TE Vfgh Erkenntnis 1982/9/25 B390/79

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Veröffentlicht am 25.09.1982
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36 Wirtschaftstreuhänder
36/01 Wirtschaftstreuhänder

Norm

B-VG Art83 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Wirtschaftstreuhänder-DisziplinarO §1 Abs1
Wirtschaftstreuhänder-BerufsO §42 Abs1 litb

Leitsatz

Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung; keine Bedenken gegen §42 Abs1 litb; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine denkunmögliche Anwendung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Beschwerdeführer wurde mit Strafverfügung des Finanzamtes für den VIII., XVI., XVII. Bezirk als Finanzstrafbehörde erster Instanz gemäß §143 des Finanzstrafgesetzes (FinStrG) wegen Abgabenhinterziehung nach §33 Abs1 und 3 lita und 5 FinStrG mit einer Geldstrafe von S 60.000,- (Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe 60 Tage Arrest) bestraft. Die Strafverfügung ist in Rechtskraft erwachsen.

b) Mit dem Bescheid vom 1. August 1978 hat der Vorstand der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gemäß §42 Abs1 litb der Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung (WTBO), BGBl. 125/1955, idF BGBl. 26/1965, die Bestellung des Beschwerdeführers als Steuerberater widerrufen.

In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, daß nach dem eingeholten Gutachten des Senates III des Ehrengerichts- und Disziplinarausschusses der Kammer der Wirtschaftstreuhänder die iS des §5 der Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung geforderte besondere Vertrauenswürdigkeit beim Beschwerdeführer nicht mehr vorliege.

Der Kammervorstand habe daher die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung als Steuerberater wegen nachträglichen Hervorkommens des Fehlens eines allgemeinen Erfordernisses der Berufsausübung, nämlich der besonderen Vertrauenswürdigkeit, als gegeben erachtet.

c) Der gegen den Bescheid der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vom 1. August 1978 erhobenen Berufung hat der Landeshauptmann von Wien mit dem Bescheid vom 26. Juni 1979 keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid gemäß §42 Abs1 litb im Zusammenhalt mit §5 der Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung bestätigt.

2. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. Juni 1979 richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Es wird der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid ist vom Landeshauptmann als Rechtsmittelbehörde in einer Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung erlassen worden. Eine gesetzliche Regelung, wonach iS des Art103 Abs4 B-VG ein Rechtsmittel gegen den Bescheid des Landeshauptmannes offenstünde, ist nicht gegeben. Der Instanzenzug ist erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die Bestimmungen des §5 und des §42 Abs1 litb WTBO.

Sie lauten:

"§5. Besondere Vertrauenswürdigkeit liegt insbesondere dann nicht vor, wenn der Berufswerber wegen eines Verbrechens, wegen eines aus Gewinnsucht begangenen Vergehens, einer ebensolchen Übertretung oder wegen eines Abgabendeliktes von einem Gerichte rechtskräftig verurteilt worden und die Strafe nicht getilgt ist. Gleiches gilt, wenn der Berufswerber wegen Abgabenhinterziehung, Bannbruch oder Abgabenhehlerei von einer Finanzbehörde rechtskräftig bestraft worden ist und seit der Rechtskraft der Strafe nicht mehr als fünf Jahre vergangen sind.

§42 Abs1 litb

(1) Die Befugnis zur Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes erlischt:

...

b) durch Widerruf der Bestellung (Anerkennung) wegen nachträglichen Hervorkommens des Fehlens eines allgemeinen Erfordernisses der Berufsausübung. Dieser Widerruf erfolgt durch die Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Zwecks Feststellung, ob die Voraussetzungen des Widerrufes gegeben sind, hat die Kammer ein Gutachten des ehrengerichtlichen Disziplinarausschusses einzuholen. Das Fehlen einer Berufshaftpflichtversicherung (§§16 und 17) ist nur bei Verschulden des Wirtschaftstreuhänders ein Widerrufsgrund;

..."

3. a) In der Beschwerde wird unter Hinweis auf die Zuständigkeiten des Vorstandes der Kammer der Wirtschaftstreuhänder nach §11 Abs1 des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes, BGBl. 20/1948 idgF und auf §1 Abs1 der Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung (WTDO), BGBl. 63/1962 idF BGBl. 28/1965, über die Ehrengerichtsbarkeit ausgeführt, daß durch die Befassung des ehrengerichtlichen Disziplinarausschusses gemäß §42 Abs1 litb WTBO mit Agenden, die materiell der Tätigkeit des Kammervorstandes zuzuordnen seien, eine gesetzwidrige Inanspruchnahme einer behördlichen Zuständigkeit vorliege. In der zur Gegenschrift der belangten Behörde abgegebenen Stellungnahme wird die Beschwerde zusammenfassend wie folgt begründet:

"Mit der Formulierung 'zwecks Feststellung, ob die Voraussetzungen des Widerrufes gegeben sind, hat die Kammer ein Gutachten des ehrengerichtlichen Disziplinarausschusses einzuholen' des §42 Abs1 litb WTBO wird einer Anwendbarkeit des §45 Abs2 AVG kein Raum gelassen. Aufgrund der Formulierung 'zwecks Feststellung' stellt sich die 'Mitwirkung' des ehrengerichtlichen Disziplinarausschusses an dem von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder erlassenen Bescheid nicht als quasi die eines Sachverständigen dar, sondern eines selbständigen Entscheidungsorgans: Die Feststellung, ob die Voraussetzungen des Widerrufes gegeben sind, werden bindend vom ehrengerichtlichen Disziplinarausschuß getroffen.

Andererseits mangelt es für eine derartige 'Mitwirkung' der notwendigen gesetzlichen Bestimmung: Wie ich bereits in meiner Beschwerde ausgeführt habe, ist gemäß §1 Abs1 WTDO der ehrengerichtliche Disziplinarausschuß lediglich zur disziplinären Überwachung, nicht jedoch zur Entscheidung in administrativen Angelegenheiten berufen. Insoweit steht daher die materiellrechtliche Zuständigkeitsbestimmung des §42 Abs1 litb WTBO mit der Bestimmung des §1 Abs1 WTDO in Widerspruch."

b) Nach diesem nicht ganz schlüssigen Vorbringen unterstellt der Beschwerdeführer dem §42 Abs1 litb WTBO den Inhalt, daß die Feststellung, ob die Voraussetzungen des Widerrufes gegeben sind, vom ehrengerichtlichen Disziplinarausschuß bindend zu treffen sei und daß diese Regelung, nach der "der ehrengerichtliche Disziplinarausschuß eine behördliche Zuständigkeit in Anspruch" nehme, die "zufolge der gleichzeitig bestehenden Kompetenz des Vorstandes" diesem zukomme, gegen die Verfassungsbestimmung des Art83 Abs2 B-VG verstoße.

Der VfGH braucht nicht zu prüfen, ob eine gesetzliche Regelung, nach deren Inhalt die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen zum Widerruf einer Bestellung allein dem ehrengerichtlichen Disziplinarausschuß oder im Zusammenwirken (im Einvernehmen) mit dem Vorstand der Kammer übertragen wird, wegen eines Verstoßes gegen ein verfassungsgesetzliches Gebot verfassungswidrig wäre. Dem §42 Abs1 litb WTBO kommt ein solcher Inhalt - im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers - nicht zu. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung hat die Feststellung, ob die Voraussetzungen des Widerrufes gegeben sind, ausschließlich durch Bescheid der Kammer (nach §11 Abs1 des Wirtschaftstreuhänder-Kammergesetzes des Vorstandes) zu erfolgen. Bei dem hierüber durchzuführenden Verfahren hat der Vorstand nach §58 WTBO die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 anzuwenden und im Rahmen dieses Verfahrens iS der Vorschrift des §42 Abs1 litb WTBO das Gutachten des ehrengerichtlichen Disziplinarausschusses einzuholen. Ferner ist in diesem Verfahren uneingeschränkt nach §45 Abs3 AVG 1950 das Parteiengehör zu gewähren.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, daß auch §42 Abs1 litb WTBO mit §1 Abs1 WTDO in Widerspruch stehe und daß wegen dieses Widerspruches ein Verstoß der in §42 Abs1 litb enthaltenen Zuständigkeitsregelung gegen Art83 Abs2 B-VG vorliege, trifft daher iS der obigen Ausführungen nicht zu. Weder gegen §42 Abs1 litb WTBO noch gegen die sonstigen bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften bestehen verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. VfSlg. 8938/1980).

Der Beschwerdeführer ist demnach aus den von ihm vorgebrachten Gründen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

4. Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

Insbesondere ist die Bestimmung des §42 Abs1 litb WTBO dadurch, daß der Widerruf der Bestellung erfolgte, obwohl das Fehlen des Erfordernisses der besonderen Vertrauenswürdigkeit nicht nachträglich hervorgekommen, sondern erst nach der Bestellung weggefallen ist, nicht denkunmöglich angewendet worden, wodurch etwa eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes des Beschwerdeführers auf freie Erwerbsbetätigung hätte bewirkt werden können. Der VfGH hat es in dem bereits zitierten Erk. VfSlg. 8938/1980 nicht für denkunmöglich gehalten, §42 Abs1 litb WTBO in Übereinstimmung mit dem VwGH (VwSlg. 8429 A/1973) dahin gehend zu verstehen, daß nach dieser Bestimmung ein Widerruf der Bestellung möglich ist, wenn eines der allgemeinen Erfordernisse der Berufsausübung erst nach der Bestellung zum Wirtschaftstreuhänder wegfällt.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Wirtschaftstreuhänder, Berufsbefugnis Wirtschaftstreuhänder, Disziplinarrecht Wirtschaftstreuhänder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B390.1979

Dokumentnummer

JFT_10179075_79B00390_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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