich unterstützend und - auf Grund ihrer besseren Kenntnis der Aktenlage, der räumlichen Verhältnisse im Haus Mödling, E-straße 45 und der gesuchten Person - informierend tätig waren. Die führende Rolle der Gendarmeriebeamten geht schon daraus hervor, daß sie es waren, die den in den Wohnungen anwesenden Personen (der Ehefrau und dem Vater des Beschwerdeführers) die Beamten vorstellten und ihnen den Grund des Einschreitens bekannt gaben.

Es sind sohin die zuständigen Sicherheitsorgane eingeschritten. Daran ändert nichts, daß auch andere Beamte an den Hausdurchsuchungen (unterstützend) teilnahmen.

4. Der Beschwerdeführer ist also im verfassungsgesetzlich geschützten Hausrecht nicht verletzt worden.

5. Da die Hausdurchsuchungen - nur diese sind angefochten - rechtmäßig erfolgten, ist es ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.

§2 Abs2 HausrechtsG, der die bekämpften Amtshandlungen vor allem trägt, steht auf Verfassungsstufe. Der VfGH hat gegen die anderen, bei Durchführung der Hausdurchsuchungen angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Beschwerdeführer ist sohin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Hausrecht, Hausdurchsuchung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B359.1979

Dokumentnummer

JFT_10179076_79B00359_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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